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30. Juni 2024

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Die offenen Adern Lateinamerikas

Die offenen Adern LateinamerikasAndy Urban

Ob Gold oder Wasser: Als moderne Konquistadoren nehmen Staaten und Konzerne bei der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen genauso wenig Rücksicht auf die Lebensgrundlagen und Bedürfnisse indigener Bevölkerungsgruppen wie ihre historischen Vorfahren und schlagen tiefe Wunden in Land und Seelen.

In vielen Regionen Kolumbiens treten Konflikte um natürliche Ressourcen auf. Kolumbien, ein Land, in dem die Landkarte gewaltsamer Vertreibungen deckungsgleich mit den Vorkommen wirtschaftlich attraktiver Ressourcen ist. Die Entwicklung der letzten 20 Jahre ist geprägt von sogenannten „Megaproyectos“ in indigenen Territorien, Großprojekte, die im Namen des Fortschritts vom kolumbianischen Staat betrieben werden. In der Gewinnerloge nehmen größtenteils transnationale Konzerne Platz; ihnen gegenüber steht die indigene Bevölkerung, deren soziale und ökologische Lebenswelt von diesen kurzsichtigen Eingriffen in die Natur massiv beeinträchtigt wird.
Rund 415.000 Indígenas leben in über 70 Stämmen in Kolumbien verstreut. Laut der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die auch von Kolumbien ratifiziert wurde, muss jede in einem indigenen Territorium geplante Maßnahme mit der ansässigen Bevölkerung abgesprochen und deren Sicht in den weiteren Planungsschritten berücksichtigt werden. Dem war nicht so beim Goldabbauprojekt Mandé Norte der Muriel Mining Corporation, das Ende 2008 Realität wurde. Daher nahmen die indigenen Embera Katio es selbst in die Hand, ihren heiligen Berg Usa Kirandarra zu verteidigen.

Gold am heiligen Berg
Das Dorf Coredocito ist mehr oder weniger von der Welt abgeschnitten. Noch in Nebel gehüllt, ragt der Berg Cara de Perro unweit des Dorfes in die Höhe. Am 25. Februar dieses Jahres fanden sich dort zwölf Dorfvorsteher und 800 Frauen und Männer der Embera zusammen, um im Kollektiv über das Großprojekt abzustimmen. Oft stundenlange Fußmärsche nahmen sie auf sich, und wer keine Geburtsurkunde – ihr einziges Ausweisdokument – vorweisen konnte, für den tat es auch der Fingerabdruck. Ergebnis: Ohne eine einzige Ja-Stimme lehnte die indigene Bevölkerung das Großprojekt ab.
Die Gründe für diese einstimmige Ablehnung liegen auf der Hand: Für die Embera Katio liegt die Mine auf einem heiligen Berg, den sie in ihrer Sprache Usa Kirandarra – Gesicht des Hundes – nennen. Der Gipfel des Berges wird als Quelle allen Lebens angesehen, der alle Lebewesen entstammen. Hinzu kommt, dass der Abbau von Gold nur mit gefährlichen Chemikalien möglich ist; Gifte, die in großen Mengen direkt ins Grundwasser und in die Flüsse gelangen. Was wird dann aus dem Fischfang, der für die Embera Katio eine lebenswichtige Nahrungsquelle darstellt?

Maschinen und Soldaten
Bereits im Jahr 2005 hatte Muriel Mining Konzessionen erhalten, um im Nordwesten Kolumbiens, im Grenzgebiet der Bundesstaaten Antioquia und Chocó, Gold, Kupfer und das Nebenprodukt Molybdän abzubauen. Am 30. Dezember 2008 war es dann so weit: Das Bergbauprojekt Mandé Norte auf dem Gebiet der Embera Katio wurde gestartet. Mit den Minenarbeitern kamen auch Soldaten. Auf dem heiligen Berg wurden die ersten Bäume gerodet; wenige Tage später kamen größere Maschinen und noch mehr Soldaten. Alarmiert von diesen Vorgängen, zogen am 9. Jänner 638 indigene Embera Katio und mehr als 50 Afrokolumbianer aus den umliegenden Dörfern auf den Berg. „Um unsere heilige Stätte vor der Zerstörung zu schützen“, wie sie einstimmig kundtaten.
Doch die Lage erwies sich als kompliziert: Laut Aussagen der Abteilung für ethnische Angelegenheiten des kolumbianischen Innenministeriums waren Vertreter von Indigenenräten über das Vorhaben des Goldabbaus informiert worden. Angeblich hatten einige von ihnen dem Projekt sogar zugestimmt, „um die Gemeinden zu entwickeln und sie von ihrer tristen Armutssituation zu befreien“. Doch mit den Embera Katio selbst hatten diese nicht gesprochen. Manche halten das für einen Betrug, die Mehrheit der indigenen Zivilbevölkerung fühlt sich jedoch verraten. Schließlich sind sie es, die bei dieser Art von Entwicklung im Namen des Fortschritts auf der Strecke bleiben.
Wie Inigna Domicó, einer der indigenen Bauern, in weiser Voraussicht erkennt: „Es wird eine Epoche kommen, in der das Geld zu Ende geht. Unser Land, das Territorium wird jedoch immer da sein.“

Wasser des Lebens
Szenenwechsel in den Bundesstaat Córdoba an die Karibikküste des Landes, wo der Bau des Wasserkraftwerkes Urrá am Flusslauf des Rio Sinú bei der dort ansässigen Bevölkerung, den Bauern und Fischern, tiefe Wunden hinterlassen hat. Soziale Konflikte wurden vor allem durch den plötzlichen Zustrom von in- und ausländischen Arbeitskräften während des Kraftwerkbaus geschürt; hinzu kommt, dass jenes Stück Land, obwohl nicht offiziell betitelt, Teil des traditionellen Territoriums der Zenús darstellt. Tief gehende Eingriffe in das lokale Ökosystem sind ebenfalls auf das Projekt zurückzuführen. Um Platz zu schaffen, wurde hektarweise Regenwald abgeholzt. Der Rio Sinú wurde durch Chemikalien hochgradig verschmutzt; weitreichendes Fischsterben war die Folge. So wurde den lokalen Fischern die wichtigste Einkommensquelle, den indigenen Zenús das Hauptnahrungsmittel entzogen.
Der Bau des Kraftwerks ist mittlerweile abgeschlossen, die Mehrzahl der Arbeiter hat die Region verlassen. Zurück bleibt ein Volk, dessen Kultur durch den gewaltsamen Eingriff dauerhaft verändert wurde. Alkoholismus und Prostitution sind die augenfälligsten Spuren, die das vom kolumbianischen Staat vielgepriesene Megaprojekt hinterlassen hat.
Lisa Ringhofer, Soziologin, ist Länderreferentin für Latein-amerika und Afrika von Hilfswerk Austria International.

Lisa Ringhofer, Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe

Nachhaltige Hilfe zur SelbsthilfeAndy Urban

Hilfswerk Austria International leistet kurzfristige humanitäre Hilfe nach Kriegen oder Naturkatastrophen. Langfristig ist die überparteiliche, überkonfessionelle Organisation, die einen Teilverein des Hilfswerks Österreich bildet, in vielen Regionen der Welt mit kooperativen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit intensiv tätig.

Innerhalb der letzten vier Jahrzehnte haben wir, die Menschen, es geschafft, die Hälfte des weltumspannenden tropischen Regenwaldes zu zerstören. Das hat verheerende Auswirkungen auf das Klima unseres Planeten, weil der in diesem Ökosystem gebundene Kohlenstoff freigesetzt wird. Es wird geschätzt, dass zwischen 20 und 30 Prozent der durch den Menschen verursachten CO2-Belastung der Atmosphäre aus großflächiger Waldzerstörung stammen.
Was trotz allen gerechtfertigten ökonomischen und ökologischen Argumenten lange Zeit elegant übersehen wurde: In diesem Regenwald leben seit eh und je Menschen, deren existenzielle Lebensgrundlagen durch die Abholzung vernichtet werden. Heute wissen wir: Wo indigene Menschen leben, ist auch der Regenwald intakt. Das deswegen, weil sie ein nachhaltiges Wirtschafts- und Produktionsmodell leben, das an langfristigen Kreisläufen statt an kurzfristigem Eigennutz aus-gerichtet ist.

