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03. Juli 2024

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Ein Zeichen für die Kunst

Ein Zeichen für die KunstFWF/Seumenicht

Das Förderprogramm PEEK ist nicht die einzige Maßnahme, die seitens des Wissenschaftsfonds gesetzt wird, um Forschung und Wissenschaft in der Kunst mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. Heuer wurde erstmals auch ein eigener Kunstpreis vergeben.

Wer nach forschenden Künstlern sucht, muss das auch öffentlich kundtun. Der Wissenschaftsfonds FWF hat es sich im Rahmen des „Programms zur Entwicklung und Erschließung der Künste“ (PEEK) zur Aufgabe gemacht, die künstlerische Forschung nicht nur zu fördern, sondern auch zu stimulieren. Für entsprechende Aufmerksamkeit sorgten dieser Tage nicht nur die Teilnahme von PEEK auf der Wiener Kunstmesse „Viennafair“, sondern auch die erstmalige Verleihung eines Kunstpreises.

Künstlerische Gesamtposition
Der FWF-Kunstpreis ist mit 10.000 Euro dotiert. Marcus Geiger ist der erste Künstler, dem diese Auszeichnung zuteilwurde. Laut Jurybegründung wird damit die „künstlerische Gesamtposition“ von Marcus Geiger gewürdigt. Die Arbeiten des im Aargau (Schweiz) geborenen, seit 20 Jahren in Wien lebenden Künstlers hätten immer „einen typischen Witz, weil die Gravität des beanspruchten Werkstatus unterlaufen wird.“ Als exemplarisches Einzelwerk wurde sein Bild „20er Haus – 21er Haus“ ausgewählt, ein Schnappschuss von der Baustelle des Museums im dritten Wiener Gemeindebezirk, an dessen Stelle ein neues entstehen soll.
„Mit ‚20er Haus – 21er Haus‘ hat Marcus Geiger für seinen Schnappschuss ein tief in die österreichische Institutionengeschichte eingeschriebenes ‚Found Object‘ gewählt. Die Arbeit lässt sich gleichsam als Kippbild lesen, insofern die Baustelle als Ruine erscheint, gleichzeitig aber etwas im Entstehen Begriffenes antizipiert, zumal das 20er Haus nach Abschluss der Sanierungsarbeiten das 21er Haus sein wird“, so das Statement der Fachjury des FWF-Kunstpreises.
Dieses Bild ziert heuer alle FWF-Printprodukte wie etwa den Jahresbericht. Bekannt wurde Marcus Geiger unter anderem durch die rote Färbung der Wiener Secession im Jahr 1998.

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Der schöne Beigeschmack

Der schöne BeigeschmackAndy Urban

Kaufen, was einem gefällt, als persönliche Bereicherung – der Mut, Kunst zu sammeln, die andere nicht kennen – die Qualität eines Bildes und das Aussterben von Atelierfesten: der Wiener Kunsthändler Gerald Ziwna im Gespräch mit economy.

Was die bildende Kunst betrifft, werden in Österreich bei Auktionen und Messen immer Werke von denselben österreichischen Künstlern angeboten und gehandelt. Experten schätzen den kleinen Kreis der angebotenen Namen auf maximal 300 Personen. Die Zahl der lebenden und verstorbenen österreichischen bildenden Künstler von hoher Qualität und mit einem entsprechend umfangreichen Schaffenswerk wird aber mit mindestens 10.000 Namen angeführt. Gerald Ziwna, Experte für die klassische Moderne, arbeitet seit 15 Jahren die Nachlässe von umfangreichen Werken österreichischer Künstler auf. Nach der erfolgreichen Aufarbeitung des Nachlasses von Alfred Kornberger wurden bei der letzten Kunstmesse im Künstlerhaus erstmals Werke aus dem Nachlass von Leopold Ganzer präsentiert.

economy: 80 Mio. Euro wurden kürzlich bei einer Auktion in New York für einen Picasso erzielt, 6 Mio. Euro für einen alten Meister in Wien. Geht es mit den Kunstpreisen wieder bergauf?
Gerald Ziwna: Die Kunst hat nicht wirklich gelitten. Bedingt durch das wirtschaftliche Umfeld haben Sammler in der Vergangenheit etwas gebremst. Der Kunstmarkt zeichnet sich aber dadurch aus, dass Einbrüche immer nur kurz andauern und rasch überwunden werden. Zumindest ist jetzt der Ansatz zu spüren, dass die Kunstkäufer wieder mehr Vertrauen in eine beständige Investition haben.

Welche Trends gibt es national und international, sind etwa die alten Meister wieder im kommen?
Die alten Meister haben in den 90er Jahren das Interesse der Sammler verloren. Jetzt holen sie wieder auf, und das gilt insbesondere international. Generell steht aber die Kunst nach 1945 im Mittelpunkt, die klassische Moderne. Auch das wiederum primär international.

Wer kauft heutzutage Kunst?
Das sind einerseits öffentliche Institutionen wie internationale Museen und große Privatsammlungen, die manchmal auch in Verbindung mit Museen kaufen. Bei den Nationalitäten sind es England und die USA. Andererseits boomt der asiatische Raum in den letzten fünf Jahren geradezu. Es gibt aber auch viele russische Sammler, die großen Wert auf europäische Kunst legen und die auch in Wien kaufen. Die wichtigsten internationalen Drehscheiben im Kunstmarkt stellen aber weiterhin London und New York dar.

Was ist mit Österreich als Kunsthandelsstandort?
Österreich ist ein kleiner Markt, aber mit großem Potenzial. Es gibt viele Sammler, und viele davon sammeln österreichische Kunst. Der Nachteil ist, dass es einen gewissen Namenshandel gibt …

… und weitgehend immer dieselben österreichischen Maler gehandelt werden. Gibt es außer Maria Lassnig und Arnulf Rainer keine anderen guten Österreicher?
Es gibt sehr viele gute österreichische Maler. Meine Frau und ich arbeiten gezielt Nachlässe österreichischer Maler auf. Wir suchen entsprechend qualitativ hochwertige Künstler. Ich möchte hier unsere letzten zwei Nachlässe von Alfred Kornberger und Leopold Ganzer nennen. Beide hatten schon zu ihren Lebzeiten einen hohen künstlerischen Stellenwert, waren aber im Kunstmarkt nicht verankert.

Das erscheint aber nicht logisch.
Viele Künstler sind von Ihrer Natur her eher zurückhaltend. Sie bilden nur einen kleinen Kreis, wo sie handeln, teilweise mit öffentlichen Institutionen oder ausländischen Sammlern. Sie sind gar nicht interessiert an der Zusammenarbeit mit dem Kunstmarkt, etwa in Form von Galerien.

Stichwort Nachlässe: Sie haben viele Jahre eine Galerie in der Wiener Innenstadt betrieben und sich dann auf Nachlässe spezialisiert. Allein das Werkverzeichnis von Alfred Kornberger („Der Akt als Innovation“, Anm. d. Red.) weist über 1300 Ölbilder auf. Bei der letzten Kunstmesse im Wiener Künstlerhaus haben Sie erste Bilder aus dem umfangreichen Werk von Leopold Ganzer präsentiert. Warum tut sich ein erfolgreich etablierter Kunsthändler so einen Aufwand an?

Wir arbeiten schon seit 15 Jahren Nachlässe mit Schwerpunkt klassische Moderne auf, etwa Franz Elsner oder Carl Unger. Es ist in der Tat ein großer Aufwand, zeitlich und finanziell. Mit der Auflösung der Galerie können wir uns nun ganz auf die Nachlässe konzentrieren und hier auch internationale Sammler ansprechen, die Wert auf qualitativ hochwertige österreichische Kunst legen, welche eben noch nicht entsprechend aufgearbeitet ist. Das Verhältnis Qualität zu Preis/Leistung ist hier besonders interessant.

Das heißt, neben der Liebe zur Kunst gibt es schon auch einen kommerziellen Aspekt?
Natürlich, das Verhältnis Qualität zu Preis/Leistung ist bei der Aufarbeitung von ganzen Nachlässen besonders interessant und für Sammler somit auch entsprechend attraktiv.

Thema Kunst als Investment. Wie baut man eine Sammlung auf?
Ich sage immer meinen Kunden: Man soll nie Kunst kaufen, nur um Wertigkeit zu sammeln. Kaufen soll eine persönliche Bereicherung sein, es braucht einen Bezug zur Kunst, und man soll nur das kaufen, was auch gefällt. Die Wertigkeit muss primär eine seelische sein. Das Investment und seine Vermehrung ist dann der schöne Beigeschmack.

