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03. Juli 2024

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Arbeit im Privaten

Arbeit im Privatenprivat

Die Gesellschaften westlicher Industrienationen werden gern als Arbeitsgesellschaft bezeichnet. Mit Arbeit ist dabei ausschließlich die Erwerbsarbeit gemeint. Um aber die Funktionsweise einer Gesellschaft und ihrer Mitglieder aufrechtzuerhalten, werden viele weitere Tätigkeiten benötigt, die jedoch nicht in diesen Arbeitsbegriff einbezogen werden: die Betreuung und Versorgung von Kindern und Pflegebedürftigen, Hausarbeit, zivilgesellschaftliches Engagement und ehrenamtliche Arbeit. Diese gesellschaftlich notwendige Arbeit erfolgt zumeist im Privaten und unbezahlt. Dass diese Tätigkeiten meistens von Frauen verrichtet werden, ist wohl bekannt. Die ungleiche Partizipation von Frauen im Öffentlichen hängt damit eng zusammen.
Obgleich dieser Arbeit eine Wertschöpfung von etwa 60 Prozent des BIP zugerechnet werden kann, wird die unbezahlte Arbeit nicht anerkannt. Diese fehlende Anerkennung wirkt sich sogar auf jene bezahlten Tätigkeiten aus, die pflegende oder fürsorgende Aspekte im Zentrum stehen haben – so sind etwa AltenpflegerInnen sehr schlecht bezahlt.
Der Bedarf an sozialen Dienstleistungen nimmt aufgrund des sozialen und demographischen Wandels immer mehr zu, gerade auch wegen der veränderten Geschlechterverhältnisse. Doch eine Gesellschaft, die ihren Arbeitsbegriff auf den der produktiven Erwerbsarbeit reduziert, wird damit zusammenhängende Probleme nicht lösen und keine gerechte gesellschaftliche Partizipation von Menschen mit Fürsorgeaufgaben herstellen können. Dafür bedarf es eines anderen politischen Begriffs von Arbeit sowie der damit zusammenhängenden Dimensionen von Teilhabe, Leben und Anerkennung. Diese Erkenntnisse feministischer Wissenschaft wird die Politik verstärkt berücksichtigen müssen.
Sabine Beckmann ist Politikwissenschaftlerin an der Hochschule Bremen.

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Sabine Beckmann, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Minilabor aus der Chip-Forschung

Minilabor aus der Chip-ForschungPhotos.com

IBM forscht am energieeffizienten Supercomputer mit Heißwasserkühlung. Die dafür entwickelte Technologie findet in Zukunft auch in der Medizin Anwendung und wird unter anderem bei der Diagnose von Herzattacken helfen.

Ein Mann mittleren Alters kommt in die Ambulanz eines Krankenhauses. Er klagt über Schmerzen in der Herzgegend, und dem diensthabenden Arzt ist sofort klar, dass es sich um eine Herzattacke handelt. Blut wird abgenommen und auf schnellstem Weg ins Labor gebracht. Dann beginnt das Warten. Der Arzt ruft mehrmals im Labor an und erkundigt sich nach den Testergebnissen. Denn solange er die Ursache der Herzattacke nicht kennt, kann er keine weiteren Behandlungsschritte setzen. Nach anderthalb Stunden ruft das Labor endlich zurück – eine Infektion hat die Attacke ausgelöst.
Infektionen sind die Ursache für rund die Hälfte aller Herzattacken. Die Zeit, in der dem behandelnden Arzt die Hände gebunden sind, soll durch eine neue Analysemethode drastisch reduziert werden. Ein Analysetool auf Basis eines mikrostrukturierten Siliziumchips wird in Zukunft das Testergebnis in wenigen Minuten liefern. Die Behandlung des Herzpatienten kann umgehend eingeleitet werden und die Heilungsaussichten verbessern sich damit erheblich.

Das Fünfzigstel einer Träne
Der Chip befindet sich gerade in Entwicklung und wird sehr handlich sein. Mit der Größe einer Kreditkarte bietet er sich auch für die mobile Nutzung im Notarztwagen an. Das Minilabor erledigt in einem Durchgang, wofür traditionelle Verfahren mehrere Schritte von der Blutabnahme bis zum Laborresultat brauchen und erzielt dabei sehr genaue Ergebnisse.
Der Patient wird zunächst mit dem Einweg-Chip gestochen. Dabei wird nur ein Mikroliter – das Fünfzigstel einer Träne – Blut abgenommen – für den Patienten eine wesentlich geringere Belastung als eine herkömmliche Blutabnahme. Eine nach dem Kapillarprinzip funktionierende Pumpe saugt das Blut an. Die Flüssigkeit wird durch Mikrokanäle geleitet und gelangt zu den im Chip eingelagerten Antikörpern. Diese koppeln sich an die Infektionsauslöser im Blut, werden mit ihnen weitergeschwemmt und lagern sich zuletzt in der nur wenige Mikrometer großen Reaktionskammer ab. Die Antikörper können da mit einem Lesegerät festgestellt werden, so kann der Nachweis der Infektion erbracht werden.

