Der Mann, der kein Leben hat
ORF/Milenko Badzic Roland Düringer: „Entweder du hast ein Leben und kümmerst dich als ein Ich mit einem Namen um dieses Leben und betreust es wie ein fremdes Ding, das nichts mit dir zu tun hat, du lebst aber nicht; oder du lebst einfach“, sagt der Schauspieler, der sagt, dass er kein Kabarettist ist.
economy: Bist du schon einmal den Tesla Roadster gefahren, das schnellste Elektroauto der Welt?
Roland Düringer: Nein, man hat es mir zwar oft angeboten, ich habe das aber verweigert. Erstens, weil er mir optisch überhaupt nicht gefällt und wie zusammengebastelt ausschaut, und zweitens, weil das nicht der Sinn sein kann, mit Elektromobilität den gleichen Schwachsinn, den wir bisher gemacht haben, jetzt elektrisch zu machen. Ein Auto um 90.000 Euro kann nicht die Zukunft sein. Wenn wir Elektroautos wollen, brauchen wir kleine Fahrzeuge und nicht Prestigeobjekte. Es wird bei der ganzen Thematik eines vergessen: dass wir im kollektiven Wahnsinn unserer Zeit versuchen, unsere bisherige Form der Mobilität zu erhalten, nur eben jetzt mit Strom.
Wie sollte deiner Ansicht nach die Entwicklung ausschauen?
Wir müssen uns in Zukunft überlegen, wie wir weniger fahren; und nicht, womit wir genauso schnell und viel wie bisher fahren, nur ohne schlechtes Gewissen zu haben. Wir müssten unsere Städte und Landschaften und die ganze Infrastruktur so umbauen, dass wir uns überhaupt weniger mit einem Fahrzeug bewegen müssen. Aber wir haben das alles in den letzten Jahrzehnten zerstört – gut funktionierende Infrastrukturen, wie es sie lange Zeit gegeben hat. Ich bin im zehnten Wiener Bezirk aufgewachsen und dort einkaufen gegangen. Ich konnte alle Besorgungen mit einem Weg von nicht mehr als 100 Metern erledigen – zu Fuß. Das ist auch Mobilität, nur gilt das heute nicht mehr als solche.
Was hat sich deiner Wahrnehmung nach am meisten verändert?
Ich fahre seit 25 Jahren in Österreich auf Tour. Früher konnte ich erkennen, ob ich in Tirol oder im Burgenland bin, weil die Ortschaften anders ausgeschaut haben. Heute ist es egal, wo ich von der Autobahn runterfahre, es kommt immer das Gleiche: Kreisverkehr mit Autohändler und Tankstelle, Baumarkt, Supermarkt. In den Ortschaften gibt es dann verkehrsberuhigte Zonen, aber die Autos fahren trotzdem durch. Und die Geschäfte in den Ortskernen sterben aus. Man ist also gezwungen, mit einem Fahrzeug mobil zu sein. Und das ist unser Dilemma, noch dazu, wo uns die Ressource Erdöl ausgeht, mit der wir ohnehin schon genug Dreck gemacht haben.
Aber gerade deswegen muss doch der Elektromobilität die Zukunft gehören.
Die Elektromobilität wird auf jeden Fall kommen. Ich bin da eh ein Vorreiter; ich habe Elektromotorräder zu Hause, Fahrräder mit Elektrozusatzantrieb, und ich hatte schon Hybridautos. Das Problem ist aber noch immer: Benzinauto bedeutet, hin zur Tankstelle, zwei Minuten tanken und weiterfahren; Elektroauto bedeutet, zwei Stunden an die Steckdose anstecken. Es kann aber auch die Möglichkeit geben: eine Norm für Akkus, hinfahren, Akku raus, Akku rein, weiterfahren. Das geht genauso einfach, wie man Batterien in irgendeinem Elektrogerät wechselt. Dann wäre das Elektroauto nicht nur gleichwertig, sondern sogar besser.
Bleibt noch die Frage zu klären, wo all der zusätzliche Strom herkommen soll.
