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20. April 2024

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Irrenanstalt oder Krankenhaus. Wiener Drogenpolitik einst und jetzt.

Irrenanstalt oder Krankenhaus. Wiener Drogenpolitik einst und jetzt.© czaak/economy

Wenn man in Wien Ende der siebziger Jahre bei schwerer Drogenabhängigkeit sofort helfen wollte, gab es für ärztliche Entzugsprogramme genau zwei Möglichkeiten. Mittlerweile gibt es zahlreiche Betreuungsstätten und mit Sonja Wehsely eine verantwortliche Stadträtin, die wenn nötig vor und hinter diesen Einrichtungen und ihren Teams steht.

Ein Kommentar von Christian Czaak anlässlich der aktuellen menschenverachtenden Berichterstattung von Richard Schmitt in der Kronen Zeitung (siehe „Menschenverachtend. Letztklassig. Widerwärtig. Abstoßend.“). Die erste Möglichkeit für seinerzeitige Soforthilfe bei Suchtkrankheiten war die stationäre Aufnahme im Einsa-Pavillion am Steinhof, in der Wiener Vorstadt auch als „Guglhupf“ oder „Irrenhaus“ bezeichnet. Die Steinhofmethode war ein paar Tage mit dicken Lederriemen auf einer Holzpritsche nieder geschnallt zu werden und die „Behandlung“ selbst erfolgte mit schweren Neuroleptika und mit fensterfreier Aussicht auf psychisch schwer kranke Kinder, die schreiend oder bereits lange verstummt wie Affen in den Seilgittern auf den Terrassen der Nachbarpavillone herumhingen.

Beim ersten Fehltritt alle Kleider des Patienten zerschnitten
Zweite Möglichkeit war eine ambulante Behandlung mit theoretisch wirklich guten Ratschlägen in der damals einzigen Drogenberatungsstelle der Stadt Wien in der Borschkegasse nahe dem AKH. Bei beiden Varianten waren die Erfolgschancen gleich null. An privaten Einrichtungen in Österreich war noch das Tiroler „Kit“ erwähnenswert. Für viel Geld wurden hier kleinste Fehltritte von Patienten wie etwa verspätet von Hofrunde retour oder rauchen am Häusl mit dem therapeutisch verordneten Zerschneiden von allen Kleidern des Patienten bestraft. Das ist kein Witz. Alkoholiker hatten es da mit Kalksburg bereits weitaus besser. Heutige Drogenbehandlungseinrichtungen wie u.a. Proksch-Institut, Dialog, Grüner Kreis, Schweizer Haus, Jedermayer oder Change gab es noch nicht.

Magenkoliken und Brechscheißanfälle oder wunschlose Glückseligkeit
Erst auf Initiative von Otto P., dem damaligen Leiter der psychiatrischen Intensivstation im Wiener-AKH begann Mitte der 1980-er Jahre eine ordentliche medizinische Behandlung von Drogenkranken. Allerdings nur inoffiziell und mit großer Geheimhaltung, offizieller Behandlungsgrund war Depression. Unter sozialdemokratischer Führung des damaligen Wiener Gesundheitsressorts und auch auf Basis der Gesetzeslage des sozialdemokratisch geführten Bundes, wurde sogenannten Drogenärzten mit generellem Berufsverbot als Mediziner gedroht. Trotzdem stellte P. in seiner Station vier von acht verfügbaren Betten zur Verfügung. Wartezeiten von bis zu fünf Monaten waren die Folge. Für Betroffene wie Angehörige eine zermürbende Zeit. Auch wenn der Wille und eine behütete Umgebung da waren, irgendwann war die Straße näher als das Wohnheim, und der Drang Gliederschmerzen, Magenkoliken, epileptische Schüttelschweißausbrüche und Brechscheißanfälle in einer einzigen Sekunde für wunschlose Glückseligkeit zu tauschen stärker.

Eingegipste Fensterspringer und fratzenverzerrte Schizophrenie-Patienten
Endlich stationär aufgenommen auf der klinischen Psychiatrie, beschleunigten dann die im Nachbarbett liegenden „normalen“ psychiatrischen Intensivfälle wie komplett eingegipste Fensterspringer oder sich sekundenschnell gewalttätig verändernde, das Pflegepersonal angreifspuckende, fratzenverzerrte Schizophrenie-Patienten den Heilungsprozess der Drogenkranken – und die Prävention von angehörigen Besuchern. Rund 35 Jahre später, nach Engagements von u.a. Gabriele Fischer, Barbara Gegenhuber, Alexander David, Peter Hacker, Günter Pernhaupt, Michael Gschwantler oder Hans Haltmayer und vielen, vielen weiteren HelferInnen, existiert nun eine breitere großstädtische Drogenkrankheitspolitik, die gleichermaßen auf Prävention wie Behandlung setzt.

Hochachtung für jede/n einzelnen BetreuerIn
Leitende Ärzte dieser Einrichtungen bescheinigen dabei ihrer zuständigen sozialdemokratischen Stadträtin Sonja Wehsely Interesse, Verlässlichkeit und großen Rückhalt in schwierigen öffentlichen Situationen. „Es braucht immer gesicherte und haltbare Argumente für ihre Überzeugung aber dann macht sie uns wenn nötig auch die Mauer und rückt nicht einen Millimeter davon ab“, beschreibt der medizinische Leiter einer Wiener Drogenbehandlungseinrichtung Wehselys Haltung. Es hat sich was getan in der Behandlung Wiener Drogenkranker und jede/r einzelne BetreuerIn verdient allergrößte Hochachtung. Fehlen tut einzig noch die kontrollierte Abgabe von Heroin an langjährige Schwerstabhängige. Zumindest Franzi G., Xandi M. und Markus S. würden dann noch leben.

Anm. der Redaktion: Teile des Textes sind 2008 in der economy-Schwerpunktausgabe zum Thema „Sucht“ erschienen.

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Christian Czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 22.11.2016