Indigenes Wissen

Respekt für dieses indigene Wissen, auch in anderen Regio-nen der Welt, prägt die Arbeit von Hilfswerk Austria International, einer der größten österreichischen Trägerorganisationen für Entwicklungszusammenarbeit und Osthilfe. Hilfswerk Austria International ist eine humanitäre, überparteiliche und überkonfessionelle Organisation, die als Teilverein von Hilfswerk Österreich weltweit den zivilen Opfern von Kriegen und Umweltkatastrophen beisteht sowie Entwicklungszusammenarbeit leistet.
Auf eines legt Geschäftsführerin Heidi Burkhart ganz besonderen Wert: „Wir achten die Kultur, die Geschichte, die Strukturen, die Traditionen und Gebräuche der Gemeinschaften und Länder, in denen wir tätig sind. Wir leisten unsere Hilfe für alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer Reli-gion. Ausgangsbasis für unsere Projekte sind die Anliegen und Ziele der Menschen vor Ort. Die Planung und Durchführung unserer Projekte erfolgt daher immer gemeinsam mit unseren Partnern.“

Lokale Partner
Zu den Stärken von Hilfswerk Austria International zählen Wissens- und Projektmanagement, Organisationsentwicklung sowie technische Hilfestellungen. Dabei wird aber immer der enge Kontakt zu den Menschen vor Ort gesucht, wie Programmdirektor Fredy Rivera berichtet: „Wir versuchen, lokales Wissen mit modernen Methoden zu kombinieren, um damit nachhaltige Strukturen aufzubauen. Dehalb binden wir unsere lokalen Partnerorganisationen bei der Konzeption, der Organisation und der Durchführung der Projekte maßgeblich ein. Unser Anspruch ist, dass die Menschen, mit denen wir arbeiten, nach Abschluss unserer Unterstützung in der Lage sind, die Projekte eigeninitiativ weiterzuführen.“
Nachhaltigkeit bedeutet für Rivera, soziokulturelle, ökologische und wirtschaftliche Ziele gleichberechtigt umzusetzen. Wie das in der Praxis aussieht, zeigt das Produktionsmodell der Mayangna. Die Mayangna leben an der Atlantikküste Nicaraguas, wo sie extensive Subsistenzlandwirtschaft betreiben, vor allem den Anbau von Bohnen und Bananen. Da sie die ganze Natur als beseelt wahrnehmen, basiert auch ihre Ressourcennutzung auf nachhaltigen Strategien im Einklang mit der Natur. Zusammen mit einem lokalen Partner verfolgt Hilfswerk Austria International das Projekt, dieses Produktions- und Lebensmodell zu stärken.
Dabei werden drei Elemente kombiniert: biologische Landwirtschaft, nachhaltiges natürliches Ressourcenmanagement und Stärkung der traditionellen Organisationen. Fredy Rivera dazu: „Es geht darum, etwas Neues zu schaffen, das eine Verknüpfung von traditionellem indigenem Wissen mit der westlichen Wissenschaft herstellt. Das eigene Wissen mit dem westlichen in komplementärer Weise zu verbinden und daraus ein ‚Hybrid‘ zu identifizieren, ist die Aufgabe dieses Projekts mit den Mayangna.“

Natürliche Ressourcen
Stark engagiert ist Hilfswerk Austria International auch in vielen afrikanischen Ländern.Dort geht es vornehmlich um die Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln aus der Landwirtschaft, Gesundheitsvorsorge und natürlich um den Zugang zu Trinkwasser.
In einem Projekt in Mosambik werden derzeit 33 Brunnen gebaut; begleitend werden für die Menschen der Region Workshops für Wasserhygiene und Wassermanagement durchgeführt. Gleichzeitig wird 25.000 Familien der Provinz Sofala – einer der ärmsten Regionen des Landes – der sichere Zugang zu Grund und Boden und zu den natürlichen Ressourcen ermöglicht. Durch Schulungen zu deren besserer Nutzung und die Unterstützung von Mikroprojekten sollen die Lebensbedingungen dieser Familien stark verbessert werden. In einem regen Erfahrungsaustausch werden 600 Kleinbauern und -bäuerinnen mit effizienteren, nachhaltigen Methoden der landwirtschaftlichen Produk-tion sowie mit Möglichkeiten der Veredelung und Vermarktung vertraut gemacht.
Derzeit betreibt Hilfswerk Austria International 80 Projekte in 31 Ländern. Finanziert werden diese zum Großteil von der EU und anderen nationalen und internationalen Geldgebern, rund ein Viertel des Budgets stammt aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und von Spenden. Viele Projekte wurden bei großen Ausschreibungen wie internationalen Calls der EU gewonnen, an denen sich oft Tausende von Bewerbern beteiligen.
2008 betrug der Gesamtaufwand knapp zehn Mio. Euro und, wie Heidi Burkhart feststellt: „97 Prozent davon flossen unmittelbar in die Projekte.“ Gut zu wissen, denn aufgrund des jüngsten Spendenbegünstigungsbescheids sind Spenden an Hilfswerk Austria Interna-tional rückwirkend ab 1. Jänner 2009 steuerlich absetzbar.

Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Wirtschaftskapitäne mit Turban

Wirtschaftskapitäne mit TurbanEPA/Raminder Pal Singh

In Wien haben die Sikhs ihr radikales Gesicht gezeigt, in ihrer Heimatprovinz Punjab fallen die indischen Turbanträger hauptsächlich durch Arbeitsethos, Unternehmertum und Hilfe für ärmere Schichten auf. Das sichert ihnen übergroßen Einfluss bis in die Hauptstadt Delhi. Eine Spurensuche.

Es ist der ultimative Start einer Indienreise. Amritsar, die heiligste Stadt der rund 23 Mio. Sikhs, nur 450 Kilometer vom hektischen, verschmutzten Delhi entfernt. In der Stadt nahe der pakistanischen Grenze kann der Besucher ins Herz dieser jüngsten Religion der Welt, gegründet im 15. Jahrhundert, eintauchen. Das Herz, das ist der Goldene Tempel. Dort darf jeder Besucher, ob reich oder arm, Tourist oder indischer Dorfbewohner, Sikh, Christ, Moslem oder Atheist, drei Tage lang gratis schlafen und essen. Denn mit leerem Magen ist schlecht beten, und gebetet wird rund um die Uhr – in einem goldenen Schrein, der im heiligen See schwimmt und der über eine einzige Brücke erreichbar ist.
Wer in diesem atemberaubenden Umfeld die Einheit aller Menschen zelebriert hat, muss sich fragen, ob es dieselben Sikhs sind, die in Wien einen Guru hingerichtet, einen zweiten schwer verletzt und anschließend noch auf einen Wiener Polizisten geschossen haben. Ohne Wissen über die Sikhs drängten sich nach dem Tempel-Massaker Assoziationen mit den Taliban auf, die ihren religiösen Wahn ausleben, koste es, was es wolle. Über die Gründe der Bluttat, die im fernen Indien zu Ausschreitungen mit Toten geführt hat, wird noch geforscht. Was dabei auch herauskommen mag: Fakt ist, dass die Sikhs so gar nichts mit den Steinzeit-Taliban gemein haben. Selbst im Vergleich zu den Hinduisten, von denen sie sich im 15. Jahrhundert abgespalten haben, sind die Sikhs fortschrittlich. Frauen haben dieselben Rechte und Pflichten, das Kastenwesen, das die Stellung eines Hindus von Geburt an in Stein meißelt, wird abgelehnt.

