Ein etwas anderer Job: Politiker
Die Grünen Unterwegs mit einem Polit-Profi: „Als Politiker wird eine Person bezeichnet, die ein politisches Amt oder ein politisches Mandat, im Idealfall durch Volkswahl, innehat. Meist wird sie dabei von Parteien und Verbänden unterstützt“, so Wikipedia. Und wie sieht der Alltag eines Politikers aus?
Hamburg, 8 Uhr 30, wieder mal Regen. Zwischenstopp München. Es ist ziemlich windig. Weiterflug nach Rom. Die Sonne brennt.
Rüdiger Maresch (58) – seit 2001 Gemeinderat der Grünen in Wien mit den Schwerpunkten Verkehr, Umwelt, Stadtplanung – braucht kein Drei Wetter Taft. Seine Frisur hält. Sein Aktionsradius ist zwar bescheidener als jener der Dame in der 1980er-Jahre-Werbung, doch nichtsdestotrotz eilt, ja hetzt er nicht nur zu Wahlkampfzeiten von Termin zu Termin, von Veranstaltung zu Veranstaltung. Sein wöchentliches Arbeitspensum beträgt zwischen 60 und 70 Stunden, in Zeiten wie im aktuellen Wiener Wahlkampf kommen locker auch schon einmal bis zu 80 Stunden zusammen. Und dennoch schwärmt der karenzierte AHS-Lehrer voller Leidenschaft: „Politiker zu sein, ist ein total interessanter Job. Es gibt keinen Tag, der so ist wie der andere. Es gibt keinen Trott. Und genau das macht diesen Beruf so spannend und interessant.“
6 Uhr 30: Aufstehen, Morgentoilette, Frühstück. Dann der Blick durchs Fenster: Regen ist angesagt. Das bedeutet Regenschutz und Fahrradhose, denn ein Grüner Politiker lebt auch vorbildlich vor, für was er sich einsetzt. Vom 17. Bezirk hinunter ins Büro ins Rathaus sind es nur 10 Minuten. Kurz nach acht ruft Maresch seine E-Mails ab und beantwortet sie umgehend. Viel Zeit bleibt nicht, denn um 8 Uhr 30 beginnt die halbstündliche Klubsitzung, bei der sich die Abgeordneten für die anstehende Stadtratssitzung abstimmen, bei der er gleich zwei der sechs Anträge seiner Partei stellen wird. Bevor er sich in den „Ring“, den altehrwürdigen Plenarsaal des Wiener Rathauses wagt, das an diesem Tag ob der „Aktuellen Stunde“ über den vom Profil eruierten Filz sozialdemokratischer Firmengeflechte einem Tollhaus gleicht, trifft sich Maresch mit einem jahrzehntelangen Weggefährten zu einem halbstündigen Hintergrundgespräch: Wiens Bürgermeister Michael Häupl. Seit ihrer Studentenzeit verbindet sie eine enge persönliche Beziehung, wiewohl sie sich in verschiedenen politischen Lagern beheimatet sehen.
Beruf oder Berufung?
Nach einer hitzigen Debatte steht der öffentliche Nahverkehr als erster Tagesordnungspunkt (TOP) auf der Agenda. Mehr als nur ein Steckenpferd von Maresch: Hier macht er sich für das grüne Tarifmodell „1/10/100“ stark, das vorsieht, eine Tagesnetzkarte um einen Euro, eine Monatskarte um zehn Euro und eine Jahreskarte um 100 statt 449 Euro einzuführen, um die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs zu erhöhen. Dies sei durchaus finanzierbar, sagt er. Beispielsweise durch City-Maut Gebühren oder durch die Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung. Dass der Antrag (noch) keine Chance auf eine breite Zustimmung hat und bei der späteren Abstimmung auch abgelehnt werden wird, ist ihm klar. Aber sich dafür einzusetzen, damit könne man, so sein Credo, nicht früh genug beginnen. Politik sei eben ein Geschäft, bei dem man Ausdauer und Geduld brauche, und für jede Idee, für jede Vision komme ihre Zeit.
In einem zweiten Redebeitrag geht Maresch nicht auf Wunschdenken, sondern auf ein ganz konkretes Projekt ein: auf die geplante Durchgangsstraße im Gasometervorfeld. Mit Verve und guten Argumenten will Maresch seine Zuhörer von der Unsinnigkeit dieses Vorhabens überzeugen. Es gelingt ihm leider nicht. Die Bilanz der Sitzung sieht wie folgt aus: Über 19 Anträge wurde abgestimmt, sechs brachten die Grünen ein, vier stammten aus der Feder von Maresch. Zwei der sechs Beschlüsse der Grünen wurden beschlossen, der Rest abgelehnt.
Dennoch zeigt sich Maresch zufrieden und sinniert über den Wahlausgang am 10. Oktober. Sollten die Grünen Koalitionspartner der SPÖ werden, was „zu zwei Prozent“ wahrscheinlich sei, könnte er sich Avancen auf einen Stadtratsposten machen. Doch laufe es wohl auf eine Koalition von SPÖ und ÖVP hinaus. „Die ÖVP ist zahm und daher der bequemere Partner für die regierende SPÖ“, so Maresch. Vor allem von der SPÖ seien die Medien „angefüttert“, also mit Inseraten gut versorgt. Kritik wie jene im Profil sei daher gerade nicht an der Tagesordnung. Die Grünen indes treten traditionell basisnah im öffentlichen Raum an.
Wie Maresch, der bereits auf dem Sprung zum Standl am Elterleinplatz in Hernals ist. Dort werden den Bürgern verkehrs- und kulturpolitische Themen nahegebracht, mit vielen überzeugenden Argumenten und mehr als 99 Luftballons. Die Nähe zum Bürger sei das A und O. Nach diesem Termin geht es unmittelbar zu einem Empfang. „20 Jahre Ökologieinstitut“ gilt es zu feiern. Für einen Berufspolitiker der Grünen ein Pflichttermin, denn es gilt, einerseits Präsenz zu zeigen und andererseits „Vernetzungsarbeit“ zu leisten.
Maresch tut beides. Bis spät in den Abend.
Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010