Na klar, und dazu kommt noch, dass viele Menschen das Auto nicht einfach nur als Fortbewegungsmittel benutzen. So ein Auto muss heutzutage so einiges können; alles muss elektrisch funktionieren, man hat Klimaanlage, Automatik und Hifi-Anlage. Das alles braucht zusätzliche Energie. Und dann eben die Frage, wo der Strom herkommt. Wir machen mit den Elektrofahrzeugen dort, wo wir fahren, keinen Dreck, aber wir machen ihn woanders, nämlich bei der Erzeugung des Stroms. In ein paar Jahrzehnten werden wir überwiegend mit Elektroautos fahren, aber das ergibt natürlich nur dann Sinn, wenn wir den Strom dafür mit erneuerbaren Energien wie zum Beispiel der Windenergie erzeugen.
Wie empfindest du das, wenn du in einer Gegend mit vielen Windrädern unterwegs bist?
Man kann Windräder als etwas sehen, was in der Landschaft störend wirkt, oder als Wesen aus einer anderen Welt, als Windgeister, die sehr energievoll sind. Ich finde sie im positiven Sinn gespenstisch. Wenn sich diese riesigen Rotoren im Wind bewegen, hat das fast etwas Mystisches. So ein Windpark ist für mich wie eine moderne Kultstätte. Wenn ich dieses rote Licht in der Mitte aufblinken sehe, dann sehe ich immer so Riesenwesen mit einem roten Auge, aber eben von Menschen gemachte Wesen – Windriesen gleichsam. Windenergie hat ja etwas sehr Naturverbundenes, weil der Wind eines der Naturelemente ist wie Wasser, Feuer oder Erde.
Du findest sie also nicht störend in der Landschaft?
Ich weiß, es gibt Leute, die sich über die Windräder aufregen, weil die angeblich das Landschaftsbild zusammenhauen. Für mich ist aber die gesamte Gestaltung unserer Landschaft fragwürdig. Wer bei Loosdorf auf der Westautobahn oder im nördlichen Burgenland unterwegs ist und sich darüber aufregt, dass die Windräder hässlich sind und nicht in die Natur passen, der hat vorher nicht geschaut. Weil dort rundum nichts Natürliches ist. Das ist eine landwirtschaftliche Nutzfläche, die nichts mit Natur zu tun hat. Unsere Vorstellung, Äcker und Wiesen und Ähnliches seien Natur, ist falsch. Sobald der Mensch das Land zu bewirtschaften anfängt, ist es nicht mehr Natur-, sondern Kulturlandschaft, und Windräder sind eben auch Kultur.
Hast du da ein neues Umweltbewusstsein entwickelt, oder hast du das schon immer so gesehen?
Das hat sich im Lauf meines Lebens verändert, wie sich viele Dinge im Lauf eines Lebens verändern, wenn man es zulässt. Für mich hat sich sehr viel verändert, seit ich auf dem Land lebe. Ich bin in Wien aufgewachsen und dann Anfang der 90er Jahre aufs Land gezogen. Da hat man einen anderen Bezug zu Umwelt und Natur, ganz einfach weil man in einer anderen Umwelt lebt. In der Stadt sieht man keinen Sternenhimmel, man kriegt die Jahreszeiten nicht so richtig mit und auch nicht den Tagesablauf, weil es in der Stadt immer hell ist. Auf dem Land schaust du dir die Natur mit anderen Augen an, und du bekommst viel direkter mit, wie du der Natur Schaden zufügst.
Wie hat sich da dein eigenes Verhalten geändert?
Ich bin früher leidenschaftlich gern Enduro-Rennen gefahren, bei denen man mit dem Motorrad durch den Wald fährt. Das ist wahnsinnig schön. Auf einer Mistgstätten Motocross zu fahren ist nicht so schön wie durch den Wald. Irgendwann bin ich dann auf Mountainbike umgestiegen. Heute gehe ich zu Fuß durch den Wald, da bekommt man nämlich am meisten mit; und noch mehr, wenn man stehen bleibt.
Welche Vorzüge siehst du noch im Leben auf dem Land im Gegensatz zu dem in der Stadt?
