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27. April 2024

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Das Ende der Subkulturen

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Anti-Establishment und Protestkulturen haben heute keinerlei Bedeutung mehr. Kaum entsteht eine neue alternative Nischengruppe in der Gesellschaft, wird sie vom Marketing-Apparat instrumentalisiert und zur Mode erklärt.

Die 70er Jahre, das waren noch Zeiten. Damals (1971) erschien die Theorie der Subkultur von Rolf Schwendter, und es war viel von Gegenökonomie, von von der gesellschaftlichen Norm abweichendem Verhalten und von kollektivem kulturellen Widerstand die Rede.
Heute haben sich die Dinge geändert. Der alte Begriff der „Subkultur“ ist längst überholt, was auch Schwendter zugibt. Heute haben wir den Cyberspace und die globale Vernetzung von Gruppen, ob subkulturell oder nicht, und die alte Theorie ist zahnlos und schwach geworden.
„Die Popkultur ist heute in zahllose Richtungen aufgespaltet, wie man das früher nie für möglich gehalten hätte“, sagt Rupa Huq, britische Soziologin und Autorin des Buches Beyond Subculture.
„Der Begriff der Subkultur scheint nicht auszureichen, will man die vielfältigen Splittergruppen in diesem Strudel der Fragmente beschreiben. Es gibt nicht mehr eine einheitliche Jugendkultur, sondern viele: Raver, Techno-Freaks, Cyberpunks, Indie-Kids, Gothic- oder Jungle-Anhänger, Grunge-Fans, Bhangra- oder Raggamuffins, Internet-Junkies und sogar ... ganz normale Typen“, sagt Huq.
Schwendter hatte in seiner Theorie, aus seiner Zeit heraus verständlich, die „progressive“ Subkultur der Hippies und anderer Protestbewegungen der „regressiven“ der Neonazis gegenübergestellt. Heute wird der Begriff der „Subkultur“ in der Wissenschaft seltener verwendet. Dies ist hauptsächlich deshalb der Fall, weil die Definition einerseits unklar ist – zumeist ist davon die Rede, dass eine Gruppe „weitgehend“ andere Normen als die Hauptkultur aufweist – und andererseits die meisten so bezeichneten Gruppen sich selbst abweichend auffassen.

Verflachung durch Vermarktung
Die gängige Auffassung von Subkultur hat heute aber eher weniger mit Protestbewegungen zu tun, sie wird vielmehr als Form der Nischenkultur verstanden. Mit der zunehmenden Vermarktung von Subkultur – hauptsächlich über eines der wichtigsten Transportmittel ihres „Protestes“, der Musik – haben sich sämtliche Bewegungen, die wir seit den 1970ern kennen, von den Hippies bis zu den Punks und Ravern, verflacht und aufgelöst.
Heute sind Nischenkulturen eher in sich geschlossene Gruppen ohne erklärte Protestziele, aber mit alternativen oder Laissez-faire-Lebenshaltungen, wie Surfer oder Skater, Computer-Nerds, Rundfunk-Piraten, Umweltschützer und so weiter. Im sozialwissenschaftlichen Sinn wird dabei heute aber eher von „Szene“ oder „Randszene“ als von Sub- oder Nischenkultur gesprochen. Weit schneller als früher passiert es nun, dass Subkulturen mithilfe der Medien zur Mode erhoben werden. Dafür sorgen hyperaktive Trendscouts und riesige Marketing-Abteilungen von Großkonzernen. Mit dem Ergebnis, dass fast alle neuen Nischenkulturen rasch wieder verwässern.
Fortsetzung von Seite 29

Die Punk-Bewegung etwa hatte ihre Bedeutung und ihren relativen Einfluss in dem Moment verloren, als das erste „Punk-Outfit“ im Kaufhaus erhältlich war. Jede Bewegung und somit jede Subkultur wird, sobald zur Mode „erhoben“ , von Horden von Konsumenten übernommen. Übrig bleiben hohle Marketing-Phrasen.
Über dieses Phänomen sagt der deutsche Autor und Journalist Reinhard Jellen, der Jugendkulturen und Gegenbewegungen detailliert analysiert hat: „Diese Jugendlichen lassen sich gut als ‚Trendsetter‘ der allgemeinen Konsumsteigerung missbrauchen. Zweitens stürzt man sie durch dieses rein affektbetonte Aufbegehren in einen Irrationalismus, der sie mit falschem Bewusstsein auflädt und damit von ihren
eigentlichen Zielen abbringt.“