Protestanten Indiens
Im Gegensatz zum Hinduismus akzeptieren Sikhs außerdem materielle Bedürfnisse und deren Befriedigung. Deswegen steht die Sikh-Religion dem Streben nach Wohlstand und Ansehen nicht im Weg. „Ein Sikh muss anderen ein Beispiel geben; er soll ein besserer Bauer, ein besserer Geschäftsmann und ein besserer Beamter sein“, heißt es in einer Einführung in den Sikhismus von Gobind Singh Mansukhani. Diese Einstellung, die mit jenen der Protestanten zu vergleichen ist, ist im nordindischen Bundesstaat Punjab spürbar. Dort lebt die große Mehrheit der Sikhs. In Punjab ist das Pro-Kopf-Einkommen größer und das Gefälle zwischen Arm und Reich deutlich kleiner als im Rest des Landes. 70 Prozent der indischen Fahrräder, Nähmaschinen oder Sportartikel sind „Made in Punjab“.
Noch weit wichtiger als die Industrie ist die Landwirtschaft. Punjab stellt die Kornkammer Indiens dar. Obwohl der Bundesstaat nur 1,6 Prozent der Landesfläche einnimmt, stammt ein Fünftel des Weizens aus Punjab. Der Boden ist sehr fruchtbar und das Land leicht zu bewirtschaften. Neben diesen Startvorteilen verhalf die Strebsamkeit der Punjabis der „grünen Revolution“ zum Durchbruch.
In den 1960er-Jahren gab die indische Regierung die Losung aus, die rückständige Landwirtschaft in ein neues Zeitalter zu führen und die Erträge durch moderne Bewässerung, Anbaumethoden und Dünger zu vervielfachen. Punjab ist der einzige Bundesstaat, in dem dies gelang. Der verhältnismäßige Reichtum der Provinz zeigt sich an den Bäuchen so mancher Sikh-Männer, im armen Indien das Statussymbol schlechthin. Der Status der Sikhs ist auch in der Hauptstadt Delhi umfangreich. Im Nachnamen heißen alle männlichen Sikhs Sing („Löwe“). In der Liste der Staatsbeamten füllt der Abschnitt für Sing ganze Seiten. Bildung wird bei den Sikhs sehr groß geschrieben, das Recht darauf wurde in ihrem heiligen Buch festgelegt. Die Familie stellt den Kindern die nötigen Mittel bereit. Denn ohne Geld bleibt in Indien der Zugang zur Elite verschlossen.
Die Sikhs sind fortschrittlich, doch nicht im demokratischen Sinne. Denn in erster Linie sind sie eine religiöse Community mit strengen Werten und einem strengen Gesellschaftssystem. Deswegen, meint die Hamburger Politologin und Südasien­expertin Bianca Stachowske, könne Punjab trotz aller Errungenschaften nicht als Vorbild für den Rest Indiens gelten. „Punjab wird nach sehr feudalen Prinzipien regiert. An der Spitze der Pyramide steht der Grundbesitzer. Es gibt sehr klare Hierarchien und Abhängigkeiten, reiche Familien geben den Ton an.“ Von dieser Spitze aus wird an Arme umverteilt.

Gegen strenge Auflagen
Dieser Klientilismus erschwert den Kampf gegen den Urfeind, das Kastenwesen. Das ist trotz aller offizieller Beteuerungen auch unter Sikhs ausgeprägt, wenn auch deutlich schwächer als im Rest des Landes. Um doch darauf zu sprechen kommen: Es soll der Kampf zwischen unterprivilegierten Sikhs und den selbst ernannten Hütern des wahren Sikhismus gewesen sein, der hinter den Wiener Ausschreitungen steckt. „Ärmere Sikhs“ werden selbstbewusster und gründen eigene Tempel, die regen Zulauf verzeichnen. Das dünnt die Geldquellen der bestehenden Tempel aus. Und die „Derat“-Sekten haben Gurus, die sie anbeten. Das lehnen traditionelle Sikhs ab, für sie darf es seit 1708 keinen Guru mehr geben, nachdem der damals letzte Guru keinen Nachfolger bestellte.
Diese Verteidiger des „reinen“ Sikhismus fühlen sich nicht nur durch die Sekten gefordert, immer mehr „verwestlichte“ junge Sikhs entscheiden sich auch gegen die strengen Auflagen (wie zum Beispiel nie die Körperhaare schneiden, kein Alkohol oder Dienste an den Armen). Der nach religiöser Überzeugung erwirtschaftete Wohlstand untergräbt nun das eigene Fundament.
Im Goldenen Tempel ist von diesen inneren Spannungen des Sikhismus nichts zu spüren, privilegiert sind nur die Touristen, die in bewachten Dreibettzimmern wohnen, während die Inder mit Decke am Steinboden unter den Arkaden nächtigen.

Clemens Neuhold, Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Den Politikern das Einmaleins erklären

Den Politikern das Einmaleins erklärenUlli Eigner

Stefan Schleicher: „Die Vorstellung, dass Leute, die ein politisches Mandat haben, die Politik nach ihren Erkenntnissen gestalten können, ist naiv.“ Der auf Energie spezialisierte Wirtschaftsprofessor eckt in der Politik des Öfteren an. Was dennoch häufig wenig bewirkt. Denn kurzfristige Interessen sind oft stärker als langfristige Strategien.

Aufsehen hat Stefan Schleicher vor der Klimakonferenz in Bali im Dezember 2007 erregt. Er rechnete vor, dass Österreich seine Verpflichtung zur CO2-Reduktion aus dem Kyoto-Vertrag wahrscheinlich nicht einhalten werde. Als Ausgleich werde Österreich CO2-Emissionszertifikate kaufen müssen, was vielleicht 1,5 Mrd. Euro kosten könnte. Die nüchterne Rechnung hat den damaligen Umweltminister Josef Pröll (ÖVP) in Wallung gebracht. Schleicher solle keine Horrorszenarien errechnen, sondern lieber schauen, dass Österreich seine Klimaverpflichtung einhalten wird, sagte Pröll, der sich hörbar in die Enge getrieben fühlte.
Stefan Schleicher ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Graz, Experte im Wirtschaftsforschungsinstitut und Mitglied des Expertenbeirats des Klima- und Energiefonds.

economy: Steigen Sie den Regierenden öfter auf die Zehen?
Stefan Schleicher: Ganz sicher. Ich merke das in meiner Tätigkeit im Expertenbeirat des Klima- und Energiefonds. Da gibt es Differenzen zwischen den Vorschlägen, die aus der Politik kommen, und den Bewertungen, die der Expertenbeirat vornimmt. Es ist interessant zu sehen, ob unsere Meinungen Folgen haben. Das ist nicht immer der Fall.

Ein kürzlicher Streitpunkt war, dass die Regierung vom 150 Mio. Euro-Forschungsbudget des Klima- und Energiefonds 50 Mio. Euro abgezwackt hat, um die thermische Sanierung von Gebäuden zu fördern. Haben Sie dagegen protestiert?
Wünschenswert wäre eine viel differenziertere Vorgangsweise. Österreich hat mit fast drei Mrd. Euro eine großzügige Wohnbauförderung. Doch diese von den Ländern verwalteten Mittel sind seit einer Novelle des damaligen Finanzministers Grasser nicht mehr zweckgebunden. Damit wird in einigen Bundesländern sogar Sozialhilfe bezahlt – oft an Leute, die in schlechten Wohnungen leben. Statt ihnen bei der Wohnungssanierung zu helfen und die Wunde zu heilen, bekommen die Leute ein Pflaster aufgepickt. Doch ich habe in der Zwischenzeit eine Lernphase hinter mir. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Politik ein sehr kompliziertes Kräfteparallelogramm unterschiedlicher Interessen ist.

