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03. Juli 2024

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Glück and the City

Glück and the CityRodriguez

Neueste Kommunikationstechnologien täuschen oft darüber hinweg, doch wo wir heute leben, spielt noch immer eine große Rolle. Manche Städte machen ihre Einwohner glücklicher als andere. Kofferpacken kann sich lohnen.

Unlängst wurde Wien von der Mercer-Studie wieder zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität ernannt. Das Rennen um die glücklichste Stadt machten aber andere. Rio de Janeiro, Sydney und Barcelona bilden die Top drei der Liste des Forbes Magazine. Karneval, Opernhäuser, spanische Sonne – und der Reisekoffer sieht auf einmal sträflich leer und einsam aus.
Solcherlei „Rankings“ mögen zugegebenermaßen recht oberflächlich sein, und ein Wohnsitz in einer der genannten Städte allein muss selbstredend noch lange nicht glücklich machen. Das Quäntchen Wahrheit liegt hier jedoch darin, dass auch Städte eine Art Persönlichkeit haben und man folgerichtig nicht in jeder gleichermaßen zufrieden werden kann.

Das große „Wo?“
Das geradezu Paradoxe an der Globalisierung ist, dass es einerseits eine stärkere und weiter reichende Vernetzung gibt. Die Welt wird „kleiner“; wo man sich genau befindet, scheint durch neue Technologien oft schon beinahe zweitrangig geworden zu sein. Andererseits steigt auch die Mobilität. Folglich kommt es verstärkt zu Konzentrationserscheinungen, zum Beispiel von gewissen Industrien und, so Richard Florida von der University of Toronto, auch von bestimmten Persönlichkeitsprofilen an bestimmten Orten.
Dem Autor mehrerer Sachbücher wie etwa Who is your city? zufolge scheint Kalifornien in vielerlei Hinsicht ein gutes Pflaster für kreative Köpfe zu sein. Zum einen gibt es in Hollywoods Filmindustrie Möglichkeiten für ein breites Spektrum an Berufsfeldern, von Schauspielern und Drehbuchschreibern bis hin zu Maskenbildnern und Szenengestaltern. Die Rock- und Popszene in Los Angeles gehört ebenfalls zur Welt­spitze. Zum anderen gilt Silicon Valley noch immer als Mekka für all jene, die Visionen im Technologiesektor verwirklichen möchten. Laut Richard Florida trägt das offene, innovative Ambiente zur Kreativität der Bewohner bei. Zudem werden Fehler hier eher als Teil des Lernprozesses denn als Versagen wahrgenommen. Insgesamt also beste Bedingungen für erfinderische Menschen, die sich auch nicht vor Risiken scheuen.
Dass in Hollywood Filme gemacht werden, ist natürlich nichts Neues. Ebenso, dass der Karneval in Rio de Janeiro einen Deut fetziger sein dürfte als der Faschingsumzug in Schruns-Tschagguns. Was Florida mit vermeintlichen Plattitüden hervorzuheben versucht ist, dass der passende Ort für den persönlichen sowie beruflichen Werdegang heute aufgrund neuer Entwicklungen entscheidender ist denn je.

Chance nutzen
Statistisch gesehen zieht der durchschnittliche US-Amerikaner etwa alle sieben Jahre um. Das mag heute noch nach Nomadentum klingen. In Zukunft wird diesbezüglich jedoch auch in Europa mehr Flexibilität gefragt sein. „Bis zum Jahr 2015 wird sich die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter halbiert haben“, prognostizierte der damalige EU-Kommissar Vladimír Špidla schon letztes Jahr. Die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften in einem immer stärker vernetzt agierenden Europa wird also in Zukunft vermehrt die Möglichkeit zu Ortswechseln bieten.
Zudem wird Reisen auch einfacher und billiger, wodurch nicht nur Europa näher zusammenrückt. Glücklicherweise wird nicht nur immer mehr Mobilität erwartet, sondern auch ermöglicht werden. Es geht also vorrangig darum, aus dieser Entwicklung Vorteile zu ziehen. So kann es sich durchaus lohnen, einige Optionen aufzulisten und abzuwägen.

