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Künst­li­che Intel­li­genz für die Phy­sik der klei­nen Teilchen

Ein Mate­ri­en­zu­stand wie nach dem Urknall mit unzäh­li­gen ener­gie­ge­la­de­nen Inter­ak­tio­nen. Hoch­kom­plexe Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen und neu­ro­nale Netze. Die TU Wien ent­wi­ckelt neue Anwen­dun­gen für intel­li­gen­tes maschi­nel­les Lernen. 

Win­zige Teil­chen schwir­ren mit extrem hoher Ener­gie wild umher, in dem wir­ren Durch­ein­an­der von Quan­ten­teil­chen kommt es zu unzäh­li­gen Inter­ak­tio­nen und dar­aus ergibt sich ein Mate­rie­zu­stand, der als soge­nann­tes „Quark-Gluon-Plasma“ bezeich­net wird. Unmit­tel­bar nach dem Urknall war das ganze Uni­ver­sum in die­sem Zustand, heute wird die­ser durch hoch­en­er­ge­ti­sche Atom­kern­kol­li­sio­nen her­ge­stellt, etwa am For­schungs­zen­trum CERN im schwei­ze­ri­schen Genf. 

Neu­ro­nale Netze
Für die Simu­la­tio­nen, Ana­ly­sen und Aus­wer­tun­gen die­ser hoch­kom­ple­xen Pro­zesse braucht es ent­spre­chend leis­tungs­starke Com­pu­ter. Eine Metho­dik ist künst­li­che Intel­li­genz in Form des soge­nann­ten Machine Lear­nings. Die dafür im Nor­mal­fall ein­ge­setz­ten Algo­rith­men sind aber nicht geeig­net. Mathe­ma­ti­sche Eigen­schaf­ten der Teil­chen­phy­sik erfor­dern eine beson­dere Struk­tur von neu­ro­na­len Net­zen. Die TU Wien zeigte nun, wie neu­ro­nal Netze für diese her­aus­for­dern­den Auf­ga­ben der Teil­chen­phy­sik trotz­dem genutzt wer­den können.

„Ein Quark-Gluon-Plasma mög­lichst rea­lis­tisch zu simu­lie­ren nimmt extrem viel Rechen­zeit in Anspruch“, erklärt Andreas Ipp vom Insti­tut für Theo­re­ti­sche Phy­sik der TU Wien. „Selbst die größ­ten Super­com­pu­ter der Welt sind damit rasch über­for­dert.“ Es sei daher wün­schens­wert, wenn man nicht jedes Detail prä­zise berech­nen müsste, son­dern mit Hilfe einer künst­li­chen Intel­li­genz gewisse Eigen­schaf­ten erken­nen und vor­her­sa­gen könnte – und dafür die­nen neu­ro­nale Netze. 

Unter­schied­li­che mathe­ma­ti­sche Objekte für glei­che phy­si­ka­li­sche Zustände
Ähn­lich wie in der Bil­der­ken­nung wer­den vir­tu­elle „Zel­len“ am Com­pu­ter ähn­lich ver­netzt wie Neu­ro­nen im Gehirn – und so ent­steht ein Netz, das etwa erkennt, ob auf einem bestimm­ten Bild eine Katze zu sehen ist oder nicht. Wird diese Tech­nik auf das Quark-Gluon-Plasma ange­wen­det, ergibt sich aller­dings ein schwer­wie­gen­des Pro­blem : Die Fel­der zur mathe­ma­ti­schen Beschrei­bung der Teil­chen und ihrer Kräfte kön­nen auf unter­schied­li­che Arten dar­ge­stellt wer­den, die soge­nannte Eichsymmetrie.

„Wenn ich ein Mess­ge­rät anders eiche und etwa bei einem Ther­mo­me­ter statt der Cel­sius-Skala die Kel­vin-Skala ver­wende, dann erhalte ich völ­lig andere Zah­len, auch wenn ich den­sel­ben phy­si­ka­li­schen Zustand beschreibe. Bei Quan­ten­theo­rien ist es ähn­lich – nur dass dort die erlaub­ten Eichun­gen mathe­ma­tisch viel kom­pli­zier­ter sind“, so Ipp. Mathe­ma­ti­sche Objekte, die auf den ers­ten Blick völ­lig unter­schied­lich aus­se­hen, kön­nen den­sel­ben phy­si­ka­li­schen Zustand beschreiben.

Eich­sym­me­trien und die Struk­tur der Netze
Eine bes­sere Vari­ante wäre die Struk­tur des neu­ro­na­len Net­zes so zu gestal­ten, dass die Eich­sym­me­trie auto­ma­tisch berück­sich­tigt wird – dass also unter­schied­li­che Dar­stel­lun­gen des­sel­ben phy­si­ka­li­schen Zustands im neu­ro­na­len Netz auch die­sel­ben Signale her­vor­ru­fen. Mit der Ent­wick­lung neuer Netz­werk-Schich­ten ist der TU Wien jetzt exakt das gelun­gen. Die Eich­in­va­ri­anz wird auto­ma­tisch berück­sich­tigt und die TU For­scher zeig­ten in meh­re­ren Bei­spie­len, dass diese Netze tat­säch­lich weit­aus bes­ser ler­nen mit den Simu­la­ti­ons­da­ten des Quark-Gluon-Plas­mas umzugehen.

„Sol­che neu­ro­na­len Netz­wer­ken ermög­li­chen Vor­her­sa­gen über das Sys­tem, etwa abzu­schät­zen, wie das Quark-Gluon-Plasma zu einem spä­te­ren Zeit­punkt aus­se­hen wird, ohne wirk­lich jeden ein­zel­nen zeit­li­chen Zwi­schen­schritt im Detail aus­rech­nen zu müs­sen“, unter­streicht Andreas Ipp. „Gleich­zei­tig sind nur sol­che Ergeb­nisse gesi­chert, die der Eich­sym­me­trie nicht wider­spre­chen und prin­zi­pi­ell phy­si­ka­lisch sinn­voll sind“, ergänzt der TU For­scher. Diese neuen neu­ro­na­len Netze lie­fern „ein viel­ver­spre­chen­des Werk­zeug, um phy­si­ka­li­sche Phä­no­mene zu beschrei­ben, bei denen alle ande­ren Rechen­me­tho­den rasch über­for­dert sind“, so das Resüme der TU Experten.

Autor: red/czaak
28.01.2022

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