In der Stadt fühlt man sich sicherer vor der bösen Natur und unbewusst vielleicht vor dem Verhungern. Was aber überhaupt nicht stimmt. Weil man auf dem Land einen großen Vorteil hat: Man kann sich im Garten selbst was anpflanzen. Was ja über weite Strecken der Menschheitsgeschichte immer so war. Die Menschen haben immer in einem relativ kleinen Gebiet gelebt, zumindest nachdem sie sesshaft geworden waren. Vorher waren sie Nomaden, das war überhaupt das Beste. Die einzige normale Art, zu leben, ist eigentlich die als Jäger und Sammler und Nomade.
Wieso findest du das?
Weil es da die wenigsten Probleme gibt. Es gibt keinen Krieg, denn es gehört dir nichts, also gibt es auch nichts zu verteidigen. Später haben die Menschen an ihrem Wohnort alles gehabt, was sie zum Überleben gebraucht haben, vor allem natürlich Nahrung. Das hat sehr lange Zeit sehr gut funktioniert. Noch meine Großeltern zum Beispiel, die im Waldviertel ein Wirtshaus hatten, hatten ein Schwein, eine Kuh und einen Gemüsegarten. Und das war’s. Brot hat die Oma noch selber gebacken. Man kann also auch so überleben.
Da sind wir nun auch bei deiner Rolle als „Der wilde Gärtner“. Offensichtlich ist das nicht nur eine Rolle, sondern auch privat ein Anliegen von dir.
So ist es. Das ist ein Projekt, das ich entwickelt habe, weil es mit mir sehr viel zu tun hat. Und ich denke, das ist auch für viele andere Menschen ein wichtiges Thema.
Wie ist die Idee zu dieser Sendung entstanden?
Ich habe damit begonnen, hinter meinem Haus ein Hügelbeet anzulegen, weil mich das interessiert hat. Ich hab dort Samen ausgestreut und war verblüfft, was dann dort alles gewachsen ist; und dass man das auch essen kann und dass das viel besser schmeckt als diese denaturierten Nahrungsmittel, die wir sonst zu uns nehmen. Ich habe dann einfach weiter ausprobiert. Ich habe einen Freund, der Gärtner ist, den Xandl, und wie wir so darüber nachdenken, wie wir den Garten weiter gestalten, sind wir draufgekommen, dass es eigentlich keine klasse Gartensendung gibt. Und dann haben der Xandl und ich ein Konzept für eine eigene Gartensendung entwickelt, und das ist jetzt Der wilde Gärtner.
Du bist also jetzt der Obergärtner der Nation?
Schau, meine Funktion ist die, Wissen zu vermitteln. Nicht mein Wissen, denn ich bin ja kein Gärtner, sondern das Wissen, das in uns allen schlummert, aber leider verschüttet ist – das Wissen, dass wir immer von Pflanzen gelebt haben; Wissen, das aber jetzt verloren geht, so wie es den Gemüsegarten meiner Großeltern nicht mehr gibt. Heutzutage wissen die Kinder zwar, wie eine Karotte ausschaut, wenn sie auf dem Tisch liegt, aber sie wissen nicht, wo und wie eine Karotte wächst. Ob die auf einem Baum oder einem Strauch oder in der Erde wächst.
Ich war letztens im Supermarkt und habe eine ganze Sellerieknolle, einen Zeller, wie man in Wien sagt, gekauft. Das junge Mädchen bei der Kassa hat die Knolle in die Hand genommen und hin und her gedreht wie Hamlet den Totenschädel. Sie hatte keine Ahnung, was das ist.
Ja, so ist es. C’est la vie, Sellerie. Und wenn ich dem mit meinem Projekt ein bisschen entgegenwirken kann, dann bin ich schon zufrieden.
Nach welchem System gärtnerst du privat?
