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26. April 2024

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„Die neue Wertschätzung der hunderttausenden Ein-Personen-Unternehmen in Österreich.“

„Die neue Wertschätzung der hunderttausenden Ein-Personen-Unternehmen in Österreich.“© Anna Stöcher

Volker Plass war 1999 Mitbegründer der Grünen Wirtschaft und von 2000 bis kürzlich ihr Bundessprecher. In der Zeit hat er als Spitzenkandidat vier Wahlen erfolgreich geschlagen und die Grünen bei der letzten Wirtschaftskammer-Wahl auf bundesweit über 9 Prozent gebracht. Economy sprach mit dem Wiener Grafik-Designer über politische Erfahrungen, über Mut und Angst sowie über die Notwendigkeit einer radikalen Steuerreform bei Klimaschutz und Arbeitslosigkeit.

Economy: Welche Erfahrungen hast Du als Unternehmer und Mensch in einer politischen Funktion gemacht?
Volker Plass: Jeder, der in der Politik tätig ist, muss damit leben, dass er sich da in einem „manisch-depressivem“ Arbeitsumfeld befindet. Einerseits ist dieser Beruf extrem interessant und spannend, und es gibt nichts Befriedigenderes als Dinge umzusetzen und Verbesserungen zu erzielen.
Auf der anderen Seite muss man damit zurechtkommen, dass an neun von zehn Tagen genau das nicht geschieht und man hauptsächlich erfährt, was alles – aufgrund welcher Klientel-Interessen auch immer – gerade nicht geht.

... das klingt in der Tat schwierig.
Politik ist in erster Linie das Verhandeln von Interessensgegensätzen, weshalb man oft mit Kompromissen und nicht mit optimalen Lösungen zufrieden sein muss. Den WählerInnen sollte auch klar sein, dass sich die Politik oft in einem großen Dilemma befindet.
Viele PolitikerInnen würden wahrscheinlich gerne mutiger sein und unpopuläre aber notwendige Maßnahmen ergreifen. Sie haben jedoch Angst, bei der nächsten Wahl genau deswegen von jenen abgestraft zu werden, die ihnen die ganze Zeit Untätigkeit vorwerfen.

Welche wirtschaftspolitischen Entwicklungen sind in Deiner Funktionsperiode erwähnenswert?
Obwohl die Grüne Wirtschaft innerhalb der Wirtschaftskammer immer nur eine kleine Oppositionsfraktion war, ist es uns mit innovativen Ideen trotzdem gelungen, etliche Veränderungen zu erreichen.
Dass heute die Leistungen der hunderttausenden Ein-Personen-Unternehmen wertgeschätzt werden und deren soziale Absicherung ein großes Thema ist, ist sicherlich zu einem großen Teil unser Verdienst.

... thematische Schwerpunktsetzung und Strukturen der Wirtschaftskammer war immer ein großes Thema ...
... auch die wirtschaftliche Bedeutung der vielen Betriebe, die mit Klimaschutz- und Umwelttechnologie sensationelle Exporterfolge erzielen, ist der Kammerspitze heute wesentlich mehr bewusst als früher.
Last but not least hat unsere permanente Kritik an den aufgeblähten Kammerstrukturen sicherlich zu einigen Verbesserungen und Sparmaßnahmen geführt, die ohne uns unterblieben wären. Es ist hier aber noch sehr viel zu tun!

Welche Notwendigkeiten siehst Du zukünftig, insbesondere als Kleinunternehmer aber auch als Grüne-Interessensvertretung?
Unsere Politik steht vor zwei großen Aufgaben: Wir haben uns im UN-Abkommen von Paris völkerrechtlich zu effektivem Klimaschutz verpflichtet. Und wir müssen etwas gegen die rasant steigende Arbeitslosigkeit tun.
Der Schlüssel zum Erfolg in beiden Bereichen liegt in einer grundlegenden Reform unseres Steuersystems mit radikaler Entlastung des Faktors Arbeit inklusive der Lohnnebenkosten und gleichzeitig die Ressourcen- und Energieverschwendung spürbar teurer machen.

Das wird schon lange diskutiert, mittlerweile über Parteigrenzen hinaus. Wie kann das in der Praxis aussehen?
Ein einfaches und konkretes Beispiel: Wenn wir bei Neukauf umweltschädlicher Produkte eine CO2-Steuer einführen und gleichzeitig die Mehrwertsteuer für Reparatur-Dienstleistungen deutlich herabsetzen, sind gleich zwei Schritte in die richtige Richtung getan. Das Steueraufkommen würde insgesamt nicht wachsen, aber die Steuern würden ganz anders wirken und den ökologischen Umbau unterstützen.

Welche Herausforderungen siehst Du generell für Wirtschaft und Standort, national und international?
Wir müssen erkennen, dass die Probleme seit 2008 keine herkömmliche Wirtschaftskrise darstellen, sondern dass wir gerade den schleichenden Zerfall unseres bisherigen Wirtschaftsmodells erleben. Grob vereinfacht: Das Wohlstands-Versprechen „Auto für alle!“ funktioniert in Zukunft als Wachstums-Motor nicht mehr.

Warum soll das nicht mehr gehen?
Einerseits ökonomisch, weil schon alle Österreicher ein Auto haben, und andererseits ökologisch, weil jetzt auch alle Chinesen eines wollen. Die große Herausforderung dieses Jahrhunderts, etwa Stichwort: Klimaschutz, besteht darin, sich auf grundlegend andere, ökologisch nachhaltige Formen des Wohlstands zu einigen und diesen Wohlstand so unter allen Menschen zu verteilen, dass niemand unter die Räder kommt.

(Anm. der Redaktion: Volker Plass und economy-Redakteur Christian Czaak haben von Ende der 1990-er bis Mitte der 2000-er Jahre an mehreren gemeinsamen Projekten gearbeitet. Das aus dieser Zeit resultierende Du-Wort kommt daher auch im aktuellen Interview zur Anwendung.)

Links

red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 29.11.2016