Vielfältige Anwendungen
Der Chip wird bei IBM Research in Zürich entwickelt und soll neben Herzinfektionen auch Krebszellen und Viruserkrankungen wie Malaria erkennen. Untersucht werden dabei Flüssigkeiten wie Blut, Speichel und Urin. IBM forscht derzeit an einer weiteren Anwendung der Mikrofluidik genannten Wissenschaft – einem Scanner, in dessen Lesekopf Mikroflüssigkeiten beim Abtasten einer Gewebeprobe reagieren. Damit kann das Prinzip des Chips mit allen Vorteilen nicht nur bei Flüssigkeiten, sondern auch bei festen Stoffen angewandt werden.
Helmut Ludwar, Chief Technologist von IBM Österreich, geht davon aus, dass der Preis einer Analyse mittels Chip mit heute üblichen Verfahren vergleichbar sein wird. Da aber mit einem Chip gleich mehrere Tests durchgeführt werden können, stellt Ludwar auch niedrigere Kosten in Aussicht. Derzeit wird der Chip in eine produktionstaugliche Form gebracht und dann muss er beweisen, dass er auch hält, was die Ergebnisse aus dem IBM-Labor versprechen. Die für die Zulassung nötigen klinischen Tests werden in Belgien erfolgen und etwa zwei Jahre dauern.

Nebenprodukt
Dass es das medizinische Minilabor heute überhaupt gibt, ist anderen Forschungsanstrengungen zu verdanken. Für IBM zählen Mikroelektronik und Nanotechnologie naturgemäß zu den Kernbereichen der Forschungstätigkeit. An der mikrofluiden Technologie wurde zunächst geforscht, um die Kühlung von Mikrochips zu verbessern. Für das IBM-Projekt Aquasar, das auf die energieeffiziente Heißwasserkühlung von Supercomputern abzielt, wurde die Umspülung der zu kühlenden Bauteile optimiert. „Je feiner das Wasser verteilt wird“, erklärt Ludwar, „umso mehr Wärme kann es vom Chip aufnehmen.“
Auf dieser Basistechnologie aufbauend hat IBM andere Anwendungsmöglichkeiten gesucht und sie unter anderem im Gesundheitsbereich gefunden. Eine weitere Zukunftsanwendung der Mikrofluidik ist die Kühlung von Solarzellen, denn die sind bei niedriger Betriebs­temperatur am effizientesten. In den Markt für Labordiagnostik oder Fotovoltaik will IBM aber nicht einsteigen, der Konzern versteht sich hier lediglich als Impuls- und in weiterer Folge als Lizenzgeber.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Dank Technologie in Würde altern

Dank Technologie in Würde alternPhotos.com

Unsere Gesellschaft wird immer älter, die Zahl der hilfs- und pflegedürftigen Menschen steigt rapide an. Informations- und Kommunikationstechnologie kann ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen und gleichzeitig helfen, dem Kostendruck im Gesundheitssystem Herr zu werden.

Anfang 2009 lebte etwa eine halbe Million hilfs- und pflegebedürftiger Menschen in Österreich. Bis 2011 wird diese Zahl auf knapp 800.000 ansteigen. Der größte Wunsch dieser Menschen ist ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben innerhalb der eigenen vier Wände.
Für rund 80 Prozent erfüllt sich dieser Wunsch. Sie leben zuhause, werden unterstützt von Verwandten und mobilen Pflegediensten. Um ihre Betreuung zu verbessern, kommt nun vermehrt Hightech zum Zug. Videofon, ein Projekt der steirischen Volkshilfe und A1 Telekom Austria, verbessert die Betreuungssituation. Wird Hilfe benötigt, können Angehörige oder professionelle Dienste umgehend via Bildschirm reagieren.

Große Akzeptanz
Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) wird nie direkten Kontakt ersetzen können, betont Christian Bauer, Leiter des Bereichs Business Marketing bei A1 Telekom Austria: „Das ist auch nicht das Ziel von E-Health. Zum einen ist E-Health ein ergänzendes Instrument, um älteren Menschen möglichst lange die Selbstständigkeit zu erhalten. Zum anderen können so die knappen Ressourcen des Gesundheitswesens optimal eingesetzt werden.“
Laut einer Umfrage des market-Instituts befürworten auch Betroffene den Einsatz von IKT im Gesundheitswesen. Die überwältigende Mehrheit der Fünfzig- bis Siebzigjährigen ist überzeugt, dass Technologie ihre Lebensqualität erhöhen kann und sie so ein eigenständiges Leben führen können, ohne jemandem zur Last zu fallen. Ganz oben auf der Wunschliste steht dabei die Möglichkeit, durch das einfache Drücken eines Knopfes den Notruf zu wählen oder Kontakt mit dem Hausarzt aufzunehmen.