Nach gar keinem. Wir lassen den Garten einfach. Es gibt ja die Permakultur und viele andere Systeme, aber wir machen das anders. Ich habe von meinem Nachbar ein großes Wiesengrundstück gepachtet. Dort bin ich zuerst einmal mit dem Bagger hineingefahren und habe die Landschaft verändert. Wir haben einen Teich angelegt und 200 Sträucher und Bäume gepflanzt. Das wird jetzt immer mehr ein Wald. Und ich lasse das einfach so wachsen und mache überhaupt nichts. Die Sträucher bieten immer wieder kleine Leckereien wie Asperln, Elsbeeren und ähnliche Früchte. Aus denen kann man feine Marmelade machen oder Schnaps brennen.
Also mehr so eine Hollodaro-Gärtnerei?
Nein, nein, auf keinen Fall. Du weißt, dass bestimmte Pflanzen einen bestimmten Standort brauchen, mehr Schatten oder feuchter, und damit ergibt sich schon eine Vorgabe. Und jeder Boden ist natürlich anders. Das Problem mit den schlauen Systemen aus den Gartenbüchern ist halt: Das funktioniert bei diesen Menschen, die das schreiben; weil die dort, wo sie zu Hause sind, ein bestimmtes Kleinklima und eine spezielle Bodenbeschaffenheit haben. Das kann man aber nicht so einfach umlegen. Was in Südengland funktioniert, kann ich nicht auf den alpinen Raum umlegen; das geht nicht. Ich muss das an meinem Platz ausprobieren: Diejenigen Pflanzen, die dort hingehören, gedeihen dort auch gut; und die, die nicht passen, verschwinden mit der Zeit. Ich habe zehn Eichen gepflanzt, und nur eine hat überlebt. Eichen gehören dort also nicht hin; im Gegensatz zu Weiden, die nur so Gas geben.
Aber hast du nicht auch einen Nutzgarten?
Ich habe Hochbeete in meinem Garten, das ist meine private Nahrungsmittelproduktion. Da ist gute Komposterde drinnen, da steht alles in Reih und Glied, da weiß ich ungefähr, was zusammengehört, und mache jedes Jahr einen Fruchtwechsel. Das ist fast wie eine kleine Landwirtschaft, denn da stehen zehn solcher Hochbeete, und da kommt ein ganz schöner Ertrag zusammen. Und dann gibt es den wilden Bereich, da wachsen Bärlauch, Beinwell und vieles mehr, und dann die ganzen Beeren, Himbeeren, Brombeeren, das wächst sowieso wie Unkraut. Und das ernte ich auch alles.
Du gehst also mit deinem Garten sehr locker um?
Ich habe keinen Garten, den man herzeigen möchte. Der Mensch funktioniert ja dann wieder so, dass er den Garten dazu benutzt, um zu zeigen, wie gescheit er ist, was er alles kann, was er sich leisten kann, dass er besser ist als der andere. Die ganzen krankhaften Mechanismen werden auf den Garten übertragen. Das heißt, du gestaltest ein Stück Natur, indem du ihm deinen Willen aufzwingst. Darum sage ich in meinem Gartenmagazin: „Es ist nicht wichtig, was Sie aus Ihrem Garten machen, sondern, was Ihr Garten aus Ihnen macht.“
Spiegelt sich in der Entwicklung deiner Programme über die Jahre auch deine persönliche Entwicklung wider?
Natürlich, das kann gar nicht anders sein, weil ich ja alle meine Programme selber entwickle und schreibe. Und da kann ich immer nur Sachen aus mir selbst herausholen. Was in meinem Leben gerade Thema ist, was mich beeinflusst.
Sehe ich das richtig, dass das immer mehr in Richtung Kulturkritik geht? Ich erinnere mich noch gut an dein Programm „Düringer ab 4,99“.
Ja, das kann man schon so sehen. Die Leute waren damals richtiggehend schockiert. Aber lustigerweise habe ich, das war 2006, über Dinge geredet, die dann 2008 schlagend geworden sind. Ich habe den Leuten zu erklären versucht, wie das ganze System funktioniert; dass wir eine blöde Biomasse sind, die das tut, was andere wollen, es aber nicht merkt. Das ist ein vorgegebenes Programm, das wir alle mitfahren, und wobei wir noch den Eindruck haben, glücklich zu sein. Wenn aber die Regisseure den Schalter umlegen, ist das alles vorbei, und dann schauen wir mit großen Augen und wundern uns: Was ist jetzt los?
