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03. Juli 2024

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Aus dem Bauch heraus

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Die Hälfte aller Topmanager muss wichtige Entscheidungen ohne rationale Grundlage treffen.

Bauchgefühl ist keine anerkannte Managementmethode – mit gutem Grund. Vielen Führungskräften bleibt aber gar nichts anderes übrig. Laut einer Studie von IBM sind 53 Prozent aller Topmanager der Meinung, dass sie ihre Entscheidungen ohne ausreichende Informationsgrundlage treffen müssen. Und sie stufen sogar ein Drittel dieser Entscheidungen als kritisch für den Geschäftserfolg ein. Über Wohl und Wehe der Firma wird also aus dem Bauch heraus entschieden.
Zunehmende Komplexität erschwert den Managern ihre Aufgaben. Und dabei stehen sie unter Zeitdruck. Damit Unternehmensplanung sinnvoll betrieben werden kann, sollte ein Planungsprozess in maximal 20 Tagen abgeschlossen sein. In der Regel dauert er aber sechs bis acht Wochen, sagt Philipp Lindner, Managing Consultant bei IBM Global Business Services: „Die Ergebnisse müssen schnell verfügbar sein, sonst sind sie ohne jede Relevanz für die Entscheidungs­findung.“

Seriöse Glaskugeln
Die Unternehmen müssen auch einen Schritt weiter gehen, weg vom klassischen Planungsdenken, und sich der Simulation zuwenden. Wer seine Zukunftsszenarien kennt, reagiert im Ernstfall kompetenter. Aber der Aufwand dieser Planspiele muss vertretbar sein. „Wenn das zu kompliziert ist, wird es niemand machen“, meint Lindner, „daher ist eine flexible Lösung nötig, mit der verschiedene Szenarien rasch durchgespielt werden können.“
Diese Flexibilität fehlt oft. Nur die Hälfte der Unternehmen verfügt über eine einheitliche Reporting- und Planungsplattform, offenbart die IBM Global CFO Study 2010. Oft haben Fachabteilungen und Niederlassungen im Laufe der Zeit eigene Insellösungen angeschafft. Die standort- und abteilungsübergreifende Planung erfolgt dann zwangsläufig mithilfe von Excel. Der Planungsprozess aber ist zu komplex, auf dieser Basis kann er nicht effizient gemanagt und überwacht werden. Nur integrierte Planungslösungen wie IBM Cognos erlauben die reibungslose Zusammenarbeit der Abteilungen.

Schwierige Bewertung
Externe Faktoren müssen bei Planung und Simulation verstärkt berücksichtigt werden, fordert Lindner einen ganzheitlichen Ansatz. Da können Daten aus der Marktforschung oder von Geschäftspartnern herangezogen werden. Besonders beim Abschätzen von Risiken spielen externe Quellen eine bedeutende Rolle. Interne Risiken wie der Ausfall einer Maschine sind relativ leicht zu kalkulieren. Externe Risiken wie die Auswirkungen einer Krise auf die Unternehmensfinanzen sind da schon schwerer einzuschätzen. Diese Möglichkeiten müssen trotzdem in die Planspiele miteinbezogen werden. Wer etwa seine Lagerbestände optimiert, sollte auch das Risiko miteinbeziehen, dass kurzfristig ein Lieferant ausfallen könnte. Es ist wenig sinnvoll, das Lager rein kostengetrieben auf ein Minimum hinunterzufahren.
Dem Trend zur ganzheitlichen Betrachtungsweise folgend hat IBM die Business Analytics & Optimization (BAO) Serviceline gegründet. In ihr vereint sich das betriebswirtschaftliche Know-how der Consultingsparte von IBM mit dem Produktportfolio, das im Bereich Business Intelligence durch die Akquisition von Cognos stark aufgewertet wurde. Mit BAO deckt IBM das ganze Feld ab, angefangen bei der Business-Intelligence-Strategie bis hin zum Managen von Lieferantenprozessen in der Supply Chain und zur Analyse unstrukturierter Infos aus dem Internet.

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Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Digitale Ausscheidungen

Digitale Ausscheidungen Kasparek

Rotzige Postings, derbe Tweets – die Zahl von Textabsonderungen im Web wächst rasant.

