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Per­for­ma­tive Wissenschaft

Per­for­ma­tive Wis­sen­schaft ist keine klein­löch­rige Sache, der man sich durch kur­zes, hef­ti­ges Rei­ßen ent­le­digt. Es han­delt sich dabei um einen bunt schil­lern­den Kos­mos zwi­schen Kunst und Erkenntnis.

Nicht nur Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler, Sozio­lo­gen und Infor­ma­ti­ker und vor allem Medi­en­mo­gule befas­sen sich mit den Neuen Medien. Zuneh­mend erre­gen diese auch die Auf­merk­sam­keit der Philosophen.
Ein ganz schlauer unter ihnen, Odo Mar­quard näm­lich, beschrieb ein­mal recht film­reif – er selbst prägte den Aus­druck „Tran­szen­den­tal­bel­le­tris­tik“ – seine eigene Zunft : „Der Phi­lo­soph ist nicht der Experte, son­dern der Stunt­man des Exper­ten : sein Dou­ble fürs Gefähr­li­che. Ein Stunt­man, der nicht hals­bre­che­risch agiert, ist nichts wert.“ Man muss dem Den­ker ein wenig recht geben.

Brü­cken­bauer
Auf der Beset­zungs­liste ganz oben ran­giert Hans H. Dieb­ner, Lei­ter des Insti­tuts für Neue Medien in Frank­furt am Main, der sich schwer­punkt­mä­ßig den For­schungs­ge­bie­ten per­for­ma­tive Wis­sen­schaft und ope­ra­tio­nale Her­me­neu­tik wid­met. Merk­mal der per­for­ma­ti­ven Wis­sen­schaft ist der „Wille zur Ver­hand­lung zwi­schen Kunst und Wis­sen­schaft“, so Dieb­ner. Der Begriff per­for­ma­tive Wis­sen­schaft habe sich trotz der mög­li­chen fal­schen Gewich­tung in vie­ler­lei Hin­sicht bewährt, vor allem, weil er der zuneh­men­den Aner­ken­nung von Per­for­ma­ti­vi­tät in den Natur­wis­sen­schaf­ten und in der Kyber­ne­tik Rech­nung trage. Ähn­lich der Kyber­ne­tik, das heißt der Wis­sen­schaft von der Funk­tion kom­ple­xer Sys­teme, möchte der Wis­sen­schaft­ler mit­tels sei­ner Metho­dik neue Erkennt­nis­wege in einer Viel­falt von Erfah­rungs­be­rei­chen eröffnen.
Dieb­ners For­schungs­in­ter­es­sen krei­sen um das Thema Kom­ple­xi­tät in einem wei­te­ren Sinne. Die ein­zel­nen Schwer­punkte umfas­sen die Model­lie­rung und Simu­la­tion von nicht­li­nea­ren Sys­te­men, künst­li­che Intel­li­genz, Gehirn­dy­na­mik sowie phi­lo­so­phi­sche Pro­bleme im Zusam­men­hang mit der Kom­ple­xi­täts­for­schung. „Durch mein Enga­ge­ment in den Umwelt­sys­tem­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät Graz ste­hen öko­lo­gi­sche Sys­teme oft im Mit­tel­punkt mei­nes Inter­es­ses. Wegen der zuneh­men­den Vi-rea­li­tät (Kopp­lung sub­stan­zi­el­ler und vir­tu­el­ler Rea­li­tä­ten, Anm. d. Red.) unse­res Lebens betrachte ich auch das Inter­net als Teil der Umwelt, was neue öko­lo­gi­sche Kon­zepte nach sich zieht, um bei­spiels­weise auch den Wech­sel­wir­kun­gen mit künst­lich intel­li­gen­ten „Know­bots“ (unab­hän­gige, selbst agie­rende Soft­ware-Pro­gramme, die im Inter­net nach Infor­ma­tio­nen suchen, Anm. d. Red.) im vir­tu­el­len Raum Rech­nung zu tragen.“

