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13. October 2024

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Trauma, Literatur und Forschung

Trauma, Literatur und ForschungMengel

Ein Forschungsprojekt an der Universität Wien untersucht das Zusammenspiel zwischen der Aufarbeitung gesellschaftlicher Traumata und zeitgenössischer Literatur am Beispiel Südafrika.

Die systematische Ausgrenzung, die Unterdrückung, der staatlich forcierte Rassismus – im Südafrika des Apartheidsregimes (1948–1994) stand Gewalt gegen die schwarze Bevölkerung an der Tagesordnung. Seit dem Sturz des Regimes durch Nelson Mandela und den ANC (African National Congress) hat sich jedoch vieles geändert. Den gesellschaftlichen Umbruch reflektiert auch die zeitgenössische südafrikanische Literatur, durch die sich ein Thema wie ein roter Faden durchzieht: die Aufarbeitung des vom Apartheidsregime hinterlassenen Traumas.
Das Projekt „Trauma, Erinnerung und Erzählung im zeitgenössischen südafrikanischen Roman“ am Institut für Anlistik der Universität Wien widmet sich diesem Ineinandergreifen von Literatur, Gesellschaft und Psychologie. „Mich interessiert, wie sich Traumata einerseits in der literarischen Struktur widerspiegeln, und andererseits, welchen Beitrag Literatur zur Traumaverarbeitung leisten kann“, so Projektleiter Prof. Ewald Mengel.

Forschung im Überblick

Mit „Forschung“ verbindet der Laie oft Stereotype aus den Naturwissenschaften wie Reagenzgläser und Diagramme. In der Geisteswissenschaft sieht Forschung natürlich anders aus. „Die Geisteswissenschaft ist eine Metawissenschaft, das heißt, sie reflektiert die Diskurse der anderen Wissenschaften, kritisiert sie, denkt darüber nach, wie die Welt funktioniert. Der Naturwissenschaftler denkt darüber nach, wie man eine Atombombe baut. Der Geisteswissenschaftler denkt darüber nach, welche Konsequenzen der Bau der Atombombe für die Menschheit haben kann“, macht Prof. Mengel den Unterschied leicht verständlich.
Das interdisziplinäre Projekt verbindet dabei neben Literaturtheorie so vielseitige Disziplinen wie Psychoanalyse, Neurobiologie und moderne Geschichtsforschung. Für die Projektdauer von drei Jahren stehen insgesamt 130.000 Euro aus Mitteln des österreichischen Wissenschaftsfonds zur Verfügung.
Eine der angenehmsten Formen, die Projektarbeit annehmen kann, ist wohl eine Forschungsreise, wie sie Prof. Mengel und sein Team nach Südafrika unternehmen durften. „Wir waren begeistert von Land und Leuten, von der Freundlichkeit, mit der wir aufgenommen wurden. Die Schriftsteller, Akademiker und Intellektuellen, die wir interviewt haben, erlaubten uns faszinierende Einblicke in den momentanen Zustand der südafrikanischen Seele“, schwärmt Prof. Mengel. Der aus dieser Arbeitsphase hervorgegangene Interviewband „Trauma, Memory and Narrative in South Africa: Interviews“ wird demnächst bei Rodopi (Amsterdam) erscheinen.

Internationale Konferenz
Ein enormer Aufwand, aber auch eines der unbestrittenen Highlights der bisherigen Forschungsarbeit war die vom Projektteam organisierte Konferenz, die im April in Wien stattfand. Hochkarätige Wissenschaftler sowie, erfreulicherweise, auch viele Schriftsteller aus den USA, Europa und Südafrika trafen hier zusammen. Eine der wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Konferenz betrifft den Traumabegriff selbst. Die „westliche“ Definition sieht Trauma eher als Ergebnis eines individuellen Vorfalls, etwa einer Vergewaltigung.

Strukturelle Gewalt und Trauma
Diese Definition ist somit „zu individualistisch konzipiert, um auf südafrikanische Verhältnisse angewandt werden zu können. Es geht um die Frage, ob Trauma nicht auch das Resultat eines länger andauernden Zustandes sein kann. Strukturelle Gewalt (Apartheid) ist sicher auch ein Auslöser für kollektive Traumatisierung. Wir brauchen Begriffe wie continuous traumatic stress syndrome („andauerndes traumatisches Stress-Syndrom“, Anm.), um die kollektive Traumatisierung der südafrikanischen Bevölkerung zu erklären“, so Prof. Mengel gegen­über economy.
Mehr als 100 Romane sind im Zuge des Projekts bereits untersucht worden. Viele davon thematisieren die Leidensgeschichte des südafrikanischen Volkes aus dezidiert subjektiver Sicht, um den Unterdrückten ihre Stimme zurückzugeben, um einst totgeschwiegene Geschichten zu erzählen. Sie ergänzen somit die Geschichte ihres Landes um den Anteil der unterdrückten Mehrheit und konstruieren sie neu.
Noch immer gibt es viel zu tun, die Leseliste ist lang. Neben einer fixen Mitarbeiterstelle arbeiten auch zwei Doktorandinnen an dem Projekt. Für Herbst 2010 ist die Herausgabe eines Konferenzbandes geplant. Im Juni 2011 läuft das Projekt schließlich aus. Man darf also gespannt sein, welche weiteren Ergebnisse dann präsentiert werden.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 86-10-2010, 08.10.2010