Wer heutzutage keinen „Wortdurchfall“ im World Wide Web produziert, wird ob seiner selbst gewählten chronischen Verstopfung vielfach bedauert. Während Kritiker und Technologiemuffel meinen, die „digitalen Exkremente“ würden bereits zum Himmel stinken, bejubeln Kommunikationsjunkies deren Funktion als Düngemittel für blühende Informations- und Wissenslandschaften.
Seit den Anfängen des Web 2.0-Booms vor circa vier Jahren gibt es nun diese Kontroverse zwischen Befürwortern und Skeptikern des Social Web. Letztere prognostizierten den neuen Medienplattformen wie Youtube, My Space und Twitter sowie Mitmach-Tools wie Blogs oder Wikis keine lange Lebensdauer. Doch sehr rasch haben sich aus der anonymen Masse passiver Internetnutzer riesige, weltweit agierende Netzwerke aktiver Gestalter entwickelt, die derzeit das Webgeschehen prägen und beleben. Wer heutzutage nicht auf Xing anzutreffen ist, weniger als hundert Face­book-Freunde oder Twitter-Follower vorweisen kann und noch nie gebloggt hat, wird bedauert und läuft Gefahr, als Onlineanalphabet abgestempelt zu werden.

Digi-Alphabetisierungskurse
„Doch nach wie vor hält sich außerhalb der eingefleischten IT-Insiderszene das Wissen darüber, wie die einzelnen Kommunikationstools des Mitmach-Web auch wirklich funktionieren und genutzt werden können, in Grenzen“, betont die Wirtschaftsinformatikerin Meral Akin-Hecke, die seit 2007 „Alphabetisierungskurse“ für branchenfremde, lernwillige Personen anbietet.
Das Interesse an den von ihr organisierten Veranstaltungen und Workshops ist auch im dritten Jahr des Bestehens der Netzwerkplattform „Digitalks“ ungebrochen groß. An die 20 kostenlose Events, bei denen erfahrene Anwender neue Technologien multimedial präsentierten, sind im Wiener Museumsquartier bereits über die Bühne gegangen.
Die Teilnehmer lernen vor Ort online, wie diverse Webanwendungen funktionieren und zu nützen sind. „Viele trauen sich einfach zu wenig zu. Kaum jemand versteht die Fachtermini, mit denen IT-Spezialisten immer um sich werfen“, erklärt Akin-Hecke die Beweggründe der meisten Besucher. „Wir versuchen, mit einfachen Worten möglichst vielen Menschen einen Ein- und Überblick über die facettenreichen Möglichkeiten von Webanwendungen zu geben. Denn nur wer das Wissen darüber hat, kann auch abschätzen, ob es für ihn ein nützliches Kommunikationsinstrument ist oder nicht“, versichert Akin-Hecke.
Die Themenpalette, die bei „Digitalks“ abgedeckt wird, reicht von „Wie funktioniert Podcasting?“ über „Orientierungshilfen für geobasierte Anwendungen“, Möglichkeiten von „Onlinezusammenarbeit in Echtzeit“ bis zur Verdeutlichung von Wegen und Nutzen des sogenannten „Semantic Web“.