Vernetzung
Neben der Rolle der ITK als Unterstützer von Pflegebedürftigen und Kranken sieht Bauer großes Potenzial in der Vernetzung der Anbieter des Gesundheitswesens: „Durch die verbesserte Zusammenarbeit der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen vom Arzt über die Seniorenresidenz bis zum Krankenhaus wird die Effizienz gesteigert, so werden Kosten gespart. Diese Strukturen existieren jedoch erst in Ansätzen.“ Wie diese Vernetzung aussehen kann, zeigt die Teleradiologie-Lösung von A1 Telekom Austria. Der Radiologe übergibt die Röntgenbilder nicht mehr dem Patienten. Stattdessen werden sie im Rechenzentrum gespeichert und können dort online vom Hausarzt abgerufen werden.
Dass die Vernetzung mehr als nur verwaltungstechnischen Nutzen bringt, zeigt Elektra+. Das GPS-basierte Einsatzsteuerungssystem koordiniert die Salzburger Rote-Kreuz-Einsatzteams. Und schon während des Einsatzes wird die Notfallsituation automatisch dem nächstgelegenen Krankenhaus übermittelt. Dieses kann sich damit besser auf den Patienten einstellen und ein Ärzteteam alarmieren oder einen Operationssaal vorbereiten.
Wenn das Notfallteam schon vor Ort auf online verfügbare Patientendaten zurückgreifen könnte, würden die Erfolgsaussichten eines Einsatz weiter steigen. So könnte man etwa chronische Erkrankungen schon während der Erstversorgung berücksichtigen.
Die Diskussion um die Speicherung von Patientendaten wird jedoch seit Jahren nur in Bezug auf die heikle Materie Datenschutz geführt. Der mögliche Nutzen geht dabei unter. „Aber auch diese Diskussion muss stattfinden und sie wird stattfinden“, zeigt sich Bauer überzeugt: „Wichtig ist dabei, dass der Patient seine Daten selbst verwaltet. Nur er darf entscheiden, wer auf seine Daten zugreifen kann.“
A1 Telekom Austria positioniert sich im Gesundheitsbereich als Komplettanbieter. Das Angebot beginnt als Beratungsdienstleistung beim Hinterfragen der Abläufe der Gesundheitseinrichtung und reicht bis zum Outsourcing der fertigen Lösung. Dass sich der Mobilfunker A1 nun wieder unter dem gemeinsamen Dach befindet, stärkt die Kompetenz im Gesundheitsbereich weiter, so Bauer: „Allein für die Diabetes- und Bluthochdruckpatienten bringen Lösungen, die auf Mobilfunk aufsetzen, eine großes Plus an Lebensqualität.“ Denn mit ihnen können sie ihre Messungen an jedem Ort durchführen und müssen ihren Tagesablauf nicht mehr rund um ihre Krankheit planen.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Integration wollen

Integration wollenATIS

Ende der 1960er Jahre, als in Österreich die Zuwanderung von Gastarbeitern begann, dachte man nicht an Integration, denn das waren ja, wie der Name schon sagt, „Gast-Arbeiter“. Was am Anfang eine wirtschaftliche Notlösung war, begann in den 1980er Jahren ein Problem zu werden. Denn diese Menschen wollten nun ständig in Österreich bleiben. Das war zwar kein wirtschaftliches Problem, denn ihre Arbeitskraft brauchte man auch weiterhin, entwickelte sich aber für die Gesellschaft zu einer sozialen Frage.
Seit damals existiert eine Integrationsaufgabe, die man sehr stiefmütterlich und oberflächlich behandelt hat. In der sozialen Strukturkette ist die integrierende Seite gegenüber den zu Integrierenden in der stärkeren Position; sie hätte alle Mittel und Möglichkeiten, eine zielorientierte Integration zu gestalten. Der Staat als das stärkere Glied der Kette steht in der Verantwortung, Integration so zu steuern, ja aktiv anzubieten, dass gut integrierte Bürger der Volkswirtschaft später auch wieder einen Nutzen zurückgeben können.
Die Vorstellung, die – auch von Politikern – sehr oft präsentiert wird, man solle vom Ausland nur die Elite importieren, um so die Qualität der Zuwanderer zu heben, wird daran scheitern, dass die Elite in ihrem eigenen Land meistens mehr verdient und mehr Anerkennung bekommt als in einem fremden Land – und daher kein großes Interesse hat auszuwandern.
Falls wir ernsthaft vorhaben, das Problem der Integration zu lösen, dann wäre es höchste Zeit, die Sache mit vernünftigen und klaren Zielvorgaben anzugehen, um Zuwanderer für dieses Land zu gewinnen. Dann könnte für alle Beteiligten eine angemessene Plattform geschaffen werden, auf der jeder für jeden eine Bereicherung ist.
Edip Bayizitlioglu ist Obmann des Verbandes österreichischer und türkischer Unternehmer.

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Edip Bayizitlioglu, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Markt für Lernmaterialien boomt

Markt für Lernmaterialien boomtPhotos.com

Lernbücher in allen Varianten und Trend zu elektronischem Lernspielzeug und Lerncomputern.

Bei Babys und Kleinkindern passiert es spielerisch: Sie lernen jeden Tag, und zwar jede Menge. Bereits hier hat die Industrie das Potential erkannt: Angeboten werden Lern-Trinkbecher, spezielle Teller und Essbesteck, Lernbücher und -spiele, aber auch – und das immer mehr – elektronisches Spielzeug: VTech, Marktführer im Bereich Lerncomputer und elektronisches Lernspielzeug, hat ein umfangreiches Produktsortiment aufgebaut und steuert auf Expansionskurs. Ob Melodien-Bärchen, Reimspaß-Raupe, Lernspaß-Lenkrad oder „mein erster Laptop“ (ab 12 Monaten) – bereits die Kleinsten sind begehrte Zielgruppe. Für die etwas Größeren locken Lerncomputer und -konsolen, im Herbst bringt VTech eine neue mobile Lernkonsole („MobiGo“) auf den Markt. Sie verfügt über ein TFT-Touch Display und eine ausziehbare Tastatur.

