Die Ursachen der Finanzkrise
Photos.com Mister X: „Wenn die Demokratie durch Konzerne bedroht wird, die nicht mehr steuerbar sind, die riesige Lobbys entwickeln und den Staat von innen aushöhlen, dann kann die Demokratie einen Konzern auch zerschlagen“, meint der anonym bleiben wollende Finanzmanager.
Warum bestehen Sie darauf, anonym zu bleiben?
Ich arbeite seit 20 Jahren am internationalen Kapitalmarkt im Top-Management. Ich bin aber noch nicht in Pension, sondern muss noch einige Jährchen arbeiten. Und jeder, der die Banken anpatzt, hat es ganz schwer, wenn er noch mit ihnen zusammenarbeiten will.
Welche Botschaft wollen Sie dennoch unter die Leute bringen?
Wir müssen begreifen, in welcher Situation wir eigentlich sind. Wir erleben den größten Finanz-GAU seit dem Schwarzen Freitag vom Oktober 1929, aber das wird nicht weiter groß diskutiert. Die Politik kehrt offenbar zum Tagesgeschäft zurück, und auch die Medien wechseln rasch wieder zu Flugzeugabstürzen und Überschwemmungen. Dieser Mega-GAU wird in seinen Ursachen überhaupt nicht diskutiert – das ist total irrwitzig.
Was sind denn Ihrer Ansicht nach die Ursachen dieser Finanzkrise?
Die Finanzindustrie ist nur ein Teil der Gesellschaft, aber durch die Krise wurde offensichtlich, wie dominant dieser Teil ist und wie er tatsächlich strukturiert ist. Die Frage ist: Wo kommt das Finanzgeschäft her, warum gab es und gibt es Banken? Ihr ursprünglicher Sinn war die Bereitstellung von Liquidität. Jemand will ein Haus bauen oder ein Geschäft gründen und braucht dafür Geld. Banken sind die Mittler zwischen den Sparern und den Investoren, das ist ihre ureigenste Funktion.
Ist das nicht eine doch reichlich veraltete und überholte Sicht?
Keineswegs. Noch in den ersten 20 bis 30 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war der Finanzsektor in Europa von dieser dienenden Funktion geprägt. Große Spekulationen der Banken gab es damals überhaupt noch nicht, die waren amerikanischer und britischer Provenienz. Die europäischen Banken gaben sich in ihren Geschäften mit einer Marge zufrieden, die noch nachvollziehbar war – und auch die Risiken waren nachvollziehbar.
Ehrliche Geldverwalter sozusagen?
Absolut, und die Banken haben dadurch – und das zu Recht – großes Vertrauen genossen, weil ihr Handeln die längste Zeit von gesellschaftlich-moralischen Aspekten bestimmt war. Doch diese Geschäftsmoral ist in der Folge komplett verloren gegangen. Diese Erosion des moralischen Fundaments hat ja mittlerweile die ganze Gesellschaft und dabei insbesondere die Finanzwelt ergriffen.
Kommen wir nun genauer auf die Ursachen zu sprechen.
Ja, klar. Der entscheidende Punkt ist: Die Banken sind von ihrer Funktion, dass sie der Gesellschaft als Mittler zwischen Aufnahme und Ausgabe von Kapital dienen, zu Marktakteuren – „major players“ heißt das heute – mutiert. Sie haben sich von ihrer dienenden Funktion zu agierenden Investment-Banken entwickelt. Und dieses Investment-Banking in seiner heutigen Ausprägung ist entschieden zu hinterfragen.
Wann ungefähr hat diese Entwicklung begonnen?
So etwa Anfang der 1970er Jahre, als man merkte, dass man da mehr Geld verdienen kann. Es sind kompliziertere Finanzierungsformen aufgekommen, und die Banken haben begonnen, sich zu spezialisieren. Das Investment-Banking hat sich dann rasant entwickelt und ist weit übers Ziel hinausgeschossen. Mit dem Effekt, dass Banken entstanden sind, die „major players“ sind. Aber eine Bank hat nicht diese Funktion. Oder zumindest müssten die Bereiche Kreditwesen und Investment strikt getrennt sein.