Konsum im Mittelpunkt

Was den großen Unterschied der sogenannten Subkulturen von damals und heute ausmacht, ist, dass Erstere stets in irgendeiner Form Vorboten von sozialen Umbrüchen waren. Heute hat sich das unter der Macht der Warenwelt und Werbung stark verzerrt. Die meisten „Randkulturen“ stellen Konsum in den Mittelpunkt, kommunizieren über Waren, meist über ganz bestimmte, und verachten andere. Viel findet dabei als neuartige Auseinandersetzung mit Alltag, Konsum und Freizeit statt, als einer Art Lebensbewältigung, die einen Teil der herkömmlichen gesellschaftlichen Riten ablehnt, jedoch trotzdem in ihren Grundlagen verwurzelt bleibt. Es handelt sich also bei heutigen Nischenkulturen nur um gruppenbestimmte Verhaltensweisen, mit der Entfremdung durch den Lebensalltag fertigzuwerden oder sich zumindest damit auseinanderzusetzen.
„Subkulturen zerbrechen alltägliche Erscheinungsmuster und setzen diese ihren Zwecken gemäß neu zusammen“, sagt Jellen. Dabei kommt es häufig dazu, dass Gegenstände aus der Warenwelt als Fetische eingesetzt werden, seien es nun Skateboards, Mobiltelefone, Markenkleidung und dergleichen.
Da die Vereinnahmung der Nischen- oder Randkulturen durch die Marketing- und Werbemaschinerie ausnehmend schnell und eindringlich vonstattengeht, entsteht auch ein konstanter Druck zur Unterordnung unter die Trendlinien, die von oben bestimmt werden. So werden nicht wenige Nischenkulturen bald müde, dem neuesten Trend nachzulaufen.
Die Kurzlebigkeit von Subkulturen der Jetztzeit ist erstaunlich im Vergleich zu früheren Erscheinungsformen, von den Beatniks über die Hippies, von den Mods über die Punks bis hin zu den Sub-Genres der Generation X, den Independents oder wem auch immer.
Heute sind Nischenkulturen kaum mehr als Spleens, da keine rebellische Substanz mehr in ihnen keimt. Zwar existiert eine gruppenbestimmte Empörung über den Mainstream und seine Langeweile, aber es sind wenig eigenständige Gedanken zu finden.

Vereinnahmung heute
Ein gutes Beispiel, wie Subkulturen von der modernen Werbemaschinerie vereinnahmt werden, ist das sogenannte Guerilla-Marketing. Dieses übernimmt die Elemente einer Subkultur und versucht, diese in einer Werbebotschaft zu integrieren. Durch die Verwendung von subkultureller Ästhetik versucht die Werbung, vermehrt Aufmerksamkeit zu erregen und gleichzeitig schwer erreichbare junge Trendsetter anzusprechen, die zunehmend Ablehnung gegenüber konventionellen Werbekanälen zeigten. Da fragt sich schon so mancher, wie es so weit kommen konnte. „Wie kam es, dass Ideen, die einst gegen ‚das Starre und das Stehende‘ gerichtet schienen – wie sexuelle Befreiung oder Selbstverwirklichung –, in mehr oder weniger sanfte Zwänge umschlagen konnten?“, wundert sich der deutsche Kulturkritiker Diedrich Diederichsen. Vieles, was in früheren Subkulturen vermittelt wurde, sei heute bereits unverbindlicher Mainstream geworden.
Flache Hierarchien seien in Werbeagenturen angekommen und die sexuelle Befreiung in TV-Talkshows; auch in der Kunst seien „gesellschaftlicher Kontext“ oder „das Utopische“ nur noch schicke Themen, die zu nichts mehr verpflichten, überall würden bloß mehr „Schrumpfversionen“ ehemaliger Befreiungsideen wirken, sagt Diederichsen.
Hart ins Gericht geht er mit den Netzwerkkulturen des modernen Kommunikationszeitalters. Persönliche Netzwerke und zugerufene Meinungen, so Diederichsen, seien in unserer Kommunikationskultur heutzutage viel wichtiger als eine grundlegende inhaltliche Auseinandersetzung. Wer was sagt, ist wichtiger, als was wer sagt. Wie wahr.

Economy Ausgabe 81-02-2010, 26.02.2010