1. Wiener Twitterlesung
Dass beim digitalen Netzwerken auch der Spaßfaktor nicht zu kurz kommt, konnte man bei der von „Digitalks“ im April veranstalteten „1. Wiener Twitterlesung“ hautnah miterleben. Hintergrund der Veranstaltung: 50 Mio. „Tweets“ (das heißt auf dem Microblogging-Dienst Twitter.com gepostete Kurznachrichten) werden pro Tag
produziert.
Das „Digitalks“-Team wollte wissen, wo die thematischen Schwerpunkte der unzähligen Tweets liegen, die tagtäglich produziert werden. Das wenig überraschende Ergebnis: Essen, Verdauen, Ausscheiden und Arschkriechen bilden die Spitze der wahren Twitter-Bedürfnispyramide. Passend zu diesen Begriffen wurden Tweets gesammelt und in einer dreiteiligen Twitterlesung vorgetragen. Als Location fungierte, passend zum Thema, die Bar Rectum (auch „Arschbar“ genannt) im Wiener Museumsquartier. economy war live dabei.
Hier eine kleine Kostprobe: „Wenn das Bier im Magen sinkt, am Morgen auch die Schüssel stinkt“, schreibt der Twitterer „Bucksen“. „Shorty“ wiederum hat: „Hunger ... Aber zu faul um aufzustehen.“
„Immateriell“ fragt: „Sucht noch einer ein Ostergeschenk? Unser Schlachter verkauft Leberwursthasen.“ Die „Textzicke“ verrät ihren „Vertipper des Tages: ‚Naturkotladen‘“. „Mutig ist, wer Durchfall hat und trotzdem pupst!“, bemerkt „Eulenherz“.
„Johannes_mono“ erklärt nicht-österreichischen Twittern: „If you exit your plane and someone shouts ‚Oarschbeidl‘ in a cellphone you know you are in Vienna.“
Und Jörg Wittkewitz, der Redaktionsleiter von Blogpiloten.de, liefert das Resümee der Geschichte: „Schreiben ist das Endprodukt der Weltverdauung. Der geschriebene Inhalt, dessen sich ein Mensch entledigt, soll für den anderen Nahrung sein.“ Mahlzeit.
Die Inhalte der „Digitalks“-Veranstaltungen oder Workshops sind auf www.digitalks.at nachzulesen und nachzuhören.

Astrid Kasparek, Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Buchtipp

Buchtipp

Heilung von der digitalen Droge.

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, hinter dessen Zeitung kluge Köpfe stecken, ist selbst einer. In seinem Buch Payback thematisiert er die fatale Macht der Computer über unser Leben. Er kritisiert sein Gehirn, das sich eigentümlich transformiert habe, seitdem er simst und googelt, sich You­tube-Videos anschaut und Twitter-Einträge liest. Die Verwandlung unserer Lebensgewohnheiten bedeute nicht, dass wir verdummen. Nein, schlimmer: Wir verlieren die Kontrolle über uns selbst. Unser Handeln richte sich sklavisch nach der Software aus, die uns umgibt. Die Software des Onlinebuchhändlers weiß, dass wir bereits drei Krimis bestellt haben, und schlägt uns zwei weitere, unserem Geschmack entsprechend, vor. iTunes kennt unsere musikalischen Vorlieben längst besser als wir selbst. Die Daten, die wir im Netz hinterlassen, kehren neu zusammengesetzt wieder – als Entscheidungshilfen, die wir dankbar annehmen. Wir werden kontrolliert, indem man uns Freude zufügt. Jedes Mal, wenn wir uns im Internet auf die Suche nach Informationen begeben und etwas Brauchbares finden, schütten wir den Glücksstoff Dopamin aus. Wir lieben die neuen Technologien, obgleich sie uns überfordern. Wir sind süchtig. Schirrmachers Therapievorschlag: Schulen und Universitäten sollen daher in Zukunft Denken lehren und nicht Gedanken.
Frank Schirrmacher:
„Payback“
Blessing Verlag, München, 2009
19,95 Euro
ISBN: 978-3896673367