Was wünschen Sie sich für die österreichische Kunstszene?
Schön und wichtig wäre, wenn es wieder mehr Kunstvereinigungen gäbe, so wie das früher der Fall war, und damit meine ich nicht nur die Wiener Werkstätten. Das war auch einmal der Sinn des Wiener Künstlerhauses und der Wiener Secession. Zur Jahrhundertwende gab es die Kunstschau, nach dem Krieg dann den Hagenbund. Es gibt aber auch selten große Atelierfeste, wo Sammler eine neue Schaffensperiode oder einen Zyklus sehen und kaufen können. Ideal ist aber ebenso das Internet als Plattform der Präsentation, die ja gleichfalls ständig wächst. Aber es liegt auch sicher daran, dass viele Kunstsammler zu wenig Mut und Interesse zeigen, für Neues und Unbekanntes aufgeschlossen zu sein. Darüber hinaus wäre es gut, wenn die Medien mehr darüber berichten würden, in einer fast alltäglichen Aufklärung und Kunstbegleitung, die dann ins Bewusstsein der Menschen übergehen kann. Kunsterwerb ist zwar in einer gewissen Preisklasse ein Privileg, aber nicht unerschwinglich.

Was macht ein qualitativ gutes Bild aus?
Bei jedem Kunstwerk gibt es ein Qualitätskriterium. Egal ob alter Meister, klassische Moderne oder zeitgenössische Kunst. Nehmen wir ein expressives Stillleben, Früchte und Krug liegen vor dem Künstler. Ist das Bild im Kopf fertig, gelingt ein Werk aus einem Guss. Ist es mental nicht fertig und der Künstler wusste nicht so ganz, wie er den Krug expressiv richtig darstellt, fängt er am Malgrund zu experimentieren an. Das sieht und spürt man, dass der Künstler das Gewollte nicht umsetzen kann, denn er beginnt mit der Farbe zu patzen, worunter die Qualität leidet.

Muss ein guter Künstler akademisch gebildet sein, oder gibt es auch gleichwertige Autodidakten?
Gute Künstler, die nicht auf der Akademie waren, die sich also selbst geformt haben, können den gleichen Stellenwert haben wie die bestausgebildeten Künstler einer Akademie.

Nochmals zum Kunststandort Österreich: Bei den großen österreichischen Kunstauktionen fällt auf, dass viele Objekte ins Ausland gehen. Fehlt es den Österreichern an Kunstverständnis?
Nein, das kann man so nicht sagen. Da Österreich ein kleines Land ist und das Käuferpotenzial, so wie international, generell gering ist, schlägt sich das folglich auch auf dem Kunstmarkt nieder. Die österreichische Kunst selbst gelangt nur gemäßigt ins Ausland. Ausnahmen sind österreichische Nachbarländer, die schon auch bildende Kunst aus Österreich kaufen. Nicht vergessen bei ausländischen Kunden darf man ausgewanderte Österreicher.

Sie haben anfangs die Rolle der Museen im Kunstmarkt erwähnt. Finden Sie diese zufriedenstellend?
Nein, hier gibt es großen Verbesserungsbedarf, weil die zuständigen Kuratoren oder Direktoren nicht nur auf Qualität oder auf eine spannende Präsentation österreichischer Künstler achten, sondern vermehrt ihre Aufgabe als Leiter eines Museums in einer Weltstadt sehen, in der weiteren Folge des vorgegebenen internationalen Museenprogramms. Das gilt insbesondere für Museen, die eigentlich die Verpflichtung haben, bildende Kunst aus Österreich zu bringen. Auch Künstler, deren Werk eben noch nicht komplett aufgearbeitet ist.

Welches Museum ist hier gemeint?
Zum Beispiel die Österreichische Galerie, wo es eigentlich den Auftrag schon immer gab, österreichische Kunst zu fördern und zu präsentieren. Leider sucht man heute generell nur die großen ausländischen Namen, um bei den Besucherzahlen auf der sicheren Seite zu sein. Dadurch leidet die österreichische Kunst. Es gibt schon auch Ausstellungen österreichischer Künstler, die werden aber subjektiv und nicht qualitativ ausgesucht. In der Albertina könnte man ebenso mehr Österreicher aufarbeiten, die noch keinen Namen haben, aber hochwertig sind und international mithalten können. Das müsste man doch mit Stolz fördern. Dafür haben sich etwa Rudolf Leopold oder Karlheinz Essl und nun auch Herbert Liaunig immer eingesetzt, sie besitzen den Mut, noch nicht so bekannte Künstler zu erwerben und dann auch in ihren Museen vorzustellen. Aber muss da erst ein Privater ein Museum bauen können, um unsere heimischen Künstler zu fördern?

Letztendlich ist das eine politische Frage. Museen müssen ihren öffentlichen Geldgebern eine möglichst hohe Auslastung präsentieren. Die bekommen sie aber nur mit großen Namen und nicht mit guten, aber leider nicht so bekannten Österreichern.
Und darum braucht es von der öffentlichen Hand mehr Geld für die Museen. Oder wenn man für Kunstinvestoren ein freundlicheres Steuerpaket schnüren würde, gäbe es sicher auch mehr Firmen, die sich als Sponsoren mancher Museen hergeben würden, siehe Modell in Amerika. Deshalb funktioniert der Kunstmarkt dort so großartig. Ansätze gibt es ja schon von großen Versicherungen und Banken. Aber es müssten mehr Gesellschaften auf diesen Zug aufspringen können. Museen müssen ja auch in der Lage sein, weniger bekannte Künstler zu präsentieren, wo sowohl die Qualität stimmt als auch ein großes, noch nicht aufgearbeitetes Schaffenswerk da ist. Es wäre auch die Aufgabe der Kuratoren, sich ein größeres Spektrum herzunehmen als immer nur dieselben 300 Namen, die man in Österreich kennt. Es gibt circa 10.000 lebende und verstorbene bildende Künstler in Österreich, die es wert wären, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt, um dann zumindest zehn Prozent davon aufzuarbeiten.

Und die Albertina zeigt dafür demnächst Porzellan aus Meißen. So als ob es in Österreich keine Susi Singer, Vally Wieselthier, Kitty Rix oder keinen Eduard Klablena, Michael Powolny, Bertold Löffler oder auch keine Augarten-Manufaktur, keine Wiener Werkstätte gegeben hat, die zumindest genauso gut sind.
Ich würde sogar sagen, sie sind wesentlich besser, kreativer! Sehen Sie, das meinte ich zuvor: dass wir zu wenig nationalen Stolz besitzen, um unsere tollen Künstler aufzubauen, das ist wirklich sehr bedauerlich! Österreichische Künstler, egal ob sie verstorben sind oder noch leben, und die heimischen Manufakturen können international absolut mithalten, werden aber nicht einmal im eigenen Land genügend gewürdigt.

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Der Mann, der kein Leben hat

Der Mann, der kein Leben hatORF/Milenko Badzic

Roland Düringer: „Entweder du hast ein Leben und kümmerst dich als ein Ich mit einem Namen um dieses Leben und betreust es wie ein fremdes Ding, das nichts mit dir zu tun hat, du lebst aber nicht; oder du lebst einfach“, sagt der Schauspieler, der sagt, dass er kein Kabarettist ist.

economy: Bist du schon einmal den Tesla Roadster gefahren, das schnellste Elektroauto der Welt?
Roland Düringer: Nein, man hat es mir zwar oft angeboten, ich habe das aber verweigert. Erstens, weil er mir optisch überhaupt nicht gefällt und wie zusammengebastelt ausschaut, und zweitens, weil das nicht der Sinn sein kann, mit Elektromobilität den gleichen Schwachsinn, den wir bisher gemacht haben, jetzt elektrisch zu machen. Ein Auto um 90.000 Euro kann nicht die Zukunft sein. Wenn wir Elektroautos wollen, brauchen wir kleine Fahrzeuge und nicht Prestigeobjekte. Es wird bei der ganzen Thematik eines vergessen: dass wir im kollektiven Wahnsinn unserer Zeit versuchen, unsere bisherige Form der Mobilität zu erhalten, nur eben jetzt mit Strom.

Wie sollte deiner Ansicht nach die Entwicklung ausschauen?
Wir müssen uns in Zukunft überlegen, wie wir weniger fahren; und nicht, womit wir genauso schnell und viel wie bisher fahren, nur ohne schlechtes Gewissen zu haben. Wir müssten unsere Städte und Landschaften und die ganze Infrastruktur so umbauen, dass wir uns überhaupt weniger mit einem Fahrzeug bewegen müssen. Aber wir haben das alles in den letzten Jahrzehnten zerstört – gut funktionierende Infrastrukturen, wie es sie lange Zeit gegeben hat. Ich bin im zehnten Wiener Bezirk aufgewachsen und dort einkaufen gegangen. Ich konnte alle Besorgungen mit einem Weg von nicht mehr als 100 Metern erledigen – zu Fuß. Das ist auch Mobilität, nur gilt das heute nicht mehr als solche.

Was hat sich deiner Wahrnehmung nach am meisten verändert?
Ich fahre seit 25 Jahren in Österreich auf Tour. Früher konnte ich erkennen, ob ich in Tirol oder im Burgenland bin, weil die Ortschaften anders ausgeschaut haben. Heute ist es egal, wo ich von der Autobahn runterfahre, es kommt immer das Gleiche: Kreisverkehr mit Autohändler und Tankstelle, Baumarkt, Supermarkt. In den Ortschaften gibt es dann verkehrsberuhigte Zonen, aber die Autos fahren trotzdem durch. Und die Geschäfte in den Ortskernen sterben aus. Man ist also gezwungen, mit einem Fahrzeug mobil zu sein. Und das ist unser Dilemma, noch dazu, wo uns die Ressource Erdöl ausgeht, mit der wir ohnehin schon genug Dreck gemacht haben.

