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03. Juli 2024

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Transparent bis zur Zustellung

Transparent bis zur ZustellungReiffeisen Informatik

Peter Niederleithner: „Effiziente Prozesse von der Antragstellung bis zur Zustellung eines Bescheides senken die Verwaltungskosten. Der Bürger profitiert durch die Beschleunigung der Verfahren und höhere Transparenz“, sagt der Geschäftsführer von Raiffeisen Informatik Consulting.


economy: Sie machen im öffentlichen Sektor etwa 20 Prozent Ihres Umsatzes. Was unterscheidet diese Kunden von anderen?

Peter Niederleithner: Speziell die Industrie hat schon vor Jahren ihre Prozesse gestrafft. Im öffentlichen Bereich ist da noch großes Potenzial vorhanden. So bemühen wir uns beispielsweise in einem aktuellen Projekt für die Pensionsversicherungsanstalt um die Vereinfachung der Abläufe. Die Verkürzung der Prozesse von der Antragstellung bis zur Zustellung eines Bescheides senkt Kosten. Und gleichzeitig steht immer die Zufriedenheit des Bürgers beziehungsweise Patienten im Vordergrund.

Und wie profitiert der?
Der profitiert mehrfach. Zuerst durch die Beschleunigung der Verfahren. Und durch die höhere Transparenz – der Leistungsempfänger kann den aktuellen Stand des Verfahrens abfragen. Er kann auch einen Teil seiner Amtswege elektronisch erledigen. Unser Ziel ist ein elektronisches Service rund um die Uhr.

Vom Antrag bis zur Zustellung?
Genau. Wir bieten die duale Zustellung an. Ist ein Leistungsempfänger elektronisch erreichbar, erkennt das unser System und er erhält das Dokument über den Zustellserver. Wenn nicht, dann geht das Schreiben über unser Druckzentrum den üblichen postalischen Weg. Die elektronische Zustellung bedeutet eine Einsparung von 90 Prozent gegenüber einem Brief. Demnächst werden auch RSa- und RSb-Briefe elektronisch zustellbar sein.

Welche Leistungen bieten Sie im Gesundheitswesen an?
Derzeit arbeiten wir an der Vernetzung der niederösterreichischen Krankenhäuser und der Harmonisierung der dortigen betriebswirtschaftlichen Anwendungen. Das betrifft die Abrechnungs- und Buchhaltungssysteme, den gesam­ten Officebereich und teilweise auch die medizinischen IT-Systeme. Ein anderes Projekt ist Elga, die elektronische Gesundheitsakte.

Worauf kommt es da an?
Bei Elga spielt die sichere Authentifizierung durch den Patienten eine große Rolle. Und der verantwortungsvolle Umgang mit den Patientendaten ist unabdingbar. Die besonderen Anforderungen von sensiblen Daten kennen wir ja aus unserem ursprünglichen Geschäftsbereich, dem Bankwesen.

Patientendaten – ein heißes Eisen.
Ohne Zweifel. Es kann auch nicht das Ziel sein, den gläsernen Patienten zu schaffen – Elga macht nicht den Patienten, sondern die medizinische Leistung transparent. Damit werden etwa Mehrfach­untersuchungen unterbunden. Stellen Sie sich vor, Sie lassen sich Blut abnehmen, fahren nach Tirol, brechen sich beim Skifahren das Bein. Das Tiroler Krankenhaus muss Ihnen wieder Blut abnehmen. Das bedeutet unnötige Zusatzkosten.

Und der Patient profitiert, indem er nur einmal gepiekst wird.
Nicht nur. Ein Beispiel: Zwei Ärzte verschreiben einem Patienten Medikamente, ohne voneinander zu wissen. Sie können dann auch nicht eine mögliche Wechselwirkung der Medikamente berücksichtigen. Das stellt ein gesundheitliches Risiko für den Patienten dar.

Sie haben im öffentlichen Bereich hauptsächlich Großkunden?
Nein. Unsere Tochter Gemdat bietet auch für die kleinsten Gemeinden ein Rundumservice an. Raiffeisen ist ähnlich dem Verwaltungssystem föderativ aufgestellt. Wie bei unseren internen Kunden unterstützen wir in den Gemeinden dezentrale Verantwortung mit zentralen Dienstleistungen.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Teamgeist am Bildschirm

Teamgeist am BildschirmPhotos.com

Mit integrierter Kommunikations- und Informationstechnologie können starre Organisationsformen in den Krankenhäusern überwunden und eine teamorientierte Sicht- und Arbeitsweise eingeführt werden – zum Wohle der Patienten und zur Entlastung des Personals.

Mehr als 80 Prozent der Kosten im Krankenhausbereich sind Personalaufwendungen. Darum ist der effiziente Einsatz der Personalressourcen der beste Hebel, um den Mitteleinsatz eines Krankenhauses zu optimieren.
Werden Ärzte und Pflegepersonal bei der Verwaltung und Organisa­tion des laufenden Betriebs entlastet, können sie sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren – sich vermehrt den Patienten zuzuwenden.

Sinnstiftend
Technische Lösungen wie Unified Communications erhöhen so die Produktivität und damit auch die Qualität der medizinischen Leistung. Haben die Mitarbeiter mehr Zeit für ihre Patienten, also den sinnstiftenden Teil ihrer Tätigkeit, steigt die Motiva­tion, und Gefahren wie Burn-out und die damit verbundene hohe Personalfluktuation werden eingedämmt. Außerdem sind Fehlbehandlungen zum größten Teil auf Missverständnisse zurückzuführen, Unified Communications senken also auch die medizinische Fehlerquote.
Die Integration der Kommunikations- und Informationstechnologie ermöglicht neue Wege der Zusammenarbeit im Sozial- und Gesundheitswesen. Als Hemmschuh erweisen sich die starren Organisationsstrukturen im Krankenhaus. Die technischen Lösungen dagegen sind keine Zukunftsmusik mehr. „Und die Technik kann wiederum dazu beitragen, dass eine neue Bereitschaft der Menschen zur Zusammenarbeit dort einzieht, wo heute oft noch reines Revierdenken vorherrscht“, zeigt sich Claudia Maurer, verantwortlich für das Branchenmanagement im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen bei Kapsch Business Com, überzeugt.