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

E-Government x.0

E-Government x.0Carmen Rüter

Open Government Data nennt sich eine Initiative, die sich der Aufgabe verschrieben hat, den Zugang zu Daten zu vereinfachen, die durch öffentliche Gelder finanziert wurden. Gestartet durch das World-Wide-Web-Konsortium werden weltweit Regierungen aufgefordert, öffentliche und nicht personenbezogene Daten auf Basis von Semantic-Web-Standards in die Public Domain zu entlassen. Die USA, Großbritannien, Neuseeland, Frank­reich, Italien, Deutschland und einige skandinavische Länder sind diesem Ruf bereits gefolgt. Als Auftakt im Rahmen einer Veranstaltung der Österreichischen Computergesellschaft am 8. April 2010 ist das Thema nun auch in Österreich angekommen.
Auf Basis von Open-Government-Daten sollen in Zukunft usergenerierte Mehrwertdienste laufen, die mehr Transparenz und Kontrolle für staatlich gehortete Datenbestände versprechen. Nicht staatlich vorgekaute Interpretationen sind von Interesse, sondern die unaufbereiteten Primärdaten
an sich, die den Rohstoff für die Tools einer bürgernahen, partizipativen Demokratie der Generation Web x.0 darstellen. „Where did my money go?“ nennt sich etwa eine Demo-Implementierung, die die Budgetgebarung der britischen Regierung der vergangenen zehn Jahre laiengerecht veranschaulicht. Doch auch Daten zu Infrastruktur, Umwelt, Demografie, Stadtentwicklung et cetera sollen in Zukunft sinnvoll verknüpft werden und schlummernde Zusammenhänge offenbaren.
Im Kern steht jedoch die Frage, inwieweit die Politik ein Interesse an der Förderung dieser Kulturtechnik hat, zumal der Verlust der Daten- und Nutzungshoheit existierende Machtstrukturen empfindlich trifft und auch bestehende Vermarktungsmodelle für öffentliche Daten infrage stellt. Der Diskurs darüber ist eröffnet.
Tassilo Pellegrini ist Leiter R&D bei The Semantic Web Company.

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Tassilo Pellegrini, Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Die Welt intelligenter machen

Die Welt intelligenter machenSoundpark/FM4/OFAI

Das Österreichische Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (Ofai) verdankt viel seinem Gründer und heutigen Leiter Robert Trappl, 71, der ein gutes Forschungsteam aufgebaut hat. Ofai-Mitglied Gerhard Widmer bekam im vergangenen Jahr den Wittgenstein-Preis.

„Uns beschäftigt die Frage, wie wir Systeme machen können, die intelligent sind, uns Arbeit abnehmen und das Leben erleichtern oder Dinge übernehmen, die wir nicht können“, hat Robert Trappl eine anschauliche Erklärung parat, was am
Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (Ofai) geleistet wird.
Trappl, Jahrgang 1939, ist erfahrener Experte für Künstliche Intelligenz (KI). Er hat das Ofai selbst 1984 gegründet, vergangenen Dezember wurde das 25-Jahr-Jubiläum mit einem großen Symposium gefeiert. Das Ofai ist wiederum eine Gründung der Österreichischen Studiengesellschaft für Kybernetik (OSGK), die bereits seit 1969 besteht. „Das Ofai finanziert sich zu 95 Prozent aus Projekten, nur etwa fünf Prozent, heuer 55.000 Euro, werden vom Wissenschaftsministerium als Basissubvention zugeschossen“, ist Trappl stolz. Insgesamt liegen die Aufwände bei etwa 1,2 bis 1,5 Mio. Euro pro Jahr. Das Ofai beschäftigt rund 25 Wissenschaftler. „Wer will, wird angestellt, das ist mir wichtig“, ist Trappl um das Wohl seiner Mitarbeiter bemüht.

Überall im Alltag präsent
Der Arbeitsbereich ist tatsächlich sehr breit. Das Ofai ist hauptsächlich mit Anwendungsforschung in folgenden Bereichen aktiv: Sprachtechnologien, Interaktion zwischen User und intelligenten Systemen, Intelligent Music Processing and Machine Learning, intelligente und emotionale Softwareagenten und Neue Medien sowie „Ambient Assisted Living“.
Künstliche Intelligenz ist heute überall „unsichtbar“ präsent. „Verwenden tut sie jeder. Wenn Sie etwa ein Navigationsgerät kaufen, eine Kamera, die sich auf Gesichter einstellt, oder auf dem Handy Texte schreiben, wo Sätze oder Buchstaben ergänzt werden“, nennt Trappl viele Beispiele für KI im Alltag .
„Wir versuchen heute auch, Emotionen und soziale Beziehungen vermehrt in die Forschung miteinzubeziehen“, betont der Allround-wissenschaftler, der Elektrotechnik, Soziologie und Psychologie mit Nebenfach Astronomie studiert hat. Es gehört zu Trappls Verdienst, dass das Ofai heute international höchst anerkannt ist. Das EU-Projekt „Social Engagement with Robots and Agents“ (Sera) etwa wird vom Ofai koordiniert. Dabei stehen folgende Fragen im Zentrum: Welche sozialen Fähigkeiten muss ein Roboter besitzen, um zu Hause als Gehilfe/Gefährte willkommen zu sein? Und wie soll er sich benehmen, dass sein Rat oder seine Kritik auch akzeptiert werden kann?
Weitere europäische Forschungsprojekte mit Ofai-Beteiligung sind „Collective Emotions in Cyberspace“, „Integrating Research in Interactive Storytelling“ (Iris) sowie „Learning for Security“ (L4S).