Aber gerade deswegen muss doch der Elektromobilität die Zukunft gehören.
Die Elektromobilität wird auf jeden Fall kommen. Ich bin da eh ein Vorreiter; ich habe Elektromotorräder zu Hause, Fahrräder mit Elektrozusatzantrieb, und ich hatte schon Hybridautos. Das Problem ist aber noch immer: Benzinauto bedeutet, hin zur Tankstelle, zwei Minuten tanken und weiterfahren; Elektroauto bedeutet, zwei Stunden an die Steckdose anstecken. Es kann aber auch die Möglichkeit geben: eine Norm für Akkus, hinfahren, Akku raus, Akku rein, weiterfahren. Das geht genauso einfach, wie man Batterien in irgendeinem Elektrogerät wechselt. Dann wäre das Elektroauto nicht nur gleichwertig, sondern sogar besser.

Bleibt noch die Frage zu klären, wo all der zusätzliche Strom herkommen soll.
Na klar, und dazu kommt noch, dass viele Menschen das Auto nicht einfach nur als Fortbewegungsmittel benutzen. So ein Auto muss heutzutage so einiges können; alles muss elektrisch funktionieren, man hat Klimaanlage, Automatik und Hifi-Anlage. Das alles braucht zusätzliche Energie. Und dann eben die Frage, wo der Strom herkommt. Wir machen mit den Elektrofahrzeugen dort, wo wir fahren, keinen Dreck, aber wir machen ihn woanders, nämlich bei der Erzeugung des Stroms. In ein paar Jahrzehnten werden wir überwiegend mit Elektroautos fahren, aber das ergibt natürlich nur dann Sinn, wenn wir den Strom dafür mit erneuerbaren Energien wie zum Beispiel der Windenergie erzeugen.

Wie empfindest du das, wenn du in einer Gegend mit vielen Windrädern unterwegs bist?
Man kann Windräder als etwas sehen, was in der Landschaft störend wirkt, oder als Wesen aus einer anderen Welt, als Windgeister, die sehr energievoll sind. Ich finde sie im positiven Sinn gespenstisch. Wenn sich diese riesigen Rotoren im Wind bewegen, hat das fast etwas Mystisches. So ein Windpark ist für mich wie eine moderne Kultstätte. Wenn ich dieses rote Licht in der Mitte aufblinken sehe, dann sehe ich immer so Riesenwesen mit einem roten Auge, aber eben von Menschen gemachte Wesen – Windriesen gleichsam. Windenergie hat ja etwas sehr Naturverbundenes, weil der Wind eines der Naturelemente ist wie Wasser, Feuer oder Erde.

Du findest sie also nicht störend in der Landschaft?
Ich weiß, es gibt Leute, die sich über die Windräder aufregen, weil die angeblich das Landschaftsbild zusammenhauen. Für mich ist aber die gesamte Gestaltung unserer Landschaft fragwürdig. Wer bei Loosdorf auf der Westautobahn oder im nördlichen Burgenland unterwegs ist und sich darüber aufregt, dass die Windräder hässlich sind und nicht in die Natur passen, der hat vorher nicht geschaut. Weil dort rundum nichts Natürliches ist. Das ist eine landwirtschaftliche Nutzfläche, die nichts mit Natur zu tun hat. Unsere Vorstellung, Äcker und Wiesen und Ähnliches seien Natur, ist falsch. Sobald der Mensch das Land zu bewirtschaften anfängt, ist es nicht mehr Natur-, sondern Kulturlandschaft, und Windräder sind eben auch Kultur.

Hast du da ein neues Umweltbewusstsein entwickelt, oder hast du das schon immer so gesehen?
Das hat sich im Lauf meines Lebens verändert, wie sich viele Dinge im Lauf eines Lebens verändern, wenn man es zulässt. Für mich hat sich sehr viel verändert, seit ich auf dem Land lebe. Ich bin in Wien aufgewachsen und dann Anfang der 90er Jahre aufs Land gezogen. Da hat man einen anderen Bezug zu Umwelt und Natur, ganz einfach weil man in einer anderen Umwelt lebt. In der Stadt sieht man keinen Sternenhimmel, man kriegt die Jahreszeiten nicht so richtig mit und auch nicht den Tagesablauf, weil es in der Stadt immer hell ist. Auf dem Land schaust du dir die Natur mit anderen Augen an, und du bekommst viel direkter mit, wie du der Natur Schaden zufügst.

Wie hat sich da dein eigenes Verhalten geändert?
Ich bin früher leidenschaftlich gern Enduro-Rennen gefahren, bei denen man mit dem Motorrad durch den Wald fährt. Das ist wahnsinnig schön. Auf einer Mistgstätten Motocross zu fahren ist nicht so schön wie durch den Wald. Irgendwann bin ich dann auf Mountainbike umgestiegen. Heute gehe ich zu Fuß durch den Wald, da bekommt man nämlich am meisten mit; und noch mehr, wenn man stehen bleibt.

Welche Vorzüge siehst du noch im Leben auf dem Land im Gegensatz zu dem in der Stadt?
In der Stadt fühlt man sich sicherer vor der bösen Natur und unbewusst vielleicht vor dem Verhungern. Was aber überhaupt nicht stimmt. Weil man auf dem Land einen großen Vorteil hat: Man kann sich im Garten selbst was anpflanzen. Was ja über weite Strecken der Menschheitsgeschichte immer so war. Die Menschen haben immer in einem relativ kleinen Gebiet gelebt, zumindest nachdem sie sesshaft geworden waren. Vorher waren sie Nomaden, das war überhaupt das Beste. Die einzige normale Art, zu leben, ist eigentlich die als Jäger und Sammler und Nomade.

Wieso findest du das?
Weil es da die wenigsten Probleme gibt. Es gibt keinen Krieg, denn es gehört dir nichts, also gibt es auch nichts zu verteidigen. Später haben die Menschen an ihrem Wohnort alles gehabt, was sie zum Überleben gebraucht haben, vor allem natürlich Nahrung. Das hat sehr lange Zeit sehr gut funktioniert. Noch meine Großeltern zum Beispiel, die im Waldviertel ein Wirtshaus hatten, hatten ein Schwein, eine Kuh und einen Gemüsegarten. Und das war’s. Brot hat die Oma noch selber gebacken. Man kann also auch so überleben.

Da sind wir nun auch bei deiner Rolle als „Der wilde Gärtner“. Offensichtlich ist das nicht nur eine Rolle, sondern auch privat ein Anliegen von dir.
So ist es. Das ist ein Projekt, das ich entwickelt habe, weil es mit mir sehr viel zu tun hat. Und ich denke, das ist auch für viele andere Menschen ein wichtiges Thema.

Wie ist die Idee zu dieser Sendung entstanden?
Ich habe damit begonnen, hinter meinem Haus ein Hügelbeet anzulegen, weil mich das interessiert hat. Ich hab dort Samen ausgestreut und war verblüfft, was dann dort alles gewachsen ist; und dass man das auch essen kann und dass das viel besser schmeckt als diese denaturierten Nahrungsmittel, die wir sonst zu uns nehmen. Ich habe dann einfach weiter ausprobiert. Ich habe einen Freund, der Gärtner ist, den Xandl, und wie wir so darüber nachdenken, wie wir den Garten weiter gestalten, sind wir draufgekommen, dass es eigentlich keine klasse Gartensendung gibt. Und dann haben der Xandl und ich ein Konzept für eine eigene Gartensendung entwickelt, und das ist jetzt Der wilde Gärtner.

Du bist also jetzt der Obergärtner der Nation?
Schau, meine Funktion ist die, Wissen zu vermitteln. Nicht mein Wissen, denn ich bin ja kein Gärtner, sondern das Wissen, das in uns allen schlummert, aber leider verschüttet ist – das Wissen, dass wir immer von Pflanzen gelebt haben; Wissen, das aber jetzt verloren geht, so wie es den Gemüsegarten meiner Großeltern nicht mehr gibt. Heutzutage wissen die Kinder zwar, wie eine Karotte ausschaut, wenn sie auf dem Tisch liegt, aber sie wissen nicht, wo und wie eine Karotte wächst. Ob die auf einem Baum oder einem Strauch oder in der Erde wächst.

Ich war letztens im Supermarkt und habe eine ganze Sellerieknolle, einen Zeller, wie man in Wien sagt, gekauft. Das junge Mädchen bei der Kassa hat die Knolle in die Hand genommen und hin und her gedreht wie Hamlet den Totenschädel. Sie hatte keine Ahnung, was das ist.
Ja, so ist es. C’est la vie, Sellerie. Und wenn ich dem mit meinem Projekt ein bisschen entgegenwirken kann, dann bin ich schon zufrieden.