Was ist der Haken an dieser Entwicklung?
Weil die grundlegende Mittlerfunktion der Banken nicht verloren gehen darf, muss in Krisenzeiten, wie sich jetzt wieder herausgestellt hat, die Solidarität der Gemeinschaft herhalten, sonst sind wir alle weg vom Fenster. Die Allgemeinheit muss jetzt diese Abkehr vom ursprünglichen Gedanken der dienenden Funktion finanzieren. Jeden denkenden Menschen muss das auf die Palme bringen.
Haben Sie Vorschläge, wie man dieser Situation entgegenwirken kann?
Ja, aber zuerst möchte ich festhalten: Trotz des totalen Absturzes, mit Schäden von Abermilliarden Euro, die die Solidargemeinschaft tragen muss, trotz dieser prolongierten Verschuldung auf Generationen hinaus, ist die Politik weder interessiert noch in der Lage, den Finanzmarkt grundlegend zu reformieren. Im Endeffekt ist die Lobby, ist die Macht der Banken ungebrochen. Hier geht es um Macht und Pfründe, und die Finanzmärkte und Unternehmen, die dahinterstehen, sind derart mächtig geworden, dass selbst diese Krise nicht dazu beigetragen hat, sie von ihrem hohen Ross runterzuholen.
Sie haben nun schon einige Ursachen genannt, ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz.
Die wesentlichen Punkte sind wie gesagt: die Macht der Finanz-Lobby, die Erodierung der Moral sowie der Übergang von der dienenden zur agierenden Funktion. Und dann müssen wir noch weiter fragen: Wieso kommt es so weit, dass Banken nur noch auf Quartalsberichte fokussiert sind, hochriskante Geschäfte mit komplizierten Finanzprodukten betreiben und sich diese in ihr Treasury legen? Ganz klar: Weil erwartet wird, dass sie diese oder jene Rendite bringen.
Und warum sollten Sie das nicht tun?
Weil das nicht ihre Aufgabe ist. Wir müssten vielmehr sagen: Der Staat und die Gesellschaft erwarten sich von einer Bank, dass sie möglichst risikolose Rendite macht. Dann muss man aber auch akzeptieren, dass das keine 20-prozentige Eigenkapitalrendite ist. Weil mit 20 Prozent ist man auf jeden Fall im hochriskanten Geschäftsbereich. Ich kann auch die Ausrede der Banken nicht gelten lassen, dass sie sagen: Die Aktionäre erwarten von uns eine hohe Rendite. Vielmehr müssten sie sagen: Wenn ich als Bank auf Basis der Gesetze arbeite, darf ich diese Risiken gar nicht fahren.
Können Sie diese Risiken mit konkreten Beispielen beschreiben?
Wo größtes Schindluder getrieben wird, das ist die Eigenveranlagung der Banken – da wurden absolut unverantwortliche Risiken eingegangen. Als weiterer wesentlicher Punkt kommt, wie bei allen börsennotierten Unternehmen, die kurzfristige Ausrichtung auf Quartalsberichte dazu; was in ein paar Jahren passiert, interessiert niemanden. Inzwischen haben aber die Manager längst ihre Boni kassiert. Da fehlt jede Verantwortung den Mitarbeitern und der Allgemeinheit gegenüber.
Aber gerade auch im Bankensektor wird doch die kurzfristige Effizienzsteigerung als erstrebenswert angesehen?
Aber wie viele Leute sind denn deswegen schon entlassen worden? Das sind doch völlig verantwortungslose Menschen, die das machen. Und über viele Jahre hinweg wurden diese Manager auch noch gefeiert. Der Beste ist der, der den größten Reibach macht. Allein die Höhe dieser Gehälter und Boni zeigt doch, welch große Risiken da dahinterstehen, das ist doch logisch.
Die Bankkunden sind aber auch ganz schön zum Handkuss gekommen.