Teamorientiert
Als die Krankenhäuser Baden und Mödling fusionierten, wurde ein Videokonferenzsystem installiert, um die Zusammenarbeit beider Standorte zu koordinieren. Die Morgenbesprechung und die zu Mittag folgende Besprechung der geplanten Operationen werden via Bildschirm durchgeführt. Durch diese täglichen Fixpunkte entstand ein Teamgeist, der wegen der räumlichen Trennung sonst nicht möglich gewesen wäre.
Eine weitere Anwendung für Videokonferenzen im medizinischen Bereich sieht Maurer bei den Onkologie-Boards. Dabei führen Ärzte verschiedener Fachrichtungen gemeinsam die Befundung eines Patienten durch. Über den Bildschirm können Spezialisten von außerhalb eingebunden werden, ohne dass sie Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen. Aber selbst innerhalb von Krankenhäusern können unproduktive Wegzeiten drastisch reduziert werden. Dazu kann auch der gesamte externe Bereich wie praktische Ärzte, physikalische Institute oder Pflegeheime bei der Behandlung eingebunden werden.

Mobile Mitarbeiter

Nicht nur Telekonferenzen helfen, den Personaleinsatz zu verbessern. Wenn sämtliche Technologien in einem Endgerät zusammenlaufen, können Arzt und Krankenschwester auf alle Daten zugreifen, zusätzliche Informationen via Mail einholen oder mit einem Knopfdruck Alarm auslösen. „Das Personal eines Krankenhauses ist hochmobil. Nur wenn die ihr Büro immer bei sich haben, können sie effizient arbeiten“, sagt Maurer.
Unspektakulär, aber äußerst wirkungsvoll ist die Statusanzeige. Sie verrät, wer gerade erreichbar ist. Mehrere Mio. Euro an Telefoniekosten könnten jährlich durch den flächendeckenden Einsatz der Statusanzeige in allen österreichischen Krankenhäusern eingespart werden. Ein weiteres Puzzleteil zum hochvernetzten Krankenhaus ist der mit einem kleinen Sender versehene Patient. Dann weiß das Personal immer ganz genau, wo er ist, und kann ihn ohne unnötige Wartezeiten zielsicher durch die verschiedenen medizinischen Prozesse führen.
Diese Lösungen sind noch in zu vielen Krankenhäusern reine Utopie. Das sollte sich bald ändern, denn erfolgreiche Kommunikation ist für eine Behandlung genauso wichtig wie fachliches Know-how und medizinische Ausstattung.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Sex, Liebe und Rock ’n’ Roll

Sex, Liebe und Rock ’n’ Roll APA/Herbert Oczeret

Kunst ist Berufung und Zufall und Wagnis und Befreiung. Patti Smith dichtete, und Robert Mapplethorpe malte, als sie jung waren und sich liebten. Er suchte Sex mit Männern und wurde ein begnadeter Fotograf, sie Rocksängerin.

Er brauchte Fotos von nackten Männerkörpern für seine Collagen. Doch die Pornomagazine waren in Zellophan eingeschweißt, man durfte die Folie vor dem Kauf nicht aufreißen. So riskierte er jedes Mal, dass er sein Geld umsonst für ein Schwulenheft rausschmiss und nichts davon verwenden konnte – und dabei hatte er so wenig Geld.
Seine Freundin Patti sagte ihm oft, er solle doch selber fotografieren. Doch er glaubte, er wäre zu ungeduldig, er wollte nicht stundenlang in der Dunkelkammer stehen. Als er einmal bei einer Freundin eine Polaroidkamera herumliegen sah, griff er Pattis Anregung auf und borgte sich die Kamera aus. Aber die Kosten für einen Polaroidfilm waren hoch, zehn Fotos für drei Dollar, das war 1971 viel Geld. Also legte er die Kamera wieder beiseite. Einstweilen.

Kunst ist Berufung
Kunst ist auch Zufall. Bevor Robert Mapplethorpe zu einem begnadeten und skandalträchtigen Fotografen wurde, zeichnete und malte er jahrelang, machte Collagen und kunstvolle Halsketten aus Materialien, die er fand oder billig kaufte: aus Federn, aus Perlen, aus allem Möglichen. Sogar aus Hummerresten, die in Restaurants auf leer gegessenen Tellern lagen. Patti packte die Hummerscheren in eine Serviette, bevor die Teller abgeräumt wurden, Robert schrubbte sie, besprühte sie mit Farbe und fädelte sie mit anderen Fundstücken zu Halsbändern auf. Verkauft hat er von seinen frühen Werken kaum etwas.
Patti sorgte in diesen Jahren, von Herbst 1967 bis in die frühen 1970er Jahre, zu einem großen Teil für ihren gemeinsamen Lebensunterhalt: Sie arbeitete ganztags in einer Buchhandlung und später in einem Verlag. Abends arbeiteten sie gemeinsam im Atelier. Sie schrieb Gedichte, und sie zeichnete.