Nach welchem System gärtnerst du privat?
Nach gar keinem. Wir lassen den Garten einfach. Es gibt ja die Permakultur und viele andere Systeme, aber wir machen das anders. Ich habe von meinem Nachbar ein großes Wiesengrundstück gepachtet. Dort bin ich zuerst einmal mit dem Bagger hineingefahren und habe die Landschaft verändert. Wir haben einen Teich angelegt und 200 Sträucher und Bäume gepflanzt. Das wird jetzt immer mehr ein Wald. Und ich lasse das einfach so wachsen und mache überhaupt nichts. Die Sträucher bieten immer wieder kleine Leckereien wie Asperln, Elsbeeren und ähnliche Früchte. Aus denen kann man feine Marmelade machen oder Schnaps brennen.


Also mehr so eine Hollodaro-Gärtnerei?
Nein, nein, auf keinen Fall. Du weißt, dass bestimmte Pflanzen einen bestimmten Standort brauchen, mehr Schatten oder feuchter, und damit ergibt sich schon eine Vorgabe. Und jeder Boden ist natürlich anders. Das Problem mit den schlauen Systemen aus den Gartenbüchern ist halt: Das funktioniert bei diesen Menschen, die das schreiben; weil die dort, wo sie zu Hause sind, ein bestimmtes Kleinklima und eine spezielle Bodenbeschaffenheit haben. Das kann man aber nicht so einfach umlegen. Was in Südengland funktioniert, kann ich nicht auf den alpinen Raum umlegen; das geht nicht. Ich muss das an meinem Platz ausprobieren: Diejenigen Pflanzen, die dort hingehören, gedeihen dort auch gut; und die, die nicht passen, verschwinden mit der Zeit. Ich habe zehn Eichen gepflanzt, und nur eine hat überlebt. Eichen gehören dort also nicht hin; im Gegensatz zu Weiden, die nur so Gas geben.

Aber hast du nicht auch einen Nutzgarten?
Ich habe Hochbeete in meinem Garten, das ist meine private Nahrungsmittelproduktion. Da ist gute Komposterde drinnen, da steht alles in Reih und Glied, da weiß ich ungefähr, was zusammengehört, und mache jedes Jahr einen Fruchtwechsel. Das ist fast wie eine kleine Landwirtschaft, denn da stehen zehn solcher Hochbeete, und da kommt ein ganz schöner Ertrag zusammen. Und dann gibt es den wilden Bereich, da wachsen Bärlauch, Beinwell und vieles mehr, und dann die ganzen Beeren, Himbeeren, Brombeeren, das wächst sowieso wie Unkraut. Und das ernte ich auch alles.

Du gehst also mit deinem Garten sehr locker um?
Ich habe keinen Garten, den man herzeigen möchte. Der Mensch funktioniert ja dann wieder so, dass er den Garten dazu benutzt, um zu zeigen, wie gescheit er ist, was er alles kann, was er sich leisten kann, dass er besser ist als der andere. Die ganzen krankhaften Mechanismen werden auf den Garten übertragen. Das heißt, du gestaltest ein Stück Natur, indem du ihm deinen Willen aufzwingst. Darum sage ich in meinem Gartenmagazin: „Es ist nicht wichtig, was Sie aus Ihrem Garten machen, sondern, was Ihr Garten aus Ihnen macht.“

Spiegelt sich in der Entwicklung deiner Programme über die Jahre auch deine persönliche Entwicklung wider?
Natürlich, das kann gar nicht anders sein, weil ich ja alle meine Programme selber entwickle und schreibe. Und da kann ich immer nur Sachen aus mir selbst herausholen. Was in meinem Leben gerade Thema ist, was mich beeinflusst.

Sehe ich das richtig, dass das immer mehr in Richtung Kulturkritik geht? Ich erinnere mich noch gut an dein Programm „Düringer ab 4,99“.
Ja, das kann man schon so sehen. Die Leute waren damals richtiggehend schockiert. Aber lustigerweise habe ich, das war 2006, über Dinge geredet, die dann 2008 schlagend geworden sind. Ich habe den Leuten zu erklären versucht, wie das ganze System funktioniert; dass wir eine blöde Biomasse sind, die das tut, was andere wollen, es aber nicht merkt. Das ist ein vorgegebenes Programm, das wir alle mitfahren, und wobei wir noch den Eindruck haben, glücklich zu sein. Wenn aber die Regisseure den Schalter umlegen, ist das alles vorbei, und dann schauen wir mit großen Augen und wundern uns: Was ist jetzt los?

Und was ist jetzt los?
Jetzt gehen diese ganzen Lügengeschichten wieder los, dass die Konjunktur wieder anspringt, und all der Schmarren. Selbst wenn das stimmt, ist es doch so, dass alle Menschen mit heruntergezogenen Mundwinkeln umherlaufen. Es haben aber auch während der Krise die meisten Menschen nicht tatsächlich weniger Geld gehabt – außer die, die ihr Geld verspekuliert haben. Aber die sogenannten normalen Menschen haben in der Krise die große Panik bekommen und mitgelitten, obwohl dann im Weihnachtsgeschäft mehr verkauft worden ist als je zuvor.

Woran kranken also unsere Kultur, unsere Gesellschaft und die Menschen?
Ich finde, wir gehen mit uns selbst sehr, sehr schlampig um. Das, was wir sind, schätzen wir offenbar überhaupt nicht. Es geht nur um Äußerlichkeiten. Ein Beispiel: Jemand fährt mit seinem Auto zur Tankstelle, tankt das Benzin mit der höchsten Oktanzahl, auch wenn es das Auto gar nicht braucht, in die Scheibenwaschanlage kommt das Mittel mit dem frischen Apfelgeruch, Öl wird kontrolliert. Und dann geht dieser Mensch in die Tankstelle und kauft sich dort ein „Milky Way“ und ein „Red Bull“. Er lädt sich also selbst den größten Dreck in seinen Körper, aber um das tote Ding vor der Tür kümmert er sich rührend. Das ist ein totales Missverhältnis: Das Ding ist viel mehr wert als der Mensch. Wie wir mit uns und unserem Körper umgehen, also, ich denk mir manchmal: Spüren sich alle diese Leute nicht mehr?

Ernährung ist dir offensichtlich ein großes Anliegen.
Allein was wir an Nahrungsmitteln in uns hineinstopfen, die noch immer Lebensmittel heißen, aber keine Lebens-Mittel sind! In all den verpackten Sachen im Supermarkt ist kein Leben drinnen. Die Sachen sind komplett denaturiert, und alles, was in ihnen einmal lebendig war, wurde herausgefiltert. Darum ist die Supermarkkost auch so gut verdaulich. Das ist das Absurde, dass Leute, die sich von denaturierter Nahrung ernähren, keine Verdauungsprobleme haben – außer sie essen dann einmal gesunde Sachen. Wenn sie Vollkornbrot oder einen Apfel essen, ist es aus, weil das ihr Körper nicht mehr verarbeiten kann.

Noch mal zurück zur Reaktion deines Publikums: Wenn deine Programme kritischer werden, ohne die berühmten Schenkelklopfer, wie nimmt das Publikum das auf?

Es ist genau das passiert, was ich mir erwartet habe. Manche Menschen sind nicht mehr gekommen. Aber die, die übrig geblieben sind, die sind die Essenz – die Menschen nämlich, die ich gern im Publikum haben will. Meine Agentur hat am Anfang die Panik gehabt, dass die Leute davonlaufen werden. Ich habe aber gesagt: „Lasst sie nur davonlaufen.“ Das ist jetzt etwa vier, fünf Jahre her, und heute spiele ich in ausverkauften Sälen wie vorher. Nur wissen die Leute heute, was auf sie zukommt, und ich kann es mir leisten, auf der Bühne gewisse Sachen zu sagen, ohne dass die Leute schockiert sind. Sie sagen eher: „Eigentlich eh klar, dass er das jetzt sagt, weil wir wissen eh, wie er tickt.“

Von wegen Essenz: Was ist die Botschaft in deinem neuen Programm „ICHEinleben“, und was will uns das durchgestrichene ICH sagen?
Es gibt ein einziges Thema, mit dem jeder was zu tun hat, das niemanden ausschließt, und das ist das Leben. Eben „ein Leben“, denn jeder glaubt, dass er ein Leben hat, aber eben nur eines. Und das ist meiner Meinung nach der große Fehler. Die Menschen haben Angst, ihr Leben zu verlieren. Und das kann nicht sein. Stell dir vor, du oder ich würden unser Leben verlieren. Aber wenn ich etwas verliere, dann bin ich ja noch immer da. Das heißt, du kannst dein Leben nicht verlieren, weil du kein Leben hast, sondern dein Leben bist. Und dieses „ein Leben haben“ oder „ein Leben sein“, das macht einen gewaltigen Unterschied. Das ist so wie Musik anhören oder Musik selber machen – das ist etwas grundlegend anderes. Wenn du ein Instrument spielst, schwingt dein ganzer Körper mit und du empfindest die Musik ganz anders.

Und wie willst du das auf der Bühne vermitteln?
Na, genauso ist es ja beim Leben: Entweder du hast ein Leben und kümmerst dich als ein Ich mit einem Namen um dieses Leben und betreust es wie ein fremdes Ding, das nichts mit dir zu tun hat, du lebst aber nicht; oder du lebst einfach. Und das ist das, was ich in meinem neuen Programm machen werde: Ich werde unseren Ursprung suchen und unser Leben in Verhältnis zu dem eines Neandertalers stellen. Letzterer stellvertretend für alle indigenen Völker und für alle Naturvölker, die es jemals gegeben hat. Der Neandertaler hat einfach gelebt, der hat nie über „sein Leben“ nachgedacht.

