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Vitale Ener­gie ver­sus rohe Kraft

Der Geg­ner ver­dient selbst in sei­ner Nie­der­lage Respekt. Eine Meta­pher zur Konfliktlösung. 

Vie­len Zeit­ge­nos­sen ist „Aikido“ zwar durch­aus ein Begriff. Und den­noch haben sehr wenige unter uns bereits das Ver­gnü­gen gehabt, die geschmei­di­gen, fast tän­ze­ri­schen Bewe­gun­gen eines Meis­ters die­ser in unse­ren Brei­ten­gra­den doch noch recht sel­te­nen Kampf­kunst live zu beobachten. 

Aller­dings : Die ästhe­ti­sche Ele­ganz täuscht ein wenig, denn bei Aikido wer­den tra­dierte Tech­ni­ken alter Samu­rai-Schu­len zur wir­kungs­vol­len Ver­tei­di­gung ange­wandt. Selbst kör­per­lich weit über­le­gene Geg­ner kann ein fort­ge­schrit­te­ner Aiki­doka ohne viel Ein­satz von Mus­kel­kraft zur Räson brin­gen, weil er durch geübte Bewe­gungs­for­men seine Ener­gie spon­tan zur Ent­fal­tung brin­gen kann. Dabei ver­steht Aikido sich nicht als Kampf­sport, son­dern wie gesagt : als Kampf­kunst. Und dar­über hin­aus als grund­le­gende Lebens­ein­stel­lung, denn Aikido bedeu­tet im Wort­sinn : Weg (Do) zur Har­mo­ni­sie­rung (Ai) der Lebens­en­er­gie (Ki). Ein Aiki­doka soll somit voll­kom­men aus dem Prin­zip der Gewalt­lo­sig­keit her­aus agie­ren. Bei Aikido wer­den daher bewusst nur reine Ver­tei­di­gungs­tech­ni­ken eingeübt.

Jeder Angriff ist sinnlos
Es gibt denn auch in der Tat keine ein­zige Form des Angriffs, die man bei Aikido effi zient erler­nen könnte. Sogar jed­we­der inter­ner Wett­kampf wird abge­lehnt, wird als völ­lig sinn­lose Ener­gie­ver­schwen­dung betrach­tet. Und so para­dox dies für die­je­ni­gen, die diese Kampf­kunst noch nie haut­nah beob­ach­ten konn­ten, klin­gen mag : Ein Aiki­doka in Aktion rich­tet seine Ener­gie nicht gegen die Kraft des Geg­ners, son­dern arbei­tet mit ihr. Er kon­zen­triert sich dabei nicht auf den Angrei­fer und des­sen „Tat­mo­tiv“, son­dern wen­det sich allein gegen den kon­kre­ten Angriff. Die Ursa­chen sowie die aus­lö­sen­den Momente für den Angriff inter­es­sie­ren einen geüb­ten Aiki­doka nicht eine Sekunde. Er schreckt auch kei­nes­wegs vor dem Angriff zurück, son­dern bewegt sich mit schnel­len Bewe­gun­gen auf den Angrei­fer zu, weicht gleich­zei­tig der geball­ten und gerich­te­ten Ener­gie des Angriffs ele­gant aus. Dabei scheut er nicht den haut­na­hen Kör­per­kon­takt, er hütet sich jedoch vor jedem Ver­such, die Kraft des Geg­ners zu blo­ckie­ren. Im Gegen­teil : Er „beglei­tet“ den Geg­ner, er folgt der kraft­vol­len Bewe­gung (etwa eines Schla­ges) des Angrei­fers und ver­stärkt diese oft sogar noch, denn er hat sich sel­ber ja zuvor mit einer blitz­schnel­len Bewe­gung aus der Kampfl inie ent­fernt, sich damit als Angriffs­ziel ent­zo­gen. Und wäh­rend der Aiki­doka in die­sem Pro­zess kaum Ener­gie ver­wen­den musste, son­dern sich allein durch seine Schnel­lig­keit und Gewandt­heit eine nun­mehr wesent­lich vor­teil­haf­tere Lage ver­schafft, ist ein Teil der Wucht des Angriffs bereits voll­kom­men wir­kungs­los verpufft.

Umlen­ken von Energie
Fried­fer­tig­keit bedeu­tet in die­sem – kei­nes­wegs rein defen­si­ven – Kon­text : Die Angriffs ener­gie des Geg­ners wird gezielt genutzt, um des­sen aggres­sive Hand­lung ins Leere lau­fen zu las­sen und letzt­lich durch geschick­tes Umlen­ken unwirk­sam zu machen. Die grund­le­gende Idee hin­ter die­sem eigen­wil­li­gen Ver­hal­ten besteht näm­lich darin, den Angrei­fer kon­kret aus sei­nem Zen­trum zu bewe­gen oder aus dem Gleich­ge­wicht zu brin­gen. Und dar­auf­hin unter Nut­zung der Kraft des Angrei­fers die­sen in Form eines Wur­fes oder einer Hebel­tech­nik zu ent­waff­nen oder zu Boden zu brin­gen. Dem Geg­ner soll, wäh­rend er durch einen sanf­ten, zugleich ent­schlos­se­nen Hal­te­griff fixiert wird, sogar die Mög­lich­keit gege­ben wer­den, seine impul­sive Aggres­sion erneut zu über­den­ken, quasi eine Art von „huma­ner Nie­der­lage“ erle­ben. Aikido wird nicht zuletzt die­ser Ver­hal­tens­weise wegen von Intel­lek­tu­el­len wie auch von man­chen Mana­gern als fas­zi­nie­rende „Meta­pher zur Kon­flikt­lö­sung“ betrach­tet. Alles in allem : ein bemer­kens­wer­tes Kon­zept für ener­ge­tisch und fried­lie­bend sein wol­lende Zeit­ge­nos­sen unse­rer rauer wer­den­den Welt. 

Aus­ge­wähl­ter Arti­kel aus Print­aus­gabe 03/2006

Autor: Jakob Steuerer
24.02.2017

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