Kunst ist Sehnsucht
Mit zwölf beschloss Patti, Künstlerin zu werden. Damals hatten ihre Eltern Geld zusammengekratzt, um mit den vier Kindern mit dem Bus nach Philadelphia zu fahren und ins Kunstmuseum zu gehen. Modigliani und Picasso zu sehen hat das Kind transformiert. „Ich hatte keinerlei Indiz, dass ich das Zeug zur Künstlerin hatte, obwohl ich danach hungerte, eine zu sein“, schreibt die Poetin und Rocksängerin Patti Smith in ihrem kürzlich erschienenen Buch Just Kids. Darin geht es um Selbstfindung und Selbstwerdung: um ihre eigene und die von Robert Mapplethorpe, ihrem Geliebten und später Freund in alle Ewigkeit.
19-jährig gebar Patti Smith ein Kind, gab es zur Adoption frei und schwor ihrem nie gesehenen Kind und Jeanne d’Arc, ihrer geheimen Heldin, dass sie aus ihrem Leben etwas machen würde: Sie verließ das ländliche South Jersey, fuhr mit wenig Geld nach New York City und suchte Arbeit. Sie wollte Künstlerin werden, wusste aber, dass sie sich eine Kunstakademie nicht leisten konnte. Sie las Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud – ihre Verwandten im Geiste.
Kaum in New York angelangt, lernte Patti Robert kennen. Nach ihrer ersten Nacht war unausgesprochen klar, dass sie zusammenbleiben würden. Sie waren arm. Manchmal blieben sie hungrig, wenn sie für Essen kein Geld hatten, oder sie teilten sich ein Sandwich. Auch Museumsbesuche „teilten“ sie: Eine/r ging ins Museum, absorbierte das Gesehene und erzählte dem/der anderen draußen Wartenden davon. „Eines Tages werden wir beide reingehen, und die Kunst ist dann unsere eigene“, sagte Robert einmal, nachdem er vor dem Whitney Museum auf Pattis Schilderung gewartet hatte. Er war sich sicher, dass er den Durchbruch schaffen würde. Er war überzeugt vom Wert seiner Arbeit.

Kunst ist Ehrgeiz
Doch bevor Robert den künstlerischen Durchbruch schaffte, brach etwas anderes aus ihm heraus: seine sexuelle Neigung zu Männern. Er hatte Affären mit Männern, er hatte Liebesbeziehungen, und manchmal war er Stricher – um Geld zu beschaffen, und auch aus Lust.
Robert und Patti trennten sich manchmal räumlich wegen eines Liebhabers (von ihr oder von ihm), doch sie liebten sich und blieben aufeinander bezogen. Als sie einmal von einer Reise nach Paris zurückgekehrt war und ihn schwerkrank vorfand, versprachen sie einander, dass sie sich nie wieder allein lassen würden, solange sie nicht sicher waren, dass beide auf eigenen Beinen stehen konnten. „Und diesen Schwur haben wir gehalten, trotz allem, was uns noch erwartete.“
Im Chelsea Hotel, einem legendären Wohnort von Künstlern, fanden sie ein Refugium. Von dort aus eroberten sie die Kunstszene. Bei Patti verlief vieles nach Zufall, Robert ging systematisch vor. Er war ehrgeizig. Er wollte in die Kreise von Andy Warhol vordringen. Auf dem Weg dorthin lag Max’s Kansas City, ein Lokal, in dem der Warhol-Hofstaat die Nächte verbrachte. Pech nur, dass Warhol nicht mehr oft ausging, seit er 1968 angeschossen wurde und fast gestorben war. Glück aber, dass Mapplethorpe begehrt wurde. Alle waren hinter ihm her, Männer wie Frauen, aber Roberts Triebfeder war damals sein Ehrgeiz, nicht Sex. „Sie hatten es auf ihn abgesehen, so wie er es auf den Inner Circle abgesehen hatte“, schreibt Smith.

Kunst braucht Kapital
Ein Museumskurator, der in (unerfüllter) Liebe zu Mapplethorpe entbrannte, verschaffte ihm Zugang zu den Reichen, nahm ihn mit auf Reisen nach Paris, wo sie mit Yves Saint Laurent und seinem Partner Champagner tranken, kaufte ihm eine Kamera und arrangierte einen Vertrag mit Polaroid über kostenlose Filme. Kurze Zeit später lernte Mapplethorpe Sam Wagstaff kennen, seinen Mäzen, Geliebten und Freund bis ans Lebensende. Wag­staff war reich und einflussreich. Er kaufte Mapplethorpe eine Hasselblad und ein Atelier. Mapplethorpe konzentrierte sich nun ganz auf die Fotografie. Künstler war er bereits, fotografieren hatte er mit der Polaroid gelernt, bevor er Wagstaff traf. Doch ohne die finanziellen Ressourcen seines Liebhaber-Mäzens, ohne dessen Zugang zur High Society der Kunst wäre Mapplethorpe nicht der geworden, der er wurde.
Patti Smith hatte immer geschrieben, inspiriert von Rimbaud und ihren lebenden Dichterfreunden Allen Ginsberg und William Burroughs. Doch sie war wohl weniger von ihren Fähigkeiten überzeugt als Mapplethorpe von seinen –
und ihren. Er war es, der sie anstachelte, mehr zu schreiben, mehr zu zeichnen. Er sagte ihr, dass er ihre Stimme liebte. Es war nie ihr Traum gewesen, Musikerin zu werden. Im Chelsea lernte sie zwar die Größen der Zeit kennen, Jimi Hendrix und Janis Joplin. Doch eine Rocksängerin, eine Poetin auf der Bühne wurde sie erst, als Robert und andere Freunde sie drängten, ihre Gedichte öffentlich vorzutragen. Sie wollte etwas Machtvolles daraus machen, eine Beat-Performance. So bat sie einen befreundeten Musiker, mit seiner E-Gitarre einen Autocrash zu spielen. Vier Jahre später nahm sie ihre erste LP Horses auf. Das Coverfoto, Patti im weißen Hemd mit schwarzem, über die Schulter geworfenem Sakko machte beide bekannt: Sängerin und Fotograf.