Meinst du ein vorbewusstes Leben, denn Bewusstsein hat ja viel mit dem „Ich“ zu tun?
Eben nicht. Bewusstsein hat eben nichts mit dem Ich zu tun. Bewusstsein ist etwas, was immer da ist. Es gibt eine Phase in unserem Leben, an die wir uns nicht erinnern können. Wir können uns nicht an die Zeit unserer etwa ersten drei Lebensjahre erinnern. Da waren wir in einem anderen Bewusstseinszustand, hatten noch nicht dieses Ich. Da ist dir noch egal, wer du bist; du bist einfach nur, saugst alles auf, nimmst alles wahr, lachst, schreist, weinst. Und dann passiert etwas: Da schaut so eine Tante in den Kinderwagen hinein und sagt: „Ja, das ist ja der Franzi, na schau, da ist ja der Franzi“, und in dem Moment hast du einen Namen und wirst zum Franzi.

Und dann fangen die Probleme an.
Das ist ja die Essenz des Buddhismus: kein Selbst, kein Problem. Und dieses „kein Selbst“ heißt einfach, nur mehr zu leben. Zwischendurch passiert es uns allen, dass wir so Momente haben, wo wir plötzlich wach sind und wirklich nur leben – wenn du nur mehr schaust und nur mehr wahrnimmst. Nach einer langen Autofahrt stehst du plötzlich am Meer. Oder du gehst auf einen Berg. Oder du bist bei einem überwältigenden Ereignis dabei – bei einer Geburt oder wenn jemand stirbt. Das sind so Momente, wo das ganze Denken wegfällt; du bist dann nur mehr wach, gegenwärtig und da.

Du unterscheidest also Denken und Bewusstsein?
Ja, denn beim Denken läuft in unserem Kopf pausenlos eine Maschine, die immer mit uns redet. Wenn du aber in so einem Moment der Gegenwärtigkeit bist, dann bist du das, was du eigentlich wirklich bist, nämlich nicht dieses Ich, sondern etwas anderes, was auch immer das sein mag. Wir wissen es nicht, aber da bist du ganz einfach, da spürst du dich. Und darum begeben sich viele Menschen in Extremsituationen und machen zum Beispiel Extremsport. Wenn du Freeclimbing betreibst, kannst du nur das machen und nichts anderes mehr denken, da bist du voll dabei.

Wo hast du das erlebt?
Ich habe das immer beim Motocrossfahren gehabt, das war für mich wie eine Meditation. Denn wenn ich schnell fahre und ans Limit gehe, dann kann ich das nur, wenn ich mich voll darauf konzentriere; wenn ich an etwas anderes denke, haut´s mich hin. Beim Radfahren oder Joggen denke ich an tausend Dinge, die ich noch zu erledigen habe. Wenn du aber etwas tust, was dich so fordert, dass es deine gesamte Aufmerksamkeit auf diese Sache lenkt, dann geht das nur, wenn du voll dabei bist. Und ich denke, dass das ein Zustand ist, nach dem wir uns sehnen, und ich glaube verstanden zu haben, dass das der Zustand ist, den wir Menschen vor vielen, vielen Generationen über lange Strecken des Tages gehabt haben.

Kann man dein „ICHEinleben“-Programm dann als eine Art zen-buddhistische Meditation bezeichnen?
Warum müsst ihr immer allem einen Namen geben? Ich kann überhaupt nicht benennen, was das ist. Mein Problem wird nicht sein, was ich erzähle, sondern was ich nicht erzähle. Das ist ja ein Thema, über das man stundenlang reden könnte. Meine Gabe ist, dass ich einfach weiß, wie man Sachen erzählt. Man kann eine Geschichte so erzählen, dass sie uninteressant ist, aber ich stelle mich auf die Bühne und erzähle sie so, dass die Leute sie super finden. Es geht also nicht so sehr darum, was ich sage, sondern wie ich es sage.

Diese Frage wirst du wahrscheinlich gleich abwehren: Was aus deinem Repertoire ist dein Lieblingsprogramm?
Immer das, was ich gerade spiele; das geht gar nicht anders.

Dann sage ich es von meiner Warte: Ich war sehr beeindruckt von der Bühnenversion der „Viertelliterklasse“, das war ja großes Theater – von der komplexen Geschichte an sich, den verschiedenen Rollen, die du alle spielst, bis zu bestimmten formalen Einlagen: ein zweistündiges, sehr kritisches Solo-Theaterstück.
Ja, da hab ich auch ganz was anderes gemacht als vorher. Da haben die Leute am Anfang auch ganz schön geschluckt. Aber das Komische ist: Den Leuten geht es nicht um die Inhalte. Schau dir den politischen Diskurs an, dort geht es auch nicht um die Inhalte, sondern nur um das Drumherum, um die Show. Bei den Benzinbrüdern habe ich in Wirklichkeit von einem jungen Menschen erzählt, der im Auto stirbt. Aber das ist den Leuten gar nicht aufgefallen. Die haben einfach nur über die Gags drum herum gelacht.

Die „Viertelliterklasse“ hatte mit dem Alkoholismus ja auch einen knallharten Inhalt.
Ja, da haben die Leute auch gewartet, dass ich wie früher einen Schmäh mit ihnen mache, aber das passiert dann nicht. Das hat sie ziemlich irritiert. Und das Thema Alkohol war auch so, dass sich da fast niemand im Publikum ausnehmen konnte. Diese vier Arten von Trinkern, die ich dargestellt habe, sind ja nicht erfunden, die gibt es medizinisch wirklich, das ist pathologisch. Aber für mich war das super, weil ich gerne Figuren spiele und in unterschiedliche Charaktere schlüpfe. Und das habe ich bei diesem Programm gemacht.

Abschließend noch eine Frage: Wieso gibt es kein politisches Kabarett in Österreich?
Erstens interessiere ich mich nicht fürs Kabarett, ich wollte immer Schauspieler werden. Ich habe damals mit dem Alfred Dorfer eine Theatergruppe gegründet, und wir haben kleine Theaterstücke gespielt. Auch Muttertag war ursprünglich ein Theaterstück. Nur haben wir immer auf Kleinkunstbühnen gespielt und nicht auf größeren Bühnen, deshalb wurden wir als Kabarettisten wahrgenommen. Aber ich fühle mich überhaupt nicht als Kabarettist. Und politisches Kabarett, das hätte mich sowieso nicht interessiert, weil mich die Politiker nicht interessieren. Ich verstehe das nicht, warum man so was macht: weder warum jemand in die Politik geht noch warum jemand über Politiker redet.

Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010

Karriere

KarriereBMWF

Karriere.

• Sabine Ladstätter wurde zur Grabungsleiterin in Ephesos bestellt. Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) sieht das hohe Engagement der Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts bestätigt. Anfang Mai wurde dem Vorschlag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, Sabine Ladstätter zur Grabungsleiterin zu bestellen, von türkischer Seite zugestimmt. Der Ministerrat der türkischen Republik unter Führung von Premierminister Recep Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül hat die Bestellung bestätigt. Bereits 2007 war Ladstätter als Grabungsleiterin von österreichischer Seite vorgeschlagen worden. „Mit Sabine Ladstätter konnte eine erfahrene, wissenschaftlich hervorragend qualifizierte und international anerkannte Archäologin für die Grabungsleitung in Ephesos gewonnen werden. Ich freue mich, dass es in einer gemeinsamen Kraftanstrengung nun gelungen ist, auch die türkische Seite zu überzeugen“, so Ministerin Karl, die insbesondere dem türkischen Kulturminister Ertugrul Günay dankt. Ladstätter tritt damit die Nachfolge von Johannes Koder an.

red, Economy Ausgabe 84-05-2010, 30.04.2010

Abschreiben statt recherchieren

Abschreiben statt recherchierenEPA/Saudi Press Agency

ORF Online schrieb ein Gerücht von einem US-Blogger ab, und fünf Tageszeitungen kupferten vom ORF ab. Doch das Gerücht, dass US-Außenministerin Hillary Clinton einen neuen Job suche, ist nur in österreichischen Medien zu lesen.

Hillary Clinton zieht. Das könnte der Grund sein, warum ORF Online am 15. Februar mit einer mittleren Sensation – zumindest für Politik-Junkies – aufwartete: US-Außenministerin Hillary Clinton habe keine Lust mehr auf ihren Rund-um-die-Uhr-Job. Sie wolle lieber lesen, schreiben und ein wenig reisen. Doch trotz ihrer Amtsmüdigkeit werde sie sich nicht zur Ruhe setzen, glaubte der ORF zu wissen. Denn bald gebe es einen interessanten Job für sie: Richterin am Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof, sobald eine Position dort frei werde. Sollte Präsident Barack Obama sie nominieren, wäre er „Held im Hillaryland“.
Die Gerüchte stammten von Mark McKinnon vom Blog The Daily Beast. ORF Online stellte einen Link zum Blog und zu einem Videoclip des TV-Senders ABC her. Doch ein Blick in New York Times und Washington Post ergab keine Hinweise darauf. Eine Google-Suche ergab ebenso nichts Substanzielles.

