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© David Bohmann

Ein medi­zi­ni­scher Sucht­ex­perte und ein ver­ständ­nis­vol­ler Freund

Hans Halt­mayer, lang­jäh­ri­ger Lei­ter der Sucht­hilfe Wien und städ­ti­scher Dro­gen­be­auf­trag­ter ist ver­stor­ben. Wien ver­liert einen Exper­ten in der sozial-medi­zi­ni­schen Sucht­hilfe. Und seine Pati­en­ten ver­lie­ren einen ärzt­li­chen Freund.

Wenn man Anfang der acht­zi­ger Jahre in Wien etwas für (oder bes­ser gegen) einen Dro­gen­ab­hän­gi­gen tun wollte, gab es zwei Mög­lich­kei­ten für eine schnelle Behand­lung. Eine war die sta­tio­näre Auf­nahme im „Einsa-Pavil­lon“ am Stein­hof auf der Baum­gart­ner Höhe, in der Wie­ner Vor­stadt auch als „Gugl­hupf“, vulgo Irren­haus bezeichnet. 

Die Stein­hof-Methode beinhal­tete eine Holz­prit­sche, auf der man mit dicken Leder­rie­men an Hän­den, Bauch und Füs­sen fest­ge­schnallt wurde plus eine „medi­zi­ni­sche“ Behand­lung mit schwe­ren Neu­ro­lep­tika. Inklu­diert war dabei die the­ra­peu­tisch nicht ganz so för­der­li­che Aus­sicht auf psy­chisch schwer kranke Kin­der, die schrei­end oder schon lange ver­stummt wie Affen in den Seil­git­tern auf den direkt gegen­über befind­li­chen Ter­ras­sen des Nach­bar­pa­vil­lons herumhingen.

Das the­ra­peu­tisch ver­ord­nete Zer­schnei­den von allen Kleidern
Zweite Mög­lich­keit war eine ambu­lante Behand­lung mit theo­re­tisch wirk­lich guten Rat­schlä­gen in der damals ein­zi­gen Dro­gen­be­ra­tungs­stelle der Stadt Wien in der Borsch­ke­gasse nahe dem AKH. Bei bei­den Vari­an­ten waren die Erfolgs­chan­cen gleich null. An pri­va­ten Ein­rich­tun­gen in Öster­reich war noch das Tiro­ler „Kit“ erwäh­nens­wert. Für viel Geld wur­den hier kleinste Fehl­tritte von Pati­en­ten wie etwa ver­spä­tet von Hof­runde retour oder rau­chen am Häusl mit dem the­ra­peu­tisch ver­ord­ne­ten Zer­schnei­den von allen Klei­dern des Pati­en­ten bestraft. Das ist kein Witz.

Hin­ter­grund für das Feh­len einer fun­dier­te­ren medi­zi­ni­schen Behand­lung von dro­gen­sucht­kran­ken Men­schen war die dama­lige über­aus restrik­tive Dro­gen­po­li­tik von Stadt Wien und Bund unter sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Füh­rung. Zustän­di­ger „Law & Order“ Stadt­rat in Wien war Sepp Rie­der, der soge­nann­ten Dro­gen­ärz­ten ein Berufs­ver­bot androhte. 

Otto Press­lich als einer der ers­ten Weg­brei­ter einer fun­dier­ten Behand­lung dro­gen­kran­ker Menschen
Otto Press­lich, der große und ebenso viel zu früh ver­stor­bene Huma­nist, ließ sich davon als dama­li­ger Lei­ter der psych­ia­tri­schen Inten­siv­sta­tion des AKH nicht beir­ren und star­tete rd. um 1981 die erste ordent­li­che sta­tio­när-medi­zi­ni­sche Behand­lung von dro­gen­kran­ken Men­schen. Press­lich stellte vier von sech­zehn ver­füg­ba­ren Bet­ten zur Ver­fü­gung — inof­fi­zi­ell, offi­zi­el­ler Behand­lungs­grund war Depres­sion. Die ent­spre­chen­den War­te­zei­ten von bis zu fünf Mona­ten waren für Betrof­fene wie Ange­hö­rige eine zer­mür­bende Zeit. 

End­lich sta­tio­när auf­ge­nom­men beschleu­nig­ten dann die im Nach­bar­bett lie­gen­den „nor­ma­len“ psych­ia­tri­schen Inten­siv­fälle wie kom­plett ein­ge­gipste Fens­ter­sprin­ger oder sich sekun­den­schnell gewalt­tä­tig ver­än­dernde, das Pfle­ge­per­so­nal angreif­spu­ckende, frat­zen­ver­zerrte Schi­zo­phre­nie-Pati­en­ten den Hei­lungs­pro­zess der Dro­gen­kran­ken – und die Prä­ven­tion der ange­hö­ri­gen Besucher.