Das ist Wahnsinn, wie die unwissenden Anleger verarscht wurden. Und das wurde über Jahrzehnte betrieben, mit immer diffizileren Produkten, die kein Mensch mehr versteht. Es wurde den Leuten etwas verkauft, was sie gar nicht gebraucht haben – einfach aus Gründen der Renditemaximierung. All diese strukturierten Produkte, die nach außen hin sehr attraktiv wirken – aber wenn man genauer hineinschaut, sind sie unterm Strich äußerst riskant und als Paket für den Kunden negativ. Es ist nicht sehr verantwortungsvoll, wenn eine Bank so was Anlegern anbietet.
Was zum Beispiel meinen Sie?
Nun, im Bereich der Privatanleger etwa diese komplexen Produkte, wo zum Beispiel Immobilienveranlagungen verkauft werden, die aber eigentlich Aktien sind. Oder es werden Zertifikate verkauft, für die eine Rendite X versprochen wird – im Kleingedruckten steht dann halt drinnen, dass das nur fürs erste Jahr gilt; ab dem zweiten Jahr besteht das Risiko, dass gar keine Rendite anfällt; diese Papiere haben aber dann eine Laufzeit von zehn Jahren. Und solche Beispiele gibt es zuhauf.
Was würden Sie privaten Anlegern im Umgang mit solchen Produkten empfehlen?
Im Grunde ist es ganz einfach: Die Leute sollen die Finger von allem lassen, von dem sie nichts verstehen. Alle Produkte, die phänomenale Renditen versprechen, die über dem normalen Zinsniveau liegen, die sollten sie gleich abhaken – es sei denn, sie sind Multimillionäre und haben Geld zum Spekulieren übrig. Wer dir was anderes erzählt, ist ein Betrüger.
Und im Kreditgeschäft?
Im Kreditgeschäft wiederum besteht die Verantwortung für den Bankmitarbeiter darin zu schauen, ob der Kunde tragfähig ist oder nicht. Er darf keinen Kredit vergeben, selbst wenn es seine internen Regeln erlauben würden, wenn er absehen kann, dass der Kunde das nicht bringen kann.
Ein Spezialfall, vielmehr Reinfall, waren ja vor allem diese mit Tilgungsträgern gekoppelten Fremdwährungskredite.
Ja, das ist auch so eine Sache: Kreditaufnahme, noch dazu in einer Fremdwährung, zur Finanzierung von Spekulationsgeld. Das ist also ein Kredit, der mit Papieren besichert ist, die volatilen Kursen unterliegen, mit denen aber am Ende der Kreditlaufzeit der Kredit zurückgezahlt werden soll. Darüber hinaus soll die Veranlagung dafür sorgen, dass die Zinsen gezahlt werden können und eine Rendite erwirtschaftet werden kann. Solche Tilgungsträger sind natürlich sehr oft Fonds, also Aktienfonds – das wird den Leuten aber als solide, stabile Veranlagung verkauft.
Mit der man dann gleich doppelt auf die Schnauze fallen kann.
Ja, genau, denn tatsächlich hat man sogar zwei äußerst hohe Risiken: das Währungs- und das Aktienrisiko. Typisches Beispiel sind Fremdwährungskredite in Schweizer Franken: In den letzten zwei Jahren hat der Euro gegenüber dem Schweizer Franken stark nachgegeben, was die Kreditsummen in Euro stark erhöht hat. Wer noch bei einem Wechselkurs Euro zu Franken von 1,5 eingestiegen ist, hat jetzt bei unter 1,4 einen satten Verlust zu tragen. Das macht bei einer Kreditsumme von 100.000 Euro gleich mal 15.000 bis 20.000 Euro Verlust. Plus der momentanen Schwäche der Tilgungsträger.
Kann man sagen, dass das Bankgeschäft wie ein Spielcasino funktioniert: am Ende gewinnt immer die Bank?
Wir brauchen die aktuellen österreichischen Fälle ja nur anzuschauen. Zum Beispiel die Skandale mit den Immobilienfirmen: Da wurden massiv Produkte an Rentner verkauft, da haben Rentner ihr Erspartes – oft 30.000 bis 40.000 Euro – hineingesteckt und vernichtet. Das ist die Realität, und das ist eine üble Geschichte, die auch beweist, wie unverantwortlich das ganze System funktioniert.
Kommen wir zum Resümee: Welche politischen Entscheidungen wären demnach Ihrer Ansicht nach notwendig?