Kunst ist Wagnis
Kunst ist Tod, ist man versucht zu sagen, angesichts der Musiker, die früh wegen Drogen zu Tode gekommen sind, und der Künstler, die die Krankheit Aids hinwegge­rafft hat – wie Mapplethorpe, der 1989 starb. Doch an Drogen, Unfällen und Aids sterben Künstler und Nichtkünstler gleichermaßen.
Es ist eher die Nähe zum Risiko. Kunst ist Wagnis, ist Grenzüberschreitung. Das ist der Bereich, mit dem Mapplethorpe zum kontroversen und Skandale produzierenden Fotografen aufstieg. Es waren nicht seine perfekt in Szene gesetzten Lilien und Tulpen, die ihn berühmt machten. Sondern seine Aufnahmen in der homosexuellen Sadomasoszene in New York.
Patti Smith ist kein Superstar geworden. Eher eine Ikone. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere zog sie sich zurück, lebte mit ihrem Mann und zog ihre zwei Kinder groß. Erst nach persönlichen Tragödien, nach dem Tod ihres Mannes, kam sie auf die Bühne zurück.

Buchtipp
Patti Smith: „Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 20,60 Euro, ISBN: 978-3462042283

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Der Teufel schreibt Musikgeschichte

Der Teufel schreibt MusikgeschichteEPA

Er zieht sich als spannungsgeladenes Intervall durch die Musikgeschichte: Der Tritonus, die übermäßige Quarte, gilt aufgrund der geheimnisvollen Disharmonie von drei Ganztonschritten als „Teufel in der Musik“ – und lässt sich vorzüglich für Schauerdramatik einsetzen.

Diabolus in musica nannte man das Tritonus-Intervall im Mittelalter – den Teufel in der Musik. Aufgrund seines spannungsgeladenen Klangs, der stark nach einer Auflösung verlangt, wurde der Tritonus als „schwierig“ oder gar „gefährlich“ angesehen.
Ein Grund dafür ist, dass sich das Tritonus-Intervall nicht mit einer ganzzahligen Proportion beschreiben lässt. Vielmehr beträgt das Intervallverhältnis eines gleichstufigen Tritonus eins zu Quadratwurzel aus zwei, wodurch es genau eine Oktave halbiert. Aufgrund dieses Zahlenverhältnisses, das in der Kompositionslehre schwer darstellbar war, galt das Intervall als „teuflisch“. Und interessanterweise klingt ein Tritonus auch außergewöhnlich spannungsgeladen, um nicht zu sagen furchterregend. Aufgrund der frühen symbolischen Assoziation als Diabolus in musica wurde das Intervall vor allem in der westlichen Musik zur Kreation eines „bösen“ oder furchterregenden Sounds verwendet. Im Mittelalter reagierte die Kirche teilweise empfindlich auf Musik, die den Tritonus enthielt, oder auf Sänger, die das Intervall benutzten.

Aufgelöste Spannung
Dies änderte sich etwas im Barock und später in der Klassik, als der Tritonus vor allem zum Spannungsaufbau mit dem Ziel der harmonischen Auflösung dieser Spannung verwendet wurde. Verwendung fand er unter anderem bei Johann Sebastian Bach (Matthäuspassion), bei Ludwig van Beethoven (Fidelio) sowie Franz Liszt, Antonio Vivaldi, Frédéric Chopin, Modest Mussorgski und Richard Wagner.
Der Tritonus wurde von den Komponisten fast ausschließlich zur Darstellung dramatischer und/oder bedrohlicher Situationen benutzt, so etwa für Jesu Begegnung mit einem Aussätzigen in der Matthäuspassion, in der Kerkerszene der Oper Fidelio, in Liszts Dante-Sinfonie zur Beschreibung der Hölle, in Camille Saint-Saëns Danse macabre, wo der Teufel seine Violine in einem Tritonus-Intervall stimmt. In Modest Mussorgskis Bilder einer Ausstellung wird der Tritonus im Abschnitt „Hütte der Baba Yaga“ verwendet, um die unheimlichen Lockrufe der Hexe zu symbolisieren. Wagner benutzte den Tritonus häufig in der Götterdämmerung, unter anderem in der Pagan-Szene, wo die Musik beinahe die Charakteristik einer schwarzen Messe annimmt.
Die Verwendung des Teufels­intervalls zieht sich weiter bis in die moderne Jazz-, Pop- und Rockmusik. Die beiden prominentesten Beispiele für die Nutzung des Intervalls in der Populärmusik sind das eindringliche Intro des Songs Purple Haze von Jimi Hendrix und das Grundthema des Songs Black Sabbath der gleichnamigen Rockband aus dem Jahr 1969.
Doch nicht nur in Rockklassikern lässt sich der Tritonus entdecken: So wurde der Intervall in zahlreichen Filmmusiken, vornehmlich in Thrillern und Horrorfilmen, verwendet, zum Beispiel für Jurassic Park und auch in Teilen der Star Trek-Serie. Im Splattermovie Evil Dead II kommt das Tritonus-Motiv des Danse macabre am Ende zur Verwendung.

