Ein veritabler Lobbyisten-Stadl
Vor und hinter den Kulissen in Brüssel: Poltern, Strippenziehen und Antichambrieren.
Als René Goscinny und Albert Uderzo 1975 den Zeichentrickfilm Asterix erobert Rom ersannen, in dem der Protagonist im „Haus, das Verrückte macht“, den Passierschein A 38 zu holen hatte, müssen sie an die Zustände im Brüsseler Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission gedacht haben. Das Narrenhaus ähnelt jenem in der Rue de la Loi 200 frappierend.
Friedrich Nietzsche hatte wohl recht: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Die EU-Kreißsäle sind rund um die Uhr belegt. Unterzieht man die dort stattfindenden Kopfgeburten einem Vaterschaftstest, so zeigt sich, dass es häufig deren viele gibt.
Amerikanische Verhältnisse
Drei Viertel aller Entscheidungen, die die europäische Industrie betreffen, werden heute in einem der 432 Ausschüsse in Brüssel getroffen. Kein Wunder also, dass diese versucht, Einfluss zu nehmen: durch ordentliches Gepolter vor den Kulissen. Oder dezentes Strippenziehen dahinter. Rund 15.000 Lobbyisten arbeiten derzeit in Brüssel. Horizontal und vertikal vernetzt.
Brüssel: Hier erleben Provinzpolitiker ihren zweiten Frühling, hier sind Kommissare manchmal sogar mächtiger als Minister – und die Beamten in der Kommission oft noch mächtiger als ihre Kommissare. Hier verschlingen bei babylonischen 462 möglichen Sprachkombinationen die Sprachendienste, von rund 7000 Dolmetschern bewältigt, jährlich mehr als eine Mrd. Euro. Und hier, in Brüssel, lautet das oberste Prinzip „mitmischen, aber sich nicht verantwortlich machen lassen“.
Politische Partizipation wird höchstens bei repräsentativen Gruppen wie Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverbänden geduldet. Allein das Wort „Lobbying“ hat eine negative Konnotation: Unternehmensvertretungen bezeichnen ihre Mitarbeiter deshalb lieber als „Repräsentanten der Konzernpolitik“ oder „Regulierungsabteilung“, niemals jedoch als Lobbyisten. Grundsätzlich gilt, dass ein gerechter politischer Prozess so wenig wie möglich auf Partikularinteressen einzugehen hat. Im Zuge der europäischen Integration entstand jedoch ein supranationaler Politikbereich, in dem Lobbying bald ein fester Bestandteil wurde.
Heimliche Mitentscheider
So, wie die Diplomaten versuchen, die Nettozahlungen an die EU möglichst gering zu halten, streben die Lobbyisten nach größtem Profit. Wie viele österreichische Emissäre in Brüssel tätig sind, geht auch aus dem umstrittenen Lobby-Register nicht hervor. Damit die Beziehungen zwischen Lobbys und Kommission transparenter werden, sollen die Interessenvertreter bei ihrer Registrierung bestimmte Informationen offenlegen. Das mehrsprachige Register (www.ec.europa.eu/transparency/regrin) ist im Internet öffentlich zugänglich und ermöglicht eine komplette Datenabfrage. Lobbying als Schattenpolitik oder „5. Gewalt“ richtet sich nicht an den normalen Bürger, sondern gezielt an Meinungsbildner. „Gegen die Vertretung eigener Interessen ist nichts einzuwenden“, sagt Christian Humborg von der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International (TI). „Aber die Frage ist, mit welchen Mitteln dies geschieht und wie transparent es abläuft.“ Im Brüsseler EU-Viertel reihen sich denn auch unzählige Consulting-Unternehmen, PR-Agenturen und Kanzleien aneinander – nur bei wenigen lässt sich vom Namen auf die eigentlichen Interessen schließen. Zudem gibt es keine einheitlichen Verhaltensregeln: Die Unternehmen müssen weder über ihre Geldgeber noch über ihre Mitarbeiter noch über deren Methoden Auskunft geben.