Und was ist jetzt los?
Jetzt gehen diese ganzen Lügengeschichten wieder los, dass die Konjunktur wieder anspringt, und all der Schmarren. Selbst wenn das stimmt, ist es doch so, dass alle Menschen mit heruntergezogenen Mundwinkeln umherlaufen. Es haben aber auch während der Krise die meisten Menschen nicht tatsächlich weniger Geld gehabt – außer die, die ihr Geld verspekuliert haben. Aber die sogenannten normalen Menschen haben in der Krise die große Panik bekommen und mitgelitten, obwohl dann im Weihnachtsgeschäft mehr verkauft worden ist als je zuvor.
Woran kranken also unsere Kultur, unsere Gesellschaft und die Menschen?
Ich finde, wir gehen mit uns selbst sehr, sehr schlampig um. Das, was wir sind, schätzen wir offenbar überhaupt nicht. Es geht nur um Äußerlichkeiten. Ein Beispiel: Jemand fährt mit seinem Auto zur Tankstelle, tankt das Benzin mit der höchsten Oktanzahl, auch wenn es das Auto gar nicht braucht, in die Scheibenwaschanlage kommt das Mittel mit dem frischen Apfelgeruch, Öl wird kontrolliert. Und dann geht dieser Mensch in die Tankstelle und kauft sich dort ein „Milky Way“ und ein „Red Bull“. Er lädt sich also selbst den größten Dreck in seinen Körper, aber um das tote Ding vor der Tür kümmert er sich rührend. Das ist ein totales Missverhältnis: Das Ding ist viel mehr wert als der Mensch. Wie wir mit uns und unserem Körper umgehen, also, ich denk mir manchmal: Spüren sich alle diese Leute nicht mehr?
Ernährung ist dir offensichtlich ein großes Anliegen.
Allein was wir an Nahrungsmitteln in uns hineinstopfen, die noch immer Lebensmittel heißen, aber keine Lebens-Mittel sind! In all den verpackten Sachen im Supermarkt ist kein Leben drinnen. Die Sachen sind komplett denaturiert, und alles, was in ihnen einmal lebendig war, wurde herausgefiltert. Darum ist die Supermarkkost auch so gut verdaulich. Das ist das Absurde, dass Leute, die sich von denaturierter Nahrung ernähren, keine Verdauungsprobleme haben – außer sie essen dann einmal gesunde Sachen. Wenn sie Vollkornbrot oder einen Apfel essen, ist es aus, weil das ihr Körper nicht mehr verarbeiten kann.
Noch mal zurück zur Reaktion deines Publikums: Wenn deine Programme kritischer werden, ohne die berühmten Schenkelklopfer, wie nimmt das Publikum das auf?
Es ist genau das passiert, was ich mir erwartet habe. Manche Menschen sind nicht mehr gekommen. Aber die, die übrig geblieben sind, die sind die Essenz – die Menschen nämlich, die ich gern im Publikum haben will. Meine Agentur hat am Anfang die Panik gehabt, dass die Leute davonlaufen werden. Ich habe aber gesagt: „Lasst sie nur davonlaufen.“ Das ist jetzt etwa vier, fünf Jahre her, und heute spiele ich in ausverkauften Sälen wie vorher. Nur wissen die Leute heute, was auf sie zukommt, und ich kann es mir leisten, auf der Bühne gewisse Sachen zu sagen, ohne dass die Leute schockiert sind. Sie sagen eher: „Eigentlich eh klar, dass er das jetzt sagt, weil wir wissen eh, wie er tickt.“
Von wegen Essenz: Was ist die Botschaft in deinem neuen Programm „ICHEinleben“, und was will uns das durchgestrichene ICH sagen?