Bei diesem Gesetz zur thermischen Sanierung wird sogar eine neue Ölheizung gefördert.
Da spielen die Interessen derer mit, die Heizöl verkaufen. Politik reflektiert ein kompliziertes Kräftespiel. Vor vielen Jahren dachte ich, ein CEO könne den Kurs seines Unternehmens ändern, wenn er meint, das sei notwendig. Heute sehe ich, dass Reformschritte auf extreme Widerstände stoßen. In der Politik sind Interessenkonflikte noch viel ausgeprägter. Die Vorstellung, dass Leute, die ein politisches Mandat haben, die Politik nach ihren Erkenntnissen gestalten können, ist viel zu naiv.

Viele Ökonomen, auch Sie, waren gegen die Verschrottungsprämie für Autos. Warum?

Die Gelder sind unwirksam. Die Autos, die jetzt gekauft wurden, werden dafür in den kommenden Jahren nicht gekauft. Die Wirkung auf Arbeitsplätze in Österreich ist bescheiden. Es wird auch keine messbare Reduktion von CO2-Ausstoß geben, da die Prämie nicht an Emissionsstandards gebunden ist. Das war alles klar. Dennoch konnten die Wirtschaftsforscher die Politiker nicht überzeugen. Das löst unter uns Wirtschaftsforschern einen Nachdenkprozess aus. Das war ja kein komplexes Problem, dafür brauchte man keine mathematischen Modelle. Die kurzfristigen Interessen von Herstellern und Händlern waren so vehement, dass 22,5 Mio. Euro in die Prämie hineingebuttert wurden, obwohl die Kassen so ausgedünnt sind.

Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen eine neue Infrastruktur. Unsere strukturellen Probleme kriegen wir mit konjunkturellen Maßnahmen nicht in den Griff. Ich habe Empfehlungen zu drei Bereichen: Gebäude, Mobilität, Energieerzeugung. Die bestehenden Gebäude müssen auf den aktuellen Stand der Bautechnologie gebracht werden. Im Neubau muss sofort Passivtechnologie vorgeschrieben werden. Und wir müssen schrittweise Plus-Energiehäuser bauen – das sind Häuser, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Der zweite Bereich betrifft die Mobilität. Durch Fehler der Raumplanung ist eine Zwangsmobilität entstanden – Betriebsstätten, Wohngebäude und Supermärkte sind oft weit voneinander entfernt. Und überdies hat die Autoindustrie Technologien verschlafen und zu spät erkannt, wie viele Chancen Elektromobilität bietet. Wir könnten bereits viel bessere Autos produzieren.

Tut sich da etwas in Graz?
Zu wenig, das sage ich ganz klar. Man hätte der steirischen Autoindustrie viel mehr Anreize geben sollen, um in Elektromobilität zu gehen.

Woher soll der zusätzlich notwendige Strom kommen?
Der Elektroantrieb ist wesentlich effizienter als der Verbrennungsmotor. Er braucht nur ein Viertel der äquivalenten Treibstoffmenge. Selbst wenn wir etwas ganz Schlimmes machen und aus Erdöl Strom erzeugen, brauchen wir nur ein Viertel der Menge an Energie.

Aus welchen Quellen soll der Strom erzeugt werden?
Da muss man sehr vorsichtig sein mit simplen Empfehlungen. Es wäre zu einfach zu sagen: Wir setzen nur auf Windenergie oder nur auf Biomasse. Ich schlage etwas gänzlich anderes vor: Wo immer jetzt etwas verbrannt wird, um Wärme zu erzeugen, muss stattdessen eine hocheffiziente KWK-Anlage, also eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, eingesetzt werden. Wo Wärme erzeugt wird, muss auch Strom erzeugt werden, und vice versa.

Der Verbund baut in Mellach bei Graz ein Gaskraftwerk zur Stromerzeugung. Ist das nicht der falsche Weg?
Ich kenne die Probleme.

Ist es nicht der falsche Weg?
Ich kenne die Probleme. Wir wissen, dass Österreich 2020 ungefähr 80 Mio. Tonnen CO2 emittieren dürfen wird. Ein Kraftwerk wie Mellach emittiert bis zu einer Mio. CO2 pro Jahr. Da wird zu überlegen sein, welche anderen Emissionen in diesem Umfang zurückgehen können. Ich bin neugierig, wie man das schafft. Österreich hat bei den Zielen der EU für 2020 mitgestimmt. Ist es meine Aufgabe, daran zu erinnern?

Ja!
Das ist, wie wenn ich daran erinnere, dass das Einmaleins eine klar definierte Sache ist.

Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Das Problem mit der Nachhaltigkeit

Das Problem mit der NachhaltigkeitDPA/Grimm

Gemeinsame Bemühungen, den Planeten Erde vor den Folgen uneingeschränkten Wachstums und vor Umweltzerstörung zu schützen, gehen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Doch Konsens ist schwer herzustellen.

Umweltschutz ist kein Phänomen, das mit den drängenden Problemen der Neuzeit zu einer Notwendigkeit geworden ist. Vielmehr reicht der Umweltschutzgedanke in die Ära unserer Vorväter zurück. So gilt etwa die Gründung des Yellowstone-Nationalparks im Jahr 1872 als der erste Schritt einer integrativen Maßnahme zum Schutz von Natur und Tierwelt. Etwa zur gleichen Zeit begannen viele Städte weltweit mit dem Bau von Kanalisationen und Kläranlagen.
In den 1920er Jahren folgten in Europa erste Konferenzen zum Naturschutz als Antwort auf die ökologischen Schattenseiten der industriellen Revoltion. Dies ging einher mit neu erstandenen Naturschutzbewegungen mit teilweise sozialromantischen, sogar esoterischen Hintergründen.
Das Umweltschutzbewusstsein der Neuzeit wurzelt allerdings in einem grundlegenden Wertewandel in den 1960er Jahren, als antikapitalistische Strömungen eine neue Ökonomiekritik begründeten und die Erkenntnis sich breitmachte, dass die ungebremste Zerstörung der Umwelt durch die Industrie eingedämmt werden müsse. Verstärkt wurden die aufkommenden Ökologiebewegungen durch Umweltkatastrophen wie Seveso (1976) sowie durch nicht mehr zu kaschierende Missstände wie den sauren Regen, das Waldsterben, die Verschmutzung von Flüssen und Meeren sowie negative Folgen von Kunstdüngern und Pflanzenschutzmitteln.

Geburt von Greenpeace
1971 wurde die Umweltschutzorganisation Greenpeace gegründet, ein Jahr vor der ersten großen Umweltschutzkonferenz der UNO in Stockholm. In diesem Jahr, 1972, wurde auch der Bericht Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome publiziert, der als erste kritische Auseinandersetzung mit der globalen Umweltzerstörung weltweit Gehör fand. Zwar gelten heute einige Prognosen als verfehlt, dennoch ist die Wirkungsgeschichte dieses Berichts bemerkenswert. Noch heute gilt der Club of Rome als wichtigster Thinktank für Zukunftsfragen der Menschheit.
Die „UNO-Weltkonferenz über die menschliche Umwelt“ im Juni 1972 in Stockholm war die erste globale Tagung zum Thema Umwelt überhaupt und gilt als der eigentliche Beginn der internationalen Umweltpolitik. Der 5. Juni wird als „Tag der Umwelt“ begangen.

