Immer auf der Jagd
epa Wo kein Bedürfnis ist, wird eines geschaffen. Das erkannten bereits die Konsumkritiker der 1970er Jahre. Heute werden in Bereichen, in denen die Gesellschaft Leere oder Langeweile verspürt, Trends gesetzt.
In einer Zeit der weltweiten Wirtschaftskrise, in der auch stockkonservative Ökonomen mal schnell bei Karl Marx nachsehen, was denn im kapitalistischen Systemgefüge falsch gelaufen sein könnte, wird es erlaubt sein, „Boring Old Farts“ der antikapitalistischen Kritik der Warenwelt aus den 1970er Jahren wieder erschallen zu lassen: Von Pier Paolo Pasolini, der Konsumismus und Trendsucht als „Zerstörung der Kultur des Einzelnen“ betrachtet hat, über Erich Fromm, dessen Schrift Haben oder Sein mit ihrem humanistischen Zugang zum Massenkonsum man zumindest gelesen haben sollte, bis hin zu Guy Debords Gesellschaft des Spektakels gibt es eine Fülle an widersprüchlich-kritischer Literatur gegenüber der mode-, trend- und konsumgelenkten Gesellschaft unserer Tage, die momentan zu einer Phase der Reflexion gezwungen wird, solange die Kreditmärkte trocken liegen.
Was das mit Trendscouting und Coolhunting zu tun hat? Viel. Denn beide dieser Techniken sind dazu da, die Warenwirtschaft am Laufen zu halten. Sie sind einerseits unabdingbare Mechanismen einer kapitalistischen Kultur, andererseits aber existieren sie auch um ihrer selbst willen. Eine konsumistische Gesellschaft, die Leere und Langeweile erzeugt, wenn sie nicht immer neue Konsumanreize bietet, muss scheitern. Daher wird – vereinfacht ausgedrückt – „Leere“ mit Trends gefüllt.
Trendscouting ist eine der Methoden dafür. In Wirklichkeit ist es ein mehr oder weniger hoch entwickeltes Marketing-Instrument, das allerdings auf der simplen Warenwelt-Dualität von „in“ und „out“ aufbaut. Trendscouts zerbrechen sich also die Köpfe darüber, was morgen das Konsumbedürfnis der Menschen bestimmen könnte, seien es Technologien, Modeartikel, Unterhaltungsmedien, Sportarten, Musik und so fort.
Was macht ein Trendscout? Die romantische Vorstellung eines Disco-, Vernissagen-, Modenschau- und Event-Besuchers trifft allerdings nur teilweise auf diese Berufsbezeichnung zu. Trendscouts informieren sich in aller Regeln über neue Trends aus Medien – vor allem Fachzeitschriften –, Werbekampagnen, im Internet über neue Lebensgewohnheiten, neue Technologien und Erfindungen sowie in Blogs, auf Technikportalen und über Newsletter. Letzten Endes sind auch erfolgreiche Guerilla-Marketing-Aktionen eine Quelle für mögliche neue Trends, wie Felix Holzapfel, Chef der deutschen Agentur Concept Bakery in Köln, feststellt.
Wissensvorsprung zählt
Auf der Basis dieser Informationen versuchen Trendscouts eine Art „Wissensvorsprung“ gegenüber der Konkurrenz herauszuarbeiten, mit dem es ihnen möglich wird, neue Trends zu setzen, bevor andere auf die Idee kommen. Laut Holzapfel geht es vor allem darum, „hochwertige Informationen“ für zukünftige Verbrauchergewohnheiten aus all dem Info-Wust herauszufiltern, was nicht immer einfach sei. Daher gebe es an verschiedenen Werbeakademien im deutschen Sprachraum auch bereits eigene Schulungen und Ausbildungskurse für Trendscouts.
Wirtschaftsbereiche, die auf die Dienste von Trendscouts setzen, kommen nicht nur aus dem einschlägigen Bereich der Mode, Kosmetik, Wellness und Unterhaltungselektronik, sondern auch aus der Telekommunikation, aus Innenarchitektur und Messebau, Hotellerie, Wellness und Touristik.
Einer der Konzerne, dessen Sortiment fast ausschließlich auf dem Konzept von gesetzten Trends aufbaut, ist etwa die schwedische Textilkette H&M. Sie beschäftigt mehr als 100 Trendscouts, die rund um die Welt reisen und die H&M-Designer mit neuen Ideen versorgen, die sie irgendwo zwischen Hongkong und Los Angeles auf Messen, Modeschauen, Partys oder in In-Discos aufgeschnappt haben. Dann muss meistens alles recht schnell gehen: In Zusammenarbeit mit Einkäufern und Sortimentplanern wird aus dem aufgespürten Trend im Idealfall eine neue Modelinie, noch bevor die anderen auf die Idee kommen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo Zeitgeist-Blättchen etwa die Modefarbe Gelb zum neuen Trend der Sommersaison ausrufen, solange, bis es die Kunden ausreichend ver-innerlicht haben.
