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25. April 2024

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Wohin mit den Kindern?

Wohin mit den Kindern?APA/Schneider

Katastrophe Kindergarten: zu wenige Plätze, vor allem für unter Dreijährige, zu wenige qualifizierte Betreuende. Österreichs Kinderbetreuungssystem ist noch dazu Landessache. Jedes Bundesland hat so seine eigenen Regeln.

Wiener haben es theoretisch gut. Ihr Wohnsitz weist auf dem Papier derzeit das beste Kinderbetreuungsangebot aller Bundesländer auf. Denn Kindergärten sind Landessache. Jedes Bundesland entscheidet selbst, was wie in puncto Kinderbetreuung realisiert wird (siehe Kasten auf Seite 38). Ausnahme: Das letzte Kindergartenjahr ist bundesweit verpflichtend und in allen Bundesländern vormittags kostenlos; alle Fünf-Jährigen müssen ab Herbst 2010 den Kindergarten im Ausmaß von mindestens 20 Wochenstunden besuchen. In einigen Bundesländern wurde die Verpflichtung bereits heuer eingeführt.
Zurück nach Wien: Dort herrschen zurzeit angespannte Verhältnisse in Sachen Kinderbetreuung. Grund dafür ist der im Herbst 2009 eingeführte Gratis-Kindergarten für alle Altersgruppen. Zuvor mussten 226 Euro für die Ganztagsbetreuung plus der Essensbeitrag von 57,41 Euro bezahlt werden. Geblieben ist nur der monatliche Essensbeitrag. Die Folge: ein massiver Ansturm auf die Kindergärten, vor allem in der Altersgruppe der unter Dreijährigen. Derzeit gibt es daher viel zu wenige Krippen- und Betreuungsplätze und viel zu wenige betreuende Personen. „Wir haben im Moment täglich Anfragen verzweifelter Eltern, die dringend einen Platz für ihr Kind suchen“, sagt Monika Riha, Geschäftsführerin der „Kinder-in-Wien-Kindergärten“ (Kiwi). Und noch eine Tendenz sieht Riha: „Die Eltern lassen ihre Kinder jetzt länger in den Kindergärten.“

Zuspitzung im Herbst in Wien
Schlimm wird es ab Herbst 2010, dann muss Wien auch der Kindergartenpflicht für Fünfjährige nachkommen. 2008 lag laut einer neuen Statistik die Betreuungsquote der fünfjährigen Kinder in Wien bei nur 87,5 Prozent – übrigens die niedrigste Quote aller österreichischen Bundesländer. Wenn ab Herbst die Betreuungsquote gegen 100 Prozent gehen soll, ergebe sich insgesamt ein Bedarf an zusätzlichen 10.000 Plätzen. Alle verfügbaren Ressourcen (Kindergartenpädagogen, Betreuungsplätze) werden daher auf die Fünfjährigen konzentriert, gespart wird bei den Krippenplätzen.
Für Kinder unter 2,5 Jahren gibt es viel zu wenige Betreuungseinrichtungen und Plätze – in allen Bundesländern. Wer schon vorher arbeiten gehen will oder muss, darf die Zeit bis zum Kindergarteneintritt des Nachwuchses selbst überbrücken: mit Oma, Tagesmutter, Au-pair oder Babysitter. Die fehlenden Krippenplätze in Wien bekommen sogar Mütter zu spüren, die bereits ein älteres Kind im Kindergarten untergebracht haben. Plötzlich gibt es für das jüngere Geschwisterkind leider keinen Platz. Und noch eine Konkurrenz entsteht in den Kindergärten: Im Kindertagesheim Venediger Au, 1020 Wien, besuchen etwa vermehrt Schulkinder nachmittags die „Familiengruppen“; der Kindergarten wird so zum Hort. Dafür kassiert die Gemeinde Wien 148,73 Euro Betreuungsbetrag pro Monat.
Negative Folgen des Kindergartenhorts: Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren sind in einer Gruppe versammelt, Betreuerinnen und Betreuer sind nachmittags voll mit den Schulkindern (Hausübungen) beschäftigt.
„Wir in Wien bauen derzeit massiv Kindergartenplätze aus. Heuer schaffen wir im städtischen und privaten Bereich über 2500 zusätzliche Kindergartenplätze“, weist Wiens zuständiger Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) Kritik von sich. Im Bewusstsein, dass im Herbst allein für die Fünfjährigen 10.000 zusätzliche Plätze in Wien gebraucht werden, ist das aber ein Tropfen auf den heißen Stein. Oxonitsch gibt den Ball an den Bund weiter: „Wir haben im Wiener Landtag bereits vor zwei Jahren die Forderung an den Bund gestellt, bundeseinheitliche Standards für Kinderbetreuung einzuführen.“ Bundeseinheitliche Standards wünscht sich auch Familienstaatssekretärin Christine Marek (ÖVP), aber „Rückmeldungen aus einzelnen Bundesländern haben ergeben, dass es derzeit dafür nur sehr geringe Chancen gibt“, so ihr resignierendes Eingeständnis.