G&G Verlag: „Österreichisches“
Groß ist der Markt für gedruckte Lernmaterialien. Der Erfolg des Wiener G&G-Verlages beruht da­rauf, dass alle Materialien auf dem österreichischen Lehrplan basieren. Neu für Volksschüler ist die Reihe „Ich hab den Durchblick“. Ob Einmaleins üben oder rechtschreiben: Hier werden vielfältige, altersstufengerechte Übungen nett illustriert angeboten. In der Reihe „Bingo“ gibt es etwa „Luxis Lesegeschichten“ oder „Luxis Rechengeschichten“ für jede Volksschulklasse. „Bingo“ wird aber jetzt nach und nach durch die neue „Durchblick“-Reihe ersetzt. Die Reihe „Voll fit“ zielt darauf ab, Viertklässler für den Sprung ins Gymnasium zu wappnen. Neu sind zahlreiche Bände rund um das Thema „Legasthenie“. Wer mit seinem Kind das letzte Schuljahr rekaptitulieren will, ist mit „Kinder fördern in den Ferien“ gut beraten. Leseförderung bietet auch der „Lesezug“. Hier gibt es für jedes Leseniveau einige Bände.

Viel Neues von Duden
Zwar recht deutsch, aber sehr umfassend ist das Lern-Portfolio des Duden-Verlags. Auch hier gibt es die vierstufige Erstlesereihe „Lesedetektive“. Gut ist die Idee des Lösungsschlüssels, damit wird spielerisch getestet, ob und was die jungen Leser von der Geschichte mitgenommen haben. Die A4-formatigen Übungshefte etwa „So schreibe ich Aufsätze“ oder „So lese ich“, beide für Grundschüler, sind allerdings recht anspruchsvoll. Ein gut aufbereitetes Nachschlagwerk ist das Grundschulwörterbuch „Sag es besser!“ Es bietet nicht nur viele Synonyme, sondern auch viele Erklärungen und gute Beispiele. Ein neuer Trend sind die Lernspiele („Einfach klasse in“) für Deutsch, Mathematik, Englisch; es gibt auch Mitbringspiele.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Forschung am Scheideweg

Forschung am ScheidewegPhotos.com

Bei der Forschungsförderung an Unternehmen liegt Österreich im internationalen Vergleich an der Spitze. Doch die Universitäten sind krass unterfinanziert, Sozialwissenschaftler haben prekäre Arbeitsverhältnisse und Kritiker am System mag man nicht.

Der „Jubelfonds“ hatte das Projekt des Instituts für Konfliktforschung bewilligt. Für die Projektleiterin Karin Stögner war es wahrlich ein Grund zum Jubeln, obwohl die bewilligte Summe knapp zwei Drittel der beantragten betrug. „Jubelfonds“ steht für Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank.
Karin Stögner forscht zu „Antisemitismus und Finanzkrise“ und untersucht österreichische Printmedien, ob sie auf einen antisemitischen Diskurs zurückfallen. In den USA gab es solche Beobachtungen – das brachte Stögner auf die Idee, dies auch in Österreich zu untersuchen.
Das Forschungsprojekt, das bis Jänner 2011 dauert, sichert die Hälfte von Stögners Lebensunterhalt. Die andere Hälfte finanziert sie über ein EU-Forschungsprojekt an der Central European University of Budapest. Stögner hat Soziologie, Geschichte, Anglistik und Romanistik studiert. Seit zehn Jahren arbeitet sie in prekären Arbeitsverhältnissen. Sie ist zwar angestellt, muss ihre Forschungsprojekte aber selber aufstellen. Hat sie kein Projekt, wird ihr gekündigt. Das ist die ganz normale Realität für viele Sozialwissenschaftler in Österreich.

Studie geheim gehalten
Nun könnte man der Meinung sein, dass Sozialwissenschaften Luxus sind. Doch selbst wer so denkt, wagt es zumindest nicht laut zu sagen. Möglicherweise geht es bei solchem Aushungern nicht um Sozialwissenschaft per se, sondern gegen kritische Stimmen aller Art.
Dieser Gedanke liegt angesichts vieler Vorkommnisse nahe. So hielt das Wissenschaftsministerium eine Auftragsstudie fünf Jahre lang geheim. In der Studie wurde die finanzielle Ausstattung von Universitäten in Wien, München, Darmstadt und Zürich verglichen. Ergebnis: Die Wiener Unis waren sehr arm. Statt mehr Geld für die Universitäten zu fordern, sperrte das Ministerium die Studie in den Keller.
Seltsames passierte auch zwischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) und Industriellenvereinigung (IV). Im Juni 2009 wurde bekannt, dass die IV ihren Beitrag von 235.000 Euro jährlich an das WIFO auf 100.000 Euro kürzte und Raiffeisen seinen 74.000 Euro-Beitrag überhaupt strich, weil einige WIFO-Experten zu „links“ wären.
In diesem Frühjahr trat Knut Consemüller, Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung, als Briefeschreiber in Erscheinung. Er schrieb an die Geschäftsführer des Joanneum Research – in ihrer Funktion als Chefs des Forschungsexperten Andreas Schibany. Dieser sei mit „bewusst gewagten Statements“ an die Öffentlichkeit getreten, statt seine Arbeit „im kleinen fachlichen Kreis“ zu diskutieren – und habe „indirekt Forschungspolitik zu betreiben“ gedacht. Der Brief ging auch an einige Ministerien – und dankenswerterweise an die Öffentlichkeit (siehe FWF-Magazin info Nr. 73).
Schibany hatte aufgezeigt, dass die staatliche Forschungsförderung an Unternehmen überproportional hoch im Vergleich zur Universitätsförderung ist und durch die Finanzkrise noch weiter gestiegen ist. Jeweils 7,5 Mrd. Euro betrugen 2008 und 2009 die gesamten F&E-Ausgaben in Österreich. Als die Finanzkrise zuschlug, stoppten viele Unternehmen ihre Forschungsprojekte, weshalb die F&E-Ausgaben der Unternehmen 2009 um drei Prozent sanken, während die des Bundes um fünf Prozent stiegen.
In vielen Gesprächen konnte man 2009 hören, dass die diversen Fördertöpfe lange nicht ausgeschöpft wurden. Im Endeffekt zahlte die Forschungsförderungsgesellschaft FFG 2009 rund 378 Mio. Euro aus, 2008 waren es 366 Mio. Euro.