„Ein Trend“, meint Holzapfel kurz und bündig, „ist eine Gegenbewegung zu dem, was es bereits gibt.“ Etwas komplexer definiert es Matthias Horx, Österreichs Paradetrend- und Zukunftsforscher: Trend-erkennung sei, so Horx, eine Metawissenschaft, die sich aus einer Reihe von Komponenten zusammensetze.
Und so zählt Horx auf: Zur Trenderkennung, die nichts anderes sei als eine „Zukunftswissenschaft“, müsse man Systemtheorie, Spieltheorie, Kognitionswissenschaften, Anthropologie und Kultur-anthropologie, Soziologie, Semiotik und Memetik sowie Probabilistik (Wahrscheinlichkeitsrechnung) zurate ziehen. Horx: „Schließlich geht es darum, nicht das Wesen, sondern das Werden zu ergründen.“
Doch müsse auf die Trendforschung alleine nicht das gesamte horxsche Wissenschafts-arsenal angewandt werden. In der Trendforschung gehe es primär „um das Identifizieren und Dokumentieren von Wandlungskräften in den einzelnen Bereichen der Ökonomie, Kultur, Konsum, Technik und so weiter“, sagt Horx.
Dieser Ansatz könne bis in sehr kleine Branchen oder Sektoren hinein verfolgt werden, etwa in Mode- oder Stiltrends. In der Zukunftsforschung gehe es hingegen um die mittel- und langfristigen Auswirkungen dieser Kräfte in einem größeren, ganzheitlichen Rahmen. Trendforschung neige eher zum „Partikularen“, während Zukunftsforschung immer eine Tendenz zum Interdisziplinären aufweise, klärt Horx auf.
Kulturindustrie
Den Trendscouts von H&M und vielen anderen Unternehmen wird’s egal sein. Viele Trends werden auch von der Kulturindustrie vorbereitet, etwa von Hollywood, wobei hier beginnend von plumpem Product Placement bis hin zu besser verschleierten Methoden alle Register gezogen werden. Auf die solcherart vorbereiteten Trendströmungen müssen die Scouts und ihre Warenindustrie nur mehr aufspringen.
Ein beliebter Ansatzpunkt von Trendplatzierung ist auch das sogenannte Celebrity Placement. Die Ausstattung von A- und B-Berühmtheiten mit Trendartikeln jeder Art gehört sogar zum stärksten Arsenal der Trendmacher, da dies meistens unter Einbindung anderer Reklamewege wie willigen Massenmedien und klassischer Werbung vertieft wird.
So ist die allseits beliebte „Homestory“ ein wichtiges Instrument zur Trendsetzung, da sie einen hohen Glaubwürdigkeitsgrad besitzt – der Star wird im privaten Umfeld, also vermeintlich unbeleckt von kommerziellen Aktivitäten – vorgestellt; kaum trägt er eine wagemutig geschnittene Wrangler-Jeans oder sitzt in einem pinken Designersessel, ist der Trend auch schon gesetzt. Dasselbe trifft auch auf die vielfach – meist aber nicht ernsthaft – verdammten Paparazzi-Fotos zu. Diese spielen ebenfalls ihre Rolle im Bereich des Trend-scoutings.
Den Trendscouts die Latte besonders hoch gelegt hat der Zukunftsforscher John Naisbitt, der den Begriff des „Megatrends“ geprägt hat. Dabei handelt es sich um besonders tief greifende und nachhaltige Trends, die bereits dem rein kommerziellen Beziehungsumfeld entwachsen sind, etwa die Trends der „neuen Bürgerlichkeit“, des Cocoonings, der Metrosexualität, der Wellness und einige andere.
Derartige Megatrends sind natürlich eine Fundgrube für Trendscouts, da sich aus ihnen eine ganze Reihe neuer Konsumentenbedürfnisse ableiten oder konstruieren lässt, angefangen von sogenannten Trendlebensmitteln über neue Sportgeräte (etwa Powerwalking-Sticks) bis hin zu neuen Dienstleistungen für verein-samte Großstadt-Singles.
Damit trifft sich die Trendforschung mit einem ihrer größten Kritiker, dem Soziologen Holger Rust, der für alle diese Vorausblicke auf kommende Trends nur Verachtung übrig hat und Trendforscher für „Scharlatane der Moderne“ hält. Rusts Diagnose: „Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit und des schnellen Wandels, und da suchen die Menschen nach Orientierungspunkten.“ Auf dieser „Welle“ würden die Trendforscher surfen, ob sie nun Horx oder Naisbitt, Faith Popcorn oder Suzi Chauvel heißen – oder einfach nur „harmlose“ Trend-scouts sind.
Trendforscher, so Rust, lesen so wie andere Menschen auch Bücher und Zeitungen und betrachten die Welt. Im Gegensatz zum Normalverbraucher kreieren sie aber für das, was sie gefunden haben, ein neues Wort, „und fertig ist der Trend“, kritisiert Rust.
