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28. März 2024

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Maritimer Superkleber

Maritimer Superkleber© piqs.de/vinoth chandar

Was Wissenschaftler so alles an einem Strand finden ...

Es war einer dieser glücklichen Zufälle: Ein deutscher Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts spaziert während seines Urlaubs an der dänischen Nordsee entlang, entdeckt im Treibgut zu seinen Füßen Meereskrebse mit langen dünnen vielgliedrigen Beinen. Die Tiere haben sich so fest an Plastik, Metall und andere Gegenstände geheftet, dass es unmöglich ist, sie davon zu entfernen.
Das hat die Neugierde des Biologen und Experten für Klebstoff an dem Rankenfuß-Krebs Dosima fascicularis geweckt und war Anstoß, die Struktur als auch die chemische Zusammensetzung und die mechanischen Eigenschaften des Klebstoffes dieser bis dato wenig beachteten Krebsart zu untersuchen.

Kleber und Floß
Die Biologin Waltraud Klepal hat mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF in der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien den Meereskrebs bis in seine einzelnen Zellen durchleuchtet. Das nur wenige Zentimeter große Tier wurde unterm Elektronenmikroskop studiert und im Computertomografen gescannt. So wurde festgestellt, wie der biologische Superkleber, der allgemein als Zement bezeichnet wird, entsteht und angewendet wird.
Der Zement unterscheidet sich durch Struktur und Menge deutlich von dem aller anderen bekannten Arten. Der Krebs produziert ein schaumartiges Hydrogel in relativ großer Menge, das er nicht nur als Klebstoff, sondern auch als Floß verwendet. Dadurch verleiht der Zement dem an und für sich festsitzenden Tier Mobilität, die es ihm ermöglicht, neue Lebensräume zu erschließen. Das Floß kann bis zu drei Zentimeter Durchmesser erreichen, wobei sich seine Größe an die des Tieres anpasst.

Medizinische Anwendung
Nun ist die Forschung einem Material auf der Spur, das mehr Fähigkeiten besitzt als vermutet und als natürlicher Klebstoff bisher einzigartig ist. Das Sekret ist nicht nur extrem haftfähig, sondern auch elastisch und hat aufgrund seiner porösen Struktur eine stoßdämpfende Wirkung.
Das macht den Stoff zu einem viel versprechenden Kandidaten für Medizin und Technik, überall dort, wo wasserfestes, dämpfendes Material gebraucht wird. „Porosität ist in der Medizin günstig als Matrix für das Zellwachstum“, nennt Klepal Anwendungsbeispiele. In der Orthopädie könnte es als eine Art Dämpfungskissen, etwa als Bandscheibe eingesetzt werden. Das Material ist auch deshalb ideal, weil es keine Toxine enthält, wie das Wiener Team in ersten Experimenten mit Zellkulturen nachweisen konnte.
Die Kooperationspartner am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen untersuchten den biochemischen Aufbau des Zements. Außerdem sind an dem Projekt auch irische Forscher beteiligt.

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red/stem, Economy Ausgabe Webartikel, 21.09.2016