Filmmusik und Sirenen
Doch auch in Spaß-Serien wird der Tritonus verwendet, etwa im Abspann der Muppet Show sowie in den Titelmelodien zu den Simpsons und South Park.
In den 1950er Jahren baute das Sirenensignal des New Yorker Zivilschutzes der Firma HOR auf dem Tritonus auf, sozusagen als Erbe des Zweiten Weltkriegs. Das beunruhigende Sirenengeräusch wird heute allerdings nicht mehr verwendet. Die Begrüßungsmelodie beim Einschalten des Apple Macintosh der Serie II war im Übrigen auch ein Tritonus.
Der Filmkomponist Mark Wilkinson hat den Tritonus in der Musik zu dem Horrorfilm Blood on Satan’s Claw (deutscher Titel: „In den Krallen des Hexenjägers“) aus dem Jahr 1971 verwendet. „Der Teufelsintervall hört sich einfach gemein und fies an, es ist eine unangenehme Tonfolge, die danach schreit, harmonisch aufgelöst zu werden. Den Tritonus zu spielen ist wie auf einem Bein zu stehen, während man aber weitergehen möchte“, so Wilkinson.
Von Giuseppe Tartini, einem Geigenvirtuosen aus dem 18. Jahrhundert, und seiner Devil’s Trill Sonata bis zur Hardrockformation Slayer und ihrem Album Diabolus in Musica ist es ein weiter Schritt, doch der Tritonus zeigt sich überraschend beständig.

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Nichts als Musik im Kopf

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Der musikalische Nachwuchs ist da. Rund 60 Kompositionsstudenten sind an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst inskribiert. Überleben kann man nur mithilfe von einem anderen Job und viel Idealismus. MDW-Absolventin Olga Neuwirth bekam jetzt den Staatspreis.

Mozart, Beethoven, Haydn – diese Namen kommen sehr oft vor, wenn man Menschen fragt, welche Komponisten ihnen spontan einfallen. Friedrich Cerha, Gerald Resch, Heinz Karl Gruber, Thomas Larcher und Wolfgang Sauseng werden weit weniger genannt. Letzteren gemeinsam ist: Sie sind lebende Komponisten aus Österreich. Und es gibt Komponisten-Nachwuchs.
An der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien (MDW) sind rund 60 junge Leute am Institut für Komposition und Elektroakustik (IKE) inskribiert: Neben dem Studium „Komposition und Musiktheorie“ (Schwerpunkte: Instrumental-, elektroakustische und Medien-Komposition) können auch ein Tonmeister-Studium sowie ein Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien belegt werden. Um mehr Forschung, Vernetzung und experimentelle Arbeit zu ermöglichen, wurde 2008 ein Zentrum für innovative Musiktechnologie (ZiMT) eingerichtet.

Triste finanzielle Aussichten
„Die Berufsausbildung steht bei uns nicht im Vordergrund, wir raten den Studierenden auch zu einem zweiten Standbein“, macht Institutsleiter Martin Lichtfuss deutlich, dass ein Leben als Komponist allein heute finanziell nahezu unmöglich ist. Viele absolvieren daher daneben eine Instrumental- oder Dirigenten-Ausbildung. Später arbeiten sie etwa als Musiklehrer, Instrumentalisten, Ensembleleiter, Kulturmanager oder Dirigenten. Die Tätigkeit als Komponist wird zusätzlich ausgeübt. „Ich kenne in Österreich nur drei Komponisten, die 3000 Euro im Monat verdienen“, kommentiert Lichtfuss die aktuelle Lage.
Ein weiteres Problem ist, dass „in den letzten zehn Jahren das allgemeine musikalische Grundbildungsniveau in Österreich rapide gesunken ist. Klassische Musik hören und spielen wird so gut wie nicht mehr gefördert, und Musikschulplätze werden gestrichen“, kritisiert Bernhard Eder, Kompositionsstudent an der MDW. Er war schon in seiner Kindheit von Musik fasziniert. Mit 14 Jahren wusste er: Ich will Komposition studieren. Ein Traum, den er sich nach Absolvierung des Wiener Musikgymnasiums erfüllte. Im vergangenen Jahr hat er sich aus verständlichen Gründen zusätzlich zur Dirigenten-Ausbildung angemeldet. „Es gibt noch genug Musik, die so noch nie gehört wurde, und es braucht ambitionierte Künstler, um diese zu schreiben und auch aufzuführen“, ist der Gewinner des Salieri-Kompositionswettbewerbs 2006 überzeugt.
Eder weiß aber aus eigener Erfahrung: „Das hohe internationale Niveau vieler ausländischer Studenten hat die Anforderungen, um überhaupt zum Studium zugelassen zu werden, auf ein enorm hohes Level gehoben.“

Anziehungspunkt Wien
Wien ist als Ausbildungsstätte international heiß begehrt. Der junge Deutsche Rostislav Gilman kam ursprünglich für sein Violinstudium nach Wien. Nach einer irreparablen Handverletzung entschloss sich Gilman (Vater: Dozent für Musiktheorie, Mutter: Musiklehrerin) zum Kompositionsstudium. Er will in Zukunft neben klassischer Konzertmusik auch Musik für Film und Fernsehen schreiben „Als Komponist Neuer Musik stößt man in Österreich oft auf taube Ohren“, bedauert Gilman. Andererseits ist Österreich kein schlechtes Pflaster für angehende Komponisten: Es gibt Festivals für zeitgenössische Musik wie etwa „Wien Modern“ und auch Möglichkeiten für Uraufführungen. Gilmans Werke wurden bereits mehrfach aufgeführt, etwa vom Jeunesse-Chor Wien oder dem Ensemble Lux (Uraufführung im Wiener Konzerthaus). „Die MDW ist eine hervorragende Institution“, streut Gilham seiner Uni Rosen.
Ebenso begeistert ist seine Studienkollegin Susanna Oldham aus Großbritannien: „Ich habe mich für Wien nach einem Erasmus-Austausch entschieden. Das Studium hier ist deutlich klarer, und Wien ist super, weil hier so viele unterschiedliche Musikrichtungen zu finden sind.“ Außerdem findet Oldham, dass es in Wien viel mehr Gelegenheiten für Konzerte und Aufführungen gibt als in ihrem Land.
Prominente Kompositionsabsolventen sind Olga Neuwirth (geboren 1968), Beat Furrer (geboren 1954), oder Karlheinz Essl (geboren 1960), Sohn des gleichnamigen Kunstsammlers. Olga Neuwirth, die aus einer Musikerfamilie stammt, bekam im April als erste Frau in der Musiksparte den Österreichischen Staatspreis.