Das Selbstbild angepatzt
Doch Schibanys „Vergehen“ sind wohl grundsätzlicher Natur. In seinem Working Paper „Der hinkende Frontrunner“ hat er das Selbstbild des offiziellen Österreich als „Frontrunner“ in der Forschung angepatzt. Zwar liege Österreich im Ranking des European Innovation Scoreboard (EIS) von 2008 an sechster Stelle. Auf dieses Ranking berufen sich Forschungspolitiker, wenn sie davon reden, dass Österreich international aufhole.
Schibany stellte dem EIS eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2009 gegenüber. Da liegt Österreich von 17 Ländern an 13. Stelle. Nur bei der staatlichen F&E-Förderung an Unternehmen liegt es an der Spitze. Beim gesellschaftlichen Innovationsklima – Toleranz, Einstellung zu Frauen, Einstellung zu Technik – liegt Österreich an letzter Stelle.

Zurück auf die Kriechspur?
Der Wissenschaftsfonds FWF, der Grundlagenforschung an Universitäten finanziert, ist wiederum über ministerielle Einsparungen äußerst besorgt. 2009 sanken die bewilligten Mittel auf 147,6 Mio. Euro, 2008 betrugen sie noch den Rekordwert von 176 Mio Euro. „Zurück auf die Kriechspur?“, titulierte der FWF seinen Lagebericht 2009. Heuer heißt es: „Am Scheideweg“. Noch hofft der FWF auf Einsicht.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Ein Schlüsselthema der Zukunft

Ein Schlüsselthema der ZukunftPhotos.com

22 Prozent verfolgen die Diskussion über Gentechnik intensiv, 63 Prozent immerhin gelegentlich.

Eintritt wird nicht gewährt: Keine Chance für große Agro-Gentechnikkonzerne wie Monsanto, Pioneer HiBred, Dow Agro Science (alle USA), Syngenta (CH), Bayer Crop Science und BASF Plant Science (D), auf heimischer Scholle Fuß zu fassen. Österreich ist und bleibt gentechnikfreie Zone. Eine „grüne Revolution“ mit „verbesserten“ Pflanzen – in der EU sind derzeit 35 verschiedene gentechnisch veränderte Pflanzen zugelassen – nicht gewünscht. Kurzer Blick zurück: Im April 1977 fand das Gentechnik-Volksbegehren statt, das mit einer Beteiligung von über 1,2 Mio. Menschen oder 21 Prozent der Wahlberechtigten zum zweiterfolgreichsten Volksbegehren der Zweiten Republik wurde. Einer Umfrage des Linzer Market-Instituts zufolge verfolgen 22 Prozent der Österreicher die Diskussionen über die Gentechnik intensiv, 63 Prozent immerhin gelegentlich. Dabei ist die Abneigung gegen Gentechnik in der Landwirtschaft hierzulande besonders ausgeprägt. Was die Bauern allerdings nicht daran hindert, jährlich rund 488.000 Tonnen genmanipuliertes Soja als Tierfutter – das in der Schweinemast und der Geflügelzucht eingesetzt wird – zu importieren.

Selbstbestimmung erkämpft
Als „großen Erfolg für Österreich“ feierte Umweltminister Niki Berlakovich (ÖVP) im Juli die Tatsache, dass die EU gentechnisch veränderte Pflanzen in den Nationalstaaten zulässt und somit einer Initiative Österreichs zu größerer Selbstbestimmung nachgab.

Synthetische Biologie
Während Veränderungen von Pflanzen also nicht mehrheitsfähig sind, steht die österreichische Bevölkerung, zehn Jahre nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms zur Klärung von Verbrechen durch DNA-Analysen (90 Prozent) und für die Behandlung von Krankheiten (84 Prozent), dem Thema Gentechnik positiv gegenüber. Was Physik für das vergangene Jahrhundert war, ist Genetik für das 21. Jahrhundert. Während die Sequenzierung des menschlichen Genoms 13 Jahre dauerte, entschlüsseln Gen-Kryptologen heute im Wochentakt ein neues Genom. Die Zeitung Nature bat kürzlich prominente Vertreter des Faches um eine Einschätzung, wo die Genetik heute steht. Die Antwort des Wissenschaftsmanagers Francis Collins lautete typisch: „Ich wette, das Beste kommt noch.“ Der letzte Schrei sind heute nicht mehr „traditionelle“ Veränderungen von Organismen durch gentechnologische Methoden, sondern heißt „synthetische Biologie“. Diese will das vollständige Erbgut eines Bakteriums in ein fremdes verpflanzen und es dadurch verwandeln.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Portal online – Patient entlastet

Portal online – Patient entlastetPhotos.com

Für viele chronisch Kranke gehört der regelmäßige Ambulanzbesuch zum Alltag. Um den Nierenpatienten das Managen ihrer Therapie zu erleichtern, haben die Linzer Elisabethinen gemeinsam mit T-Systems ein Patientenportal entwickelt.