E-Mail an Hillary Clinton
Fünf österreichische Tageszeitungen servierten am nächsten Tag, was der ORF vorgekocht hatte. Am ausführlichsten war die Kleine Zeitung. Unter dem Titel „Hillary Clinton hat genug von ihrem Job“ saß eine erschöpft aussehende Clinton auf einem Thron. Als Draufgabe schrieb ihr Redakteur Ernst Heinrich eine E-Mail: „Ja, haben Sie tatsächlich geglaubt, ein US-Außenminister könne sich nach 38 Arbeitsstunden ins Wochenende verabschieden?“ Die Wiener Zeitung setzte zumindest ein Fragezeichen hinter „Wechselt Clinton den Job?“. Die Kärntner Tageszeitung schrieb: „Hillary Clinton kokettiert mit Abschied von Außenpolitik“. Kurier Online sah „Clinton auf Jobsuche“, in der Printausgabe verzichtete man auf die Spekulation. Standard, Presse und Salzburger Nachrichten fielen ebenfalls nicht auf die ORF-Seifenblase herein. Was gut war.
Denn auch in den folgenden Wochen sah keine seriöse Zeitung Clinton als amtsmüde an. Vogue hatte im Dezember 2009 eine gut recherchierte Story über Clinton publiziert, der TV-Sender PBS im Jänner eine aufwendige Reportage ausgestrahlt. Darin ließ sich erkennen, mit wie viel Härte, Engagement und Freude Clinton arbeitet. Als der PBS-Reporter sie fragte, ob sie sich zwei volle Amtsperioden als Außenministerin vorstellen könnte, verneinte sie lachend. Irgendwann werde sie den Job in andere Hände legen und mehr freie Zeit genießen. Irgendwann in einer zweiten Amtszeit von Obama.
Den Luxus gründlicher Recherche gibt es bei Tageszeitungen oft nicht. Weil Redaktionen personell ausgedünnt sind und Journalisten zu viele Artikel schreiben müssen. Wer zudem auf eine sexy Story scharf ist, macht Fehler. Bei Onlinemedien seien Qualitätskriterien nicht so klar ersichtlich wie bei Print, meint Webberater Michael Hafner.

Mist von Substanz trennen
Mit geringen finanziellen Mitteln könnten Onlinemedien und Blogs sehr professionell gestaltet werden. So fallen bei anderen Medien geläufige Beurteilungskriterien weg. „Wie ein Kitschroman oder eine Boulevardzeitung aussieht, wissen wir. Wir erkennen es auf den ersten Blick, am Cover“, sagt Hafner. Wer aber bei den Informationsfluten aus Medien, Blogs und Twitter den Mist von der Substanz trennen will, müsse etwas ganz Altmodisches tun: „Man muss sich mit dem Inhalt beschäftigen, muss lesen. Das nimmt einem niemand ab.“
Blogs können gute Quellen sein. Als Beispiel: Ob man den Falter-Journalisten Florian Klenk gedruckt oder auf seinem Watchblog liest, ist egal. Weil er ein integrer, gut recherchierender Journalist ist und mit seinem Blog keine kommerziellen Interessen verfolgt. Welche Interessen Daily-Beast-Blogger McKinnon verfolgt, darüber lässt sich spekulieren. Er ist Vizepräsident der PR-Agentur Public Strategies, war Medienstratege von George W. Bush und betreute den republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain. Als Barack Obama Kandidat der Demokraten wurde, zog sich McKinnon zurück, weil er gegen ihn keine Werbedrecksarbeit machen wollte. „Das Internet ist mittlerweile ein Marketinginstrument, ein Werbekanal unter vielen“, sagt Hafner. Das ist bei der Beurteilung des vielen Geschnatters einzukalkulieren.
Der Wahrheitstest erfolgte Mitte April. Als ein 90-jähriger Supreme-Court-Richter zurücktrat, kochten Blogger das Hillary-Gerücht erneut auf. Doch ein Präsidenten-Sprecher stellte sofort klar: Clinton bleibt Außenministerin.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Müll gibt’s online und offline

Müll gibt’s online und offlinePhotos.com

Kritiker sagen, im Internet stehe zu viel Unsinn. Fans rufen: „Gestrige!“ Enges Denken herrscht vor.

Der moderne, computergestützte Kapitalismus bevorzuge drei Verhaltens- und Konsumweisen, schreibt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber in seinem Buch Consumed: How Markets Corrupt Children, Infantilize Adults, and Swallow Citizens Whole (2007): leicht vor schwer, einfach vor komplex, schnell vor langsam.
Just diese Prinzipien der Internetnutzung hätten auch seine Konzentrationsfähigkeit und Auffassungsgabe nachhaltig verändert, schrieb der amerikanische Internetkritiker Nicholas Carr in einem viel beachteten Essay für Atlantic Monthly (August 2008) mit dem Titel „Google macht blöd“. Und sein Landsmann, der Anglist Mark Bauerlein, legte eine polemische, aber reichlich aus bildungswissenschaftlichen Langzeitstudien schöpfende Kampfschrift vor: Die dämlichste Generation – wie das digitale Zeitalter junge Leute verblödet und unsere Zukunft gefährdet.

Unsinn gibt es überall
Als das Radio zur neuen Informationsquelle aufstieg, befürchtete der Kulturkritiker Béla Balázs einen Meinungsmüll, ein Chaos, das den Menschen verunsichere. Dasselbe galt fürs Fernsehen.
Es ist nicht sehr keck zu behaupten, dass im Internet einiger Unfug steht. Erstaunlich ist es aber, dass Netzkritiker so tun, als begegne ihnen dieser Unfug zum ersten Mal. Als sei das Medium schuld! Auch in Zeitungen steht Unsinn. Viele, die über Blogs, Tweets und Internetforen blindlings urteilen, flüchten sich einzig aufs Papier, das sie beschreiben. Dabei vergessend, wie viele Lesekatastrophen die analoge Welt bereithält. Wir blättern durch pietätlose Magazinfotostrecken über Opfer von Amokläufen oder wandeln in Kellerverliesen. Wir sehen Pornos im Regal, lesen manchmal werbegesteuerte Artikel und ersticken in fast jeder Buchhandlung unter minderwertiger Stapelware. Das Internet ist keine Naturkatastrophe, der jeder sich ausliefert, wenn er den Monitor anschaltet. Ob die Zukunft des Journalismus darin liegt, dass Erdbebenopfer, kaum den Trümmern entstiegen, über ihre Erlebnisse twittern, ist fraglich.

Schillern oder twittern?
Was zählt, ob online oder offline, ist das Argument. Für ein gutes braucht es Wissen, Bildung, Zeit, Sprache. Das gibt’s auf beiden Seiten. Mal mehr, mal weniger. Vermutlich würde Friedrich Schiller heute bloggen oder twittern. Er würde das Medium wählen, das die „größte Power“ hat.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Zielgenaue Angebote

Zielgenaue AngebotePhotos.com

KMU profitieren von der kostenlosen Empfehlersoftware Easyrec.

Der Marktplatz Internet wächst und wächst. Immer mehr kleine und mittlere Unternehmen (KMU) setzen auf E-Commerce. Die Kunden aber verlieren den Überblick. Personalisierung würde ihnen helfen, wird jedoch oft vernachlässigt. Zusätzliche Umsätze gehen verloren, der Service läuft nicht optimal. Abhilfe schafft die kostenlose Open-Source-Software Easyrec, ein einfach und schnell einsetzbares Empfehlersystem auf der Website des Unternehmens.
„Viele kleine und mittlere Betriebe machen keine Personalisierung ihrer Website, weil sie befürchten, dass das teuer ist oder mehr Personal benötigt wird“, weiß Erich Gstrein, Leiter des Research Studios Smart Agent Technologies (SAT). „Mit Easyrec haben wir gerade für diese Unternehmen die perfekte Lösung.“

Rasche Umsatzsteigerung
Die Vorteile von Easyrec liegen auf der Hand: Die Software ist kostenlos, nur die Implementierung muss bezahlt werden. Easyrec ist mit wenigen Handgriffen auf der Website zu integrieren und einfach zu verwalten. Und das Wichtigste: E-Commerce und Mobile-Commerce-Portale können damit ihren Umsatz in kurzer Zeit steigern. Amazon hat darauf seinen Erfolg gebaut: Durch Einsatz der Website-Personalisierung konnte der Umsatz um 35 Prozent erhöht werden. Für Kunden ergibt sich der Vorteil, dass sie mit wenig Zeitaufwand finden, was sie suchen.“ Zielgruppe von Easyrec sind Portalbetreiber und IT-Dienstleister, die eine Personalisierungslösung suchen und in ihr Portfolio aufnehmen wollen. Das Research Studio SAT liefert die Software kostenlos und bietet zusätzlich Beratung und Unterstützung bei der Konzeption und Implementierung an. „Wir haben nicht nur eine gut funktionierende, kostenlose Software, sondern bieten auch umfangreiche Serviceleistungen. Wir unterstützen Unternehmen beim individuellen Tuning und sind sehr an neuen Erweiterungen und Lösungen interessiert“, so Gstrein.
Easyrec wurde beim Multimedia-Staatspreis 2009 von der Jury als besonders innovatives Produkt prämiert.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Pixelkühe und Turbokarotten

Pixelkühe und TurbokarottenDPA/Marc Müller

Farmville-Spieler greifen öfters einmal zur Kreditkarte. Der Betreiber scheffelt Millionen.