Wachstumsgrenzen
Es war das Jahrzehnt, in dem der Welt bewusst wurde, dass Wachstum nicht um seiner selbst willen betrieben werden kann. „Die Autoren des Berichtes haben damals nicht einfach behauptet, dass Wirtschaftswachstum an Grenzen stößt. Die These war, dass ein rein mengenorientiertes Wachstum nicht ewig fortgesetzt werden kann – es kommt dann irgendwann relativ plötzlich zum Kollaps“, sagte Max Schön, Chef des Club of Rome Deutschland, kürzlich in einem Interview mit der Zeit.
Und so kam es nach den düstern Prognosen des Club of Rome auf der nächsten großen UN-Umweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro zur Verabschiedung der „Agenda 21“, eines Programms für nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert. Dabei wurde auch zum ersten Mal in dieser Bandbreite die soziale Entwicklung insbesondere in Schwellenländern und Dritte-Welt-Staaten mit den Problemen von Umweltschutz, Wachstum, Armut, Bildung und Gesundheit verknüpft.
Außer der Prägung des Begriffs der „nachhaltigen Entwicklung“ ist die Agenda 21 allerdings hauptsächlich ein Programmpapier geblieben und wird von Kritikern bis heute als „Vision“ oder „Mythos“ bezeichnet.
Konkreter war das schon die Kyoto-Konferenz in Japan 1997, auf der zum ersten Mal verbindliche Ziele zur Erreichung von Umweltschutzmaßnahmen auf internationaler Ebene beschlossen wurden. Das 2005 in Kraft getretene und 2012 auslaufende Kyoto-Abkommen legte erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen in den Industrieländern fest. Auf diesen basieren heute gebräuchliche Mechanismen wie Emissionsrechtehandel und Maßnahmen zur umweltverträglichen Entwicklung von Volkswirtschaften. Einer der großen Nachteile des Kyoto-Protokolls ist, dass es nie vom größten Umweltsünder dieser Welt, den USA, ratifiziert wurde.
Wie auch immer, zehn Jahre nach dem Treffen von Rio de Janeiro kamen die Staaten der Welt 2002 zum bisher größten UN-Umweltgipfel in Johannesburg zusammen, „einer Konferenz der Chancen“, auf der es um nichts Geringeres ginge als „um die Zukunft der Menschheit“, wie der damalige Umweltminister Wilhelm Molterer (ÖVP) erklärte, bevor er ins Flugzeug nach Südafrika stieg.

Eklat um die USA
Ergebnis des Johannesburg-Gipfels war ein weiteres Aktionsprogramm, das allerdings vielen Aktivisten nicht weit genug ging. Am Ende der Konferenz kam es zudem zum Eklat, als der damalige US-Außenminister Colin Powell von teilnehmenden Vertretern von Umweltverbänden ausgepfiffen wurde. Nach zehn Tagen heftiger Diskussionen unterzeichneten die Delegierten einen Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung. Doch in den meisten Punkten konnte man sich nicht auf feste Vorgaben einigen, viele Abmachungen des Aktionsplans blieben daher vage oder lassen Hintertürchen offen.
Die bisher letzte große Umweltkonferenz fand 2007 auf Bali (Indonesien) statt. Dort wurde ein neues Klimaschutzabkommen ausdiskutiert, das in die „Bali Roadmap“ mündete. Deren Ziel ist es, eine Nachfolgeregelung zum Kyoto-Protokoll zu verabschieden, was allerdings bisher auf Schwierigkeiten stieß. Es ist geplant, das neue Protokoll auf der nächsten UNO-Umweltkonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 verbindlich abzuschließen.

Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Mit Temelin.com gegen Atomstrom

Mit Temelin.com gegen AtomstromPhotos.com

Gibt es sie wirklich, die Renaissance der Atomkraft? Nahe der österreichischen Grenze offensichtlich schon. Die Slowakei und Tschechien rüsten ihre Atomkraftwerke auf. Umweltschützer schwingen die Sicherheitskeule, und Oberösterreich führt seinen Kleinkrieg gegen die Nachbarn im Internet.

In seinem Kampf gegen die Atomkraft kann man Greenpeace nicht vorwerfen, humorlos zu sein. „Die Errichtung einer Beleuchtungsanlage am Kraftwerksgelände soll anscheinend lediglich verhindern, dass ein Pilot die riesige Anlage übersieht.“ Wogegen die Aktivisten hier polemisieren, ist das slowakische Atomkraftwerk Mochovce. 140 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt wird dort munter an zwei neuen Reaktorblöcken gebaut. Laut Greenpeace könnte schon der Absturz eines mittelgroßen Flugzeugs eine Atomkatastrophe auslösen, weil dem Reaktortyp eine entsprechende Schutzhülle fehlt. Auch die Slowaken wollen überleben, könnte man einwenden, Schreckensszenarien gehören bei Greenpeace-Kampagnen einfach dazu.
Solche Anti-Atom-Kampagnen häufen sich, denn Atomkraft ist wieder en vogue. Ob es wirklich eine „Renaissance“ ist, daran scheiden sich die Geister. Die Slowakei wäre ein Beleg dafür: Neben Mochovce sollen in Bohunice zwei neue Meiler entstehen, der Ort liegt nur 70 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Die zwei alten Blöcke mussten als Bedingung für den EU-Beitritt vom Netz genommen werden. CEZ, der Eigentümer des tschechischen Kraftwerkes Temelin, wird in Bohunice eine Mrd. Euro investieren. Verkündet wurde der Deal ausgerechnet beim European Nuclear Ener­gy Forum (Enef) Ende Mai in Prag. Das aus EU-Kassen finanzierte Enef ist eigentlich als neutrale Diskussionsplattform konzipiert, nun verkommt es zur Lobbyisten-Runde. Vom Atom-Deal brüskiert, kündigten Greenpeace, Friends of the Earth und Sortir du Nucléaire noch in Prag ihre Mitarbeit im Forum auf.
Umgehend auf den Affront reagiert hat auch das renitente Oberösterreich. Im Kampf gegen das grenznahe Temelin betreibt das Bundesland eine PR-Maschinerie, die ihresgleichen sucht. Nach den Vorfällen in Prag setzte diese das Anti Nuclear Forum (Anef) in Bewegung. Für 17. Juni war das erste Treffen in Linz angesetzt, hosted by Landeshauptmann Pühringer. Ihren Feldzug führen die Ober­österreicher samt Anti-Atom-Beauftragten bevorzugt im Internet. „Don’t nuke the climate“, heißt es auf Anef.info, der stylischen Homepage des neuen Forums. Die Oberösterreicher sind überhaupt Meister im Horten knackiger Domains. So liefert Temelin.com weder neutrale News über das Kraftwerk noch über die 770 Seelen-Gemeinde in Südböhmen: Hier sendet die Linzer Anti-Atom-Behörde. Fette „Störfall“-Banner bei jedem dritten Artikel wecken Gedanken an Jod-Tabletten und Unter-dem-Tisch-Kauer-Übungen. Dasselbe auf Mochovce.com. Nur Bohunice.com ist überraschenderweise noch zu haben. Wer „Temelin“ googelt, wird erst von den Linzern „informiert“, dann von Wikipedia.

Verständnis für die Nachbarn
In Temelin werden gerade die Weichen für zwei weitere Reaktorblöcke gestellt, geplanter Baubeginn ist 2013. Dagegen wird Temelin.com nichts ausrichten, auch wenn es wahlweise auf Tschechisch über Störfälle informiert. Mit Ausnahme der Grünen sind alle Parteien für den Ausbau, in der Bevölkerung sagen 71 Prozent Ja zu Atomkraft. In Tschechien stammen 31 Prozent, in der Slowakei 55 Prozent der Energie aus der Atomkraft, die Bürger sehen die nukleare Energie pragmatisch, sie halten sie einfach für notwendig. Österreich ist mit Wasserkraft gesegnet, diese Länder nicht. Und der Strombedarf steigt. Schon jetzt gibt es Versorgungslücken. So ist die Slowakei seit der Abschaltung der alten Bohunice-Reaktoren auf Importe angewiesen.
Wie schmerzhaft diese Abhängigkeit sein kann, erfuhr das Land letzten Winter. Nachdem die Russen den Ukrainern wieder einmal den Gashahn abgedreht hatten, schrammte die Slowakei wegen der folgenden Engpässe nur knapp an einem völligen Stromausfall (Blackout) vorbei. Als Reaktion darauf kündigte Premierminister Robert Fico an, den gerade abgeschalteten Reaktor in Bohunice wieder hochzufahren. Österreich protestierte scharf gegen diese Verletzung des EU-Rechts, und schließlich genügten Gaslieferungen aus Nachbarländern, um Fico davon abzubringen. Doch nächstes Mal könnte der russische Gasboykott nicht Wochen, sondern Monate dauern, fürchten Energiestrategen in Brüssel. Das steigert die Angst vor Versorgungslücken und senkt die Bedenken gegen Atomenergie europaweit. Auch der Klimaschutz verleiht der Nuklear­energie Rückenwind, weil Atomkraft klimafreundlicher ist als Kohle- oder Gaskraftwerke. Die Frage des Atommülls und der energieaufwendigen Kühlung ist in der Rechnung allerdings nicht enthalten.