Die Grün­dung des Ver­eins Wie­ner Sozialhilfe
40 Jahre spä­ter, nach Enga­ge­ments von u.a. Gabriele Fischer, Bar­bara Gegen­hu­ber, Alex­an­der David, Peter Hacker, Gün­ter Pern­haupt, Michael Gschwant­ler oder eben Hans Halt­mayer (und vie­len, vie­len wei­te­ren Helfer:innen), exis­tiert nun eine brei­tere groß­städ­ti­sche Dro­gen­krank­heits­po­li­tik, die glei­cher­ma­ßen auf Prä­ven­tion wie Behand­lung setzt. 

Hans Halt­mayer hatte daran einen beson­de­ren Anteil. 1958 in Linz gebo­ren, arbei­tet der All­ge­mein­me­di­zi­ner noch vor sei­nem Tur­nus in einer Sucht­hil­fe­ein­rich­tung der Stadt Wien und sieht, dass es für Behand­lung und Umgang mit sucht­mit­tel­ab­hän­gi­gen Men­schen in der eta­blier­ten Medi­zin nahezu keine fun­dier­te­ren Behand­lungs­an­ge­bote gibt. Es ist das Jahr 1990, wo mit der Grün­dung des Ver­eins Wie­ner Sozi­al­hilfe auch der soge­nannte Gansl­wirt als erste nie­der­schwel­lige sozi­al­me­di­zi­ni­sche Ein­rich­tung für dro­gen­kranke Men­schen in der Maria­hil­fer Ester­ha­zy­gasse eröff­net wird. 

Stadt Wien star­tet mit Gansl­wirt ers­tes nie­der­schwel­li­ges Behand­lungs­zen­trum für Drogenkranke
Peter Hacker, heute Gesund­heits­stadt­rat (SPÖ) für Wien, lei­tete damals den 1985 unter Bgmst. Hel­mut Zilk (SPÖ) geschaf­fe­nen Wie­ner Bür­ger­dienst und dazu gehörte auch die Beschäf­ti­gung mit der offe­nen Dro­gen­szene am Wie­ner Karls­platz. Hacker for­ciert das Pro­jekt „Gansl­wirt“ und nach sei­nem Tur­nus in der Klink Flo­rids­dorf beginnt auch Hans Halt­mayer dort zu arbei­ten – und wird rasch zum maß­geb­li­chen Ent­wick­ler die­ser Einrichtung. 

Zu Hans Halt­may­ers The­men gehö­ren neben der medi­zi­ni­schen Betreu­ung sucht­kran­ker Men­schen auch die The­men Prä­ven­tion, soziale Betreu­ung und Wie­der­ein­glie­de­rung oder die Schaf­fung von Per­spek­ti­ven. Es ist auch die Zeit von AIDS bzw. HIV, wo beim Gansl­wirt über das ebenso neu geschaf­fene Pro­jekt „Sprit­zen­tausch“ über 10.000 Sprit­zen aus­ge­ge­ben wer­den – pro Tag und mit einer Rück­lauf­quote von 98 Prozent.

Die Eröff­nung des „Jeder­mayr“ als nächs­ter Mei­len­stein in der Wie­ner Suchtkrankenhilfe
2006 folgt die Grün­dung der Sucht und Dro­gen­ko­or­di­na­tion der Stadt Wien und auch hier wird Hans Halt­mayer eine wich­tige Rolle spie­len. Zuvor wer­den bei einer Pres­se­kon­fe­renz ein paar Zah­len anläss­lich 15 Jahre „Gansl­wirt“ erläu­tert : Durch­ge­hend geöff­net wur­den täg­lich rund 250 Men­schen betreut, über 280.000 Per­so­nen besuch­ten in die­sen 15 Jah­ren das Tages­zen­trum, rund 110.000 Men­schen das medi­zi­ni­sche Ambu­la­to­rium, rund 60.000 Per­so­nen nutz­ten die Not­schlaf­plätze des Gansl­wirts. In Summe wur­den 5 Mil­lio­nen Sprit­zen getauscht – und das ergab euro­pa­weit die nied­rigste HIV-Prä­va­lenz unter Drogenkonsument:innen.