Noch einmal: Der eigentliche Kern ist, dass die Banken ihre Funktion falsch verstehen. Sie müssten zurückgestutzt werden auf eine dienende Funktion. In Amerika wurde das ja in Folge des Schwarzen Freitag vorexerziert. 1933 wurde in den USA mit dem berühmten Glass-Steagall-Act die Trennung zwischen Investment-Banking, also dem Wertpapiergeschäft, und den normalen Geschäftsbanken mit dem traditionellen Kredit- und Einlagengeschäft durchgesetzt. Damit ist klar: Wenn jemand zu einer Investment-Bank geht, dann weiß er, was ihn dort vom Risiko her gesehen gegenüber einer normalen Bank erwartet.
Diese Trennung gibt es aber auch in den USA nicht mehr.
Ja leider, denn das war über Jahrzehnte ein sehr vernünftiger Ansatz. Bis dann 1999 unter der Clinton-Regierung der Gesetzgeber diese klare Trennung wieder aufgeweicht hat, so dass auch die normalen Banken zocken konnten. Aber vorher war das glasklar getrennt, weil die USA schon einmal schlechte Erfahrung mit dem Investment-Banking gemacht hatten. Da wurde eindeutig gesagt: Die Investment-Banken funktionieren nach anderen Grundsätzen, und der Großteil, die normalen Banken, die dürfen nur ganz bestimmte, eindeutig festgelegte Funktionen ausüben.
Und eine solche Trennung könnte langfristig Stabilität bringen?
Auf jeden Fall, aber man muss das ganz klar festschreiben: Es gibt Banken, die sind nur für das Kreditgeschäft, für das Massengeschäft zuständig; und dann gibt es ein anderes Geschäft, das der Investment-Banken, die riskante Aktivitäten betreiben und auch Beteiligungen eingehen können und darüber hinaus eine bestimmte Größenordnung nicht überschreiten dürfen. Und normalen Banken sind bestimmte Geschäfte eindeutig verboten: Warum zockt eine Landesbank im Finanzmarkt herum? Das ist nicht ihre Funktion. Die gehört dem Land, und es wäre widersinnig, wenn sich das Land einen ROI (Anm.: Return on Investment) von 15 Prozent erwarten würde. Das muss eine stabile Bank sein, die kaum Risiken hat, die nicht umfallen kann, und das Land gibt sich eben mit drei, vier Prozent zufrieden.
Ist eine derartige Trennung überhaupt politisch realistisch?
Der Finanzsektor ist sehr innovativ, wenn es darum geht, seine Pfründe zu verteidigen. Daher muss er politisch begrenzt werden. Zur Not muss man eine klare, brutale Politik fahren, mit so was wie dem Glass-Steagall-Act, wo der Staat sagt: Banken haben eben nur eine dienende Funktion, mit allem anderen ist jetzt Schluss. Wieso nicht? Wir haben Anti-Trust-Gesetze, die gelten auch in der Demokratie. Und wenn die Demokratie durch Konzerne bedroht wird, die nicht mehr steuerbar sind, die riesige Lobbys entwickeln und den Staat von innen aushöhlen, dann kann die Demokratie einen Konzern auch zerschlagen.
Und welche Auswirkungen hätte das am Markt?
Wenn die Größe von Investment-Banken beschränkt und sichergestellt wäre, dass normale Geschäftsbanken keine riskanten Papiere erwerben dürfen, dann kann man Investment-Banken auch pleitegehen lassen. Die Insolvenz von Lehman Brothers hatte auch deshalb solche verheerenden Auswirkungen, weil zahlreiche systemrelevante Geschäftsbanken in deren Produkte investiert waren. Dienende Banken sollten aber keine hohen Risiken eingehen dürfen; Risiken sollten allein für Investment-Banken reserviert sein, denn diese wären bei Einhaltung der genannten Prämissen nicht systemrelevant.
economy ist Name, Funktion und Arbeitgeber des hochrangigen Finanzmanagers bekannt. Aus Rücksicht auf etwaige negative berufliche Folgen durch das Interview haben wir dem Wunsch nach Anonymität zugestimmt. Die Redaktion
Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010