Lukrative Auftragsforschung
Viele Auftraggeber wenden sich um Hilfe an das Ofai. So wurde im Auftrag von derStandard.at ein Forschungsprojekt betreff Onlinepostings durchgeführt. Das Ergebnis: Früher mussten Postings „händisch“ gefiltert werden, heute funktioniert das mithilfe einer SW-Lösung, basierend auf KI, automatisch. Ein Folgeprojekt („Magnificent“) beschäftigt sich jetzt mit der Frage, wie Onlinenachrichten präsentiert werden können, damit sie den jeweiligen individuellen User optimal ansprechen.
Ein sehr anschauliches Ergebnis einer Ofai-Forschungsarbeit ist der künstlich intelligente „Soundpark“ des Radiosenders FM4: ein Musikempfehlungssystem, das auf Basis einer Frequenzanalyse eines Songs drei weitere Titel aus der „Soundpark“-Datenbank vorschlägt. „Vor 20 Jahren galt die Verbindung von Computer und Musik noch als esoterisch“, erinnert sich Gerhard Widmer, der als Pionier für Musik und KI gilt und dazu 1992 am Ofai eine Arbeitsgruppe gründete. Widmer wurde für seine exzellente Arbeit im vergangenen Jahr mit dem Top-Forschungspreis Österreichs, dem mit 1,5 Mio. Euro dotierten Wittgenstein-Preis, belohnt. Der gebürtige Vorarlberger, der seit 2004 zudem auch Vorstand am Institut für Computational Perception der Linzer Kepler-Uni ist, hat Algorithmen entwickelt, mit denen er digitale Musiksammlungen nach bestimmten Kriterien durchsuchen, ordnen und abspielen kann. „Wir haben in fünfjähriger Zusammenarbeit mit B&O eine Stereoanlage entwickelt, die den Inhalt einer Audioaufnahme analysiert und danach weiter Musik spielt, die dazu passt“, erzählt Widmer, der jetzt von vielen Audiofirmen kontaktiert wird.

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Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Odysseus in der Warteschleife

Odysseus in der WarteschleifePhotos.com

Die Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden sollten im Vordergrund stehen, wenn die IT- und Kommunikationsinfrastruktur modernisiert wird. Denn die Fähigkeit, bestehende und zukünftige Kunden schnell und effektiv zu bedienen, wird zunehmend zu einem Schlüsselfaktor.

„Bei Fragen zu unseren Produkten drücken Sie bitte die Eins. Bei Fragen zu Ihrer Rechnung drücken Sie bitte die Zwei. Bei Fragen zu ...“ Wer kennt sie nicht, die Konservenstimme, die uns manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich zu einem ‚echten‘, einen menschlichen Ansprechpartner führt, der unsere Fragen kompetent beantwortet und unsere Bestellungen zuverlässig bearbeitet – hoffentlich.
Um mit der anschwellenden Menge an Kundenkontakten zurande zu kommen, war der Trend zu automatisierter, auf Selbstbedienung basierender Kundenbetreuung der richtige Weg. Die Automatisierung erlaubt Kontaktcentern, eine hohe Anzahl von Anfragen vergleichsweise kostengünstig und effizient abzuarbeiten. Dieser Zugang zum Kunden ist aber zunehmender Kritik ausgesetzt. Denn nichts ist für die Kundenzufriedenheit – neben der Qualität des Produkts selbst – so wichtig wie die Servicequalität.

