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19. April 2024

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Auf der Suche nach der Entstehung der Welt

Auf der Suche nach der Entstehung der Weltcern

Im Cern in Genf, am weltweit größten Forschungszentrum für Teilchenphysik, wird erforscht, was die Welt zusammenhält.

Was geschah Sekundenbruchteile nach dem Urknall? Woraus besteht Materie? Und warum haben Elementarteilchen unterschiedliche Masse? Das sind die Fragen, die die Wissenschaftler im europäischen Kernforschungszentrum Cern (Conseil Européen Recherche Nucléaire) klären wollen.
Es ist eine Ironie der Wissenschaft: Für die Erkundung immer kleinerer Atomteilchen sind immer größere Forschungsanlagen nötig. Die weltweit größte Anlage entsteht derzeit im Cern in Genf. Gegenwärtig arbeiten noch rund 2.500 Ingenieure und Techniker am Bau des Hadronenbeschleuniger, auch Large Hadron Collider (LHC) genannt, der im Jahr 2007 in Betrieb gehen soll. Dabei handelt es sich um einen 27 Kilometer langen Ringtunnel, der sich rund einhundert Meter unterhalb des Grenzgebietes zwischen der Schweiz und Frankreich befindet.

Kampf der Protonen
In diesem superleitenden Ring werden bei minus 270 Grad Celsius zwei Strahlen (entweder aus Protonen oder geladenen Ionen bestehend) produziert. Die Teilchen rasen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit durch den Ring. Indem diese Strahlen 30 Millionen Mal in der Sekunde überkreuzt werden, kommt es zu Zusammenstößen der Teilchen, die dabei in noch kleinere Bestandteile zerfallen.
Um diese Kollisionen beobachten und wissenschaftlich auswerten zu können, sind riesige Detektoren notwendig, die an vier Stellen im Ring angebracht sind. Im LHC wird es insgesamt vier geben, wobei ein jeder für ein anderes Experiment – Atlas, Alice, CMS und LHCb – zuständig ist. Letztlich werden im LHC die Zustände nach dem Urknall simuliert, um ein größeres Verständnis von dunkler bzw. schwarzer und Antimaterie zu bekommen.
Außerdem ist unklar, warum Elementarteilchen so unterschiedliche Masse haben. Um dies zu erklären, hat der britische Physiker Peter Higgs bereits 1963 die Existenz eines Teilchens, des nach ihm benannten Higgs-Boson, vorhergesagt. Im Atlas-Experiment soll das Higgsche-Teilchen nachgewiesen werden.

Gigantische Datenmengen
Bei den Experimenten fallen riesigen Datenmengen an, die von leistungsfähigen Computern verarbeitet werden müssen. Zwar liefert eine Kollision nur ein Megabyte an Daten. Allerdings gibt es mehrere Millionen Zusammenstöße von Teilchen pro Sekunde. „Insgesamt werden pro Jahr 15 Petabyte (Anm. 15 Millionen Gigabyte) an Daten anfallen“, sagt Sverre Jarp, Chief Technical Officer des CERN. Das entspricht in etwa der heute weltweit produzierten Information – und zwar sowohl in digitaler als auch in traditioneller, analoger Form wie zum Beispiel in Büchern.
Um diese Datenmengen verarbeiten zu können, wird das Rechenzentrum des Cern bis zum Jahr 2007 ausgebaut. Die „PC-Farm“ wird von gegenwärtig 2.000 Rechnern (Servern) mit modernen Intel Xeon Doppelkern-Prozessoren auf 5.000 aufgestockt. Das wiederum wird den Energieverbrauch von derzeit einem Megawatt auf zwei emportreiben. Energie sei allerdings nicht das Problem, so Cern Technikchef Jarp, denn davon werde genug in den Atomkraftwerken Frankreichs und der Schweiz produziert, sondern die Zuleitung.

Weltweit vernetzt
Die nötige Technik komme einerseits von Industriepartnerschaften, wo sich beispielsweise im Rahmen des Openlab II der US-Computerchiphersteller Intel verpflichtet hat, die neueste Prozessorgeneration frühzeitig im Cern einzusetzen und zu testen. Andererseits hat man das LHC Computing Grid (LCG), oft auch nur als Grid bezeichnet, geschaffen. Dabei werden weltweit Rechenzentren von Universitäten und Forschungseinrichtungen vernetzt. Die Daten werden mit zehn Gigabit pro Sekunde durch Glasfaserleitungen um den Globus gejagt – das ist 100.000 Mal schneller als eine ISDN-Telefonverbindung.
Der Hadronenbeschleuniger soll zehn Jahre in Betrieb sein, doch die Pläne für die Zeit danach stehen bereits: Nach dem LHC kommt der ILC, der International Large Collider. Dabei handelt es sich um einen 35 bis 50 Kilometer langen linearen Teilchenbeschleuniger, bei dem die Teilchen frontal aufeinander zugejagt werden. Bleibt nur noch zu hoffen, dass sich das Higgsche-Teilchen auch nachweisen lässt.

Links

Klaus Lackner, Economy Ausgabe 02-01-2006, 02.03.2015