Ein medizinischer Suchtexperte und ein verständnisvoller Freund
Hans Haltmayer, langjähriger Leiter der Suchthilfe Wien und städtischer Drogenbeauftragter ist verstorben. Wien verliert einen Experten in der sozial-medizinischen Suchthilfe. Und seine Patienten verlieren einen ärztlichen Freund.
(Christian Czaak) Wenn man Anfang der achtziger Jahre in Wien etwas für (oder besser gegen) einen Drogenabhängigen tun wollte, gab es zwei Möglichkeiten für eine schnelle Behandlung. Eine war die stationäre Aufnahme im „Einsa-Pavillon“ am Steinhof auf der Baumgartner Höhe, in der Wiener Vorstadt auch als „Guglhupf“, vulgo Irrenhaus bezeichnet.
Die Steinhof-Methode beinhaltete eine Holzpritsche, auf der man mit dicken Lederriemen an Händen, Bauch und Füssen festgeschnallt wurde plus eine „medizinische“ Behandlung mit schweren Neuroleptika. Inkludiert war dabei die therapeutisch nicht ganz so förderliche Aussicht auf psychisch schwer kranke Kinder, die schreiend oder schon lange verstummt wie Affen in den Seilgittern auf den direkt gegenüber befindlichen Terrassen des Nachbarpavillons herumhingen.
Das therapeutisch verordnete Zerschneiden von allen Kleidern
Zweite Möglichkeit war eine ambulante Behandlung mit theoretisch wirklich guten Ratschlägen in der damals einzigen Drogenberatungsstelle der Stadt Wien in der Borschkegasse nahe dem AKH. Bei beiden Varianten waren die Erfolgschancen gleich null. An privaten Einrichtungen in Österreich war noch das Tiroler „Kit“ erwähnenswert. Für viel Geld wurden hier kleinste Fehltritte von Patienten wie etwa verspätet von Hofrunde retour oder rauchen am Häusl mit dem therapeutisch verordneten Zerschneiden von allen Kleidern des Patienten bestraft. Das ist kein Witz.
Hintergrund für das Fehlen einer fundierteren medizinischen Behandlung von drogensuchtkranken Menschen war die damalige überaus restriktive Drogenpolitik von Stadt Wien und Bund unter sozialdemokratischer Führung. Zuständiger „Law & Order“ Stadtrat in Wien war Sepp Rieder, der sogenannten Drogenärzten ein Berufsverbot androhte.
Otto Presslich als einer der ersten Wegbreiter einer fundierten Behandlung drogenkranker Menschen
Otto Presslich, der große und ebenso viel zu früh verstorbene Humanist, ließ sich davon als damaliger Leiter der psychiatrischen Intensivstation des AKH nicht beirren und startete rd. um 1981 die erste ordentliche stationär-medizinische Behandlung von drogenkranken Menschen. Presslich stellte vier von sechzehn verfügbaren Betten zur Verfügung - inoffiziell, offizieller Behandlungsgrund war Depression. Die entsprechenden Wartezeiten von bis zu fünf Monaten waren für Betroffene wie Angehörige eine zermürbende Zeit.
Endlich stationär aufgenommen beschleunigten dann die im Nachbarbett liegenden „normalen“ psychiatrischen Intensivfälle wie komplett eingegipste Fensterspringer oder sich sekundenschnell gewalttätig verändernde, das Pflegepersonal angreifspuckende, fratzenverzerrte Schizophrenie-Patienten den Heilungsprozess der Drogenkranken – und die Prävention der angehörigen Besucher.
Die Gründung des Vereins Wiener Sozialhilfe
40 Jahre später, nach Engagements von u.a. Gabriele Fischer, Barbara Gegenhuber, Alexander David, Peter Hacker, Günter Pernhaupt, Michael Gschwantler oder eben Hans Haltmayer (und vielen, vielen weiteren Helfer:innen), existiert nun eine breitere großstädtische Drogenkrankheitspolitik, die gleichermaßen auf Prävention wie Behandlung setzt.
Hans Haltmayer hatte daran einen besonderen Anteil. 1958 in Linz geboren, arbeitet der Allgemeinmediziner noch vor seinem Turnus in einer Suchthilfeeinrichtung der Stadt Wien und sieht, dass es für Behandlung und Umgang mit suchtmittelabhängigen Menschen in der etablierten Medizin nahezu keine fundierteren Behandlungsangebote gibt. Es ist das Jahr 1990, wo mit der Gründung des Vereins Wiener Sozialhilfe auch der sogenannte Ganslwirt als erste niederschwellige sozialmedizinische Einrichtung für drogenkranke Menschen in der Mariahilfer Esterhazygasse eröffnet wird.
Stadt Wien startet mit Ganslwirt erstes niederschwelliges Behandlungszentrum für Drogenkranke
Peter Hacker, heute Gesundheitsstadtrat (SPÖ) für Wien, leitete damals den 1985 unter Bgmst. Helmut Zilk (SPÖ) geschaffenen Wiener Bürgerdienst und dazu gehörte auch die Beschäftigung mit der offenen Drogenszene am Wiener Karlsplatz. Hacker forciert das Projekt „Ganslwirt“ und nach seinem Turnus in der Klink Floridsdorf beginnt auch Hans Haltmayer dort zu arbeiten – und wird rasch zum maßgeblichen Entwickler dieser Einrichtung.