2012 folgt mit der Eröff­nung des „Jeder­mayr“ der nächste Mei­len­stein in der Wie­ner Sucht­kran­ken­hilfe — und im Leben des Hans Halt­mayer. Am Gum­pen­dor­fer Gür­tel wird auf 2.800 m² ein moder­nes 5‑stöckiges Haus eröff­net mit Tages­zen­trum, einer Not­schlaf­stelle mit fast 30 Bet­ten, einem Ambu­la­to­rium sowie Bera­tungs- und Sozi­al­räu­men. 19 Ärzte und 40 Sozi­al­ar­bei­ter sor­gen dafür, dass bis zu 200 Sucht­kranke gleich­zei­tig betreut wer­den können. 

Hans Halt­mayer und Michael Gschwant­ler und ihr Pro­jekt „Let’s End Hepa­ti­tis C in Vienna“
Hans Halt­mayer for­ciert als Lei­ter der Sucht­hilfe Wien auch das „Jeder­mayr“ und wird über viele Jahre ärzt­li­cher Lei­ter der Ein­rich­tung. In die­ser Zeit initi­iert er auch wei­tere Pro­jekte im Kon­text mit der sozial-medi­zi­ni­schen Betreu­ung sucht­kran­ker Men­schen und dazu gehö­ren ins­be­son­dere moderne Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pien und die Behand­lung der lebens­be­droh­li­chen Krank­heit Hepa­ti­tis C. Hepa­ti­tis C ist pri­mär die soge­nannte Jun­kie- oder Fixer-Krank­heit, wo hero­in­ab­hän­gige Men­schen beim Inji­zie­ren des „Stoffs“ schmut­zige oder bereits von ande­ren Jun­kies ver­wen­dete Sprit­zen verwenden. 

Zusam­men mit Michael Gschwant­ler, Univ. Prof. und Lei­ter der 4. Med. Abt. für Gas­tro­en­te­ro­lo­gie und Hepa­to­lo­gie am Wie­ner Wil­hel­mi­nen­spi­tal orga­ni­siert Halt­mayer das Pro­jekt „Let’s End Hepa­ti­tis C in Vienna“. Die bei­den Medi­zi­ner kom­bi­nie­ren die Sub­sti­tu­ti­ons­be­hand­lung von rund 6.500 Pati­en­ten mit einer damals neu­ar­ti­gen medi­ka­men­tö­sen Behand­lung von Hepa­ti­tis C (Anm. Sofos­bu­vir von Gilead Scie­nes) – und haben durch­schla­gen­den Erfolg. Die Hei­lungs­rate nach nur 3‑monatiger Behand­lungs­zeit beträgt 99,6 Pro­zent, das Pro­jekt wird inter­na­tio­nal als Best-Prac­tice-Modell ausgezeichnet.

Das Gol­dene Ehren­zei­chen für Ver­dienste um die Stadt Wien
Letz­ten Jän­ner erhält Hans Halt­mayer von Peter Hacker das Gol­dene Ehren­zei­chen für Ver­dienste um die Stadt Wien. Der Wie­ner Gesund­heits­stadt­rat reagiert nun ent­spre­chend trau­rig auf das Able­ben : „Der Tod von Hans Halt­mayer macht mich sehr betrof­fen. Die Stadt Wien ver­liert einen Vor­rei­ter und wich­ti­gen Gestal­ter ihrer Sucht- und Dro­gen­ar­beit. Viele nie­der­schwel­lige Ange­bote für sucht­kranke Men­schen und der erfolg­rei­che Kampf gegen Hepa­ti­tis C tra­gen seine Hand­schrift“, so Peter Hacker.

Neben sei­ner lang­jäh­ri­gen sozial-medi­zi­ni­schen Tätig­keit rund um die Betreu­ung sucht­kran­ker Men­schen in Wien hat Hans Halt­mayer aber auch viele Jahre in sei­ner Ordi­na­tion als ärzt­li­cher The­ra­peut gewirkt und dabei vie­len Men­schen Rat, Halt und neue Kraft gege­ben. Und dies nicht nur zum Thema Sucht, son­dern auch zum so schwie­ri­gen Thema Bor­der­line im fami­liä­ren Umfeld, wo er ebenso Experte war. Hans Halt­mayer ist am 24. April nach kur­zer schwe­rer Krank­heit ver­stor­ben. Bezeich­nend für sein Enga­ge­ment für seine Pati­en­ten ist, dass er noch am 17. April einen abend­li­chen The­ra­pie­ter­min wahr­nahm und einem Pati­en­ten aber­mals neue Kraft vermittelte. 

Autor: Christian Czaak
17.05.2024

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