Patienten mit chronischen Nierenleiden leiden nicht nur unter den körperlichen und psychischen Belastungen, die ihre Krankheit mit sich bringt, sondern sie sind auch mit einem großen Aufwand konfrontiert, da sie ihre Krankheit und die Behandlung selbst managen müssen. Wenn sie die Möglichkeit erhalten, alle krankheitsbezogenen Termine und Informationen über eine zentrale Plattform zu verwalten, entlastet sie das erheblich.
Allein am Krankenhaus der Elisabethinen in Linz werden pro Jahr rund 1500 Patienten mit einem Nierenleiden behandelt. Damit sich die Betroffenen sehr einfach über ihre Untersuchungsergebnisse informieren können, hat das Krankenhaus gemeinsam mit T-Systems ein Nierenportal entwickelt. Auf dem Onlineportal erhalten die Patienten eine Übersicht über ihre Laborbefunde, Untersuchungstermine und Medikation.

Patientenorientiert
Nierenpatienten zeichnen sich durch ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Krankheit und ihre hohe Eigenständigkeit aus. „Das macht eine patientenorientierte Lösung besonders sinnvoll“, sagt der Ärztliche Direktor des Linzer Spitals, Franz Harnoncourt.
Damit der Patient seine Daten vom Computer zuhause abrufen kann, vergibt das Krankenhaus einen passwortgeschützten Zugang zum Portal. Über die verschlüsselte Seite hat er Einsicht in die Befunde, über kommende Termine und über gegebenenfalls notwendige Aktivitäten. Dazu hat T-Systems ein SMS-Service integriert. Sobald neue Befunde erhältlich sind, erhält der Patient eine Kurznachricht.
Bevor das Portal online ging, mussten die Patienten nach dem Besuch der Ambulanz die Blutwerte und Therapievorschreibungen telefonisch erfragen. „Über das Nierenportal kann nun jeder Patient zu Hause den Arztbrief lesen, ausdrucken und mit dem Hausarzt besprechen“, stellt Primar Rainer Oberbauer den Nutzen des Onlineportals dar. Damit wurde, sagt der Leiter der Nephrologie der Elisabethinen, ein großer Schritt in Richtung Patientensicherheit und Service getan.

Christian Stemberger, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Der soziale Unternehmer

Der soziale UnternehmerIESE

Social Entrepreneurship liegt im Trend, das lässt sich an der Vielzahl der Strukturen ablesen, die in den vergangenen Jahren rund um dieses Thema geschaffen wurden. Verschiedenste Konzepte und neuartige Finanzierungsmodelle konnten sich etablieren. Internationale Stiftungen, Philanthropen und Netzwerke – wie das von Ashoka – haben sich der Unterstützung von Social Entrepreneurship verschrieben. Auch die wissenschaftlichen Forschungsanstrengungen haben stark zugenommen – international renommierte Universitäten in Europa, den USA und Asien arbeiten an Forschungsprojekten und Lehrprogrammen rund um das neue Bild des sozialen Unternehmertums.
Aber wird das Phänomen Social Entrepreneurship bestehende Strukturen nachhaltig verändern oder erleben wir hier nur ein kurzes Gastspiel im öffentlichen Diskurs?
Meine These: Die Inhalte und Fragen, die das Thema Social Entrepreneurship aufwirft, sind nicht wirklich neu. Ein Blick zurück zeigt, dass in Europa Unternehmen über viele Jahrhunderte Soziales und Ökonomisches nicht als Widerspruch gesehen haben. Unter Österreichs Traditionsbanken zum Beispiel finden sich viele, die ihren Ursprung in Kooperativen und Modellen haben, die der Mikrofinanzierung ähnlich sind. Offensichtlich ist mit Social Entrepreneurship eine moderne Variante alter „ganzheitlicher“ Geschäftsmodelle entstanden.
Allerdings: Selbst wenn der Keim für Organisationsformen wie One World Health, der Grameen Bank und vielen anderen nicht neu sein mag – unser Verständnis der Struktur, Entstehung und Wirkungen solcher Organisationen ist noch gering. Wir benötigen mehr Wissen, um passende Rahmenbedingungen für soziale Unternehmer zu schaffen und damit noch mehr Menschen zu helfen. Der Diskurs um Social
Entrepreneurship bietet die Chance, neue Antworten auf alte Fragen zu finden.
Johanna Mair ist Professorin für Strategisches Management an der IESE Business School in Barcelona.

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Johanna Mair, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Innovativ und halbwegs seriös

Innovativ und halbwegs seriösAndy Urban

Eines der ersten Internet-Start-ups gründen, klassische Dotcom-Fehler, Innovation in Österreich, das Unternehmerleben zwischen Abgrund und internationalem Erfolg und österreichische Lokalkaiser. Der österreichische Entrepreneur Oliver Holle im Gespräch mit economy.