Länder wollen mehr Geld
In den zwei sogenannten 15a-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern sind das verpflich­tende kostenlose Kindergartenjahr für Fünfjährige (Bundesförderung jährlich 70 Mio. Euro) sowie der Ausbau der Kindergarteneinrichtungen, Schwerpunkt Null- bis Dreijährige, sowie die frühe sprachliche Förderung (Bundesförderung jährlich 20 Mio. Euro) geregelt. Die Ländern fordern allerdings mehr Geld.Bei den Null- bis Zweijährigen sieht die Situation tatsächlich trist aus. Die Betreuungsquote liegt bei nur 14 Prozent, 1998 lag sie allerdings gerade einmal bei sieben Prozent.
Geradezu lächerlich mutet der Hickhack zwischen den Bundesländern an: Eltern mit Hauptwohnsitz in Niederösterreich (NÖ) zahlen etwa in Wien den vollen Betreuungsbetrag, da, „ja jedes Kind in einer nieder­österreichischen Gemeinde einen Kindergartenplatz kostenlos vormittags in Anspruch nehmen kann“, so Familienlandesrätin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Die Frage von economy, ob NÖ ebenso wie Wien, Ober­österreich, das Burgenland und die Steiermark einen kostenlosen Ganztagskindergarten einführen werde, verneinte Mikl-Leitner vehement: „Nieder­österreich bietet den Kindergarten seit Jahrzehnten gratis am Vormittag an, das wird auch so bleiben. Der Nachmittag kostet etwas, und zwar bis maximal 80 Euro. Jeder Nieder­österreicher kann sich einen Kindergartenplatz leisten.“ Ob dies bei einer Familie mit drei oder mehr Kindern realistisch ist, sei dahingestellt.
Weitere Probleme der Kindergartenmisere sind zu viele Kinder pro Gruppe sowie die Fluktuation der Kindergärtnerinnen (der Job ist zu 99 Prozent in weiblicher Hand), vor allem aus zwei Gründen: Der Job ist anstrengend, die Bezahlung schlecht. Eine Wiener Kindergärtnerin verdient nach 25 Dienstjahren für 30 Stunden pro Woche 1300 Euro netto. Die Stadt Wien gibt das Einstiegsgehalt derzeit mit 1890,83 Euro brutto an, das Land NÖ zahlt aktuell Schulabgängerinnen 2150 Euro brutto für einen Fulltime-Job. Letzten Herbst demonstrierten die Kindergärtnerinnen und führten die katatrophale Situation klar vor Augen. Vergeblich. Dabei sollten die Aussagen des Kinderpsychiaters Ernst Berger zu denken geben: „Die Arbeitswelten der Kindergartenpädagoginnen sind die Lebens- und Lernwelten der Kinder.“

Neunmal Kindergarten
Da in Österreich der Kindergarten Landessache ist, sehen die Bestimmungen, Besuchszeiten und Kosten in jedem Bundesland anders aus.
Mit Beginn des Kindergartenjahrs 2009/2010 wurde österreichweit der Gratiskindergarten im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche (ohne Mittagessen) für alle Fünfjährigen eingeführt. In Nieder- und Oberösterreich ist zudem seit September 2009 der Kindergartenbesuch für alle Kinder im letzten Kindergartenjahr vor Schuleintritt verpflichtend, in Kärnten gilt das seit Längerem. In den übrigen Bundesländern kommt das verpflichtende Kindergartenjahr im September 2010. Alle Bundesländer außer Salzburg und Vorarlberg haben das Angebot Gratis­kindergarten (Essen wird außer in Oberösterreich überall verrechnet) inzwischen „erweitert“:

Burgenland: ganztags ab 2,5 Jahren kostenlos
Kärnten: vormittags ab drei Jahren kostenlos
NÖ: vormittags ab 2,5 Jahren im Ausmaß von 30 Stunden pro Woche kostenlos (sieben bis 13 Uhr)
OÖ: ganztags ab 2,5 Jahren kostenlos inklusive Essen (!)
Steiermark: ganztags ab drei Jahren kostenlos
Tirol: halbtags ab vier Jahren im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche kostenlos
Wien: seit Herbst 2009 ganztags kostenlos inklusive Krippe (ab zehn Monaten bis drei Jahre), Es-sensbeitrag: 57,41 Euro/Monat.

Hemmnisse für berufstätige Eltern sind viele Schließtage (Schulferien), zum Teil unzureichende Öffnungszeiten, etwa in Tirol, Salzburg und Vorarlberg, und zu wenige Plätze, vor allem für Kinder bis drei Jahre.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010