Im April zählte Farmville, ein Spiel, das vor allem innerhalb des sozialen Netzwerks Facebook betrieben wird, 82,4 Mio. Spieler. Eine Gruppe in der Größe von Deutschlands Einwohnerzahl pflügt demnach regelmäßig virtuelle Äcker, sät Karottensamen aus, erntet Apfelplantagen ab, melkt pixelige braune Kühe und verkauft das Ganze auf dem Markt, um anschließend noch mehr Karottensamen einzukaufen. Viele sind derart leidenschaftlich am Hobbygärtnern, dass schon einmal Kinobesuche aufgeschoben werden, wenn die Ernte einzubringen ist. Das kommt nicht von ungefähr, da das Bauernhofspiel nachlässige Wochenendgärtner mit vergammelten Ernten bestraft. Wer gar nichts auf dem Markt verkauft, kann sich eben nicht allzu viel kaufen – Produkte, die aus einer Handvoll Pixeln bestehen wohlgemerkt.
Hier kommt der Geschäftssinn des Farmville-Erfinders Zynga ins Spiel. Wer sein Game ein bisschen vorantreiben möchte, greift zur Kreditkarte und macht dem Obstausstoß seines Betriebs kurzerhand Beine, mit Zukauf sogenannter Farm­hands etwa. Viele „puristische“ Gamer lehnen das zwar ab, bei Zynga reicht es dennoch zu einer goldenen Nase. Laut Chef Mark Pincus bringen drei von 100 Gamern echtes Geld ins Spiel. Im Geschäftsjahr 2009 rechnet das Unternehmen, das auch Spiele wie Mafia Wars (25 Mio. Teilnehmer) und Café World (24 Mio.) betreibt, mit Einnahmen von rund 100 Mio. Dollar ausschließlich aus dem Verkauf virtueller Produkte. Die Position des Start-ups könnte kaum besser sein. Was kann einem Unternehmen schon Besseres passieren, als ein Produkt unter die Leute zu bringen, das in der Herstellung nahezu kostenlos und mit keiner Garantie verbunden ist, weil es im altmodisch physischen Sinn nicht existiert?

Trend aus Asien
Der Trend zu virtuellen Produkten kommt aus Asien. Vor allem in Japan lässt der Verkauf virtueller Güter schon länger die Kassen klingeln. In Europa und den USA ist die Entwicklung noch recht neu. Laut einer Erhebung von Inside Network, einem Analyseunternehmen, das sich insbesondere den Themenkreis Facebook vornimmt, könnte der US-Markt für virtuelle Produkte bereits eine Mrd. Dollar ausmachen. Zahlen für Europa fehlen zwar, dürften laut Schätzungen aber jenen der Vereinigten Staaten ähneln. Kleine Impulse sollen unterdessen dafür sorgen, dass Farm­ville-Spieler auch weiterhin zur Kreditkarte greifen. So füllen sich etwa die Tanks von Traktoren nur langsam nach. Wer nicht so lange warten oder Kinobesuch und Onlineernte besser koordinieren möchte, kann einfach Sprit dazukaufen.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Das Problem der Zukunft ist nicht die neue Technologie, sondern ihr Markt.

Das Problem der Zukunft ist nicht die neue Technologie, sondern ihr Markt.

Die Realität wird zur Schimäre und die Schimäre Realität.

Walter Benjamin sagte, wenn Medien sich verändern, verändert sich die Gesellschaft. Die Fernsehdemokratie hat die Politik verändert, das Internet fängt gerade erst damit an. Der Umbau der Welt durch die digitale Revolution ist mit Mobiltelefon, Internet und iPad noch nicht abgeschlossen. Fotografie war die Technik, die das Abbild im 19. Jahrhundert technisch reproduzierbar machte. Durch die Kleinbildkamera entwickelte sich im 20. Jahrhundert die Fotografie zum Massenmedium für den Privatgebrauch. Doch erst die Digitalfotografie des 21. Jahrhunderts demokratisiert das Medium vollständig. Der Fotoamateur kann heute knipsen, bis der Akku leer ist. Er kann dank Kamera, Technik und Bildbearbeitung auf dem Computer Ergebnisse erzielen, die von jenen der Profis oft nicht mehr zu unterscheiden sind. Erinnerungen in sieben Mio. Pixeln festzuhalten ist praktisch. Digitale Bearbeitung wird – anytime, anywhere, anyhow – wie selbstverständlich vorausgesetzt, weil dem Künstler gar nicht mehr zugetraut wird, mit seiner Kamera eine bestimmte Stimmung einzufangen, die mit Wirklichkeit zu tun hat. Immer öfter werden wir Kindern, die vor einem Bild stehen, erklären müssen, dass in die Realität manches „reinmontiert“ wurde. Ihnen wird was vorgepixelt, wie den 53 Prozent aller US-amerikanischen Grundschüler, die heute schon glauben, Milch sei ein synthetisches Produkt.
Das Internet verbindet alle Computer auf der Welt und transportiert jede digitalisierte Info oder Dienstleistung überallhin. Seither gibt es ein neues Wort, in dem sich alle Hoffnungen bündeln: Wissensgesellschaft. Die unbeschränkte Verfügbarkeit von „Wissen“ soll die Benachteiligten der Erde zu Wissenden machen. „Information at your fingertips“ lautet eine verlockende Formulierung von Bill Gates für das neue Versprechen. Dass die Information unter unseren Fingerspitzen gelesen, bedacht, verstanden werden muss, bevor sie wirklich zu Wissen wird, spielt eine untergeordnete Rolle. Das Medium Internet wird nicht in erster Linie als Instrument betrachtet, mit dem wichtige Ziele leichter erreicht werden können – es verschmilzt mit diesen, es wird zum Inbegriff des Fortschritts selbst. „Wir träumen von dem Tag, an dem das Internet ein Recht sein wird wie Brot“, inserierten 1995 mehrere Computerkonzerne. In dieser neuen, besseren Welt werde der Umgang mit dem PC zu einer „vierten Kulturtechnik“ neben Lesen, Schreiben, Rechnen – so sieht es Microsoft. Ein Menschenrecht wie Brot: Wenn das kein quasireligiöses Heilsversprechen ausmacht, dann ist die katholische Kirche ein Softwareunternehmen und der dialektische Materialismus eine Art Betriebssystem. Apple setzt dem Ganzen noch das i-Tüpfelchen drauf. Mit Plakaten, auf denen iBooks und richtige Bücher abgebildet waren, unter der Schlagzeile: „Die einzigen Bücher, die du brauchen wirst.“ Subtext: Bücher sind überflüssig, wenn man alle Infos auf dem Laptop mit sich herumtragen kann.
Um es klar zu sagen: Es geht nicht darum, Maschinen zu stürmen, E-Mails zu verbieten und eine kleine Blockhütte im Wald zu beziehen. Sondern darum, dass es keine Verpflichtung geben kann, bei jeder Kritik an den schädlichen Nebenwirkungen der digitalen Kultur die ganze Liste ihrer Segnungen herunterzuleiern. Es geht darum, dass freie Menschen das Recht haben, Technik zu benutzen, ohne sie anbeten zu müssen.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Stiller Eingriff in die Bürgerrechte

Stiller Eingriff in die Bürgerrechte

England geht auf Treibjagd. Auf der Insel richten sich mehr als vier Millionen Kameras – wenn sie funktionieren – durchschnittlich 300-mal am Tag auf die alltäglichen Bewegungen eines jeden Bürgers. Davon unbeeindruckt nimmt das Böse stetig zu.

Gegen „verschuldete Unmündigkeit“ sollte sich, so forderte es Immanuel Kant im Jahr 1784, das Programm der philosophischen Aufklärung wenden. Da sind wir im 21. Jahrhundert einen großen Schritt weiter. Heute geht es nicht weniger vehement um die Möglichkeiten und Bedingungen einer „unverschuldeten“ Unmündigkeit. Für ein zielführendes Vorgehen benötigen die neuen Aufklärer neben ihrem technischen Rüstzeug nicht weniger als einen Paradigmenwechsel unserer herkömmlichen Vorstellung vom Reich des Privaten und seiner Verletzbarkeit.
Das Private muss seine Grenzen rechtfertigen, weil diese nicht mehr als ein verbrieftes Gut gelten, sondern als verdächtiges Wehr im freien Fluss der Datenübertragung. Naturgemäß hat nichts zu befürchten, wer nichts zu verbergen hat. Letzteres muss allerdings erst bewiesen werden.

