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Nes­ter des Widerstandes

In den Dör­fern, aus denen gut inte­grierte asyl­wer­bende Fami­lien abge­scho­ben wer­den, weh­ren sich Nach­barn und Freunde immer häu­fi­ger gegen diese Poli­tik. Die Erfah­rung mit der Ohn­macht radi­ka­li­siert „brave“ Österreicher.

Ich fühle mich immer noch schul­dig, dass wir damals nichts getan haben“, sagt Hans Jörg Ulreich leise. Er sagt es an dem Ort, wo aus dem Immo­bi­li­en­un­ter­neh­mer Ulreich ein Mann des öffent­li­chen Wider­stands wurde. Der Ort : ein graues, sanie­rungs­be­dürf­ti­ges Wohn­haus in der Arndt­straße im 12. Bezirk in Wien. Dort woh­nen seit Sep­tem­ber vier Fami­lien, deren Asyl­an­trag end­gül­tig abge­lehnt wor­den ist und denen nun die Abschie­bung droht. Ulreichs Unter­neh­men hatte das Haus vor eini­ger Zeit gekauft, in ein paar Jah­ren wird es saniert wer­den. Nun hat Ulreich meh­rere Woh­nun­gen her­ge­rich­tet und den Fami­lien zur Ver­fü­gung gestellt.

Von der Ohnmacht … 
Damals, im ver­gan­ge­nen Februar, erlebte Ulreich etwas Ein­schnei­den­des : Ber­nard und seine Fami­lie wur­den in den Kosovo abge­scho­ben. Ber­nard ist ein Freund sei­nes zehn­jäh­ri­gen Soh­nes, die bei­den haben mit­ein­an­der Fuß­ball gespielt.
„Ber­nard ist ein Wun­der­ki­cker“, sagt Ulreich. „Er redet Deutsch wie mein Sohn. Ich wusste gar nicht, dass er Aus­län­der war, geschweige denn Asy­lant.“ Im Februar wurde Ber­nard von der Poli­zei geholt und von der Fami­lie getrennt in Schub­haft genom­men, drei Tage spä­ter in den Flie­ger nach Priš­tina gesteckt.
„Der ganze Ort stand ohn­mäch­tig dane­ben“, sagt Ulreich. Der Ort : Win­zen­dorf, nahe der Hohen Wand in Nie­der­ös­ter­reich. Doch die Ohn­macht währte nicht lange. Ulreich tat, was wohl­erzo­gene, demo­kra­tie­gläu­bige Bür­ger in so einer Situa­tion tun : Er schrieb an Poli­ti­ker. An den Lan­des­haupt­mann, an den Bun­des­prä­si­den­ten. „Doch kei­ner fühlte sich zustän­dig. Alle haben sich abge­putzt. Sie haben sich hin­ter dem Recht versteckt.“
Dar­auf­hin setzte er die Öffent­lich­keit in Bewe­gung. Mit einer über E‑Mails ver­brei­te­ten Peti­tion sam­melte er Tau­sende von Unter­schrif­ten. „Auch die Unter­schrif­ten haben nichts bewirkt. Und gleich­zei­tig wer­den die Pla­kate graus­li­cher, die Dis­kus­sio­nen graus­li­cher, die Gesetze grauslicher.“