Wonneleben in Down Under
Eine mögliche Destination, wo derzeit eine günstige Arbeitsmarktsituation und, so Forbes, der Glücksfaktor zusammenfallen, wäre demnach Sydney. Die Finanzkrise hat sich auf Australien dank seiner wirtschaftlichen Vernetzung mit dem asiatischen Raum weitaus weniger stark ausgewirkt als auf viele europäische Länder. Die Sprachbarriere ist mit Englisch – auch trotz eines etwas „fiesen“ Akzents – leichter bewältigbar als etwa bei Forbes’ Nummer eins Rio de Janeiro. Der Mindestlohn wird in Australien übrigens mit diesem Monat erhöht, und die Arbeitslosenrate ist gerade auf 5,2 Prozent gesunken. Wer also schon seit längerer Zeit voller Fernweh mit dem Zeigefinger suchend über den Globus kreist, sollte vielleicht einmal einen Besuch bei der australischen Botschaft in Erwägung ziehen.
Natürlich lässt sich Glück nicht so leicht quantifizieren, wie es das Forbes Magazine mit seiner Liste vorgibt. Es lohnt sich aber, rein objektiv betrachtet, sich vor Augen zu führen, wie einfach es uns heutzutage gemacht wird, in ein anderes Land oder eine andere Stadt zu ziehen. Je nach beruflicher oder persönlicher Ausrichtung stehen die Chancen mitunter in der Ferne besser als zu Hause. „Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird“, wusste bereits Christian Morgenstern. Nicht jeder wird schon dort geboren.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Test: Landschaften

Test: LandschaftenEPA

Sosehr man das Landleben und seine soziologischen Indikatoren kritisch betrachten kann, so wenig wird man bestreiten können, dass es auf dieser Welt wunderschöne ländliche Regionen gibt, die auf jeden Fall eine Reise wert sind. Im Folgenden findet sich eine subjektive Liste des Autors des vorliegenden Artikels, die wahrscheinlich ein jeder durch seinen persönlichen Favoriten ergänzen können wird.

Wenig überraschend ist die Toskana einer der Favoriten – und hier vor allem die Region Maremma. Dies deshalb, weil diese südtoskanische Küstengegend nicht dem klassischen Touristenbild der Toskana entspricht, sondern gewissermaßen unverfälschter geblieben ist. Die Kombination der von Pinien, Zypressen, Olivenbäumen und Weinreben gezeichneten wundervollen, sanft hügeligen Landschaft ohne große Hotelprojekte und mit dem Schwerpunkt auf sanftem und Agrotourismus macht die Maremma zu einer der lieblichsten Landschaften in Europa.
Bleiben wir noch in diesem Erdteil: Umflort vom Duft der Lavendelfelder, berauscht von den kraftvollen und geschmeidigen Weinen lässt sich das Leben im Hinterland der französischen Provence vorzüglich genießen. Gemeinsam mit dem kulinarischen Angebot ist diese Region Südfrankreichs ein Fest für die Sinne, Kennern wird man nicht mehr viel dazu erklären müssen.
Von den Genüssen zur inneren Einkehr: Wem mehr der Sinn nach Kontemplation steht, der wird im ländlichen Finnland sein Glück finden. In den Sommermonaten dort an einem der Zehntausenden von Seen eine „Mökki“ (ein Ferien- oder Landhaus) zu mieten, zählt zu einem der intensiveren Erlebnisse, die man mit der Natur haben kann. Und an Natur mangelt es in Finnland nicht, zudem bleibt diese garantiert ungestört von Nachbarn.
Eine Landschaft der mystischeren Sorte bilden die schottischen Highlands. Eine Reise oder ein Farm­haus-Aufenthalt in den Sommermonaten können zusammen mit Highland-Ausflügen und Whisky-Touren selbst dem größten Landmuffel Anerkennung abringen. Das Farbenspiel der Hügelgegend, die reinen Gerüche und das klare Licht der Sommersonne gehören in Nordschottland zu den gehobeneren
Naturgenüssen.

