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19. April 2024

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Dienstbare Psychologie

Dienstbare Psychologie© piqs.de/fz

Die Geschichte der akademischen Psychologie nach dem Anschluss 1938 wird nun erstmals systematisch aufgearbeitet.

„Es ist eine traurige Wahrheit“, so der Psychologe Gerhard Benetka von der Sigmund Freud Privatuniversität Wien, „dass der Nationalsozialismus eine Blütezeit der angewandten Psychologie gewesen ist – und die Geschichte der österreichischen Psychologie nach dem Anschluss 1938 bisher nicht systematisch aufgerollt worden ist.“ Den Grund dafür sieht Benetka vor allem darin, dass die Psychologie sich selbst immer noch als Opfer nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik darzustellen versucht.

Verbrechen
Im Zentrum des Projekts stehen die wechselseitigen Beziehungen zwischen NS-Politik und fachlichen Entwicklungen in der Psychologie. Wie Voruntersuchungen zeigen, stellten Psychologen von sich aus ihre Expertise in den Dienst der Rassen- und Kriegspolitik: bei der Offiziersauslese in der Wehrmacht oder bei der Selektion von „aufwandunwürdigen“ Kindern und Jugendlichen. „Das ganze Ausmaß dieses praktischen Einsatzes von psychologischem Wissen ist uns immer noch unbekannt“, sagt Benetka. „Allein bei der Deutschen Wehrmacht waren 1942 rund 450 Psychologen-Stellen eingerichtet.“
Das Projekt widmet sich vor allem auch der Rolle der Psychologie im Rahmen nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschheit. Insbesondere ist dabei der Einsatz psychologischer Testverfahren im Kontext der sogenannten Kinder-Euthanasie zu nennen. Für die Aufarbeitung werden erstmals Dokumente der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt NSV sowie Materialien aus den USA konsultiert. Hintergründe liefern auch Interviews mit Zeitzeugen. Die Ergebnisse des FWF-Projekts werden in Buchform sowohl dem Fachpublikum als auch einer breiteren Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht.

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Economy Ausgabe Webartikel, 17.11.2016