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27. April 2024

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Einfach und kurz, aber aha

Einfach und kurz, aber ahaEPA

Intelligenz macht zwar angeblich sexy, hat aber einen Kommunikationsfehler: Sie ist schwer verständlich. Müssen wir diesen Umstand wirklich einfach so hinnehmen? Und sind wir tatsächlich immer selber schuld, wenn wir etwas nicht verstehen?

Kennen Sie diese Situation? Sie blättern in einem komplizierten Fachbuch oder hören, wie ein Politiker im Fernsehen verschachtelte Sätze von sich gibt, und wagen kaum auszusprechen, was sie sich daraufhin denken. Denn die monosyllabische Antwort beeindruckt weder inhaltlich noch macht sie klanglich viel her: „Hä?“ Wer sich also auch schon einmal gewünscht hat, wichtige Informationen einfacher formuliert und in mundgerechten Happen zu bekommen, schätze sich glücklich, denn er bekommt Rückendeckung von unvermuteter Seite: von der Philosophie. „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann“, verlangte der in Wien geborene Philosoph Karl Popper. In einem unter dem Titel Wider die großen Worte veröffentlichten Brief sah er klare Formulierungen als wichtige Aufgabe der Philosophie und legte das Rezept diverser Scharlatane auf diesem Gebiet offen: „Schreibe schwer verständlichen Schwulst und füge von Zeit zu Zeit Trivialitäten hinzu. Das schmeckt dem Leser, der geschmeichelt ist, in einem so ‚tiefen‘ Buch Gedanken zu finden, die er selbst schon einmal gedacht hat.“

Warum nicht einfach einfach?
Noam Chomsky, Professor für Linguistik und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology, gilt als einer der bedeutendsten Intellektuellen der Gegenwart. Auch er stellt sich gegen philosophische Phrasendrescherei und gegen Schriften, bei denen sich sämtlicher Ehrgeiz des Autors rein in der Länge seiner Sätze anstatt in deren verständlicher Formulierung widerspiegelt.
Chomsky hat eine recht pragmatische Erklärung für dieses Phänomen: „Es gehört ja (...) zur intellektuellen Berufung, sich eine Nische zu schaffen und möglichst dafür zu sorgen, dass niemand einen versteht; anderenfalls ist man nichts Besonderes. Man muss sich seine Unverständlichkeit hart erarbeiten, um die Grundlage für eigene Macht und Privilegien zu schaffen.“
Wer also nicht genug Neues zu sagen hat, muss darauf achten, dass er es dafür möglichst kompliziert sagt, um die einzige Anlaufstelle auf diesem Gebiet zu bleiben, sich ein Deutungsmonopol aufzubauen und zu erhalten. Zur Ausdrucksschwierigkeit kommt somit die Angst, verstanden zu werden, hinzu.
„Viersilbige Wörter machen mich misstrauisch, weil ich wissen möchte, ob man das, worum es geht, nicht auch mit Einsilbern sagen kann“, gesteht Chomsky. Den Beweis, dass es meistens tatsächlich einfacher geht, liefert wiederum Popper. In seinem Brief „übersetzte“ er Zitate aus einem Werk des Philosophen Jürgen Habermas.
„Die gesellschaftliche Totalität führt kein Eigenleben oberhalb des von ihr Zusammengefassten, aus dem sie selbst besteht“, schrieb Habermas. Schämen Sie sich nicht, wenn Sie diesen Satz jetzt noch einmal lesen müssen. Die Formulierung des Satzes ist tatsächlich wesentlich komplizierter, als es der Inhalt an sich erfordern würde. So lautete Karl Poppers Übersetzung schlicht, aber exakt:„Die Gesellschaft besteht aus den gesellschaftlichen Beziehungen.“
Laut dem englischen Sprachphilosophen Paul Grice (1913–1988) besteht erfolgreiche Kommunikation aus beidseitiger Kooperation. Seinem Kooperationsprinzip legt er mehrere Regeln zugrunde. Das Gesagte muss demnach so ausgedrückt werden, dass es auch verständlich ist. Unklarheit, irrelevante Informationen, langatmige und komplizierte Formulierungen oder Unwahrheiten sind „verboten“.

Gegen die „Spielregeln“
Regelbrüche haben immer einen Effekt. Dieser kann unterhaltsam sein, wie etwa, wenn ein Kind auf die Frage „Wie war die Schularbeit?“ mit „Ist das Wetter heute nicht schön?“ antwortet. Komiker arbeiten teils ganz bewusst mit diesen Regelbrüchen, um eine Pointe aufzubauen. In anderen Fällen können konstante Regelbrüche aber auch zur Schaffung einer Art Nische dienen und einem – wie Chomsky sagen würde – „Scharlatan“ zu Macht und Prestige verhelfen.
Auch in der Politik werden Grices Maximen erwartungsgemäß strapaziert. Gerade bei unangenehmen Fragen lässt sich oft beobachten, wie die Antwort durch unnötige Ausschweifungen hinausgezögert wird – und schließlich gar nicht kommt. Wissenschaftlich gesehen reicht eine Ausschweifung von sieben bis zehn Sekunden, bis wir die Frage vergessen haben. Andererseits haben kryptische Formulierungen den Vorteil, dass sie inhaltlich wenig Angriffsfläche bieten. Das erklärt, warum sich in die Enge getriebene Politiker in der Regel unverständlicher ausdrücken als sonst.
Natürlich kann nicht alles einfach ausgedrückt werden, dazu ist die menschliche Sprache nicht exakt genug. Aufwendige Um- oder Beschreibungen sind gerade bei neuartigen Konzepten oft unumgänglich. Dennoch ließe sich in vielen Bereichen erfolgreicher kommunizieren, würde man mehr auf Einfachheit und Bescheidenheit setzen und zumindest ein gesundes Misstrauen gegenüber langen Schachtelsätzen pflegen.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 81-02-2010, 26.02.2010