Geschickte Winkelzüge
Am 14. Dezember 2005 war alles erledigt. Das Europaparlament stimmte der von Großbritannien während dessen EU-Ratspräsidentschaft eilig durchgepeitschten Vorratsdatenrichtlinie mit 378 zu 197 Stimmen zu – und griff damit massiv in die Bürgerrechte ein. Die EU-Richtlinie 2006/24/EG sieht unabhängig von Verdachtsmomenten die verpflichtende Speicherung sämtlicher Telefon- und E-Mail-Verkehrsdaten der gesamten Bevölkerung für eine Mindestdauer von sechs Monaten und eine maximale Dauer von 24 Monaten vor; damit sollen die bisher unterschiedlichen Handhabungen der Speicherung von Telekommunikationsdaten in den EU-Mitgliedsländern vereinheitlicht werden.
Durch die Speicherung der Daten soll es leichter nachvollziehbar werden, wer mit wem (in den letzten sechs Monaten oder sogar den letzten zwei Jahren) per Telefon, Handy, E-Mail oder Internettelefonie kommuniziert hat. Diese Verbindungs- und Standortdaten sollen für Ermittler (Polizei und Geheimdienste) zugänglich gemacht werden. Die Vorratsdatenrichtlinie ist ein Lehrbeispiel dafür, auf welchen Wegen und von welchen Interessen gelenkt in Zukunft verstärkt die individuellen Freiheiten des Bürgers beschnitten werden können.
Trotz der Schockwelle nach den Terroranschlägen in London zeigten sich mehrere Staaten skeptisch, ob die Richtlinie verhältnismäßig sein würde, aber lediglich Irland und die Slowakei stemmten sich im Ministerrat gegen den Trick, die Gesetzgebungsregelungen für den Binnenmarkt zu Zwecken der Terrorbekämpfung zu nutzen. Irland klagte vor dem Europäischen Gerichtshof, der jedoch im Februar 2009 entschied, welcher Gesetzgebungsweg gewählt würde, müssten die Regierungen entscheiden. Das Wichtigste an dieser Historie ist: Der Lissabon-Vertrag hat genau dieses Verfahren (Mehrheit im Ministerrat plus Zustimmung des Europäischen Parlaments) zum Standard für die Gesetzgebung in der Justiz- und Innenpolitik gemacht.
In Deutschland klagten 35.000 Menschen vor dem Bundesverfassungsgericht und bekamen recht. Doch ist die Angst vor Überwachung kein deutsches Phänomen. Auch Schweden, Belgien, Irland, Griechenland und Österreich verweigern der EU-Rechtspolitik den Gehorsam. Diese Staaten haben die Vorratsdatenrichtlinie bis heute nicht in nationales Recht überführt.

Alles wird durchleuchtet
Aber machen wir uns nichts vor? Früher, kurz bevor das Internet zum Massenmedium wurde, konnte man alle österreichischen Telefonbücher auf einer CD-ROM erwerben. Heute speichert das interaktive Telefonbuch Kontaktdaten einschließlich Telefonnummern und E-Mail-Adressen sowie die Präsenz- und Standortdaten für wichtige Kontakte. Ein personalisierter Standortdienst ermittelt auf Basis des digitalen Telefonbuchs, welche Kontaktpersonen in der Nähe sind. Die neue Technik basiert auf IP-vermittelter Kommunikation. Damit erobern all die interaktiven Errungenschaften des Internets die bislang abgeschottete Welt der Telekommunikation. Das Handy wird für jeden Teilnehmer zum Ortungsinstrument. Der Onlinedienst World Tracker zeigt heute schon an, wo sich jemand befindet. Dafür muss man an die Zielperson nur eine SMS schicken.
Im Alltag gibt es unzählige Möglichkeiten, Datenspuren zu hinterlassen. Man kann Satellitenfotos des eigenen Gartens via Routenplaner abrufen. Oder bei Google Streetview das eigene Auto samt Kennzeichen an der Ampel stehen sehen.
Auch wenn sich jetzt viele über die geplante Vorratsdatenspeicherung aufregen: Datenschutz scheint heute für viele Menschen in ihrem Alltag kaum noch eine Rolle zu spielen. Willig nehmen Menschen Kundenkarten oder Payback-Cards an, die einem aus purer Freundlichkeit Bonuspunkte und Prämien schenken. Nackig machen? Beim Schwimmen, Sonnen, Lieben – immer. Doch heute werden wir ausgezogen und durchleuchtet, ohne es wahrzunehmen oder wahrhaben zu wollen. Es existiert ein fehlendes Problembewusstsein hinsichtlich Datenschutz, weil einem auf den ersten Blick ja nichts genommen wird und die Daten immer vollständig bei einem selbst sind, auch wenn sich jemand eine Kopie aneignet.
Das macht wenig Freude, wenn man es hinterher merkt. Es ist gefährlich, doch nicht mehr aufzuhalten und nie rückgängig zu machen. Wer sich allein einen Computer kauft, macht sich gläsern, also durchsichtig. Der Datenstrom aus elektronisch erhobenen Details ergibt längst ein präzises Bild unserer finanziellen Verhältnisse und Kaufgewohnheiten, unserer Krankheiten und Behinderungen, unserer Mobilität und sexuellen Vorlieben. Und wir haben Angst, dass durch die systematische Verkettung der Details zu viel Privates für Behörden oder Unternehmen verfügbar werden könnte. Oder haben wir sie doch schon verloren?

Das öffentliche Private
Ohne die digitale Revolution bemerkt zu haben, ist man genauso zerlegt und eingeordnet wie Surfer und Blogger, die mindestens den halben Tag im Netz hängen und „das andere“ Leben führen. Ob uns das Internet guttut oder nicht, ist müßig zu fragen. Einerseits erfreuen wir uns über die ersparten Wege und Stunden in Bibliotheken, andererseits verkümmert unsere Haptik. Oder ist der von Datenbeamten im Innenministerium durch Genmanipulation herbeigeklonte „Neue Mensch“ ein Datenbündel, und alles andere wie Seele, Gemüt und Co kann vernachlässigt werden?
Apropos Internet: In jedes Leben greift dieses Medium ein, hat uns jetzt schon im Griff. Man will sich in Sicherheit bringen, zappelt aber irgendwann im Schwitzkasten einer Behörde oder eines Betrügers (was manchmal dieselben Mühen bedeuten kann). Sicherheit gibt es nicht, denn wir verstreuen überall unsere Daten und hinterlassen, ob wir wollen oder nicht, eine Markierung wie ein Hund, der keinen Laternenpfahl auslässt. Kreditkarten beispielsweise erzeugen schöne Daten für die Bank, wenn man irgendwann einmal einen Kredit haben möchte. Und immer
öfter hört man in geselliger Runde: „Hauptsache, du machst keine lustigen Partyfotos.“

Gefällt-mir-Internet
Von der Community zur Schaltzentrale des Internets: Facebook will künftig in jede externe Webseite den bekannten „Gefällt mir“-Button integrieren. 30 große Kooperationspartner haben diese Funktion bereits eingefügt. Und die für drei Mrd. Dollar von Google einverleibte Firma Double Click erfasst früher oder später jeden Surfer. Nur die Werbekunden bekommen die Daten, höchst private zwar („meine Vorlieben“, „meine Interessen“), aber man wird selbstverständlich zurückhaltend damit umgehen, wie es Art der Weltkonzerne ist. Die allerdings aus solcherart gestohlenen, vielleicht sehr persönlichen Daten Geld machen. Kaum vorstellbar, dass Diebe mit Daten, für die sie bei Google oder Double Click viel Geld zahlen, verantwortungsvoll umgehen. Und Google selbst spricht ein großes Wort gelassen aus. „Ziel ist, dass unsere Nutzer uns irgendwann die Frage stellen können, was sie morgen machen sollen oder was für einen Job sie annehmen sollen.“ Übersetzt heißt das: Wir spielen den lieben Gott.
Ob Erdatmosphäre oder Privat­atmosphäre, beide sind durch unverantwortliche menschliche Eingriffe gefährdet. Gläsern zu sein, muss man sich das eigentlich gefallen lassen? Wahrscheinlich. Muss man mitmachen? Sich diesem Unsinn unerwünschter Informationen aussetzen? Der Gewissheit standhalten, dass man in halb- und ganzstaatlichen Institutionen anonym von zehn oder hundert Datensammlern, echten Schreibtischtätern, in jedem Augenblick beobachtet werden kann? Wenn plötzlich zwei meiner Daten zusammenpassen, die nichts miteinander zu tun haben, blinkt irgendwas, und die Augen der Fahndungsbeamten leuchten automatisch auf.

Einstieg in den Ausstieg
Können wir aus diesem Szenario aussteigen? Wohl nur, wenn wir langsam aufwachen und uns eine persönliche Lebenssphäre schaffen, wo man sich trifft wie früher. Wo Worte gesprochen und nicht getippt werden.
Wir polieren diesen Gedanken noch ein wenig auf und erkennen gleichzeitig eine Dynamik in dieser Besinnung, die zurückführen könnte und für die man keine Software braucht. Möglich, dass die Eliten von morgen Raum schaffen, sich den Bedrohungen zu entziehen, und die Doofen weiter mit jedem chatten lassen wie die Alkoholiker, die alles mit allen trinken.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

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