Sattes Grün der Reisfelder
Verlassen wir nun Europa und sehen uns ein wenig in Asien um. In der Fülle der interessanten, dramatisch schönen Landschaften und ländlichen Gegenden auf diesem Kontinent darf eine besondere Region nicht fehlen: das Irrawaddy-Flussdelta in Myanmar. Mag sein, dass das Mekong-Delta in Vietnam bekannter und einfacher zu bereisen ist, das Irrawaddy-Delta ist aber auf jeden Fall unberührter und gibt den klassischen Bildeindruck asiatischer landschaftlicher Schönheit wieder. Die Kombination des gemächlich mäandernden Flusses mit dem satten Grün der Reisfelder unter der hellen Tropensonne ist ein unvergleichliches Erlebnis.
Im krassen Gegensatz zur Überfülle an Farben und landschaftlicher Sanftheit in Myanmar steht die Landschaft entlang des Karakorum-Highways, der China und Pakistan verbindet und entlang einer landschaftlich äußerst abwechslungsreichen Strecke verläuft, die die Gebirge des Pamir, des Karakorum, des Himalaya und teilweise des Hindukusch umfasst.
Wenngleich eine Reise entlang der 1284 Kilometer langen Straße nicht unbedingt einen Sonntagsausflug darstellt, wird man von Eindrücken entschädigt, die man sonst wohl kaum auf diesem Planeten in dieser Fülle sammeln kann. Die Straße führt an einer Reihe von Achttausendern vorbei, vor allem dem Nanga Parbat. Der höchste Punkt der Strecke wird mit 4733 Metern erreicht. Es ist möglich, die Straße mit dem Mietwagen (in der Regel mit Chauffeur) zu befahren.

Pampa, Prärie, Tundra
Schwenk nach Südamerika: Wer den Charme von Weite und Kargheit liebt und neue Dimensionen von Landschaft kennenlernen will, der wird in Patagonien fündig. Von der Pampa bis in die subantarktische Region Feuerlands erstreckt sich eine unendliche Weite, die kaum in ihrer Vielfalt erschlossen werden kann. Kontakt zur Mystik Patagoniens stellt man am besten durch einen Aufenthalt auf einer der abgeschiedenen Estancias her; das sind Schafs- oder Rinderfarmen, die auch an Reisende vermieten.
Wer noch eine andere Landschaft ohne Ende sucht, begibt sich am besten ins zentrale oder nördliche Kanada. Ein Trip über die Baumgrenze in Alberta oder Saskatchewan eröffnet erst einen Eindruck, was landschaftliche Endlosigkeit überhaupt ist.

Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Karriere

Karriere

Karriere.

• Wolfgang Haas (45) ist mit Juni 2010 neuer Pressesprecher für Ergo Aus­tria International. Die Konzernkommunikation für Ergo Austria, Bank Austria Versicherung und Victoria Volksbanken Versicherung ist nun zusammengefasst. Haas ist seit 24 Jahren in der Versicherungsbranche tätig. Fünf Jahre davon war er bei Allianz im Personalwesen.

• Andreas Köttler (44) übernimmt mit Juni 2010 die Leitung des Vertriebs Strategische Industrien für Zentraleuropa bei Alcatel-Lucent. In dieser Funktion koordiniert Köttler Entwicklung und Umsetzung in
Österreich, Ungarn, der Slowakei und Tschechien. Die Gesamtverantwortung für Zentraleuropa liegt bei Generaldirektor Harald Himmer.

• Wolfgang He­soun nimmt ab September 2010 den Vorstandsvorsitz von Siemens Österreich ein. Hesoun folgt Brigitte Ederer nach, die ab Juli 2010 in den Vorstand von Siemens in München einzieht und dort für das Europageschäft sowie Personal­agenden zuständig sein wird. He­soun war seit 2007 Vorstandschef des Baukonzerns Porr.