Heiße Luft
Derzeit spricht vieles für die atomare Renaissance – und vieles dagegen: In Finnland und Frankreich verzögert sich der Bau der modernsten Reaktorentypen massiv, die Kosten explodieren. In Italien, Groß­britannien und Schweden bleibt es bei Ankündigungen. Jurrien Westerhof, Atomexperte von Greenpeace, bezweifelt, dass sich dort jemals Unternehmen finden, die bis zu vier Mrd. Euro in ein neues Kraftwerk investieren, das frühestens 2020 Strom liefert. „Ein Gaskraftwerk kostet 400 Mio. Euro und liefert in fünf Jahren Strom.“
Spannend wird es in Deutschland. Unter der rot-grünen Regierung wurde der Atomausstieg bis 2021 paktiert, die aktuelle Große Koalition rührte das Thema nicht an. Das kann sich ändern, sollte ab Herbst die CDU mit der FDP regieren. Die CDU will die Laufzeit der 17 Reaktoren verlängern, für Neubauten von Atomkraftwerken ist sie vorerst nicht zu haben. Die FDP sieht das anders. Falls sich der Juniorpartner durchsetzt, seien Betreiber neuer Kraftwerke gewarnt: Ober­österreich wird sich entsprechende Domains für gezielte Störaktionen blitzartig sichern.

Clemens Neuhold, Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Ein Regulierungschaos ist programmiert

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Zwischen der Wirtschaft und EU-Kommissar Günter Verheugen bahnt sich Streit um die Ökodesign-Richtlinie an. Diese warnt die Kommission vor einer Überregulierung und kritisiert mangelnde Planungssicherheit.

Über 12.000 Verordnungen aus Brüssel regeln unser Leben – jährlich kommen 2500 dazu. Das Corpus Delicti nennt sich „Richtlinie 2005/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte und zur Änderung der Richtlinie 92/42/EWG des Rates sowie der Richtlinien 96/57/EG und 2000/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“. Sie ist auch unter der Kurzbezeichnung „Ökodesign-Richtlinie“ oder „EUP-Richtlinie“ (Energy Using Products) bekannt.
In Österreich wurde sie durch die Ökodesign-Verordnung 2007 (ODV 2007) umgesetzt, die seit 10. August 2007 in Kraft ist. Der Vorschlag der EU-Kommission, dem in erster Lesung im Europaparlament bereits zugestimmt wurde, sieht vor, neue Energiesparnormen nicht nur für elektrisch betriebene Geräte wie Kühlschränke, Fernseher und Waschmaschinen zu erlassen, sondern auch andere Produkte wie Dämmstoffe oder Warmwasserleitungen einzubeziehen. Die Ausweitung ist aus der Not geboren, denn Europa verfehlt seine Klimaschutzziele deutlich. Deshalb sollen die Bürger nun mit weniger Energie auskommen. Laut Kyoto-Protokoll muss die EU ihre Emissionen bis zum Jahr 2012 um acht Prozent gegenüber 1990 reduzieren; geschafft ist bisher nur ein mageres Minus von 1,4 Prozent.

Vorschläge ex cathedra
Autofahrer, Hausbesitzer, Unternehmer: Ab jetzt soll jeder seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Während die geltende Richtlinie nur energiebetriebene Produkte (Energy Using Products) erfasst, soll die vorgeschlagene Revision den Geltungsbereich auf energieverbrauchsrelevante Produkte (Energy Related Products) ausdehnen. Derzeit werden 25 Produktgruppen in sogenannten Durchführungsmaßnahmen unter die Lupe genommen, wie Heizkessel, PC, TV, Batterieladegeräte, Bürobeleuchtung, Wäschetrockner, Staubsauger und Settop-Boxen.
Aufgrund der möglichen Anforderung, eine komplette Lifecycle-Analyse für jegliches von einer Durchführungsmaßnahme betroffene Produkt unabhängig von dessen tatsächlicher Produktionsmenge durchführen zu müssen, ist damit zu rechnen, dass ein erheblicher Aufwand an Bürokratie und unnötige Hindernisse besonders für kleine und mittelständische Unternehmen entstehen werden. Die EU-Kommission setze zunächst auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie, aber auch schärfere EU-Gesetze seien denkbar, ließ man in Brüssel verlauten. Dort bedarf es wohl Engelszungen, um den Europäern zu verdeutlichen, vom Stand-by-Modus, so die verniedlichende Bezeichnung für die Stromverschleuderung, mit dem allein in Deutschland tagtäglich zwei Großkraftwerke beschäftigt sind, abzurücken.
Die geplante Ausweitung der Richtlinie könne in ein Regulierungschaos führen, fürchten die Kritiker, die sich vor allem an der vagen Formulierung stoßen: Ein „Gegenstand, dessen Nutzung den Verbrauch von Energie in irgendeiner Weise beeinflusst“ könne vieles sein – von Fenstern über Duschköpfe bis zu Tiefkühlpizzen. So mahnt Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), die Kommission müsse den Geltungsbereich der neuen Verordnungen schnell klarstellen, um Planungssicherheit zu schaffen. „Wenn es zukünftig auch Ökodesign-Vorschriften für Sofas, Turnschuhe und Kaugummis gibt, verzetteln wir uns heillos.“

Wirtschaft bezieht Stellung
Die EU-Kommission wies den Vorwurf zurück: Die geplante Neuregelung komme nicht nur Umwelt und Verbrauchern, sondern auch der Wirtschaft zugute. Noch ungeklärt ist allerdings, wie die Einhaltung der Durchführungsmaßnahmen überprüft werden soll, speziell im Falle von Herstellern außerhalb der EU. Auch die heimische Wirtschaft bezieht Stellung: „Klar ist, dass produktspezifische Vorschriften nur auf EU-Ebene getroffen werden können.“ Allerdings solle man „die Hersteller in die Erarbeitung der technischen Spezifikationen umfassend einbinden“ und der Industrie „ausreichend Zeit“ geben, „sich auf neue Produktanforderungen einzustellen“, so die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

You-Rope braucht anderes
Eine Ökodesign-Richtlinie 2.0 bewirkt keine Verringerung von CO2-Emissionen durch einen geringeren Stromverbrauch. Schließlich ist durch den Emissionshandel eine Obergrenze betoniert, die in jedem Fall auch ausgeschöpft werden wird (siehe Seite 19). Richtlinien aus Brüssel, also de facto verpuppte Ländergesetze, die das Licht eines modernen You-Rope künftig in Form einer 15 Watt-Sparglühlampe erblicken, sind der falsche Weg.
Umweltschutzgesetze und der Wettbewerb zwingen Unternehmen heute schon zu kostensparendem Umgang mit Ressourcen. Der Verbraucher benötigt bei seiner Konsumentscheidung hinsichtlich der Produkteigenschaften mehr Transparenz statt einer Bevormundung.

Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Zeigen, wie es funktionieren kann

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Ein vom Institut für Wirtschaftsforschung, der Universität für Bodenkultur und von der Universität Innsbruck getragenes Projekt widmet sich dem nutzungsbedingten Wechsel der Landschaften im Laufe der Zeit.

