Markt mit Mehrwert
Schnell noch zum Billa. Mozzarella,
Bio-Eier, Bio-Butter, Katzenfutter.
Rispentomaten um
2,90 Euro. Die sind sicher teurer
als auf dem Markt, aber extra
dorthin gehen ...
An der Kassa fällt mir ein,
was mir noch fehlt: Basilikum.
Also nun doch die paar Schritte
zum Karmelitermarkt. Die Tomaten
verstecke ich in meiner
Tasche, damit mein Lieblingsmarktstandler
nicht sieht, dass
ich fremdgegangen bin. „Wie
geht’s?“, fragt er. „Das Leben
ist hart“, sage ich. Er nickt. Seine
Rispentomaten kosten 1,80
Euro. Ich schnappe mir eine
Erdbeere, er deutet auf eine andere
Steige. „Die sind besser.“
Ich werde Obst und Gemüse
wieder öfter auf dem Markt
kaufen – schwöre ich in diesem
Moment still, hoch und heilig!
Am Samstag packe ich die
gesammelten Eierkartons und
gehe zum Bio-Laden. „Wie
geht’s?“, frage ich die Besitzerin.
„Ich sperre zu“, sagt sie.
„Nein! Warum?“ „Die Leute
wollen keine kleinen Läden wie
meinen“, sagt sie. „Den Großeinkauf
machen sie im Supermarkt.
Bei mir kaufen sie, was
sie woanders vergessen haben.“
Ich reiche ihr einen Billa-Eierkarton
und verlange nach sechs
Eiern. Sie lächelt säuerlich. „Ich
kauf dort ein, weil es Katzenfutter
gibt“, stottere ich.
Wir lieben pittoreske Märkte.
Die Gäste aus Amerika führen
wir stolz auf den Naschmarkt in
Wien. So etwas haben die dort
ja nicht. Aber den täglichen
Einkauf machen wir im Supermarkt.
Ist ja so praktisch, dort
gibt es alles, von der Ananas bis
zum Waschpulver.
Bei meinem Marktstandler
bekomme ich Boskop-Äpfel. Die
führt kein Supermarkt. Zehn
Apfelsorten bietet er an, frische
Sojasprossen und viele Kräuter.
Dafür steht er jede Nacht um
halb drei auf, fährt zum Großmarkt
nach Inzersdorf, kauft
ein und wartet dann von morgens
bis abends auf die Kunden.
Doch die kaufen lieber im
Supermarkt. „Weil die Kartoffeln
beim Zielpunkt oder Penny
billiger sind“, sagt er.
Der hohe Preis
Vielleicht sperrt er bald zu
und wird wieder Lagerarbeiter.
Dann habe ich eben kein frisches
Basilikum und fi nde nirgendwo
Eiertomaten, und die
köstlichen violetten Kartoffeln
kann ich mir selber im Balkonkisterl
anbauen.
Wir werden einen hohen Preis
zahlen, wenn wir von superbilligen
Sonderangeboten leben.
Den Preis der Einförmigkeit.
„Beim Merkur fi nde ich alles“,
entgegnet meine Freundin.
„Fünf Ziegenkäsesorten
und sogar frische Bio-Shiitakepilze.“
Stimmt. Aber nicht die
Mohnzelte von der Waldviertler
Bäuerin, die es im kleinen Bio-
Laden um die Ecke gibt. Dafür
gibt es einen einfachen, nämlich
monetären Grund: Die Bäuerin
kann sich die Listing-Gebühren
nicht leisten, die die Handelsketten
für das Privileg kassieren,
bei ihnen Waren feilbieten
zu dürfen. Und ohnehin könnte
die Bäuerin nicht Mohnzelte in
Massen backen, denn dann wäre
sie eine Backfabrik.
Wenn wir Vielfalt wollen,
müssen wir Vielfalt leben. Das
bedeutet, den Umweg zum Obstund
Gemüsemarkt auf uns zu
nehmen und dort unseren Bedarf
an Vitaminen zu decken
– auch wenn wir für den Abfl
ussreiniger und das Sonnenschutzmittel
woanders hingehen
müssen. Dafür gibt es auf
den meisten Märkten mehr Auswahl
an Salaten und jedem anderen
Gemüse als in den meisten
Supermärkten, und von den
drei Kirschensorten dürfen wir
jede kosten, bevor wir kaufen.
Und: Wir könnten die drei Wörter
Kroatisch praktizieren, die
wir aus dem letzten Urlaub noch
beherrschen, oder fünf Wörter
Türkisch lernen. Ganz kostenlos.
Wir könnten ein kleines
Gefühl von Gemeinschaft aufbauen,
selbst wenn sie eine romantische
Illusion ist. Und ich
kann es meinem Marktstandler
sagen, wenn ich mein Leben gerade
als mühselig empfi nde, denn
er versteht mich. Garantiert.
- Ausgewählte Berichte und Kommentare aus den Schwerpunkt-Ausgaben bereits erschienener economy Printausgaben.
Economy Ausgabe 999999, 20.01.2012