Es gibt ein einziges Thema, mit dem jeder was zu tun hat, das niemanden ausschließt, und das ist das Leben. Eben „ein Leben“, denn jeder glaubt, dass er ein Leben hat, aber eben nur eines. Und das ist meiner Meinung nach der große Fehler. Die Menschen haben Angst, ihr Leben zu verlieren. Und das kann nicht sein. Stell dir vor, du oder ich würden unser Leben verlieren. Aber wenn ich etwas verliere, dann bin ich ja noch immer da. Das heißt, du kannst dein Leben nicht verlieren, weil du kein Leben hast, sondern dein Leben bist. Und dieses „ein Leben haben“ oder „ein Leben sein“, das macht einen gewaltigen Unterschied. Das ist so wie Musik anhören oder Musik selber machen – das ist etwas grundlegend anderes. Wenn du ein Instrument spielst, schwingt dein ganzer Körper mit und du empfindest die Musik ganz anders.
Und wie willst du das auf der Bühne vermitteln?
Na, genauso ist es ja beim Leben: Entweder du hast ein Leben und kümmerst dich als ein Ich mit einem Namen um dieses Leben und betreust es wie ein fremdes Ding, das nichts mit dir zu tun hat, du lebst aber nicht; oder du lebst einfach. Und das ist das, was ich in meinem neuen Programm machen werde: Ich werde unseren Ursprung suchen und unser Leben in Verhältnis zu dem eines Neandertalers stellen. Letzterer stellvertretend für alle indigenen Völker und für alle Naturvölker, die es jemals gegeben hat. Der Neandertaler hat einfach gelebt, der hat nie über „sein Leben“ nachgedacht.
Meinst du ein vorbewusstes Leben, denn Bewusstsein hat ja viel mit dem „Ich“ zu tun?
Eben nicht. Bewusstsein hat eben nichts mit dem Ich zu tun. Bewusstsein ist etwas, was immer da ist. Es gibt eine Phase in unserem Leben, an die wir uns nicht erinnern können. Wir können uns nicht an die Zeit unserer etwa ersten drei Lebensjahre erinnern. Da waren wir in einem anderen Bewusstseinszustand, hatten noch nicht dieses Ich. Da ist dir noch egal, wer du bist; du bist einfach nur, saugst alles auf, nimmst alles wahr, lachst, schreist, weinst. Und dann passiert etwas: Da schaut so eine Tante in den Kinderwagen hinein und sagt: „Ja, das ist ja der Franzi, na schau, da ist ja der Franzi“, und in dem Moment hast du einen Namen und wirst zum Franzi.
Und dann fangen die Probleme an.
Das ist ja die Essenz des Buddhismus: kein Selbst, kein Problem. Und dieses „kein Selbst“ heißt einfach, nur mehr zu leben. Zwischendurch passiert es uns allen, dass wir so Momente haben, wo wir plötzlich wach sind und wirklich nur leben – wenn du nur mehr schaust und nur mehr wahrnimmst. Nach einer langen Autofahrt stehst du plötzlich am Meer. Oder du gehst auf einen Berg. Oder du bist bei einem überwältigenden Ereignis dabei – bei einer Geburt oder wenn jemand stirbt. Das sind so Momente, wo das ganze Denken wegfällt; du bist dann nur mehr wach, gegenwärtig und da.
Du unterscheidest also Denken und Bewusstsein?
Ja, denn beim Denken läuft in unserem Kopf pausenlos eine Maschine, die immer mit uns redet. Wenn du aber in so einem Moment der Gegenwärtigkeit bist, dann bist du das, was du eigentlich wirklich bist, nämlich nicht dieses Ich, sondern etwas anderes, was auch immer das sein mag. Wir wissen es nicht, aber da bist du ganz einfach, da spürst du dich. Und darum begeben sich viele Menschen in Extremsituationen und machen zum Beispiel Extremsport. Wenn du Freeclimbing betreibst, kannst du nur das machen und nichts anderes mehr denken, da bist du voll dabei.
Wo hast du das erlebt?