Knapp 84.000 Quadratkilometer misst das österreichische Bundesgebiet. Ähnlich groß sind neben Aserbaidschan nur die Vereinigten Arabischen Emirate mit 82.000 Quadratkilometern. Doch die Landschaft und deren Nutzung könnten nicht divergierender sein: Hier das wasser- und waldreiche Alpenland, dort ölreicher Wüstenstaat. Vorsorge ist in Österreich ein wichtiges Prinzip, schließlich sollen auch künftige Generationen von den Ressourcen leben können.
Und genau da setzt das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Werkzeuge für Modelle einer nachhaltigen Raumnutzung“ an. Das vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), von der Universität für Bodenkultur und von der Universität Inns­bruck beziehungsweise der Europäischen Akademie in Bozen getragene Projekt ermittelt erstmals innerhalb des OECD-Raumes flächenbezogene Agrar-Umwelt-Indikatoren, die als Ergänzung für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung herangezogen werden können. Damit fließen auch ökologische Bedingungen in die klassische Wohlstandsbeurteilung eines Landes mit hinein, die sonst im Bruttoinlandsprodukt nicht berücksichtigt werden.
Die Zusammensetzung und die Dichte der Tier- beziehungsweise Pflanzenarten beschreiben die Biodiversität eines Lebensraumes. Je mehr eine Landschaft von verschiedenen Organismen belebt wird, umso intakter ist sie. Der natürliche Stofffluss befindet sich im Gleichgewicht. „Uns geht es darum, die Landnutzungsänderungen zu quantifizieren und ihre Auswirkungen auf die Biodiversität zu erfassen“, erläutert Projektleiter Franz Sinabell vom Wifo. Und weiter: „Wir ermitteln damit für den ländlichen Raum einen erweiterten Wohlstandsindikator.“

Dem Hanf auf der Spur
Der bezieht sich auf ganz Österreich, geht aber möglichst kleinräumig in die Tiefe. Ein Hinweis darauf, wie sich Landschaften im Laufe der Zeit wandeln, weil sich die Produktionsbedingungen ändern, liefern auch zwei Linguistinnen. Unter der Leitung von Isolde Hausner von der Akademie der Wissenschaften erarbeitet Theresa Hohenauer, wo denn überall Namen von Kultur- und Nutzpflanzen auftauchen. Zunächst kamen die vielseitig verwendbaren Arten Flachs und Hanf in Betracht. Der Anbau von Flachs prägte die Landschaften von Nord- bis Südeuropa, was sich auch in den Ortsnamen widerspiegelt, die diese Kulturpflanze verarbeiteten. „In Österreich gibt es heute noch 43 Orte, die in ihrem Namen Flachs oder Hanf führen“, erklärt Theresa Hohenauer. „Niederösterreich führt sowohl beim Hanf als auch beim Flachs die Liste an, aber auch in Tirol und Vorarlberg gibt es Flachs- und Hanforte.“
Im niederösterreichischen Dunkelsteiner Wald befindet sich die Einöde „Harrerhof“, deren Bezeichnung sich aus dem mittelhochdeutschen „har“ für Flachs ableitet. Im Waldviertel zeugt wiederum der „Harstubencampingplatz“ von der eins­tigen Bedeutung dieser landwirtschaftlichen Kultur. Auch slawische Wurzeln kennzeichnen bestimmte Orte: Mottschüttelbach bei Laa an der Thaya und Modsiedl bei Waidhofen an der Thaya (NÖ) lassen sich auf das slawische „mo_idlo“ zurückführen, das so viel wie Flachsröste bedeutet. Dabei werden die Flachsgarben für einige Tage eingeweicht, ehe sie weiterverarbeitet werden. Künftig folgen weitere geografische Bezeichnungen, die auf bestimmte Landnutzungen schließen lassen. „Au“ zum Beispiel.

Wissen und verbreiten
Das gesamte Forschungsprojekt hat den Anspruch, nicht in irgendeiner Forschungsförderungsschublade zu landen, sondern möglichst breit anwendbar zu sein. Dazu werden die von den Ökologen und Meteorologen erhobenen Grundlagendaten von Agrarwissenschaftlern und Ökonomen weiterverarbeitet. Sie simulieren Situationen, die Aufschluss darüber geben, mit welchen landwirtschaftlichen Ertragsänderungen zu rechnen ist, sobald sich bestimmte Einflussfaktoren ändern. Das kann sich auf die klimatischen Bedingungen beziehen, aber auch auf geänderte politische Zielvorstellungen. Inwieweit sich der Lebensstil auf das Konsumverhalten auswirkt und welche regionalen Konsequenzen sich daraus ergeben, wird man in drei Jahren wissen. Vorerst erarbeiten alle ein Modell, das die Umweltverträglichkeit im ökonomischen Kontext messbar macht. Die gewonnenen Ergebnisse bestimmen dann den Inhalt eines Lehrgangs für Landwirtinnen.

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Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Die Kräfte aus der Natur mobilisieren

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Biokraftstoffe leisten einen Beitrag zum Klimaschutz und forcieren die Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen.

Mit Kraftstoffen aus agrarischer Produktion scheinen gleich mehrere hartnäckige Probleme gleichzeitig lösbar.
Die Nutzung von Feldfrüchten aus heimischer Produktion zur Herstellung von Kraftfahrzeugtreibstoff ermöglicht, so scheint es, gleichzeitig die Kohlendioxidreduktion zum Zwecke des Klimaschutzes, die Befriedigung weiter ansteigender individueller Mobilitätsbedürfnisse, die Befreiung von Agrarmarktstützungszahlungen und die Unabhängigkeit von ausländischen Rohstoffen.
Manche Fragen blieben dabei allerdings offen: Wie wird die Agrarlandschaft verändert? Wo sind Landnutzungsänderungen zu erwarten? Und welche Bedeutung haben diese für den Naturschutz in Österreich? Ist die Gewinnung von Kraftstoffen aus Agrarprodukten von der Ökobilanz her ausreichend effizient, oder gäbe es Alternativ­szenarien, die sich als Lösung für die eingangs aufgezählten Probleme besser eignen würden? Welche Folgen hat die großflächige Umwandlung von Stilllegungsflächen in Ackerland auf die Biodiversität in der Agrarlandschaft? Steht das 2010-Biomasseziel der EU mit dem Ziel des Stopps der Biodiversitätsverluste überhaupt in Einklang? Haben Biokraftstoffe negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit?
All diesen Fragen versucht das Projekt „Biokraftstoffe – Potenziale, Risiken, Zukunftsszenarien“ auf den Grund zu gehen. Projektleiter Klaus Peter Zulka vom Umweltbundesamt skizziert die Dimensionen dieses Vorhabens: „Die Zukunft des Individualverkehrs, der mittel­europäischen Agrarlandschaft, der Soziologie des ländlichen Raums und die Sicherheit der Energieversorgung hängen vermutlich von einer ausreichenden Beantwortung dieser Fragen ab.“ Neben einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas geht es den Projektträgern darüber hinaus aber auch darum, einen konkreten Handlungskatalog für die Politik und die Öffentlichkeit vorzulegen.

Modulare Vorgehensweise
Gestartet wurde in dem auf fünf Module aufgebauten Projekt damit, zu berechnen, welches Potenzial der Biomasse der Anbau von Raps unter der Berücksichtigung verschiedenster Szenarien hat. Erstmals wurden hier auch bislang unberücksichtigte Kriterien wie etwa die ökologische Sensibilität von Regionen herangezogen.