L’art pour l’art
In Kunst und Wis­sen­schaft wird das Thema im 21. Jahr­hun­dert erneut viru­lent. Dass die bei­den Kul­tur­wel­ten in der grie­chi­schen Phi­lo­so­phie und in der Renais­sance, im Spe­zi­el­len bei Leo­nardo da Vinci, quasi als eins gedacht wur­den, hat nicht ihre Spal­tung ver­hin­dern können.
Vor allem aus der soge­nann­ten Medi­en­kunst her­aus haben sich jedoch nun zahl­rei­che Künst­ler dem Thema Kunst und Wis­sen­schaft ver­schrie­ben. Es gibt sogar neue Fach­be­rei­che an Kunst­hoch­schu­len, die durch ihre Namens­ge­bung wie „Kunst als For­schung“ oder „Inter­face-Cul­tures“ ihre Nähe zur Wis­sen­schaft aus­drü­cken. Umge­kehrt glau­ben Wis­sen­schaft­ler, nicht nur auf­grund ihrer krea­ti­ven Vor­ge­hens­wei­sen, son­dern auch durch den Ein­satz sinn­li­cher Dar­stel­lun­gen (Bild, Ton Hap­tik und ande­ren) eine Ästhe­tik zu pfle­gen, die Kunst­cha­rak­ter hat.
„Per­for­ma­tive Wis­sen­schaft, wie sie am Insti­tut für Neue Medien in Frank­furt erforscht und umge­setzt wird, möchte nicht den unmög­li­chen Ver­such unter­neh­men, Kunst und Wis­sen­schaft zu ver­ei­ni­gen. Viel­mehr geht es darum, die Kom­ple­men­ta­ri­tät der bei­den Kul­tu­ren frucht­bar zu nut­zen, indem gewis­ser­ma­ßen ein Oszil­lie­ren zwi­schen den Dis­zi­pli­nen erlaubt und geför­dert wird. Orga­ni­sa­ti­ons­wis­sen­schaf­ten, Wis­sens­ma­nage­ment oder For­schungs­be­rei­che, die sich Kom­pe­tenz­for­schung nen­nen, gesel­len sich heute zur schon fast tra­di­tio­nel­len Zukunfts­for­schung, deren erklär­tes Ziel es – unter ande­ren – ist, Regeln für eine inno­va­tive Umge­bung zu schaffen.“ 

Mensch und Modell
Natür­lich geht die per­for­ma­tive Wis­sen­schaft über die For­de­rung hin­aus, Künst­ler in wis­sen­schaft­li­che, öko­no­mi­sche, poli­ti­sche und wei­tere Pro­jekte ein­zu­bin­den, quasi als Part­ner, die sich beson­ders auf den Per­spek­ti­ven­wech­sel ver­ste­hen. Es wird ganz kon­kret an einem Inter­face-Design gear­bei­tet, das in einem mög­lichst gerin­gen Umfang von Benut­zer­mo­del­len aus­geht und statt­des­sen Frei­heits­grade für einen Pro­zess ermög­licht. Viele der heute im elek­tro­ni­schen Raum in die Soft­ware inte­grierte und auf dem eige­nen Com­pu­ter oder im Inter­net im Ein­satz befind­li­chen intel­li­gen­ten Algo­rith­men, soge­nannte Bots, wür­den auf­grund eines indi­vi­du­ell erstell­ten Benut­zer­pro­fils des­sen Krea­ti­vi­tät ein­zu­schrän­ken ver­su­chen, so Diebner.
Neben den erwähn­ten Navi­ga­ti­ons­werk­zeu­gen im Daten­raum wer­den auch kon­krete Kon­zepte für wis­sen­schaft­li­che For­schung im Bereich der Erfor­schung kom­ple­xer Sys­teme, ins­be­son­dere kogni­ti­ver Vor­gänge, erstellt. Das Wesent­li­che hier­bei ist die Ein­bin­dung des krea­tiv han­deln­den Men­schen in das Modell. Hier sind künst­le­ri­sche Ansätze gefragt, wie sie in der inter­ak­ti­ven Medi­en­kunst anzu­tref­fen sind.
Es ver­wun­dert daher nicht, dass zusam­men mit Künst­lern Muse­ums­in­stal­la­tio­nen ent­wor­fen wer­den und das Museum quasi als Genius Loci gese­hen wird, um wis­sen­schaft­li­che Feld­stu­dien, gepaart mit dem über eine bloße Didak­tik hin­aus­ge­hen­den Ange­bot an die Muse­ums­be­su­cher für die Aus­ein­an­der­set­zung mit wis­sen­schaft­li­chen Kon­zep­ten, durchzuführen.

Instal­la­tion und Performance
Ent­schei­dend für die per­for­ma­tive Wis­sen­schaft sei „die kör­per­li­che Invol­viert­heit des For­schers“, resü­miert Dieb­ner. Eine gänz­li­che Abgren­zung von einer Auf­füh­rung sei des­halb auch gar nicht inten­diert, da sich kon­se­quen­ter­weise für die per­for­ma­tive Wis­sen­schaft auch der Publi­ka­ti­ons­stil ändern muss, der Kunst­in­stal­la­tio­nen oder Per­for­man­ces beinhal­ten kann. Außer­dem spie­len Per­for­man­ces als expe­ri­men­tel­les Design eine wesent­li­che Rolle.

Autor:
15.01.2009

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