Verkehr ohne Reue
EPA Mit dem Hybridauto begann das Umdenken. Heute sind neue, sinnvolle Systeme gefragt, um Fortbewegung ressourcenschonender und zugleich effizienter zu bewerkstelligen. Denn sparsame Autos alleine sind zu wenig.
Man schrieb das Jahr 2000, als Toyota Flugzeugladungen von europäischen Journalisten nach Brüssel einlud, um dort ein für unsere Begriffe damals völlig neuartiges Auto vorzustellen: den Toyota Prius, das erste serienreife Fahrzeug mit Hybridantrieb, das heißt einer Kombination aus Otto- und Elektromotor und einem komplexen Motor-Management, das das Umschalten zwischen diesen Antriebsarten zum Zwecke der Benzinersparnis ermöglicht.
Damals war die erste Reaktion der Presse ein ungläubiges Schmunzeln über so viel Öko-Hightech-Getue. PS-verwöhnte Motorjournalisten gaben dem Prius keine großen Marktchancen in Europa, ließ er doch alles vermissen, was ein schnittiges Auto ausmacht. Das Design sei langweilig, der Wagen wirke extrem verbaut, der Motor sei schwach und fad und der Elektroantrieb verkörpere reine Gewissens-entlastung für Grünbewegte, hieß es bei den nachfolgenden Diskussionen.
Was keiner der vorgeblichen Auto-Insider aber ahnte, war, dass man hier einem nachgerade historischen Ereignis beiwohnte. Der Toyota Prius läutete ein neues Zeitalter des umweltbewussten Fahrzeugbaus ein. In den darauffolgenden Jahren, als die Benzinpreise in ungeahnte Höhen schnellten, die Welt sich Gedanken über eine nahende Klimakatastrophe zu machen begann, Kyoto-Ziele formuliert wurden und die Mode-Ära der großen Sport Utility Vehicles zu Ende ging, war der Prius plötzlich sehr, sehr ernst zu nehmen.
Hämische Kommentare der deutschen Autoindustrie gegenüber dem neuartigen japanischen Hybridantrieb verstummten. Plötzlich fingen die Ingenieure bei Mercedes, BMW, VW und Opel an nachzudenken. Plötzlich war ein um 30 Prozent geringerer Benzinverbrauch als zugkräftiges Verkaufsargument auch Marketing-Strategen klar.
Das, was deutsche Hersteller beim Hybridantrieb verschlafen hatten, versuchten sie nun mit sparsamen Hightech-Dieseln nachzuholen. Es dämmerte vielen, dass die belächelte Prius-Premiere in Brüssel einen Wendepunkt dargestellt hatte.
Verkaufsschlager
Mit Ende April 2008 konnte Toyota eine Mio. verkaufter Prius für sich verbuchen. Seit der Markteinführung, die in Japan bereits 1997 erfolgte, seien somit rund 4,5 Mio. Tonnen CO2 weniger emittiert worden, erklärte der Hersteller. In Europa wurden seit dem Jahr 2000 rund 100.000 Prius verkauft, der Löwenanteil davon in den letzten zwölf Monaten.
Toyota-Österreich-Sprecher Walter Wendt verweist auf einen zügigen Ausbau der Hybrid-Palette bei den Konzernmodellen, vor allem bei Lexus. Dort sind bereits drei Fahrzeuge (GS450h, RX400h und LS 600h) mit Hybridantrieb ausgestattet.
Ansonsten kann man derzeit in Österreich noch einen Honda Civic Hybrid bekommen, dann ist mit der Auswahl aber Schluss. Bis Volkswagen wie angekündigt mit Hybridmodellen auf den Markt kommt, wird es noch bis 2010 dauern. Der Golf-Diesel-Hybrid wurde allerdings schon heuer beim Genfer Automobilsalon präsentiert – als „Prius-Killer“ natürlich.
