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28. März 2024

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Ein besonderer Affe

Ein besonderer AffePhotos.com

Der Mensch unterscheidet sich nur durch knappe zwei Prozent seiner Gene vom Affen.

Seit Charles Darwin Ende des 19. Jahrhunderts die Evolutionstheorie begründete und somit, salopp gesagt, aus dem Menschen anstatt der Krone göttlicher Schöpfung lediglich eine weitere Primatenart machte, beschäftigen sich Wissenschaftler auf der ganzen Welt mit der Frage, was den Menschen unter den Tieren einzigartig macht.
In einem Vortrag im September vergangenen Jahres warf Robert Sapolsky, Professor für Neurologie an der renommierten Stanford University in Kalifornien, einen kritischen Blick auf diverse Mythen der Einzigartigkeit des Menschen, wie etwa, dass nur der Mensch Kultur habe. Bei seiner Forschungsarbeit mit wild lebenden Pavianen konnte er unter anderem folgende interessante Beobachtung machen:In einem Rudel kamen auf unnatürliche Weise auf einen Schlag alle dominanten Männchen ums Leben, die „Softies“ hingegen blieben am Leben. Das Sozialverhalten änderte sich dadurch grundlegend, in der Gruppe kam es kaum zu aggressiven Handlungen. Fremde Männchen, die sich dieser Gruppe anschlossen, erlernten daraufhin diese rudelspezifischen Umgangsformen. Zudem geben Primaten zum Beispiel auch Wissen über Werkzeuggebrauch weiter. Sie haben also ebenso eine Form von Kultur.

Vielseitige Primaten

Auch die Theorie, der Mensch sei das einzige Tier, das Werkzeug benutze, hielt sich sehr hartnäckig. Bis die Primatenforscherin Jane Goodall in den 60er Jahren herausfand, dass sogar Menschenaffen Werkzeuge verwenden, und damit für eine Frühpensionierungswelle unter einer ganzen Generation von Anthropologen sorgte.
Der niederländische Verhaltensforscher und Zoologe Frans de Waal konnte in seiner Forschungsarbeit feststellen, dass nicht nur Menschen über Gefühle wie Empathie oder Mitleid verfügen, und schrieb damit ebenfalls Forschungsgeschichte. Wird ein Schimpanse beispielsweise von einem dominanten Männchen attackiert, ohne dieses provoziert zu haben, so wird er von den anderen durch Gesten wie Fellreinigung und Lausen gewissermaßen „getröstet“. Hat er aber die Aggression zuvor herausgefordert, ist dieses mitfühlende Verhalten um das Fünffache seltener.
Affen können zwar nicht sprechen, sie können jedoch sehr wohl die Gebärdensprache erlernen. Einige Tiere verfügten in Versuchen über einen Wortschatz von bis zu 1500 Ausdrücken. Zum Vergleich: Für das Meistern von Alltagssituationen reichen im Durchschnitt etwa 800 Wörter, für Kommunikation per SMS sogar schon 100 bis 200 Wörter.
Die Affen konnten sogar selbst einfache Sätze gemäß einer Art Proto-Grammatik formen. Unter Primatengruppen, die die Gebärdensprache erlernt hatten, bildeten sich sogar eigene Dialekte heraus, was auf individuellen Sprachgebrauch rückschließen lässt.
Auch die Annahme, der Mensch sei das einzige Tier, das Krieg gegen sich selber führe, konnte sich nicht halten. Tatsächlich konnten bei Primaten verschiedenste Formen der Aggression festgestellt werden, welche anfangs für menschenspezifisch gehalten wurden. So gibt es auch bei ihnen eiskalt kalkulierte Morde sowie organisiertes Morden, das laut Sapolsky gar einem „Prototyp des Genozids“ gleichkommt.

Der feine Unterschied

Wo also liegt der Unterschied, der uns zu dem macht, was wir sind? Hier merkt Sapolsky an, dass zum Beispiel Schachprofis einen Kalorienverbrauch von 6000 bis 7000 Kalorien pro Tag verzeichnen können, also etwa gleich viel wie ein Schwerarbeiter oder Spitzensportler, jedoch allein dadurch, dass sie denken. Die Leistungskraft unseres Gehirns ist also erwartungsgemäß ausschlaggebend.
Sucht man nach Beweisen für die Einzigartigkeit des Menschen, sollte man nicht der Versuchung erliegen, alles in „Der Mensch ist das einzige Tier, das ...“-Sätze zu verpacken. Wir sind weder die einzige Spezies, die Mitgefühl oder Moral zeigt, noch sind wir mit unserer Fähigkeit zur Kommunikation alleine. Jedoch, so resümieren Sapolsky und seine Kollegen, sind wir Menschen einzigartig darin, wie weit wir die­se Fähigkeiten dank unseres Gehirns verfeinern. So konnte Mitgefühl für andere Spezies auch schon unter Primaten beobachtet werden, die etwa verletzte Vögel gesund gepflegt haben. Menschen führen die­se Fähigkeit aber noch weiter. Wir können sogar Mitgefühl für abstrakte Darstellungen, etwa auf einem Gemälde wie Pablo Picassos Guernica, fühlen.
In seinem inspirierenden Resümee betont Sapolsky, dass nur der Mensch in der Lage sei, „die Unmöglichkeit von etwas als den Beweis herzunehmen, dass es möglich, ja sogar der ‚moralische Imperativ‘, sein muss.“ Nur wir glauben also an das Unmögliche und streben auch danach. Vielleicht wird sich genau diese Fähigkeit als das nötige evolutionäre Werkzeug herausstellen, das uns die neuen Aufgaben, die eine Welt noch nie gesehener Vernetzung und Komplexität mit sich bringt, meistern lässt.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 81-02-2010, 26.02.2010