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Wettlesen um gefüllte Socken

Wettlesen um gefüllte Socken

Fünf Minuten, ein Blatt Papier, der eigene Text. Poetry Slams sind literarische Wettkämpfe um die Publikumsgunst. 1986 als Alternative zu klassischen Lesungen initiiert, haben sie mittlerweile in die Literaturhäuser Einzug gehalten.

Die Salzuhr misst die Zeit, und das Moderationsteam ist streng. Fünf Minuten, mehr bleibt den Slammern nicht, um eine Geschichte aufzurollen, Stimmungen zu erzeugen, Bilder zu wecken. Beim Poetry Slam wird um die Gunst des Publikums gelesen. Es stimmt ab, wer in die nächste Runde kommt, wer den Abend gewinnt.
René Monet hat am Ende eines Poetry-Slam-Abends in Linz schon oft einen Socken in Händen gehalten. Der Socken, gefüllt mit Spenden aus dem Publikum, stellt den Hauptgewinn beim Postskriptum Slam dar. Von Speck bis Geld kann alles drin sein. Reich wurde davon freilich bislang niemand, aber um das Gewinnen geht es beim Slammen ohnehin weniger, heißt es. Was zählt, ist die Stimmung im Publikum. „Der Kontakt zum Publikum ist direkter, lebhafter als bei Lesungen, wo es mucksmäuschenstill ist. Man sieht, wie die Leute reagieren“, sagt René Monet.

Für das Publikum schreiben
Ein Text beim Poetry Slam funktioniert, wenn das Gelesene dem Publikum gefällt. „Das direkte Feedback ist super, aber es ist auch eine Gratwanderung, wenn man nicht nur will, dass das Publikum lacht und klatscht, sondern auch seine eigenen Sachen rüberbringen möchte“, sagt Dominika Meindl, die unter dem Namen Minkasia slammt und wie René Monet aus der Linzer Slamszene stammt.
Dass Texte beim Poetry Slam für das Publikum geschrieben werden, meint auch René Monet: „Wer Texte nicht für ein Publikum verfasst, sondern für sich selbst, wird eher nicht bei einem Slam lesen.“ Was für einen Slam zu lang ist, also mehr als zwei A4-Seiten umfasst, oder zu komplex wäre, veröffent­licht René Monet in klassischen Publikationsformen wie Anthologien oder Literaturzeitschriften.
Dennoch, ein Exotenprogramm abseits des traditionellen Literaturbetriebs ist die Poetry-Slam-Szene nicht mehr. Was der US-amerikanische Performance-Poet Marc Kelly Smith 1986 in Chicago als Gegenprogramm zu klassischen Lesungen mit Tisch und Wasserglas ins Leben gerufen hat, findet heute auch an literarischen Veranstaltungsorten statt, wo schon viele Wassergläser gestanden haben. Das Literaturhaus Wien beispielsweise hat mit dem „Slam B“ seit Oktober des Vorjahrs einen eigenen Poetry Slam. Markus Köhle, der im Innsbrucker „Bierstindl“ den ersten österreichischen Poetry Slam ins Leben rief, und Mieze Medusa gelten als Wegbereiter der Slam-Szene und sind im Literaturbetrieb keine Unbekannten.

Gut vernetzt
Poetry Slams finden mittlerweile mehr oder weniger regelmäßig in nahezu allen Bundesländern statt, die Szene ist vielfältig und gut vernetzt. Am meisten habe er bei den Slams nicht durch das Publikum, sondern durch den Austausch mit anderen Slammern gelernt, meint René Monet. „In kürzester Zeit hört man bei den Slams sehr viele Texte, da habe ich gemerkt, welch unterschiedliche Herangehensweisen es gibt.“ Die gute Vernetzung der Szene hat es dem Oberösterreicher ermöglicht, nicht nur ein Linzer Publikum zu erreichen, sondern bei Slams in ganz Österreich zu lesen. 2008 wurde René Monet bei der österreichischen Meisterschaft Ö-Slam „Vizeweltmeister“, ein Jahr zuvor schaffte er es beim internationalen Poetry Slam in München ins Halbfinale. Die nächste österreichische Meisterschaft findet dieses Jahr im Oktober statt – in Bozen. Denn, so die Veranstalter: „Es geht beim Poetry Slam nicht um Landesgrenzen. Wenn überhaupt, geht es um Sprachräume.“
Wer den Ö-Slam gewinnt, erhält „einen Pokal, viel Ehre“, mehr nicht. Aber: Die drei Erstplatzierten werden zu bezahlten Lesungen in österreichische Literaturhäuser geladen. Auch hier entscheidet das Publikum, wer es ins Finale und später in die Literaturhäuser schafft. „Ich mag die Bewertung nicht sonderlich, ich wurde auch in der Schule nicht gerne benotet“, sagt Minkasia, vorjährige Ö-Slam-Teilnehmerin und immer öfter auch Moderatorin des Linzer Poetry Slams. Nachsatz: „Das sagt jetzt eine, die nie gewinnt.“ Mit ein Grund, warum Minkasia mit René Monet im Vorjahr die Linzer Lesebühne ins Leben gerufen hat und damit dem Innsbrucker und Wiener Beispiel gefolgt ist. Auch das Konzept der Lesebühne kommt ursprünglich von anderswo, nämlich aus dem Berlin der späten 90er Jahre. Was die Lesebühne vom Poetry Slam unterscheidet: Es gibt keine Salzuhr und keine Zetteln, die das Publikum zum Abstimmen in die Höhe halten kann. Feedback gibt es trotzdem.

