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25. April 2024

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Menschenverachtend. Letztklassig. Widerwärtig. Abstoßend. Richard Schmitt, Kronen Zeitung.

Menschenverachtend. Letztklassig. Widerwärtig. Abstoßend. Richard Schmitt, Kronen Zeitung.© Bilderbox.com

Anlässlich der menschenverachtenden Äußerungen von Richard Schmitt in der Kronen Zeitung vom 17. November über ein ausgeweitetes Verpflegungsangebot an suchtkranke Menschen in Wien, veröffentlicht economy den offenen Antwortbrief von Ärzten und Patienten des Schweizer Hauses, einer Einrichtung für drogenkranke Menschen und dazu einen Kommentar (siehe „Irrenanstalt oder Krankenhaus. Wiener Drogenpolitik einst und jetzt.“) über die in dieser Thematik ebenfalls angegriffene Wiener Stadtpolitik. Der offene Antwortbrief im Originalwortlaut:

Sehr geehrter Herr Schmitt, sehr geehrte Redaktion der Kronen Zeitung,

die Stadt Wien hat ein an sich gut funktionierendes System von Drogenberatungs- und Behandlungseinrichtungen, zu denen auch niederschwellige Angebote wie das Jedmayer oder die Drogenberatungsstelle Change gehören. Niederschwellige Einrichtungen dienen primär dem Zweck, begleitende psychische, soziale und gesundheitliche Schäden bei Drogenkonsumenten zu reduzieren und den Betroffenen den Einstieg in eine weiterführende medizinische sowie therapeutische Behandlung zu erleichtern.
Personen, die diese Einrichtungen nutzen, sind in der Regel nicht jene, die gut integriert sind, sondern jene, die aufgrund des Drogenkonsums eine Vielzahl von Problemen haben—von körperlichen oder psychischen Begleiterkrankungen, bis hin zu sozialen Folgeschäden wie Armut oder Obdachlosigkeit. Einrichtungen wie früher der Ganslwirt oder jetzt das Jedmayer oder Change spielen in der Wiener Betreuungslandschaft für abhängige Menschen eine wichtige Rolle.
Seltsamerweise werden diese Einrichtungen von Ihnen auf eine eigenartige und ziemlich perfide Weise angegriffen. Sie schreiben nämlich in ihrem Beitrag, dass jemand, der kein "Opium spritzt oder LSD nimmt" keinen Anspruch auf ein "vom Wiener Steuerzahler finanziertes Gratis-Frühstück hat" und zitieren Anrainer, die meinen, die "städtische Suchtberatung wolle mit Bonus-Leistungen noch zusätzliche Kunden zum Gifteln animieren." Diese Darstellung zeugt von einer Überheblichkeit und einem Zynismus gegenüber chronisch kranken Menschen, gegen den wir uns entschieden wehren möchten.
"Wir" sind Jasmin, Raman und Christian, Patienten der Drogentherapieeinrichtung Schweizer Haus Hadersdorf, und Barbara Gegenhuber, Leiterin dieser Einrichtung. Wir alle haben seit vielen Jahren in unterschiedlichen Rollen mit drogenkranken Menschen zu tun, und glauben Sie uns: keiner dieser Menschen wurde von einem Kaffee und einem Kipferl "zum Gifteln animiert". Der Glaube, so etwas wäre möglich, zeugt nur von einem: nämlich wie weit diese Vorurteile von der Lebensrealität der Betroffenen entfernt sind. Wenn diese Aussage ernst gemeint ist, ist es eine gemeine Unterstellung, die sich Betreuer, die versuchen Menschen, denen es schlecht geht zu helfen, nicht gefallen lassen müssen.

(...)

Aber sei es wie es sei, wenn man schon den Betroffenen das Kipferl nicht vergönnt, darf man nicht vergessen, dass diese Einrichtungen auch einen hohen gesellschafts- beziehungsweise sozialpolitischen Stellenwert haben. Wir sollten froh sein, dass es in Wien ein System für Drogenkranke gibt, das dabei hilft, die Menschen von der Straße zu holen und sie dabei unterstützt, ein möglichst sozial integriertes und straffreies Leben zu führen.
Es ist ein absoluter Irrglaube, dass es weniger Drogenabhängige gäbe, wenn es keine Betreuungs- und Behandlungsangebote für sie gibt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Niederschwellige Einrichtungen helfen dabei, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich befinden, sie zu beraten und zu betreuen und im Idealfall auch in eine weiterführende Behandlung zu vermitteln. Die Abhängigkeit zieht eine Reihe von Folgeerscheinungen mit sich.
Neben den psychischen und sozialen Schwierigkeiten für die Betroffenen selbst, zählen dazu auch Dinge, die in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregen—Drogenkriminalität ist eines der prominenteren Beispiele. Ein Ansteigen der Zahl an HIV-Infizierten oder Drogentoten eines der weniger prominenten oder zumindest weniger sichtbaren, aber jedenfalls eines, das in einer zivilisierten Gesellschaft keinen Platz haben sollte.
Dass Drogenabhängige in Betreuung und Behandlung kommen und ihnen am Weg von der Straße und aus der Sucht geholfen wird, kann also auch nur im Interesse der Allgemeinbevölkerung sein. Und das sollte uns allen auch einmal einen Kaffee und ein Kipferl wert sein.

Anm. der Redaktion: Danke an Florian Klenk, Chefredakteur Falter und Danke an Vice Alps für Publikationen zum Thema über Twitter.

Links

red/czaak/Jasmin H., Raman L., Christian M. und Barbara Gegenhuber; Schweizer Haus Hadersdorf, Economy Ausgabe Webartikel, 22.11.2016