Anspruchsvolle Kunden
Dabei nehmen Konsumenten den Trend zur Automatisierung der Kontaktcenter – nicht immer zu Recht – als Verlust von Servicequalität wahr. Werden sie in die Selbstbedienung gedrängt, reagieren sie nicht selten unzufrieden.
Der Kunde hat sehr hohe Erwartungen. Egal ob er online einen Bestellprozess durchführt oder telefonisch eine Produktauskunft einholt – er fordert die umgehende Erfüllung seiner Anfrage. „Es ist die Entscheidung des Kunden, wann, wo und mit welchen Mitteln der Kontakt hergestellt wird“, sagt Astrid Krupicka, Marketingdirektorin bei Alcatel-Lucent für Österreich und Osteuropa. Egal ob er ein E-Mail schreibt, sich im Chat meldet oder anruft, das Unternehmen muss darauf vorbereitet sein und die Reaktion prompt erfolgen.

Die Stimme am anderen Ende
Kaum etwas ist frustrierender als ein Anruf im Kontaktcenter, der zur Odyssee gerät. Wer von einem unwissenden Mitarbeiter zum nächsten verbunden wird, dabei immer wieder dieselbe Frage formulieren muss und dazwischen lange Zeit in der Warteschleife hängt, reagiert mit gutem Recht verärgert. Genauso verhält es sich, wenn der Kunde sich die benötigten Informationen selbst auf einer Homepage zusammensuchen soll. Wer eine Frage oder ein Problem hat, will persönlich mit jemandem sprechen, der ihm helfen kann.
Unternehmen, die dem Kunden ermöglichen, jederzeit in einen direkten verbalen Kommunikationsprozess zu treten, beispielsweise durch eine Funktion wie Click-to-talk, schaffen eine technologische Grundlage für Kundenzufriedenheit. Dass der Kundenkontakt erfolgreich ist, setzt eine ausgeklügelte Integration der Sprach- und Datenebene voraus. Denn der Agent im Kontaktcenter muss schnell auf Informationen zum Kunden oder Produkt zugreifen, um kompetent reagieren zu können.
Hat der Kunde aber durchschaut, welche Leistungen ein Unternehmen bietet und wie er sie nutzen kann, greift er gern auf automatisierte Prozesse zurück, um seine Routinetransaktionen per SMS oder über ein Webportal abzuwickeln.

Erfolgsfaktor Zufriedenheit
Die Kundenbeziehungen befinden sich im Umbruch. „Unternehmen, die diesen Wandel wahrnehmen, werden Marktanteile gewinnen“, ist Krupicka überzeugt. Dazu muss die Strategie bei der Planung der Informations- und Kommunikationsinfrastruktur auf Kundenerwartungen ausgerichtet werden. Das erfordert tiefes Verständnis für den Kundeninteraktionsprozess sowie Integra­tion der Sprach- und Datennetze auf allen Ebenen.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Geschäftemacher unter sich

Geschäftemacher unter sich Photos.com

Sie kaufen Internetadressen im Hunderterpack ein, um darauf Werbung zu platzieren: Domainer.

Ihr Geschäftsmodell beschreiben sie gerne als eine Art virtuellen Immobilienmarkt. Auf ihren Veranstaltungen bleiben sie dennoch lieber unter sich: Domainer. Sie kaufen Internetadressen meist in großem Stil ein, pflastern die Websites anschließend mit Google-Werbung zu und warten darauf, dass sich Surfer dorthin verirren.
Mitmachen kann jeder. Das große Geld geht aber an Unternehmen wie Marchex. 200.000 Domains sollen den US-Amerikanern gehören, etwa die Hälfte davon stammt aus einem einzigen Deal. Kolportierte Summe der Akquise: 164 Mio. Dollar (123 Mio. Euro). Genug hat Marchex damit noch nicht. Weiterhin kauft das Unternehmen Domains mit US-Postleitzahlen ein, um darauf mit lokalen Infos gefärbten, aber ansonsten völlig generischen Content zu verteilen. Strategien wie diese werden als „Asset-Entwicklung“ bezeichnet: Portale heranzuzüchten, bis sie lukrativ genug für den Weiterverkauf sind. Wenn es schneller gehen soll, können Adressen wie Sex.com oder Fund.com hilfreich sein. Das hat allerdings seinen Preis: Für den Weiterverkauf von Fund.com sollen knapp zehn Mio. Dollar bezahlt worden sein. Die Werbeeinnahmen solcher „geparkter“ Seiten belaufen sich Schätzungen zufolge auf weit über eine Mrd. Dollar pro Jahr.
Das Zurechtmachen der Sites funktioniert weitgehend automatisch. Eigene Unternehmen versehen die Seiten nach automatischer Kategorisierung mit Bild, Text und dazupassenden Links. Je allgemeiner oder gefragter eine Adresse ist, desto lukrativer. Auf diese Weise naschen Betreiber auch am „Type-in Traffic“ mit: Adressen, die Benutzer aufs Geratewohl eintippen, ohne sie zuvor über eine Suchseite zu bestätigen. Von Typosquatting, falsch buchstabierten Firmen- und Markennamen, lassen Domainer indes ihre Finger: Gerichte verstehen bei Markenrechtsverletzung keinen Spaß.