Wettbewerb zwischen „sauberen Autos“ hilft Probleme anzugehen, denen sich die Menschheit hinsichtlich der Mobilität der Zukunft gegenübersieht. Da bislang alle Initiativen, die Mobilität der Bevölkerung völlig vom Auto zu entkoppeln, zum Scheitern verurteilt waren, kann sich die Industrie nur bemühen, der Zunahme des Individualverkehrs mit umweltfreundlicheren Autos zu begegnen.
Zur Zukunft der Mobilität gibt es indessen ganze Bibliotheken an Studien. Der gemeinsame Nenner der meisten dieser Untersuchungen lautet, dass eine weitere Zunahme des motorisierten Individualverkehrs unvermeidbar ist, jedoch dürfte sich dieser zumindest in jenen Städten und Ballungsräumen der Industrieländer reduzieren, die in der Lage sind, neue „Mobilitätsnetzwerke“ anzubieten, die die Abhängigkeit vom Auto verringern. Dazu gehört laut dem Münchner Verkehrs-experten Frederic Vester, einem der führenden Vordenker im Hinblick auf dieses Thema, ein „Mobilitätsmix“ von verschiedenen Fortbewegungsmitteln, die das Auto miteinschließen können, wenn es nur genügend Schnittstellen zu Netzwerken öffentlicher Verkehrsmittel oder Angeboten wie Öko-Leihauto-Systemen, Fahrgemeinschaften, Autoreisezügen und dergleichen gäbe. Diese Logistik sollte vor allem dem Ziel der Ressourcenschonung folgen. Das althergebrachte Argument, individuelle Mobilität sei gleichzusetzen mit Fortschritt, gelte in der modernen Welt nicht mehr, so Vester.
Genau diese Ideen sind es auch, die die EU in ihrem Grünbuch zur städtischen Mobilität thematisiert. Für mehr Ökologie, weniger Staus, mehr Effizienz im Ballungsraumverkehr gebe es zwar „kein Patentrezept“, heißt es dort. Doch müsse sich eine jede Stadtverwaltung überlegen, wie sie sich den künftigen Herausforderungen der Mobilität stellt.
Lösungsansätze sind neben den Dauerbrennern – besserer öffentlicher Verkehr, Park-and-Ride-Anlagen, Car-Sharing und Car-Pooling vor allem auch radikale Maßnahmen wie die Einführung einer City-Maut oder schmerzhafte Steuern für großvolumige, benzinfressende Fahrzeuge. Man ist sich aber einig, dass es vor allem auf die Verkehrsschnittstellen ankommt, also den Anreiz für den individuellen Autofahrer, von seinem Auto auf öffentliche Nahverkehrssysteme umzusteigen, je dichter er in Ballungsräume kommt.
Teilkomponenten für eine solche Lösung liegen im Verkehrsmanagement selbst, in der Nutzung von Telematik, intelligenten Gebührensystemen und einer effizienten Auslastung der Infrastruktur. Benzinsparende Fahrzeuge wären ein Teil dieser Lösung und würden das Gesamtbild eines ökologischen Mobilitätssystems abrunden, meint die EU.
Kultur der Mobilität
Nicht zuletzt sei es wichtig, eine neue „Kultur der Mobilität“ zu schaffen, also die Akzeptanz alternativer Mobilitätslösungen in der Bevölkerung an sich zu steigern. Wie schwer dieses Umdenken allerdings zu bewerkstelligen ist, zeigt sich vor allem am Scheitern der europäischen Grün-Parteien an diesem Problem.
Laut Reinhard Rack, österreichischer EU-Abgeordneter und Berichterstatter zum Grünbuch zur städtischen Mobilität, befinden sich die Städte „in einer sehr schwierigen Situa-tion“, diese Herausforderungen zu meistern. Einerseits seien die Behörden gezwungen, die Überlastung der Verkehrswege durch ständigen Bau neuer Infrastruktur zu lindern, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu sichern; andererseits werde aber von vielen Bürgern eine Ökologisierung der Verkehrslösungen erwartet, die einen weiteren Verbau der Lebensumwelt mit Straßen und Verkehrswegen ausschließt.