•Doris Winkler (43)
ist neue Geschäftsführerin von Johnson & Johnson Medical Austria. In ihrer Funktion als General Manager trägt Winkler Verantwortung für die neuen „Market Access“-Initiativen des laut eigenen Angaben weltweit größten Medizinprodukteherstellers. Diese Maßnahmen sollen einen effektiven Marktzugang sicherstellen.

Fotos: Ergo, Alcael-Lucent, Siemens AG, Johnson & Johnson Medical

(red/cc), Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Termine

Termine

•E-Commerce-Tag in Würzburg. Gebündeltes Expertenwissen zu sämtlichen für Onlinehändler relevanten Themen als auch eine Reihe von Erfolgsgeschichten aus der Praxis – das bieten die E-Commerce-Leitfaden-Partner und das Mainfränkische Electronic Commerce Kompetenzzentrum (MECK) am 15. Juli in Würzburg im deutschen Unterfranken. Namhafte E-Commerce-Fachleute werden bei dieser Veranstaltung zahlreiche Tipps und Tricks zu Bereichen wie elektronischen Onlineshopsystemen, rechtlichen Pflichten, Marketing und Vertrieb sowie zu Risikomanagement, Zahlungs- und Versandabwicklung als auch Forderungsmanagement an die Besucher weitergeben.

red, Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Schnappschuss

SchnappschussTelekom Austria

20 Jahre Internet.

Gemeinsam mit Telekom Austria feierte die Universität Wien Anfang Juni das Jubiläum „20 Jahre Internet in Österreich“. Der erste Einstieg ins Internet – ein emotionales Erlebnis für viele Österreicher, wie etwa der erste Schritt eines Menschen auf dem Mond. „Das Internet ist nach wie vor unerschöpfliche Informationsquelle, globale Vernetzung und Kommunikation zugleich“, betonte Hannes Amets­reiter, Generaldirektor von Telekom Austria und Mobilkom Austria.
Auf dem Foto von links nach rechts: Peter Rastl (Universität Wien), Hannes Ametsreiter (Telekom Austria Group), Jana Herwig (Universität Wien) und Gereon Friederes (Marketmind). cc Foto: Telekom Austria

Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Buchtipp

Buchtipp

Wie Städte ticken.

Das Leben des 21. Jahrhunderts ist ein Leben in Städten. Um zu verstehen, wie eine Stadt „tickt“, welche Ideen in ihr generiert, welche realisiert und akzeptiert werden, muss man sie als Organismus betrachten, der einen Charakter ausbildet und über eine eigene „Gefühlsstruktur“ verfügt. Martina Löw nimmt in
ihrem Buch die Stadt als Erkenntnisgegenstand ernst und entfaltet im Anschluss an raumtheoretische Überlegungen die These, dass sich urbane Entwicklungen nur dann hinreichend erklären und effektiv beeinflussen lassen, wenn man die „Eigenlogik“ von Städten begreift. Sie seziert „Gefühlsstrukturen“. Darüber zu debattieren, wie sich Städte unterscheiden, Sätze wie „Seit ich aus … weggezogen bin, vermisse ich …“ oder „… ist so eine optimistische Stadt, ganz anders als …“, sei heutzutage ein beliebtes Gesellschaftsspiel. Dann beginnt die Diskussion. Sie kreist im Kern um die Frage, wie Städte zu charakterisieren sind, und bestätigt, was alle wissen und was sich in der Kommunikation verfestigt: Städte unterscheiden sich fundamental. Das Buch schließt mit einem Blick auf Ratings, Rankings und Typenbildungen sowie einem Plädoyer für Forschung als Grundlagenbildung, jedoch auch als fundierte Unterstützung für Stadtentwicklung. Ein Plädoyer, darüber zu streiten, wie „lokale Gefühlsstruktur“ konzeptionell gefasst werden kann.
Martina Löw:
„Soziologie der Städte“
Suhrkamp, 2008, 23,50 Euro
ISBN: 978-3-518-58503-0

Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Domizil auf Zeit

Domizil auf Zeit

Laut einer Umfrage sind nur neun Prozent aller Österreicher noch nie umgezogen, zwölf Prozent dagegen sechsmal oder häufiger. Jeder Vierte plant in der nächsten Zeit einen Umzug. Österreich im Übersiedlungsfieber? Ein Haus auf dem Land oder doch lieber eine Wohnung in der Stadt? Mieten oder kaufen? Das sind Entscheidungen, die der Durchschnittsösterreicher zunehmend öfter treffen muss als nur einmal im Leben. Der Trend zum Wohnungswechsel wird von Lebensabschnittsdomizilen geprägt. Junge Menschen, in der Regel Singles, schätzen die vielfältigen Freizeitmöglichkeiten und die facettenreiche Urbanität und ziehen ins Stadtzentrum, falls sie es sich leisten können. Für sie sind Dörfer vom Rhythmus des Tages geprägt, Städte vom Rhythmus der Nacht. Junge Familien hingegen bauen Häuser im Speckgürtel, schaffen sich eine Idylle mit Koi-Teich und betrachten von Mödling oder Korneuburg aus die Weltstadt verächtlich als Hochburg des Provinzialismus. Ja, man sollte die Städte auf dem Land bauen, da ist die Luft besser, und jeder kennt jeden, lautet deren Credo. Doch irgendwann kommt Skepsis auf. Auf dem Land passiert zu wenig, in der Stadt zu viel. Nach der Scheidung, spätestens im Alter, kehren viele zurück in die Stadt, um nicht isoliert oder besser angebunden zu sein. Auch darüber wird Statistik geführt. Eines aber gilt in jedem Abschnitt: Die Menschen, nicht die Häuser machen sowohl die Metropole als auch das 500-Seelen-Dorf aus.

Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Landleben, ja bitte

Landleben, ja bitte

Zugegeben: Ich lebe in der Stadt. Allerdings so, wie in jungen Jahren auf dem Land gelernt. Im Supermarkt kennen sie mich. Wenn ich durchs Grätzel wandere, treffe ich immer einen Bekannten zum Plaudern. Mein Trafikant redet ebenfalls mit mir. Schließlich kennt er durch meinen Zeitungskonsum einige meiner Vorlieben. Zudem vereinfachte er – nicht ganz uneigennützig – meine Buchhaltung. Nachbarschaftshilfe im Kleinen. Ich genieße sogar den Luxus, direkt vor der Terrassentür ein eigenes Stück Grün mit Obstbäumen, Ziersträuchern und einem Gärtlein zu besitzen. Pro-Stadt-Argumente wische ich vom Tisch. Anonymität? Ich hab nichts angestellt. Kulturangebot? Meine Frau Mama (73) überwindet mehrmals pro Jahr 200 Kilometer, um Wiener Theater und Konzertsäle von innen zu sehen. Der Wille entscheidet. Einkaufen? H&M gibt’s mittlerweile überall. Nirgends direkt vor der Haustür. Sogar Shoppen via Internet klappt. Auch das „Social Network“ funktioniert auf dem Land. Vereinszugehörigkeit setzt halt auf eine persönlichere Ebene. Mich freuen meine Wochenendbesuche, weil sich Uhren auf dem Land langsamer drehen. Laut einer US-Studie leben Landmenschen um circa drei Jahre länger, weil sie weniger Umweltbelastungen und Stress ausgesetzt sind. Landleben ist wie Fernsehen: sehr vorhersehbar. Stadt ist das Internet: flexibel, permanent neu. So gesehen partizipiere ich gerne an beidem, auch wenn ich soziologisch als Landpomeranze geerdet bin.

Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Nur nicht aufs Land

Nur nicht aufs Land

Landleben, so richtig auf dem Land? Meilenweit von jeder Großstadt entfernt, vom Hahnenschrei im Schlummer aufgestört, von der Fronleichsnamsprozession oder ähnlicher Folklore gemartert, vom Traktortuckern malträtiert, mit dem Bürgermeister per Du, Einkaufen im Lagerhaus? Nein, danke. Da kann die Luft noch so gut sein und das Leben geruhsam, die Stadt kann durch nichts ersetzt werden. Landleben inspiriert nicht, es ist zu bodenständig. Es hat keine Geheimnisse außer jenen, die hinter den dicken Mauern der rustikalen Bauernhäuser verborgen bleiben und die man gar nicht erfahren möchte. Schlag nach bei Josef Winkler, Menschenkind, Suhrkamp 1979. Das Landleben, ein einziger Kälberstrick. Ackerbau und Viehzucht, alimentiert von europäischen Steuermilliarden, schon lange nicht mehr wettbewerbsfähig, aber am Tropf gehalten unter dem künstlichen Motto der „Kulturlandschaftspflege“. Wo die intellektuelle Elite aus dem Triumvirat Pfarrer, Volksschuldirektor und Bürgermeister besteht und die meisten Jungen abwandern. Wo es keine interessanten Jobs gibt, keine Modernität, wenig Perspektiven. Wo jeder dem anderen über den Gartenzaun schaut und der Rückzug ins Private als Eigenbrötlertum aufgefasst wird. Wo es an Infrastruktur mangelt, wo es keine soziale und kulturelle Abwechslung gibt, wo Kleingeist und Boshaftigkeit gedeihen. Klar, der Erholungswert des Landlebens ist größer als in der Stadt. Aber dafür erstickt der Geist.

Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

Wider das Dorf

Wider das Dorfprivat

Aufgewachsen bin ich im oberösterreichischen Leonstein im Steyrtal. Wald, Wiesen, Wasser – sehr viel mehr brauchte ich als Kind nicht. Doch ab meinem zehnten Lebensjahr wurde mir das zu wenig; auch das sonstige Betätigungsspektrum zwischen katholischer Jungschar und lokalem Blasmusikverein konnte nicht alles sein. Zum Glück unterstützten meine Eltern meinen Plan, mit 14 Jahren in die Textil-HTL in der Wiener Spengergasse zu wechseln.
In diesen Jahren lernte ich die Vielfalt und Abwechslung in der Großstadt zu lieben und schätzen. Nach Abschluss der Schule habe ich zwar noch einmal versucht, auf dem Land sesshaft zu werden, allerdings war ich nach acht Monaten wieder in Wien. Und seit nunmehr 30 Jahren hat mich das Stadtleben nicht mehr losgelassen. Gefehlt hat mir vor allem die Möglichkeit, viele sehr unterschiedliche und interessante Menschen kennenlernen zu können. Und damit auch die persönliche und berufliche Entwicklungsperspektive.
In Wien spielt sich das Leben in einzelnen Grätzeln ab; das hat auch viel Dorfcharakter. Dort gibt es soziale Netze und die persönliche Nähe zu den anderen Bewohnern, aber ein paar Schritte weiter beginnt das nächste Grätzel mit anderen Menschen und Milieus. Dauernd stößt man auf Neues, Spannendes; diese Abwechslung finde ich sehr bereichernd.
Ich lebe ganz bewusst mitten in der Stadt, weil da das Alltagsleben einfach und ohne Auto organisierbar ist und weil das kulturelle und kulinarische Angebot in fußläufigen Distanzen liegt.
Lebensqualität heißt für mich aber vor allem, weitgehend Wahlfreiheit zwischen Anonymität und enger sozialer Einbindung zu haben. Wer sich in seinem Grätzel bewegt und Kontakte pflegt, kann auf Nachbarschaftshilfe vertrauen und auf seinen Stammwirt zählen. Umgekehrt natürlich auch.
Elisabeth Auer ist selbstständige Textildesignerin und lebt in Wien.

Elisabeth Auer, Economy Ausgabe 85-06-2010, 25.06.2010

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