"Wir erleben hier die Zukunft.“
Überflüssige Furze, kreative Schüler und die Notwendigkeit über den Tischrand hinaus zu denken.
economy: 15 Jahre Cyberschool und nun talents austria. Von den Anfängen des Internet bis heute sind eine lange Zeit. Welche Entwicklungen sind erwähnenswert?
Christian Czaak: Anfangs stand bei den SchülerInnen eher das spielerische Experimentieren mit Technologie im Vordergrund. Mit der Zeit rückte dann der praktische Nutzen und der Anwender in den Mittelpunkt. Und in den letzten Jahren gab es dann immer mehr Projekte mit einem sozialen oder ökologischen Engagement. Bemerkenswert ist auch die Entwicklung bei den Geschlechtern. Früher waren ausschließlich Burschen für die technische Umsetzung zuständig und Mädchen für die Projektdokumentation, das Projektmanagement oder die Präsentation. Mit der Schaffung einer gesonderten Prämierung für reine Mädchen-Projekte konnten wir dann doch Anreize schaffen, dass sich auch Mädchen mit Technologie beschäftigen und 2008 und 2009 gab es dann sogar die ersten Gesamtsiege von reinen Mädchenteams.
Allenorts heißt es, dass die Kids ohnehin schon mehr als gut tut vor diversen „Flimmerkisten“ verbringen. Welchen Sinn macht es da, dieses vorhandene „Überengage- ment“ mit einem Wettbewerb zusätzlich zu forcieren?
Wir forcieren nichts was nicht ohnehin schon da ist und diese Entwicklung ist auch nicht aufzuhalten. Persönlich halte ich es für wichtig, den Konsum in sinn- und vor allem zeitlich massvolle Bahnen zu lenken und daneben auch Bewusstsein für eine flimmerkistenlose Welt zu schaffen. Beim Bewerb gibt es entsprechend zwei wichtige Bahnen: wirtschafts- und arbeitsmarktorientiert. Die eingereichten Pro jekte sollten alle einen praktischen Bezug haben, eine sinnvolle und nutzenorientierte Anwendung, viele davon entstehen mittlerweile auch in direkter Zusammenarbeit mit Firmen oder werden von diesen beauftragt.
Wie ist der Status Quo der Internet-Kompetenz von Jugendlichen zu beurteilen?
Technologisches Kompetenz und Potential sind unglaublich. Wir erleben hier die Zukunft. Man braucht sich nur den letztjährigen Sieger in der Kategorie Technics anschauen. Ein überaus begabter Schüler einer AHS, der aus eigenem Bedarf initiativ wurde und ein überaus komplexes Projekt im Alleingang umgesetzt hat.
Warum sollten sich Menschen, die alle Hände mit den Herausforderungen des Schulalltags zu tun haben, sich auch noch mit dem WWW beschäftigen? ... zumal kritische Stimmen meinen, dass das virtuelle „Leben“ ohnehin grad Oberwasser hat?
Das eine schließt doch bitte das andere nicht aus. Das www kann die Herausforderungen des Schulalltags immens erleichtern und tut es auch. Nicht zu vergessen, dass gerade hier auch eine große Chance für bis dato, zum Beispiel aus geografischen oder sozialen Gründen bedingt, bildungsferne Schichten liegt. Aber noch einmal, auch als Vater zweier kleiner Kinder: es muss auch ein Leben abseits der virtuellen, oft künstlichen surrealen Welten geben. Das ist eine große erzieherische Herausforderung, auch zur Schaffung von sozialer Kompetenz bei jungen Menschen..
Die industrielle Revolution hat als negative Begleiterscheinung die Austauschbarkeit der Arbeitskraft mit sich gebracht - bis hin zum restlosen Ersatz selbiger. Schaufeln sich Jugendliche mit ihren Bestrebungen nach einer sinnvollen Nutzung der Neuen Medien nicht möglicherweise ihr eigenes Grab?
Kompetenz im Bereich der Neuen Medien ist im beruflichen Alltag mittlerweile notwendig. Das ist so. Punkt. Ebenso nötig sind aber auch Kreativität, Engagement, über den Schreibtischrand hinaus denken, unternehmerischen Denken und selbständiges Handeln, soziale Kompetenz. Diese Faktoren sind nicht austauschbar und diese Faktoren sind immer noch wichtiger als eine Power-Point-Präsentation zu erstellen oder einen überflüssigen Furz zu twittern.
Immer mehr der eingereichten Projekte befassen sich mit konkreten, wirtschaftlich verwertbaren Innovationen. Das ist zwar an sich gut für die Volkswirtschaft, aber die Ereignisse der letzten Monate lehren uns, dass der virtuelle Kapitalmarkt ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat. Welche Relevanz haben da eigentlich noch derlei ambitionierte Versuche?
Ich denke, das muss man trennen. Die virtuellen Kapitalmarkt-Zocker haben absolut nichts mit realer Wirtschaft zu tun. Es stimmt aber, dass die Wirtschaft dabei in Mitleidenschaft gezogen wird. Es ist daher dringende Aufgabe der Politik dem endlich einen Riegel vorzuschieben. Das gilt im übrigen auch für den Einsatz von Hilfsgeldern und das Tragen der Krise. Zumindest ein Teil der enormen Gelder für die Banken wären aus volkswirtschaftlicher und standortpolitischer Sicht im Bereich Bildung und Forschung weitaus sinnvoller eingesetzt.
talents wird neben engagierten Veranstaltern vorwiegend von Medienpartnern und der öffentlichen Hand getragen. Gibt es denn keine Interessenten aus der Wirtschaft?
Das ist einer wunder Punkt. Wirtschaft, inklusive Industrie, spricht immer von der großen standortpolitischen Wertigkeit von Innovation und Technologie und dass man sich nicht früh genug damit auseinandersetzen kann. Leider sind das nur Lippenbekenntnisse. Wir versuchen natürlich Sponsoren aus der Wirtschaft zu bekommen, aber bei Schülern gibt es keinen schnellen Return of Investment und dem entsprechend keinen Budgeteinsatz. Das hat mir erst kürzlich ein Marketingmanager einer Bank gesagt. Dass hier noch ökonomische Markenbildung möglich ist und die Jugend generell bei vielen Kaufentscheiden mitspricht, dürfte sich bei den meisten Marketiers noch nicht herum gesprochen haben. Umso mehr ein großes Danke an unsere Medienpartner APA, FM4 und an das Wirtschafts- und Bildungsministerium.
Economy Ausgabe 99999, 08.12.2010