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20. April 2024

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Selbstwert ist für Stressressistenz entscheidend

Selbstwert ist für Stressressistenz entscheidend© bilderbox.com

Frauen und Männer reagieren unterschiedlich auf Stress, wobei aber aktuelle neurowissenschaftliche Untersuchungen gängige Geschlechterstereotype nur zum Teil bestätigen. Entscheidende Faktoren sind vielmehr der Selbstwert, die Hormone und der Umgang mit Stress, wie ein Projekt des Wissenschaftsfonds FWF belegt.

Wie Menschen Stress empfinden ist subjektiv. Auch das Geschlecht spielt dabei eine wesentliche Rolle. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass etwa das Stresshormon Kortisol bei Frauen und Männern unterschiedlich aktiviert wird. "Stress wird von vielen Faktoren beeinflusst", betont Birgit Derntl von der Eberhard Karls Universität Tübingen. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, hat die Psychologin und Professorin am Centrum für Integrative Neurowissenschaften die Stressreaktion von Frauen und Männern auf Basis subjektiver, hormoneller und neuronaler Untersuchungen analysiert.

Subjektives Empfinden vs. Hormonreaktion
Dass etwa das subjektive Empfinden bei Stresserlebnissen nicht zwangsläufig mit den Reaktionen des Körpers übereinstimmen muss, ist eine von mehreren Erkenntnissen, die das Team um Projektleiterin Derntl in einem vom Wissenschaftsfonds FWF durchgeführten Projekt gewonnen hat. Probanden wurden vor zwei Aufgaben gestellt: Erstens wurden sie Leistungsstress ausgesetzt, indem sie Rechenaufgaben zu lösen hatten, deren Ergebnisse jedoch nicht evaluiert wurden. Zweitens untersuchten die Forscherinnen und Forscher den Stressfaktor "soziale Ausgrenzung" mittels des sogenannten Cyberball-Paradigmas – eines virtuellen Ballspiels. "Beide Geschlechter haben die Aufgaben als aufreibend erlebt, egal wie gut die Leistung war", so Derntl zum subjektiven Empfinden. Doch das Kortisol stieg nur bei den Männern an, nicht bei den Frauen. Die Forschung hat inzwischen immer mehr Belege dafür, dass Stress nicht unbedingt einen Kortisolanstieg zur Folge haben muss. "Doch warum das so ist, dazu gibt es noch viel Klärungsbedarf", betont Derntl.

Einfluss des Selbstwerts
Ein weiterer Faktor, den sich die Forschergruppe näher angesehen hat, war der Selbstwert. Dieser wurde zunächst per Fragebogen erhoben. Das Ergebnis: Selbstbewusstsein spielt im Umgang mit Stress eine wichtige Rolle. Er führt sowohl bei Frauen als auch bei Männern zu unterschiedlichen Reaktionen. Wenig selbstbewusste Frauen zeigten Aktivität in kognitiven Kontrollarealen des Gehirns. Es stand also das Ziel im Vordergrund, die Aufgabe gut zu erfüllen. Bei Männern waren Areale aktiviert, die in Verbindung mit Selbstbezug und Emotionen stehen.
In einer weiterführenden Studie konnte das Team des Universitätsklinikums Tübingen auch bereits mehr darüber erfahren, wie Stress individuell verarbeitet wird. Die Untersuchungen weisen darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Stresshormonen und Gehirnaktivität geschlechtsspezifische Effekte aufweist, die für die Stressreaktion und den Umgang mit Stress entscheidend sein können. Im Übrigen, betont die Stressforscherin, seien die fast ausschließlich negativen Konnotationen mit dem Begriff "Stress" zu hinterfragen. Stress könne auch, solange er nicht chronisch wird, etwas sehr Positives und Motivierendes sein.

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red, Economy Ausgabe Webartikel, 23.02.2017