Ich habe das immer beim Motocrossfahren gehabt, das war für mich wie eine Meditation. Denn wenn ich schnell fahre und ans Limit gehe, dann kann ich das nur, wenn ich mich voll darauf konzentriere; wenn ich an etwas anderes denke, haut´s mich hin. Beim Radfahren oder Joggen denke ich an tausend Dinge, die ich noch zu erledigen habe. Wenn du aber etwas tust, was dich so fordert, dass es deine gesamte Aufmerksamkeit auf diese Sache lenkt, dann geht das nur, wenn du voll dabei bist. Und ich denke, dass das ein Zustand ist, nach dem wir uns sehnen, und ich glaube verstanden zu haben, dass das der Zustand ist, den wir Menschen vor vielen, vielen Generationen über lange Strecken des Tages gehabt haben.
Kann man dein „ICHEinleben“-Programm dann als eine Art zen-buddhistische Meditation bezeichnen?
Warum müsst ihr immer allem einen Namen geben? Ich kann überhaupt nicht benennen, was das ist. Mein Problem wird nicht sein, was ich erzähle, sondern was ich nicht erzähle. Das ist ja ein Thema, über das man stundenlang reden könnte. Meine Gabe ist, dass ich einfach weiß, wie man Sachen erzählt. Man kann eine Geschichte so erzählen, dass sie uninteressant ist, aber ich stelle mich auf die Bühne und erzähle sie so, dass die Leute sie super finden. Es geht also nicht so sehr darum, was ich sage, sondern wie ich es sage.
Diese Frage wirst du wahrscheinlich gleich abwehren: Was aus deinem Repertoire ist dein Lieblingsprogramm?
Immer das, was ich gerade spiele; das geht gar nicht anders.
Dann sage ich es von meiner Warte: Ich war sehr beeindruckt von der Bühnenversion der „Viertelliterklasse“, das war ja großes Theater – von der komplexen Geschichte an sich, den verschiedenen Rollen, die du alle spielst, bis zu bestimmten formalen Einlagen: ein zweistündiges, sehr kritisches Solo-Theaterstück.
Ja, da hab ich auch ganz was anderes gemacht als vorher. Da haben die Leute am Anfang auch ganz schön geschluckt. Aber das Komische ist: Den Leuten geht es nicht um die Inhalte. Schau dir den politischen Diskurs an, dort geht es auch nicht um die Inhalte, sondern nur um das Drumherum, um die Show. Bei den Benzinbrüdern habe ich in Wirklichkeit von einem jungen Menschen erzählt, der im Auto stirbt. Aber das ist den Leuten gar nicht aufgefallen. Die haben einfach nur über die Gags drum herum gelacht.
Die „Viertelliterklasse“ hatte mit dem Alkoholismus ja auch einen knallharten Inhalt.
Ja, da haben die Leute auch gewartet, dass ich wie früher einen Schmäh mit ihnen mache, aber das passiert dann nicht. Das hat sie ziemlich irritiert. Und das Thema Alkohol war auch so, dass sich da fast niemand im Publikum ausnehmen konnte. Diese vier Arten von Trinkern, die ich dargestellt habe, sind ja nicht erfunden, die gibt es medizinisch wirklich, das ist pathologisch. Aber für mich war das super, weil ich gerne Figuren spiele und in unterschiedliche Charaktere schlüpfe. Und das habe ich bei diesem Programm gemacht.
Abschließend noch eine Frage: Wieso gibt es kein politisches Kabarett in Österreich?
Erstens interessiere ich mich nicht fürs Kabarett, ich wollte immer Schauspieler werden. Ich habe damals mit dem Alfred Dorfer eine Theatergruppe gegründet, und wir haben kleine Theaterstücke gespielt. Auch Muttertag war ursprünglich ein Theaterstück. Nur haben wir immer auf Kleinkunstbühnen gespielt und nicht auf größeren Bühnen, deshalb wurden wir als Kabarettisten wahrgenommen. Aber ich fühle mich überhaupt nicht als Kabarettist. Und politisches Kabarett, das hätte mich sowieso nicht interessiert, weil mich die Politiker nicht interessieren. Ich verstehe das nicht, warum man so was macht: weder warum jemand in die Politik geht noch warum jemand über Politiker redet.
Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010