Zu Hans Haltmayers Themen gehören neben der medizinischen Betreuung suchtkranker Menschen auch die Themen Prävention, soziale Betreuung und Wiedereingliederung oder die Schaffung von Perspektiven. Es ist auch die Zeit von AIDS bzw. HIV, wo beim Ganslwirt über das ebenso neu geschaffene Projekt „Spritzentausch“ über 10.000 Spritzen ausgegeben werden – pro Tag und mit einer Rücklaufquote von 98 Prozent.
Die Eröffnung des „Jedermayr“ als nächster Meilenstein in der Wiener Suchtkrankenhilfe
2006 folgt die Gründung der Sucht und Drogenkoordination der Stadt Wien und auch hier wird Hans Haltmayer eine wichtige Rolle spielen. Zuvor werden bei einer Pressekonferenz ein paar Zahlen anlässlich 15 Jahre „Ganslwirt“ erläutert: Durchgehend geöffnet wurden täglich rund 250 Menschen betreut, über 280.000 Personen besuchten in diesen 15 Jahren das Tageszentrum, rund 110.000 Menschen das medizinische Ambulatorium, rund 60.000 Personen nutzten die Notschlafplätze des Ganslwirts. In Summe wurden 5 Millionen Spritzen getauscht – und das ergab europaweit die niedrigste HIV-Prävalenz unter Drogenkonsument:innen.
2012 folgt mit der Eröffnung des „Jedermayr“ der nächste Meilenstein in der Wiener Suchtkrankenhilfe - und im Leben des Hans Haltmayer. Am Gumpendorfer Gürtel wird auf 2.800 m2 ein modernes 5-stöckiges Haus eröffnet mit Tageszentrum, einer Notschlafstelle mit fast 30 Betten, einem Ambulatorium sowie Beratungs- und Sozialräumen. 19 Ärzte und 40 Sozialarbeiter sorgen dafür, dass bis zu 200 Suchtkranke gleichzeitig betreut werden können.
Hans Haltmayer und Michael Gschwantler und ihr Projekt „Let’s End Hepatitis C in Vienna“
Hans Haltmayer forciert als Leiter der Suchthilfe Wien auch das „Jedermayr“ und wird über viele Jahre ärztlicher Leiter der Einrichtung. In dieser Zeit initiiert er auch weitere Projekte im Kontext mit der sozial-medizinischen Betreuung suchtkranker Menschen und dazu gehören insbesondere moderne Substitutionstherapien und die Behandlung der lebensbedrohlichen Krankheit Hepatitis C. Hepatitis C ist primär die sogenannte Junkie- oder Fixer-Krankheit, wo heroinabhängige Menschen beim Injizieren des „Stoffs“ schmutzige oder bereits von anderen Junkies verwendete Spritzen verwenden.
Zusammen mit Michael Gschwantler, Univ. Prof. und Leiter der 4. Med. Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie am Wiener Wilhelminenspital organisiert Haltmayer das Projekt „Let’s End Hepatitis C in Vienna“. Die beiden Mediziner kombinieren die Substitutionsbehandlung von rund 6.500 Patienten mit einer damals neuartigen medikamentösen Behandlung von Hepatitis C (Anm. Sofosbuvir von Gilead Scienes) – und haben durchschlagenden Erfolg. Die Heilungsrate nach nur 3-monatiger Behandlungszeit beträgt 99,6 Prozent, das Projekt wird international als Best-Practice-Modell ausgezeichnet.
Das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Stadt Wien
Letzten Jänner erhält Hans Haltmayer von Peter Hacker das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Stadt Wien. Der Wiener Gesundheitsstadtrat reagiert nun entsprechend traurig auf das Ableben: „Der Tod von Hans Haltmayer macht mich sehr betroffen. Die Stadt Wien verliert einen Vorreiter und wichtigen Gestalter ihrer Sucht- und Drogenarbeit. Viele niederschwellige Angebote für suchtkranke Menschen und der erfolgreiche Kampf gegen Hepatitis C tragen seine Handschrift“, so Peter Hacker.
Neben seiner langjährigen sozial-medizinischen Tätigkeit rund um die Betreuung suchtkranker Menschen in Wien hat Hans Haltmayer aber auch viele Jahre in seiner Ordination als ärztlicher Therapeut gewirkt und dabei vielen Menschen Rat, Halt und neue Kraft gegeben. Und dies nicht nur zum Thema Sucht, sondern auch zum so schwierigen Thema Borderline im familiären Umfeld, wo er ebenso Experte war. Hans Haltmayer ist am 24. April nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Bezeichnend für sein Engagement für seine Patienten ist, dass er noch am 17. April einen abendlichen Therapietermin wahrnahm und einem Patienten abermals neue Kraft vermittelte.