Die EU, so Rack, könne in diesem Zusammenhang nur anregend wirken, da die Zuständigkeit für Verkehrsinfrastruktur und Mobilität bei den Staaten beziehungsweise deren Kommunen selbst liege. Man müsse allerdings davon wegkommen, sich überwiegend auf den Personenverkehr und auf Privatautos zu konzentrieren, da ein Großteil der Verkehrsprobleme auch vom Güter- und Lastentransportverkehr mitverur-sacht wird. Für den städtischen Bereich böten sich hier ebenfalls verbesserte Schnittstellenlösungen und neuartige Ideen an: etwa die in Wien bereits angedachte Lösung einer Lastenstraßenbahn, die die Zustellung von Gütern in der Stadt übernehmen und damit den innerstädtischen Lkw-Verkehr eindämmen könnte. Auch die in Wien genutzten Erdgasbusse kämen für solche Anwendungen in Frage. Laut Rack haben sich die Kommunen ebenso wenig wie die EU-Kommission ausreichend mit den Problemen des Frachtverkehrs auseinandergesetzt.
Mächtige Lobbys
Man darf natürlich nicht vergessen, dass sich die Politik dabei im Würgegriff der Lobbys befindet, sei es jene der gro-ßen europäischen Autohersteller oder jene der großen Frächter.
Michael Cramer und Eva Lichtenberger, verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kritisieren, dass die EU eine wichtige Chance verpasst, einen konkreten und hilfreichen Rahmen für Ballungsräume zu schaffen. „Im Kontext des Klimawandels spielen die Städte eine zentrale Rolle“, betonen die beiden Grünen. Der Verkehr sei dort für rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen und 70 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich. Es werde der EU nicht gelingen, die eigenen Klimaschutzziele zu erreichen, wenn Verkehr nicht verringert und vom Auto auf Bahn, Bus, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen umgestiegen werde.
Bisher werden 60 Prozent der EU-Gelder im Verkehrsbereich für Straßenprojekte eingesetzt, nur 20 Prozent gehen in den öffentlichen Nahverkehr und die Schiene, argumentieren Cramer und Lichtenberger. Wichtig wäre es, Gelder aus Brüssel verbindlich nur dann zu gewähren, wenn Städte einen nachhaltigen Mobilitätsplan vorlegen können.
Man sieht also, dass es alleine mit der Verbreitung von Hybridautos, Ethanol- oder Bio-gas-Kraftstoff oder in Zukunft vielleicht von Wasserstoff-autos nicht getan ist. Verkehr in Ballungsräumen ist darüber hinaus auch ein soziologisches Problem und nicht nur eines, dem man ausschließlich mit Grün-Konzepten begegnen sollte. Für viele Erwerbstätige ist die Nutzung eines Autos essenziell und ihr Mobilitätsverhalten den Lebensbedingungen angepasst. Für zahlreiche dieser Menschen hat ein ökologisches Auto nicht unmittelbare Priorität, oder sie werden kaum einen Teil ihrer Lebenszeit der längeren Transportdauer in öffentlichen Verkehrsmitteln opfern wollen – der Umwelt zuliebe.
Andererseits könnte die Politik deutlicher mit Lenkungseffekten eingreifen, wenn sie nicht so sehr auf ihr Wählerpotenzial Rücksicht nehmen müsste. So ist es kein großes Geheimnis, dass der gut verdienende Mittelstand, der in Wien arbeitet, aber in den sogenannten „Speckgürteln“ rund um die Stadt schmucke Eigenheime besitzt, ein wesentlicher Nutznießer der Pendlerpauschale ist – was die Verwendung eines Autos umso mehr fördert. Diesen Leuten könnte man die Nutzung eines Öko-Autos schmackhaft machen, indem man die Pendlerzuschläge damit verknüpft.
Einige Fantasie hinsichtlich Steuererleichterungen und/oder Förderungen für Alternativ-antriebe wäre also durchaus angebracht.
Economy Ausgabe 66-11-2008, 01.11.2008