Interdisziplinäre Forschung
In weiterer Folge ging es schließlich darum, mit dem Globalen Emissionsmodell Integrierter Systeme (Gemis) die Ökobilanz von Biokraftstoffen zu untersuchen. Im Modul 3 wird der Einfluss des Anbaus von Ausgangsprodukten für die Biokraftstoffproduktion auf die Biodiversität auf nationaler Ebene, auf Landschaftsebene sowie auf Artenebene untersucht. Im Modul 4 werden die Auswirkungen vermehrten Biokraftstoffeinsatzes auf die Luftqualität mithilfe von Modellrechnungen untersucht und Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung abgeschätzt. Im Modul 5 werden die Ergebnisse der vier Module integriert und zu einer Gesamtaussage synthetisiert. Das Ziel ist neben der Beantwortung der eingangs gestellten Forschungsfragen die Begründung eines interdisziplinären Forschungsfelds an der Schnittstelle zwischen Physik, Biologie, Landschaftsökologie, Umweltwissenschaften und Medizin.

Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

Zwei Professoren auf Mission Impossible

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Zwei Professoren an der Uni Linz wollen aus dem CO2 der Luft Methanol, also Treibstoff, gewinnen. Und sie wollen die Fotosynthese der Pflanzen imitieren. Noch ist das Utopie. Vorerst wird an den Grundlagen geforscht.

Sie wollen Treibstoff aus der Luft gewinnen. Und zwar Methanol aus dem reichlich in der Atmosphäre vorhandenen Kohlendioxid. Wenn ihnen das gelingt, würden sie gleichzeitig helfen, das Klimaerwärmungsproblem des Planeten zu lösen. Das Projekt, mithilfe von Sonnenenergie aus CO2 Methanol zu erzeugen, firmiert in Linz unter dem Namen „Solar Fuel“.
Und sie wollen die Arbeit von Pflanzen imitieren. Sie wollen mithilfe von Katalysatoren und Sonnenenergie Wasser spalten und Wasserstoff erzeugen. Die Idee firmiert weltweit als künstliche Fotosynthese. Serdar Sariçiftçi und Günther Knör, beide Professoren am Institut für Chemie an der Johannes-Kepler-Universität in Linz, planen das derzeit noch Utopische, um die Energieprobleme der Menschheit zu lösen.

Private Geldgeber
Der Ort für die Mission (Im-)Possible ist äußerlich unscheinbar: ein aus Beton gegossener Hochbau der späten 1970er Jahre am Universitätsgelände in Linz, längst schäbig geworden. Der Lift zuckelt in den achten Stock. Dort arbeiten hinter einer Tür mit dem Schild „Solar Fuel“ bislang acht Leute, weitere Dissertanten werden gesucht. Am anderen Ende des Gangs liegt das Büro von Serdar Sariçiftçi, drei Stockwerke tie­fer jenes von Günther Knör.
Bezahlt wird die Forschung am utopischen Treibstoff von einem privaten Investor, der zu diesem Zweck das Unternehmen Solar Fuel Technology gegründet hat, an dem auch Sariçiftçi beteiligt ist. „Wir sind gemeinsam auf bestimmte Entwicklungen gestoßen“, sagt Sariçiftçi. „Aus CO2 und Wasser werden wir Kohlenwasserstoffe machen. Ähnlich wie die Pflanzen. Die machen es seit einer Milliarde Jahren.“
Die Verknüpfung von bahnbrechender Forschung mit privatwirtschaftlichem Engagement hat Sariçiftçi von seinem Lehrer, Vorbild und Mentor gelernt – von Nobelpreisträger Alan Heeger. Von 1992 bis 1996 arbeitete Sariçiftçi bei Heeger an der University of California in Santa Barbara. Gemeinsam forschten sie zu organischen, halbleitenden Polymeren – für die Entdeckung der elektrischen Leitfähigkeit von Polymeren erhielten Heeger und seine Kollegen Alan MacDiarmid und Hideki Shirakawa im Jahr 2000 den Nobelpreis für Chemie.

Amerikanischer Geist
Als Sariçiftçi 1996 an die Universität Linz berufen wurde, brachte er nicht nur sein Wissen über organische Solarzellen mit, sondern auch amerikanischen Unternehmergeist. Das heißt, produktfähiges Wissen möglichst bald in ein kommerzielles Spin-off auszugliedern, eigenes Geld in das Projekt zu stecken und Investoren zu suchen. In einem Christian-Doppler-Labor entwickelten er und seine Studierenden die organischen Solarzellen weiter. „Wir haben aus Plastikwerkstoffen ein Mate­rial entwickelt, das einen fotovoltaischen Effekt hat, also Licht in elektrischen Strom umwandelt“, sagt Sariçiftçi. „Dazu mischen wir organische Polymere mit Fullerenen, großen Kohlenstoffmolekülen, zusammen.“
Der Vorteil: Diese Solarzellen können auf riesigen Druckmaschinen gedruckt werden. Deshalb kostet die Produktion nur einen Bruchteil im Vergleich zu den auf Silizium basierenden Solarzellen. Die biegsame Form ermöglicht neue Anwendungen – man kann die Solarzellen zusammenrollen und wie eine Isomatte zum Campen mitnehmen. Der Nachteil: Die Haltbarkeit ist begrenzt, und der Wirkungsgrad ist noch gering. Die Herstellung in großem Maßstab läuft gerade in Boston an.

Die Wasserspalter
Während das Prinzip der Fotovoltaik, aus Sonnenenergie Strom zu gewinnen, bereits eine etablierte Technologie ist, arbeitet Günther Knör an einer – noch – reinen Utopie. „Wir versuchen, die Sonnenenergie so zu speichern, wie die Pflanzen es uns vormachen: in Form von chemischen Verbindungen, die wir dann als Brennstoffe nutzen können“, erklärt Knör. Die Pflanzen gewinnen ihre Energie durch Fotosynthese. Knör will die künstliche Fotosynthese von Treibstoffen vorantreiben.
„Wir suchen nach Katalysatoren, mit denen man Wasser durch Sonnenlicht in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen kann. Das wollen wir ähnlich wie die Pflanzen direkt auf fotochemischem Weg erreichen.“
Bisher scheitern Forscher weltweit noch immer am ersten entscheidenden Schritt: der Verknüpfung von zwei Sauerstoffatomen. Dazu hat Knör neue Ideen. Es ist ihm gelungen, künstliche Blattfarbstoffe zu entwickeln, die Tageslicht nutzen, um Wassermoleküle katalytisch umzuwandeln.
Dabei entsteht als Zwischenprodukt Wasserstoffperoxid, das sehr leicht weiter in Sauerstoff gespalten werden kann. Mit den so freigesetzten Elektronen und Protonen können Chemiker durch Katalyse solaren Wasserstoff gewinnen. „Vereinfacht gesagt: Wir suchen einen Stoff, den man ins Wasser gibt, und das Wasser teilt sich“, sagt Knör.
Auch die Arbeit, die hinter der Tür mit dem Schild „Solar Fuels“ passiert, ist Grundlagenforschung. Einer der beschrittenen Wege ist es, mit Licht an Metalloberflächen gebundene Katalysatoren zu aktivieren, um einen Teil der Sonnenenergie in einer chemischen Bindung zu speichern. Technische Details werden nicht verraten. Die Konkurrenz schläft nicht.

„Wir werden es schaffen“
Günther Knör kreist seit der Dissertation um sein liebstes Forschungsthema, die künstliche Fotosynthese. Nebenbei setzt er seine fotochemische Forschung für die Entwicklung von Krebstherapien ein.
Wie ist es, für ein Ziel zu arbeiten, das man vielleicht erst in 50 Jahren, mit Krückstock und grauen Haaren, erreicht? „In der Grundlagenforschung muss man einen langen Atem haben, bis die Zeit reif ist“, sagt Knör. „Dann explodieren die Dinge. Irgendeiner dieser Generation wird es in den nächsten Jahrzehnten schaffen.“
„Das werden wir schaffen“, unterbricht Sariçiftçi. „Wir werden zeigen, dass das keine Utopie ist.“

Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009

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