Die Internet-Zeitrechnung beginnt mit 1989, als Tim Berners-Lee das WWW am Institut CERN in Genf entwickelt. Oliver Holler gründet 1992 mit 22 Jahren das erste Start-up im Bereich Internet-Dienstleistungen, baut mit 28 Jahren das Unternehmen mit Venture-Capital aus, kauft dann alle Anteile wieder zurück und gründet 2004 mit zwei anderen kleinen Unternehmen im Bereich Mobile Medien 3united. 2006 folgt schließlich der Verkauf an die amerikanische Veri Sign um rund 55 Mio. Euro. Anstatt am heimatlichen Wörthersee Wasserski zu fahren, gibt der erfolgreiche Entrepeneur nun mit seiner Firma The Merger seine Erfahrungen weiter.

economy: Wie kam es zu diesem Betätigungsfeld, und wie war das Umfeld in Ö seinerzeit? Damals konnte es ja passieren, dass Visionären ein Arzt empfohlen wurde.
Oliver Holle: 1992 gab es kein Internet in Ö, sondern nur CD-Rom-Multimedia in kleinen überschaubaren Zirkeln, von Silicon Valley oder weltweiten Geschäften noch keine Spur. Bei uns war es eine Studentenfreundschaft, die sich langsam in ernsthafte Projekte und dann letztlich mit dem Dotcom-Boom 1999 in eine große wirtschaftliche Opportunity entwickelte. Damals galt es, sich zu entscheiden. Wir waren sehr früh dran und entsprechend attraktiv für Investoren.

In der Historie von Sysis zeigt sich, dass die weitere Unternehmensentwicklung 1999 über Venture-Capital (VC) passiert ist. Welche Erfahrungen hast du dabei in Ö gemacht? Warum VC und nicht Forschungsförderung?
Wir haben immer beides versucht, wobei Forschungsförderung ohne Eigenkapital nur bedingt möglich ist und vor allem nur bis zur Produkteinführung läuft. Die teure, kritische Phase, in den Markt zu gehen, bleibt unfinanziert, insofern hatte man mit einer Nischenpositionierung wie Sysis damals gar keine andere Wahl als VC oder eine Bankenfinanzierung. Zweiteres gab es nicht wirklich, also blieb nur VC. Wir waren zum richtigen Zeitpunkt da, und es war eigentlich sehr einfach, wenn man innovativ und halbwegs seriös war.

VC wurde auch für die Internationalisierung verwendet. Innerhalb kurzer Zeit wurde in D, US und UK expandiert. Welche Herausforderungen sind bei einer derart raschen vertrieblichen Expansion zu beachten?
Marc Andreessen schreibt, dass viele Start-ups overventured sind und deswegen zu früh expandieren, bevor es einen eigentlichen Produktmarkt gibt. Das war bei uns auch so, und daran sind wir fast zugrunde gegangen. Weiters haben wir im ersten Anlauf alle klassischen Dotcom-Fehler gemacht: zu teures Vertriebspersonal mit nur klassischer Verkaufserfahrung, die über ein Jahr lang nix verkauften, bevor man sich von ihnen trennte. Teure Niederlassungen vor Ort, bevor langfristige Kundenbeziehungen da waren. Viel besser lief es im zweiten Anlauf mit 3united: Wir haben ein starkes Management in Österreich aufgebaut, damit sich das Gründerteam hundertprozentig auf strategischen Vertrieb und Internationalisierung konzentrieren konnte.

Auch der Mitarbeiterstab wuchs entsprechend rasch. Welche Erfahrungen gab es damit?
Bevor es kein funktionierendes mittleres Management gibt, bringt Wachstum nichts. Wenn schon, dann muss man versuchen, funktionierende Teams einzukaufen, auch wenn man Anteile abgeben muss.

Mitten in die Wachstumsperiode kam dann ab 2001 der Dotcom-Crash, und genau in der Phase haben die Sysis-Gründer ihre VC wieder ausgekauft. Hatten diese Angst um ihr Investment oder war das beabsichtigt?
Der Auskauf kam erst später, 2002, nachdem Sysis über zwei Jahre quasi am Abgrund entlanggelebt hat. Zu dem Zeitpunkt musste sich für das Gründerteam etwas am Anreizsystem ändern, um weiter dieses Risiko zu fahren, und dem haben die Investoren zugestimmt.

Du hast mit Sysis 2001 den Staatspreis für Multimedia und E-Business gewonnen. Hatte das positive Auswirkungen, und wenn ja, welche?
Es war auf jeden Fall positiv, vor allem für das Selbstbewusstsein des Teams, und ein bisschen auch im offiziellen Österreich. Schade dabei war nur, dass dies einem Produkt – nämlich dem Xmas Agent – galt, dem 2001 durch die Dotcom-Blase der Markt vollständig weggebrochen ist.
Andererseits war die Technologie hinter dem Xmas Agent das Toolkit, das später die Basis für die weltweite Ericsson-Kooperation war.