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Anna Weidenholzer, Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Playbackgesang aus voller Kehle

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Karaoke, das Unterhaltungsphänomen, gibt es neuerdings sogar schon als iPhone-Anwendung.

Daisuke Inoue könnte heute ein schwerreicher Mann sein. Der Japaner, dem die Welt die Erfindung der Karaokemaschine verdankt, hat damit vor allem im asiatischen Raum einen beispiellosen Trend ausgelöst. Leider vergaß er allerdings, seine Maschine patentieren zu lassen.
Der Hobbymusiker fing 1971 mit Playback-Bändern zu experimentieren an und bemerkte, dass sich die­se auch als Zeitvertreib für Möchtegernsänger eigneten. Er begann, Bars in der japanischen Stadt Kobe mit von ihm konstruierten Karaokemaschinen auszustatten, und trat damit einen neuen Trend los.
Weniger bekannt ist die Tatsache, dass das Prinzip des Playbackgesangs als Unterhaltung schon zuvor Ende der 1960er Jahre auf den Phi­lippinen populär war. Zu jener Zeit wurden Audiokassetten benutzt, die später vom phi­lippinischen Erfinder Roberto del Rosario verfeinert und als Sing-along-System namens „Minus One“ angeboten wurde. Technisch gesehen hält Rosario die Patente für diese „Karaokemaschine“, wie ein langer Rechtsstreit mit einem japanischen Unternehmen in den 1980er Jahren schließlich ergeben hat.
Wie auch immer, in den 1990er Jahren trat Karaoke seinen Siegeszug durch ganz Asien und auch nach Europa und Amerika an. Mit der Weiterentwicklung von Unterhaltungselektroniksystemen wurden Karaokemaschinen auch zunehmend zum Bestandteil von Home-Theatre-Anlagen. In Japan, Korea, Taiwan und den Philippinen sind außerdem Karaokekabinen an öffentlichen Orten wie Shopping Malls keine Seltenheit: Dort kann man nach dem Prinzip eines Münzfernsprechers schnell mal absingen gehen.

Karaoke via Handy
In Fernost kam es auch zu einem rapide steigenden Angebot von Karaokeklubs, in denen sich das Playbacksingen mit anderen Vergnügungen verbinden lässt. In vielen Bars kann sich der Möchtegernsänger auf Bildschirmen beobachten und sich bei Lightshows verlustieren.
Der letzte Schrei ist, wie könnte es anderes sein, Karaoke per Mobiltelefon. Neben einigen neuen Anwendungen ist es vor allem die Applikation „Karaoke Anywhere“ für das iPhone, die hohe Popularität erreicht hat. „Karaoke Call-out“ ist eine Anwendung für Nokia-Phones.
In Europa und den USA ist Karaoke ein Minderheitenprogramm geblieben und meistens Teil von Nachtklubunterhaltung. Private Karaokesalons oder Karaokeboxen wie in Asien gibt es an sich nur in Städten mit großer asiatischer Community wie Toronto, Los Angeles oder San Francisco.

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Konservierte Kunst

Konservierte Kunst KHM

Unter ihren Händen befinden sich nicht selten Werke von unschätzbarem Wert. In absolut ungestörter Umgebung der Restaurierwerkstätte des Kunsthistorischen Museums Wien nehmen acht Restauratoren mit Können und Akribie schwierige Eingriffe an Gemälden vor.

„Mich fasziniert an meiner Arbeit als Restauratorin in einem Museum wie dem Kunsthistorischen Museum vor allem das Privileg der Nähe zu den Kunstwerken und die Vielfältigkeit der Aufgabengebiete“, erklärt Monika Strolz, seit 1986 als Restauratorin ebendort beschäftigt.
Circa 8000 Kunstschätze birgt die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums (KHM), von denen in Wien permanent circa 800 und an anderen Orten wie der Porträtgalerie auf Schloss Ambras in Innsbruck circa 700 Gemälde ausgestellt sind. Jede Museumssammlung verfügt über eine eigene Restaurierwerkstätte. In jener der Gemäldegalerie arbeiten derzeit acht Fachleute. „In der Regel wählen Menschen diesen Beruf, die auch die Eignung und die Voraussetzungen dafür mitbringen, das heißt auch über die nötige Geduld für oft langwierige Arbeiten verfügen. Doch ist ein ruhiges, ungestörtes Arbeitsumfeld für konzentriertes Arbeiten unabdinglich.“
Die Dauer einer Restaurierung ist bei jedem Bild verschieden und hängt von dessen Zustand und dem Umfang der Maßnahmen ab. Die Bandbreite reicht von wenigen Tagen für kleinere, punktuelle Maßnahmen bis zu mehreren Jahren bei umfassenden Restaurierungen. „Restauriert und/oder konserviert wird, wenn es aus konservatorischen Gründen notwendig ist, etwa bei Gefährdung der Malschicht und/oder aus ästhetischen Gründen, wenn sich zum Beispiel alte Retuschen verfärbt haben oder Firnisse zu gelb geworden sind.“ Feine Risse in der Farboberfläche eines Ölgemäldes stellen keine Wertminderung dar und bedürfen keiner Restaurierung.
Am Beispiel der kürzlich zu Ende gegangenen Ausstellung „Vermeer. Die Malkunst. Spurensicherung an einem Meisterwerk“ wird die akribische wissenschaftliche Arbeit der Restauratoren mustergültig offenbar. Die Malkunst, eines der begehrtesten Gemälde der abendländischen Kunst, das Anlass zu umfassenden technologischen und konservatorischen Studien geboten hat und Besucher aus aller Welt täglich ins KHM führt, wurde in Wien von Hubert Dietrich, unterstützt durch den Chemiker Werner Jütte, in den Jahren 1995 bis 1998 restauriert.

