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13. October 2024

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Wenn Konzerne Staaten klagen

Wenn Konzerne Staaten klagen© Pexels/ Soner Arkan

857 Milliarden US Dollar als bisherige Summe bei Klagsverfahren von Konzernen gegen Staaten. 114 Mrd. wurden zugesprochen. Die Klagen fossiler Investoren steigen stark, so gemeinsame Erhebung und neue Datenbank mehrerer NGOs.

(red/czaak) ICS, Investment Court System und ISDS, Investor to State Dispute Settlement bzw. Investment-Staat-Schlichtungsverfahren sind Sonderklagerechte für Investoren gegen Staaten, wenn diese etwa indirekte Enteignungen oder entgangene Gewinne auf Grund neuer Gesetzte befürchten. Zahlreiche NGOs kritisieren diese als „Paralleljustiz“ bezeichneten Klagsrechte, da Regierungen und Parlamente wegen Verfahrensrisken und hohen Prozesskosten davor zurückschrecken könnten, bestimmte Gesetzte zu erlassen, bzw. im Falle eines Urteils sehr hohe Summen an Steuergeld zu bezahlen sein könnten.

Die Berliner NGO Power Shift, das Transnational Institute und das Trade Justice Movement haben nun kürzlich als gemeinsame Initiative mit dem Global ISDS Tracker eine eigene Datenbank veröffentlicht (siehe Link), wo Angaben zufolge Informationen über alle öffentlich bekannten 1362 ISDS-Fälle enthalten sind und nach Geografie und Industrien gefiltert werden kann. Attac Österreich hat nun die wichtigsten Daten zusammengefasst.

NGOs veröffentlichen eigene Datenbank zu Klagsverfahren
In Summe haben Investoren bis dato versucht, via ISDS-Verfahren 857 Milliarden US-Dollar von Staaten einzuklagen. 114 Milliarden US-Dollar wurden ihnen auch zugesprochen. Bis auf einen Fall aus den 1980er Jahren stammen alle bekannten Klagen aus dem Zeitraum ab 1993. Klagen im Milliardenbereich seien in den vergangenen Jahren stark gestiegen, bei 129 eingereichten Klagen war der Streitwert mindestens eine Milliarde US-Dollar, so die Analyse der NGOs.

„Da Klagen in Milliardenhöhe ganze Staaten in den Bankrott treiben können, werden sie oft von fossilen Konzernen genutzt, um den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu verzögern“, so die NGOs. Datenbelegter Fakt ist, dass die Zahl der Klagen von Investoren in fossile Energien in den letzten drei Jahrzehnten stetig zugenommen hat. 261 derartige Fälle sind mittlerweile bekannt und deren Entschädigungsforderungen belaufen sich auf insgesamt 327 Milliarden US-Dollar.

Unvereinbarkeit mit Klimazielen der EU und die eigene Sichtweise Österreichs
„Die Daten bestätigen, dass ISDS ein Geheimwerkzeug der fossilen Industrie gegen Klimaschutzgesetze ist", sagt Tom Wills, Direktor des Trade Justice Movement. Viele der Klagen basieren auf dem Energiecharta-Vertrag, ECT. Da dieser mit den Klimazielen der EU unvereinbar ist, haben die EU-Energieminister letzten Mai den Ausstieg der EU aus diesem Vertrag beschlossen.

„Wirtschaftsminister Martin Kocher hält jedoch weiterhin an einem Verbleib Österreichs im ECT fest. Es ist dringend nötig, dass Kocher endlich dem Ausstieg aus diesem Klimakiller-Vertrag zustimmt. Ansonsten bleibt Österreich in einem veralteten und gefährlichen Vertrag – und zwar auf Kosten des Klimaschutzes und der Steuerzahler:innen“, so Theresa Kofler von Attac Österreich.

Beispielhafte Klagsverfahren
Im Zuge der Erhebungen für die neue Datenbank nennen die NGOs auch einige Beispiele für diese Klagsverfahren. Eines davon ist Transcanada gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, wo das kanadische Unternehmen 15 Milliarden US-Dollar Schadenersatz von den USA fordert, weil ihnen die Genehmigung für eine Pipeline verweigert wurde, die Angaben zufolge „umweltschädliches Teersandöl aus Kanada an die US-Küste transportieren sollte“.

Diese Genehmigung wurde nach massiven Protesten von indigenen Gruppen, Landwirten und Klimaaktivisten zurückgezogen. Eine Folgenabschätzung hatte ergeben, dass der Bau der Pipeline den Klimawandel beschleunigen würde. „Durch das ISDS-Verfahren versucht Transcanada nun, mögliche Gewinne, die sie durch die Pipeline erzielt hätten, von den amerikanischen Steuerzahlern zu erstreiten“, so die NGOs.

Azienda Elettrica Ticinese gegen Deutschland und Discovery Global gegen die Slowakei
Das Schweizer Energieunternehmen Azienda Elettrica Ticinese (AET) nutzt den umstrittenen Energiecharta-Vertrag (ECT), um Deutschlands Entscheidung, bis 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen, anzufechten. AET klagt auf eine nicht genannte Entschädigungssumme, obwohl das Ausstiegsgesetz bereits Entschädigungen unter bestimmten Bedingungen vorsieht. „Sollte AET Erfolg haben, könnte dies andere Investoren weltweit ermutigen, gegen den Kohleausstieg vorzugehen.“

Das Öl- und Gasunternehmen Discovery Global wiederum verklagt die Slowakei auf mindestens 500 Millionen US-Dollar auf Basis des bilateralen Investitionsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten und der Slowakei. „Das Unternehmen behauptet, dass die Forderung der slowakischen Regierung, eine Umweltverträglichkeitsprüfung für den geplanten Bohrstandort durchzuführen, willkürlich und ungerechtfertigt war“, so die NGOs in ihrer Aussendung zur neuen Datenbank.

Das Trade Justice Movement und das Transnationale Institut
Das Trade Justice Movement ist ein britisches Bündnis von fast sechzig zivilgesellschaftlichen Organisationen mit mehreren Millionen Einzelmitgliedern, die sich für Handelsregeln einsetzen, die sowohl den Menschen als auch dem Planeten zugutekommen. Zu den Mitgliedern zählen Gewerkschaften, Hilfsorganisationen, Umwelt- und Menschenrechtskampagnen, Fair-Trade-Organisationen sowie Verbrauchergruppen. Gemeinsam fordern sie gerechte Handelsbedingungen statt Freihandel, mit Regeln, die nachhaltige Ergebnisse für Menschen und Umwelt ermöglichen.

Das Transnational Institute (TNI) ist eine internationale Forschungs- und Interessenvertretung mit Sitz in Amsterdam, das sich Angaben zufolge seit 50 Jahren für eine gerechte, demokratische und nachhaltige Welt einsetzt. Das TNI soll dabei als Bindeglied zwischen sozialen Bewegungen, engagierten Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern dienen.

Links

red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 10.09.2024