Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

25. April 2024

Search form

Search form

Weltkrebstag: Paradigmenwechsel in der zielgerichteten Krebstherapie

Weltkrebstag: Paradigmenwechsel in der zielgerichteten Krebstherapie(C) krebsratgeber.at

Innovative Substanzen verbessern Prognose und Lebensqualität

Die medizinische Forschung hat in der Krebstherapie in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte erzielt. Fast vierteljährlich werden neue Therapien zugelassen bzw. das Einsatzgebiet der innovativen Immuntherapie um weitere Tumorarten ergänzt. Somit wird die Lebenserwartung der Patienten deutlich verlängert und ihre Lebensqualität signifikant verbessert. Experten sprechen von einer "Revolution in der Onkologie".
In vielen Bereichen der Tumortherapie fanden in jüngster Zeit enorme Entwicklungen statt. Beispielsweise läuft in der Behandlung von Tumoren des Urogenitaltraktes derzeit ein Paradigmenwechsel - diese Tumore sind wesentlich besser behandelbar als noch vor wenigen Jahren. "In Abhängigkeit von der Tumorart ist heute Langzeitüberleben auch in fortgeschrittenen Stadien möglich, die früher in kürzester Zeit zum Tod geführt haben", berichtet Manuela Schmidinger, Professorin an der Univ. Klinik für Innere Medizin I und Klinischen Abteilung für Onkologie sowie Programmdirektorin metastasiertes Nierenzellkarzinom an der MedUni im Wiener AKH.

Beispiel Blasenkarzinom
Aktuellstes Beispiel ist das Blasenkarzinom, der neunthäufigste Tumor des Menschen. Bisher bestand die Erstlinientherapie bei Metastasierung aus platinhältigen Chemotherapien, viele Patienten sind jedoch nicht einmal zu Behandlungsbeginn fit genug dafür. Nach Versagen dieser Therapie standen bisher kaum wirksame Optionen zur Verfügung. Daher war das metastasierte Urothelialkarzinom bisher mit einer schlechten Prognose verbunden.
Nach mehr als 30 Jahren ohne wesentliche Behandlungsfortschritte brachte die Entwicklung des Immuntherapeutikums Atezolizumab einen dramatischen Durchbruch.
„In Europa ist Atezolizumab derzeit noch nicht zugelassen", so Schmidinger. Aufgrund der positiven Studiendaten aus der Phase-II-Studie IMvigor 210 hat jedoch bereits die US-amerikanische FDA (Food and Drug Administration) erste Schritte gesetzt und eine beschleunigte Zulassung von Atezolizumab für die Behandlung von Patienten mit bestimmten Formen von lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem urothelialen Karzinom erteilt. Schmidinger ist optimistisch, dass sich die Prognose urologischer Tumoren weiter dramatisch verbessern wird: „Durch Kombination der besten Strategien wird die Zukunft urologischer Therapien noch wesentlich vielversprechender.“

Comprehensive Cancer Center (CCC) an der MedUni Wien und dem AKH
Einen zentralen Beitrag zu den stetigen Verbesserungen in der Krebsbehandlung leistet auch das CCC der Medizinischen Universität Wien und des Allgemeinen Krankenhauses unter der Leitung von Univ.-Prof. Christoph Zielinski, Leiter der Univ. Klinik für Innere Medizin I sowie der Klinischen Abteilung für Onkologie. Das 2010 gegründete CCC vernetzt alle Berufsgruppen der MedUni Wien und des AKH Wien, die Krebspatienten behandeln, Krebserkrankungen erforschen und in der Lehre bzw. der Ausbildung in diesem Bereich aktiv sind. Wesentliche Pfeiler sind hierbei u.a. Tumorboards. "Diese stellen die Basis interprofessioneller Therapieempfehlungen in der Onkologie dar und sind Schlüssel zu einer individuellen, bestmöglich abgestimmten Versorgung jeder einzelnen Patientin und jedes einzelnen Patienten unter Einschluss des Wissens aller um die jeweilige Erkrankung sich rankenden Disziplinen", erklärt Zielinski.
Des Weiteren wurden sogenannte "Units" errichtet, die den Bogen zwischen der klinischen Versorgung von Patienten mit bestimmten Krebsarten, der klinischen Forschung und der Grundlagenforschung spannen sollen. Darüber hinaus wurde die Plattform für "personalisierte Medizin in der Onkologie" (Molecular Diagnostics and Treatment in Oncology) etabliert. Diese bündelt die Expertise zur individualisierten Behandlung und fördert die Forschungsbemühungen auf diesem Gebiet.

Unterstützung im Berufsleben
Patienten leben trotz bzw. mit ihrer Tumorerkrankung deutlich länger als vor zehn, zwanzig Jahren. Moderne personalisierte Therapien werden die Chancen auf ein Langzeitüberleben weiter steigern. „Und damit rückt, neben dem Überleben, ein neuer Aspekt immer mehr in den Blickwinkel: die Lebensqualität und das Leben mit Krebs im Alltag", betont Univ.-Prof. Paul Sevelda, Vorstand der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe im Krankenhaus Wien-Hietzing und Präsident der Österreichischen Krebshilfe.
Viele Menschen mit Krebs stehen mitten im Berufsleben. Die meisten sind während der Behandlung nicht in der Lage, ihrer Tätigkeit wie bisher nachzugehen. In der ersten Zeit der Erkrankung ist es notwendig und verständlich, dass die medizinische Behandlung, der Verlauf und die Wirksamkeit der Therapie im Mittelpunkt des Interesses der Patienten stehen. Berufspausen sind aber meist unumgänglich. Betroffene erleben in dieser Phase existenzielle sowie berufliche Unsicherheiten. „In den Krebshilfe-Beratungsstellen verzeichnen wir ein deutliches Ansteigen an der Notwendigkeit spezieller Beratungen zum Thema „Krebs und Beruf'", so Sevelda.

Teilzeitkrankenstand soll in Regierungsprogramm
Viele Patienten würden gerne nach der Therapie ihre Arbeit wiederaufnehmen, können aber ihre volle Leistung noch nicht erbringen. Bis dato wurden sie faktisch gezwungen, solange im Krankenstand zu verbleiben, bis sie zu 100 Prozent einsatzfähig sind. Es gab aber auch viele Krebspatienten die zu 100 Prozent arbeiten gingen, obwohl sie sich erst zu 50 Prozent einsatzfähig fühlten und sich damit überforderten. Die Österreichische Krebshilfe hat deshalb die Bundesregierung aufgefordert, die Möglichkeit eines "Teilzeitkrankenstandes" in das Regierungsprogramm aufzunehmen.
Nach sieben Jahren zäher Verhandlungen wurde die Wiedereingliederungsteilzeit Ende 2016 gesetzlich verabschiedet und tritt mit 1. Juli 2017 in Kraft. Damit besteht die Möglichkeit, eine Herabsetzung der wöchentlichen Normalarbeitszeit für die Dauer von ein bis sechs Monaten mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren - mit einer einmaligen Verlängerungsmöglichkeit (bis zu drei Monaten). Patienten haben - sofern sie sich in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis befinden und dieses davor mindestens drei Monate angedauert hat - die Möglichkeit, so schrittweise in den Arbeitsprozess zurückzukehren und sich stufenweise an die Anforderungen des Berufsalltages anzunähern.

Links

red, Economy Ausgabe Webartikel, 07.02.2017