Hundert Gemälde unter der Lupe
Diese Arbeit bildete den Ausgangspunkt für ein neues Projekt, das eine exakte Bestandsaufnahme des Zustandes und restauratorische und technologische Analysen der Malkunst mit aktuellen Methoden beinhaltete. Die Untersuchungen zu den verwendeten Pigmenten sowie Bindemitteln und den im Bildgefüge stattfindenden Alterungsprozessen haben das Verständnis hinsichtlich der Ursachen der Fragilität des Gemäldes verbessert. In Bezug auf die Maltechnik Vermeers war die Entdeckung eines weiteren Perspektivpunkts sowie die Auffindung von feinen Umrisslinien unter der Malschicht mittels Infrarotreflektografie wesentlich; sie ließen neue Schlüsse auf die technischen Mittel zu, die für die Bildkonstruktion und -komposition verwendet wurden.
„Im Durchschnitt befinden sich jeweils über hundert Gemälde gleichzeitig in der Restaurierwerkstätte der Gemäldegalerie. an denen etwas gemacht wird oder etwas gemacht werden muss“, erklärt Strolz. „Normalerweise arbeitet jeder Restaurator an einem Bild, das umfassend restauriert wird, sozusagen als Hauptarbeit. Zudem sind ständig Bilder in der Werkstätte, die zu Ausstellungen verliehen werden, an denen kleinere, punktuelle Maßnahmen zu treffen sind.“
Es gibt international gültige Standards in der Restaurierung/Konservierung wie die Richtlinien der European Confederation of Conservator-Restorers’ Organizations. Etwa den Grundsatz, nur stabile und reversible Materialien zu verwenden. Innerhalb dieser Grundsätze gibt es unterschiedliche Ansätze methodologischer und ideologischer Art. So unterscheiden sich etwa die Auffassungen hinsichtlich des Grades von Reinigungen (Firnisabnahmen), wo in den angelsächsischen Ländern tendenziell weiter gereinigt wird als etwa in Frankreich oder Österreich.

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Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Buchtipp

Buchtipp

Als Dirigent gefeiert, als Komponist umstritten.

Anlässlich des 150. Geburtstags von Gustav Mahler (geboren am 7. Juli 1860 im Dorf Kalischt in Böhmen) hat der dtv-Verlag eine aktualisierte Biografie im Taschenbuchformat auf den Markt gebracht. Gleich vorweg: Man muss schon ein echter Mahler-fan sein, um sich dieses Werk zu Gemüte zu führen. Denn die knapp 1000 Seiten sind eine Herausforderung. Allerdings eine lohnende. Mahlers bewegtes, ja rastloses Leben wird behutsam-penibel und angenehm lesbar beschrieben. Inhaltlich hat sich Autor Jens Fischer, emeritierter Professor für Theaterwissenschaften an der Münchner Uni, im Aufbau an Mahlers Symphonien gehalten. Es macht Spaß, mit seinen Analysen das Werk Mahlers besser zu verstehen. Die erste Symphonie etwa beschreibt er als „Erstling, der es in sich hat. Sicher die kühnste symphonische Visitenkarte der ganzen Musikgeschichte.“ Zu Lebzeiten waren Mahlers Kompositionen umstritten. Sein Privatleben war problematisch. Nach zahlreichen Liaisonen war die Ehe mit der knapp 20 Jahre jüngeren Alma Schindler nicht unproblematisch. Im „annus horribilis“ 1907 starb noch dazu Mahlers ältere Tochter Maria an Diphtherie, bei ihm selbst wurde eine Herzkrankheit diagnostiziert. Danach blieben Mahler nur noch wenige Jahre. Ein En­gagement in New York ging sich noch aus. Mahler starb 1911.
Jens Malte Fischer:
„Gustav Mahler. Der fremde Vertraute“
dtv, München, 2010, 27,70 Euro
ISBN: 978-3-423-34613-9

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Contra: Hungerkünstler

Contra: Hungerkünstler

Kunst soll also am wahrhaftesten sein, wenn die Künstler arm sind. Wenn Hunger als schöpferischer Grundimpuls einen Maler antreibt, wird er vielleicht besonders kreative Stillleben mit Brotlaiben schaffen. So er noch Farbe in seinen Tuben, Tiegeln oder Spraydosen hat. Wenn nicht, kann er ja mit seinem Blut malen. Eine Schriftstellerin hat es leichter, das Schreiben auf Papier ist billig, das kann man überall, in U-Bahnstationen oder auf Parkbänken, so es nicht regnet. Auch eine eigene Wohnung braucht man nicht unbedingt, man kann ja die Erfahrung von Obdachlosigkeit literarisch verwerten. Computer? Unnötiger Luxus. Thomas Mann hat auch mit Tinte geschrieben. Zugegeben, der war wohlhabend, der wusste, dass er zu Mittag gut speisen würde. Wenn Leute mit einem schönen Angestelltengehalt gegen staatliche Unterstützung von Kunst wettern und für die Freiheit des Marktes plädieren, ist das seltsam. Der Markt soll also die Kunst regeln. Gerade in Zeiten, wo die Finanzmärkte die halbe Welt krachen lassen und Regierungen ständig eingreifen, um diverse Kollapse zu verhindern. Es geht nicht darum, dass jede aspirierende Künstlerin ein Grundeinkommen bis zum Lebensende und kostenlosen Friseurbesuch erhält. Sondern dass mit Arbeitsstipendien, Preisen, Ankäufen von Kunstwerken, Filmförderung und dem ganzen Brimborium den jungen Hungerkünstlern das Kunstschaffen ermöglicht wird – bis sie sich auf dem Markt behaupten können.

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

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