Wie würdest du den Standort Ö in seiner Entwicklung im Bereich F&E und Innovation sowie Unternehmensgründung – auch rückblickend – beschreiben?
Sehr gut mit Förderungen ausgestattet in der Forschungsinnovationphase und in der Produktentwicklung, aber dann das große Finanzierungsloch für die Gründungsphase. Es gibt kaum Banken, kaum Venture-Capital-Geber und vor allem auch keine heimische Industrie, die es gewohnt ist, von lokalen Start-ups Innovation zu kaufen oder gar Innovation via M&A (Anm.: Mergers & Acquisitions) umzusetzen. Das ist der wesentliche Unterschied zu den USA. Positiv hat sich trotz allem das Start-up-Umfeld entwickelt. Es gibt ein klares Verständnis, wie Hightech-Start-ups vor allem in den USA funktionieren: als ausgelagerte Research & Development und Innovationsabteilung für globale Konzerne mit den entsprechenden Benchmarks, Entwicklungspfaden und Selbstbildern. Also weg vom klassischen österreichischen Modell des lebenslangen Firmengründers, der dann im eigenen Revier Lokalkaiser wird und das irgendwann mal vielleicht seinen Kindern übergibt.

Gibt es mittlerweile eine ausreichend funktionierende VC-Szene bzw. genügend Geld und genügend öffentliche F&E-Förderungen?
Wie schon gesagt, VC für Gründungsphasen gibt es kaum, das vorhandene Privatkapital hat auch davor Angst, weil es an unternehmerischem Verständnis fehlt und weil man hier das Silicon Valley-Modell nicht verinnerlicht hat. Es fehlen Vertrauensbeziehungen, Netzwerke und Brückenbauer. Förderstellen wie AWS und FFG machen einen guten Job, um Unternehmen in die Höhe zu bekommen. Aber die große Frage ist die Anschlussfinanzierung – da gibt es auch von dort noch keine klaren Antworten. Im österreichischen IKT-Bereich würde ein gut gemanagter Fonds von fünf bis zehn Mio. Euro Startkapital schon wirklich etwas bewegen und erfolgreich sein.

Was würdest du jungen österreichischen Start-ups raten?
Ich kann nur für den IKT-Bereich reden. 1. Orientiere dich von Beginn an mit deiner Idee an den Weltmarktführern bzw. an den Top-Start-ups. Der Abstand ist technisch heutzutage allemal einholbar, insofern gibt es für viele Bereiche auch keinen Ö/D/EU-Markt mehr. 2. Such dir Top-Partner, auch wenn es dich Anteile kostet. Alles was die Erfolgswahrscheinlichkeit hebt, ist es wert. 3. Der Chef und Gründer geht verkaufen, alles andere geht die ersten zwei Jahre schief. 4. Nicht geizig sein, hart arbeiten. Und den eigenen Bullshit nicht glauben. (lacht) ϑ

Nun zu deinem aktuellen Betätigungsfeld mit der Firma The Merger. Du hast Uma und System One zusammengebracht, Barbara Meyerl schrieb im Format von einem „Heiratsvermittler für Technologiefirmen“. Was kann man sich unter deinem neuen Unternehmen vorstellen?
Fakt ist, dass hier viele Unternehmen ein gutes Produkt und oft auch schon positives Marktfeedback, aber keinen Zugang zu klassischem Wachstumskapital haben. Was wir bei 3united selbst erlebt haben und aktuell beim Merger von System One und Uma, ist ein alternativer Pfad, der meiner festen Überzeugung nach schneller und für den Gründer effektiver zum Ziel führen kann: Wir finden passende Hightech-Unternehmen, die sich in Technologie, Kultur und Team ergänzen, und bauen Firmen, die die kritische Grenze der Technologie, der Kunden etc. international überschreiten. Diese Firmen sind dann nicht nur hervorragend positioniert, um aus eigener Kraft zu wachsen, sondern sie sind auch attraktive Kaufobjekte. Unser zweiter Bereich ist ein Standort im Silicon Valley, wo wir ausgewählten Start-ups eine Brücke ins US-Geschäft anbieten, mit Büro, Appartment und Netzwerk vor Ort. Wikitude nutzt dies bereits erfolgreich, andere sind gerade am Sprung.

SMS wurde als die letzte „Killer-Applikation“ gerühmt. Wo liegen deiner Meinung nach zukünftige Killer-Applikationen?
Im Internet. Die Trennung mobil oder PC verschwimmt. Das Web hat gewonnen.

Wie ist das Innovationsklima in Ö aus deiner Sicht, gibt es noch Sysis-Storys?
Im mobilen Bereich haben Telefongesellschaften dieses Innovationsgeschäft vernachlässigt und sich auf ruinöse Preiskämpfe verlagert. Das schadet auch der österreichischen Start-up-Szene. Die meisten Firmen in meinem Portfolio haben ihre wichtigsten Kunden im Ausland.

Was muss seitens der Politik passieren?
Hier könnte eine innovative öffentliche Einkaufspolitik viel bewegen. Die Stadt Wien setzt erste positive Schritte, soweit ich weiß. Sysis-Storys wird es wieder geben, an den ersten sind wir dran. ϑ

Wie schaut der österreichische Mobilfunk in zehn Jahren aus?
Er wird Teil globaler Netzwerke und somit gleichgeschaltet mit anderen Märkten sein. Hoffentlich kann sich die Telekom Austria als eigenständiger Akteur weiter behaupten. Allgemein nimmt die Rolle der Netzbetreiber eher ab. Mit Apple und Android haben sie ihr Distributionsmonopol für innovative Anwendungen verloren. Das wird sich weiterführen, intelligente Betreiber werden nicht dagegen arbeiten, sondern sich mit Zusatzangeboten komplementär positionieren.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

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