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29. März 2024

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Dem Wiener Bioinformatiker Stefan Washietl und seinen Kollegen ist es gelungen, funktionelle RNA im menschlichen Genom aufzuspüren. Aufgrund ihrer Fähigkeit, Gene ein- oder auszuschalten, ist sie Hoffnungsträger für Medizin und Biotechnologie.

Erst seit wenigen Jahren steht fest, dass Ribonukleinsäure (Ribonucleic acid, Abk. RNA) nicht nur als Bote für Proteine fungiert, sondern eigenständig Aufgaben in der Zelle übernimmt. Das fasziniert nicht nur Molekular- und Zellbiologen, sondern hat auch Auswirkungen auf die Medizin. So gibt es funktionelle RNA, die Krankheiten auslöst oder die Alterung der Zellen beeinflusst. Große therapeutische Hoffnung wird in die Fähigkeit gesetzt, andere Gene ein- und ausschalten zu können. Beispielsweise wird der Cholesterinspiegel gesenkt, indem Gene des Cholesterinhaushalts mit Hilfe funktioneller RNA abgeschaltet werden.
Vor mehr als 20 Jahren galt es als eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen, die vollständige DNA-Sequenz des menschlichen Genoms zu bestimmen. Die großen Fortschritte in der Sequenziertechnik waren damals nicht vorherzusehen. So lag bereits 2001, Jahre früher als geplant, der viel zitierte „Code des Lebens“ vor. Kaum eine Disziplin in den Biowissenschaften blieb davon unbeeindruckt, eröffnet doch das Wissen um die DNA-Sequenz ungeahnte Möglichkeiten. Im Prinzip, denn jetzt geht es um die Interpretation des Codes, der in Form von drei Mrd. Buchstaben des DNA-Alphabets A,G,C,T vorliegt. Unter dem Schlagwort „Functional Genomics“ etablierte sich in kürzester Zeit ein boomendes Feld in der Bioinformatik.

Molekulares Origami
Nicht alle Bereiche der DNA-Sequenz sind von unmittelbarer biologischer Relevanz. Ziel ist die Identifizierung jener Teile, die eine wichtige Funktion im Organismus haben. Dazu zählen klassische Gene, die den Bauplan für Protein-Moleküle darstellen, aber auch funktionelle RNA. Die Rolle der RNA in der Zelle sah man lange Zeit hauptsächlich als „Helfer“-Molekül bei der Herstellung von Proteinen. Dabei wird die DNA in eine Boten-RNA umgeschrieben, die als Vorlage für ein Protein dient. Heute wissen wir, dass viele RNA bestimmte Aufgaben übernehmen. Doch im Gegensatz zu Protein-Genen, die mittlerweile relativ gut kartiert sind, lässt sich funktionelle RNA nicht mit Hilfe einfacher Mustersuche im Genom aufspüren. Am Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien wurde nun erstmals eine Methode entwickelt, die diese RNA-Klasse mit sinnvoller Genauigkeit identifiziert.
Der Schlüssel liegt in der durch die Sequenz bedingten räumlichen Struktur der RNA. Wie ein molekulares Origami falten RNA in charakteristische Strukturen, die sich mit Hilfe chemischer Modelle und Computer- Algorithmen vorhersagen lassen. Es zeigt sich, dass funktionelle RNA im Vergleich zu anderen Bereichen im Genom stabilere Strukturen bildet. Stabile Faltung ist ein Hinweis auf funktionelle RNA. Ein Vergleich mit nah verwandten Organismen kann dieses Signal erheblich verstärken: Existiert etwa eine Sequenz sowohl im Genom des Menschen als auch in dem der Maus und falten beide in eine ähnliche, stabile RNAStruktur, ist dies ein starkes Indiz.
Diese Suchkriterien wurden in der Wiener Bioinformatiker-Gruppe im Programm „RNAz“ umgesetzt. Wie erste Tests zeigten, kann funktionelle RNA mit dieser neuartigen Software weitaus genauer bestimmt werden als mit allen bisherigen Versuchen. Die Ergebnisse, die die renommierte Nature Biotechnology veröffentlichte, geben klare statistische Hinweise darauf, dass es tausende bisher unentdeckte funktionelle RNA gibt.
Um das volle Spektrum zu überblicken, ist noch viel Forscherdrang nötig. Das Suchprogramm, das Wissenschaftlern weltweit frei zur Verfügung steht, ist ein wichtiger Schritt. Wie die Wiener Gruppe zeigt, ist fernab der großen europäischen und amerikanischen Bioinformatik- Zentren international beachtete Forschung möglich. In Österreich. Der Autor arbeitet am Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien.

Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2006

Stefan Washietl, Economy Ausgabe 02-02-2006, 27.02.2015