Heiße Luft aus der Werbung
„Da wird einfach nur viel heiße Luft in die Atmosphäre geblasen, während empirisch hart arbeitende Soziologen und Psychologen, Unternehmer, Marktforscher und Unternehmensberatungen Monate und Jahre brauchen, bis sie zu einem abgesicherten Befund zur Entwicklung eines Produktes, eines Teilmarktes oder einer gesellschaftlichen Entwicklung kommen“, sagt Rust.
Ein Indiz dafür, dass hinter der Trendforschung keine ernst zu nehmende Zukunftsforschung liegt, sieht Rust in der Tatsache, dass nahezu alle Trendforscher aus der Werbung oder aus der Consulting-Branche kommen, wie etwa „der erfolglose Unternehmensberater John Naisbitt“, welcher mit seinem „Megaoptimismus“ und seiner „quasireligiösen Verkündigungssprache“ der Trendforschung erst einen Markt geschaffen habe.
Sosehr man die Schaffung und das Setzen von Meta- und Megatrends aus aufklärerischer Sicht kritisieren und ablehnen kann, so wenig wird daran zu zweifeln sein, welchen Wirtschaftsmotor die Mechanismen des Trendscoutings und verwandter Methoden bieten.
Eine dieser Sub-Methoden ist zum Beispiel das „Coolhunting“, eine Methode, die das Trend-scouting in die Jugendkultur verlegt hat. Rund um Coolhunting gibt es bereits eine Reihe von spezialisierten Agenturen, die mittels ihrer Scouts entsprechende Entwicklungen in Jugendkulturen möglichst früh ausfindig machen, indem die aktuelle Jugendkultur laufend beobachtet und interviewt wird.
Sobald die Coolhunter interessante Sachverhalte identifiziert haben, werden sie weiteranalysiert und in Szenarien und Reporten verarbeitet. Diese Trend-Reporte werden dann der Industrie für gutes Geld ver-kauft. Unternehmen, die Trend-Reporte kaufen, versprechen sich davon eine Ergänzung zu ihrer Trendsetzungsstrategie und Inputs für neue Produktentwicklungen. Tatsächlich handelt es sich um eine Sonderform angewandter Marktforschung, die auch von technischen Hilfsmitteln im Internet (Cookies, Data Mining oder Ähnliches) unterstützt werden kann.
Einer der Theoretiker des Coolhuntings ist der MIT-Professor Peter A. Gloor, mit dem allerdings Holger Rust auch seine Freude haben würde. Gloor sieht die Grundlagen von Coolhunting „in der Weisheit der Menge“, in der „Schwarmkreativität“ und der „Expertise von Bloggern“. In diesen Nischen der Jugend- und Informationskultur entstehen laut Gloor die neuen coolen Trends, nach denen die Wirtschaft so lechzt und dürstet. Gloors weitere Thesen: Die „neue Art der Intelligenz“ sei es, die Trends schaffe, nämlich die „kollektive Intelligenz“. Die sehe er eben im „Schwarm“ (womit wahrscheinlich Peergroups im World Wide Web gemeint sind), und dort hat Gloor eine Art Intelligenzhierarchie ausgemacht, eine „Meritokratie“ (eine Gemeinschaft, in der die Intelligenten und Fleißigen das Sagen haben) oder gar ein kollaboratives Innovationsnetzwerk in sich. Die moderne Formel für die Erkennung von Trends und Erfolg im Business sei laut Gloor, dass man selbst in diesen „Schwarm“ eintauche und seine Marke „mit Altruismus“ verkaufe.
Findige Netzwerker
Solche „Intelligenz- und Trend-Cluster“ seien auch im Management und in der Unternehmensführung anwendbar, stellt Gloor in seinem Buch Swarm Creativity fest.
Martin Bredl, Kommunikationschef von Telekom Austria, ist voll des Lobes über Peter A. Gloor und fasst dessen Botschaft in die plakative Aussage zusammen: „Seid keine Sterne, seid Galaxien.“ In derartigen Netzwerkstrukturen, unterstützt von Blogs, würden Start-ups weitaus umfangreichere Möglichkeiten haben. Und letztlich auch Trenderkenner.
Interessant ist es, dass es neben allen Trendscouts und Trendforschern keine Flop-scouts gibt. Denn unter den vielen Trends, die in den letzten Jahren in Wirtschaft und Gesellschaft das Licht der Welt erblickt haben, sind auch einige massive Flops darunter. So zum Beispiel der Newton von Apple, der Tablet-PC von Microsoft oder „geniale“ Erfindungen wie die rauchfreie Zigarette, Harley-Davidson-Parfum, Bic-Unterwäsche, Virgin Cola, Planet Hollywood, Cosmopolitan--Joghurt und vieles mehr.
Economy Ausgabe 67-12-2008, 01.12.2008