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19. März 2024

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Süchtig nach den Sozialen Medien

Süchtig nach den Sozialen Medien© piqs.de/mo riza

Wissenschafter der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems identifizieren in einer psychologischen Interventionsstudie suchtartiges Verhalten bei Verzicht auf Social Media-Nutzung.

Schon sieben Tage ohne Social Media wie Facebook und Whatsapp genügen oftmals zur Entstehung der gleichen Entzugserscheinungen wie bei klassischen Suchtmittel. In der aktuellen Studie von Wissenschaftern der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems (KL Krems) und der Universität Wien konnten klassische Entzugserscheinungen wie ein deutlich gesteigertes Verlangen, Langeweile sowie ein Einfluss auf positive und negative Stimmungslagen identifiziert werden. Besonders überraschend war, dass es 90 von 152 TeilnehmerInnen nicht einmal schafften sieben Tage Social Media-Abstinenz ohne „Rückfall“ durchzuhalten.

Antworten aus der klassischen Suchtforschung
Die (Anm. sogenannten) Sozialen Medien sind mittlerweile für sehr viele Menschen fixer Bestandteil ihres alltäglichen Sozialverhaltens geworden. Die Nutzungsgewohnheiten wurden und werden laufend untersucht, wenig bekannt sind jedoch Reaktionen auf eine Abstinenzphase. „Wie sehr fehlt ihnen die Nutzung – und was sind die Konsequenzen eines solchen "Entzugs?“ haben nun Wissenschafter der KL Krems und der Uni Wien untersucht.
"Tatsächlich führte schon ein siebentägiger Verzicht auf Social Media bei den Probandinnen und Probanden zu leichten Entzugserscheinungen, wie wir sie vom Suchtmittelgebrauch kennen", so Stefan Stieger vom Department Psychologie und Psychodynamik der KL Krems. "Insbesondere stieg Verlangen und Gier nach der Nutzung von Social Media in der Abstinenzphase stark an. Ein Effekt, der sogar dann noch messbar war, als Social Media bereits wieder genutzt werden durften."

Von 1.000 Interessenten bleiben nur 152 über
Langeweile und das Empfinden eines signifikant gesteigerten sozialen Drucks, die Nutzung von Social Media wiederaufzunehmen, waren weitere Effekte. Letzteres entstand aus dem Gefühl heraus, dass Freunde den Austausch auf Social Media erwarten würden oder dass man etwas verpassen könnte. "Das Spüren eines sozialen Drucks ist umso erstaunlicher, als es den Probanden erlaubt war, andere Kommunikationskanäle wie SMS und Email zu nutzen“, erläutert Stieger.
An der Studie nahmen 152 Personen im Alter von 18 – 80 Jahren teil, davon 70 Prozent Frauen. Über 1.000 Personen hatten die Einladung zur Teilnahme wahrgenommen aber nur rund 30 Prozent zeigten Interesse und nur knapp 15 Prozent erklärten sich schließlich zur Social Media-Abstinenz bereit. "Es liegt die Vermutung nahe, dass sich eher solche Personen zur Teilnahme meldeten, denen der Verzicht auf Social Media leichter fällt – und deren Entzugserscheinungen somit vielleicht auch milder ausfielen als bei anderen. Die Auswirkungen könnten für andere Personen also noch ausgeprägter sein“, vermutet Stefan Stieger.

Hohe Rückfallsquote
Überraschend für die Forscher war die hohe Anzahl an Studienteilnehmerinnen, die "schwach" wurden und in der siebentägigen Abstinenzphase dennoch Social Media nutzen. Zwar passierte dies selten (im Schnitt weniger als zweimal) und kurz (durchschnittlich 3 Minuten), insgesamt waren es aber doch fast 60 Prozent der Probanden, die "schummelten". Für Stieger ist dies ein Hinweis, „wie sehr Social Media in den Alltag integriert sind und wie schwer es dadurch selbst zur Abstinenz bereiten Menschen fällt, dieses Vorhaben konsequent umzusetzen.“
Die international publizierte Studie nutzt erneut ein von Stieger entwickeltes Erhebungsverfahren, welches auf Nutzung einer – für das jeweilige Projekt individualisierten – Smartphone App basiert, die eine Datenerhebung in der gewohnten Lebensumwelt der Probanden erlaubt. Artefakte durch Laborumgebungen o.ä. sind somit ausgeschlossen. Die KL Krems sieht damit „innovative Ansätze zum Erkenntnisgewinn in wichtigen Brückendisziplinen wie u.a. der Medizintechnik, der Psychologie und Psychodynamik bestätigt“, so die Privatuni in einer Aussendung.

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red/cc, Economy Ausgabe Webartikel, 22.11.2018