Schmerzgrenzen des Wissens
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Wie banal muss Information sein, damit die „nutzlos“ wird?
Wissen ist Macht, natürlich. Bildung nützt dem Individuum, ist der Karriere hilfreich, erklärt die Welt besser. Wissen macht gelassen, Bildung macht interessant. Doch wo zieht man die Grenze zwischen nützlicher Bildung und nutzlosem Wissen? Wer im Geschichtsunterricht mit den Detaildaten aus dem Leben von mittelalterlichen Herrscherhäusern und Adelsstamm-bäumen gequält wurde, fragt sich heute vielleicht, wozu das gut gewesen sein sollte – zu wissen, dass der Franzosenkönig Philipp der Schöne Sohn von Philipp dem Kühnen war und sein Sohn Ludwig der Zänker, hieß. So what? Cui bono? Während solches Wissen beziehungsweise seine Vermittlung einem erstarrten Schulsystem mit schwer überholungsbedürftigen pädagogischen Inhalten anzulasten ist, bringt uns die schöne neue Medienwelt das nutzlose Wissen frei Haus, und das in komprimierter Form. Das Auswendigkönnen von Michael-Jackson-Songtiteln zählt dabei genauso zum Gehirnmüll wie die Rangliste der einzelnen Staffeln von „Dancing Stars“ im ORF. Eine Fundgrube für nutz-loses Wissen ist in vielerlei Hinsicht der Sport. Hier hat es Formel-1-Historiker Heinz Prüller bekanntlich zu großer Meisterschaft gebracht. Er hat rund 70 Bücher mit Informationen vollgeschrieben, die manche Menschen für absolut entbehrlich halten, für Banalitäten aus der banalen Welt des Sports. Nutzlos oder doch Macht. Von welchem Nutzen ist es, zu wissen, welche die zehn schwierigsten Kurven im Rennsport sind, welche die ersten Worte Michael Schumachers nach sei-nem Unfall von Silverstone waren, dass Felipe Massa seinen ersten Heim-Grand-Prix in Interlagos als erster Engländer seit 1996, als McLaren-Pilot seit 1999, als Jüngster der Geschichte gewann? Man kann aus philosophischer Sicht natürlich sagen: Kein Wissen ist wirklich nutzlos. Die Philosophen und Denker meinen zwar selbstironisch, die Philosophie sei die Verkörperung des Nutzlosen, aber nur gemessen an ihrer Ökonomisierbarkeit. Schließlich sei es legitim, mit Immanuel Kant zu fragen: „Was kann ich wissen?“ Und Martin Heidegger schrieb: „Was Nutzloses ist, kann doch und erst recht eine Macht sein; was den unmittelbaren Wiederklang in der Alltäglichkeit nicht kennt, kann mit dem eigentlichen Geschehen der Geschichte eines Volkes im innigsten Einklang stehen.“ Da haben wir’s: Möglicher-weise haben Heinz Prüllers ge-sammelte Banalitäten vielleicht doch einen Einfluss auf den Lauf der Dinge. Auch die Nieten der „Titanic“ sind ja nicht ganz ohne Bedeutung gewesen.
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