… zum Handeln
Reden, schrei­ben und demons­trie­ren, das allein ist offen­sicht­lich zu wenig. Da hatte die Rechts­be­ra­te­rin Karin Kla­ric eine Idee : Die von Abschie­bung bedroh­ten Fami­lien könn­ten in Zel­ten unter­ge­bracht wer­den, Freunde könn­ten sich schüt­zend davor­stel­len. Dazu bräuch­ten sie eine Wiese. „Eine Wiese habe ich nicht in Wien, aber ein Haus“, sagte dar­auf­hin Ulreich. Das war im August. Dann wurde der Plan aus­ge­heckt. Die Gewer­be­trei­ben­den im Haus wur­den in den Plan ein­ge­weiht – sie unter­stüt­zen ihn vor­be­halt­los. Im Blitz­tempo wur­den meh­rere Woh­nun­gen saniert, die ers­ten gefähr­de­ten Fami­lien sind eingezogen.
Ob er sich vor etwas fürchte ? „Nein. Nicht vor der Poli­zei“, sagt Ulreich mit sei­ner lei­sen Stimme. „Aber ich fürchte mich vor dem Urteil mei­ner Kin­der, wenn ich jetzt nichts tue.“ Sei­nen Groß­el­tern könne er keine Vor­würfe machen.
Sie wären fürs Flug­zet­tel­ver­tei­len umge­bracht wor­den. Aber wir ? „Noch nie war eine Gene­ra­tion so reich und so frei wie unsere. Und noch nie so feig und so ängst­lich. Die Poli­ti­ker fürch­ten sich vor den Wäh­lern, und wir fürch­ten uns vor der Obrigkeit.“
Erich Hamet­ner wirkt nicht wie einer, der sich vor der Obrig­keit fürch­tet. Er ist ein gesel­li­ger, hemds­är­me­li­ger Typ, mit jedem sofort per Du. Ein Fach­mann für Tro­cken­tech­nik, Unter­neh­mer in Grünau im Alm­tal. Dort betreibt die Volks­hilfe ein Heim, in dem Flücht­lings­fa­mi­lien leben. Hamet­ner ist einer der Nach­barn. Im Laufe der Jahre hat sich zwi­schen einer Fami­lie aus Aser­bai­dschan und ihm eine enge Freund­schaft ent­wi­ckelt. Er wurde Tauf­pate von einem der bei­den Kinder.
Im Mai brach die Krise aus. Nach jah­re­lan­gem behörd­li­chem Schwei­gen wurde die Fami­lie vor das Asyl­ge­richt gela­den. Hamet­ner beglei­tete sie nach Wien. Und sah im dor­ti­gen Asyl­ver­fah­ren seine bis­he­rige Welt auf den Kopf gestellt. „Ich war fünf Jahre Lai­en­rich­ter am Arbeits­ge­richt. Da gilt : im Zwei­fel für den Ange­klag­ten. Doch beim Asyl­ge­richt wird dem Asyl­wer­ber prin­zi­pi­ell nichts geglaubt, alles wird ange­zwei­felt“, sagt Hamet­ner. Am Ende ver­wies die Rich­te­rin den Fall an die Frem­den­po­li­zei zurück. Die habe sofort einen Aus­wei­sungs­an­trag gestellt, obwohl sie laut Gesetz der Fami­lie einen Antrag auf Blei­be­recht ermög­li­chen hätte müssen.
Nun legte sich Hamet­ner ins Zeug. Er fuhr mehr­mals zum Bezirks­haupt­mann, teils in Beglei­tung des Grü­nauer Bür­ger­meis­ters. Die Frem­den­po­li­zei habe geset­zes­wid­rig agiert, legte er dar. Der Bezirks­haupt­mann könne ein huma­ni­tä­res Blei­be­recht aus­spre­chen. Er solle doch wie ein Christ han­deln, wenn schon stän­dig das christ­li­che Abend­land beschwo­ren werde. „Ich habe das Kind tau­fen las­sen, ich trage Ver­ant­wor­tung“, sagte Hamet­ner. Wor­auf der Bezirks­haupt­mann meinte, er gehe auch in die Kir­che, aber lei­der Got­tes müsse er Gesetze voll­zie­hen. Der Satz komme ihm bekannt vor, sagte Hametner.
Ein­schüch­te­rung und Schi­kane haben bewirkt, dass die Fami­lie auf wei­tere Rechts­wege ver­zich­tet und Öster­reich ver­las­sen wird. Für eine zweite Fami­lie, eine Frau aus Nige­ria und ihre bei­den Töch­ter, denen dort Geni­tal­ver­stüm­me­lung droht, kämpft Hamet­ner noch.
Was er in den Asyl­ver­fah­ren erlebte, hat ihn ver­än­dert : „Ich habe immer an den Rechts­staat geglaubt. An die Jus­tiz, die nach Gerech­tig­keit sucht. An alles, was die Demo­kra­tie am Leben erhält. Jetzt graust mir, wenn ich ein Poli­zei­auto sehe.“
Win­zen­dorf, Grünau, Röthis, Wolfau. Gemein­den, von denen man nor­ma­ler­weise nie etwas hört. Dör­fer mit frei­wil­li­ger Feu­er­wehr und Fuß­ball­ver­ein, wo man sonn­tags noch in die Kir­che geht und die Män­ner nach­her zum Stamm­tisch ins Gast­haus. Jeder kennt jeden, oder so gut wie. Das sind Orte, in denen sich Flücht­lings­fa­mi­lien oft gut inte­grie­ren kön­nen. Wo selbst anfäng­li­che Skep­sis der Ein­hei­mi­schen ver­fliegt, sobald sie die neuen Nach­barn per­sön­lich ken­nen­ler­nen. In die­sen Dör­fern ist der Schock beson­ders groß, wenn nach Jah­ren des gemein­sa­men Lebens die Behör­den die Fami­lie ausweisen.

Auf­stand in Röthis
Doch selbst ein kol­lek­ti­ver Auf­schrei gegen Abschie­bun­gen war bis­her nicht erfolg­reich. Mit einer Aus­nahme : Röthis in Vor­arl­berg. Dort soll­ten am 25. Februar die Dur­mi­sis, ein Paar mit zwei klei­nen Töch­tern, in den Kosovo zurück­ge­schickt wer­den. Die Poli­zei sollte die Fami­lie um fünf Uhr mor­gens abho­len. Zwei enge Feun­din­nen der Frau, Amrei Rüdis­ser und Kers­tin Vogg, hat­ten sich dar­auf vor­be­rei­tet. Sie rie­fen Freunde, Jour­na­lis­ten und den Bür­ger­meis­ter Nor­bert Mähr (ÖVP) an und baten sie, dabei­zu­sein. Als die drei Poli­zis­ten kamen, ver­wi­ckel­ten die Leute sie in Dis­kus­sio­nen über die mora­li­sche Recht­mä­ßig­keit des Geset­zes. Rüdis­ser und Mähr weck­ten Behör­den­ver­tre­ter und Poli­ti­ker aus dem Schlaf. Nach einer Stunde ließ die Bezirks­haupt­mann­schaft die Abschie­bung abbre­chen. Nun wird der Asyl­an­trag noch ein­mal geprüft.
Auch in Wolfau im Bur­gen­land ver­suchte der ganze Ort samt Bür­ger­meis­ter Wal­ter Pfeif­fer (ÖVP), der Fami­lie Gjoni mit ihren vier Kin­dern das Blei­ben zu ermög­li­chen. Es hat nichts genützt. Im August reiste die Fami­lie unter Zwang „frei­wil­lig“ in den Kosovo zurück.
Lange glaub­ten Öster­reichs regie­rende Par­teien, die Bevöl­ke­rung wolle eine Ver­schär­fung der Asyl­ge­setze. Kri­tik an ihrer Poli­tik, etwa vom UN-Flücht­lings­hoch­kom­mis­sa­riat und Men­schen­rechts­grup­pen, hat sie igno­riert. Doch nun scheint sich die Regie­rung von den Regier­ten zu ent­fer­nen – und diese las­sen sich nicht mehr alles gefallen.

Autor:
01.10.2010

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