Scheinbare Vielfalt
Ende der 90er Jahre zählte Matthew Zook, Professor an der University of Kentucky und Betreiber der Website Zooknic, drei Mio. Domains, Mitte Dezember 2009 waren es rund 111,9 Mio. Stück – länderspezifische nicht eingeschlossen. Angesichts der Menge an geparkten Sites bedeutet dies für Benutzer nicht eine Vervierzigfachung der Vielfalt. Ändern dürfte sich am lukrativen Geschäft der Domainer so bald nichts, zumal es keine echten Benutzungsregeln für Websites gibt. Einzige Vorschrift: Beim Eintippen der Webadresse muss zumindest eine leere Site erscheinen. Ganz ohne Werbung darauf wäre das freilich Verschwendung.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Test: Bundesländer auf Facebook

Test: Bundesländer auf FacebookBilderbox.com/Facebook/economy

Wien vermisst den Frühling, Kärnten hat sich dieses Jahr noch gar nicht zu Wort gemeldet, und Tirol hat einen neuen Klingelton fürs Handy gefunden: Auch die Bundesländer haben mittlerweile Facebook entdeckt, um sich als Urlaubsregion zu bewerben.

„Gefällt mir“ – wohl nie zuvor wurden diese zwei Wörter so oft gelesen wie seit der Ausbreitung des Social Web. 200 Mio. Mitglieder loggen sich täglich bei Facebook ein und verbringen durchschnittlich 55 Minuten auf der Plattform. Sie klicken auf „Gefällt mir“, wenn sie eine Statusmeldung, eine neue Freundschaft, einen neuen Beziehnungsstatus, eine Fanseite, was auch immer, mögen – der Daumen wird nach oben gehalten, niemals nach unten.
Um die drei Mio. Fanseiten kursieren derzeit auf Facebook. Es gibt Seiten für Produkte, Marken und Unternehmen, für den Sommer, für Swinger in Kärnten, für funktionierende Heizungen und vieles mehr. economy hat getestet, wie Österreichs Bundesländer sich als Urlaubsregionen in der Kategorie Reisen vermarkten.

Kärnten ist schon lange ruhig
„Good morning to all Sound of Music fans in the world!“ Was für Seiten, die in der Kategorie Reisen eingetragen sind, naheliegend wäre, setzt unter Österreichs Bundesländern nur Salzburg um. Statusmeldungen werden hier sowohl auf Deutsch,als auch auf Englisch veröffentlicht. Immerhin, Tirols Fanpage heißt „Tirol/Tyrol“ und Kärntens Seite „Kärnten/Carinthia“, das war es dann aber auch schon.
Bei den meisten Seiten ist die einheimische Fancommunity allerdings ohnehin größer als die der Menschen von außerhalb. Auf der Oberösterreich-Fanpage – laut Eigenbeschreibung „das schönste Bundesland Österreichs“ – werden die Vorteile des eigenen Bundeslandes gepriesen. Niederösterreichs Reise-Seite hat nur 168 Fans; über 18.000 Fans hat die Seite hingegen in der Kategorie „Leben und Wohnen“. Eine Fanpage mit reger Einbindung der Community – Mitglieder werden etwa gefragt, ob sie Produkte aus der Region vorgestellt haben wollen: 70 Personen gefällt das innerhalb von 15 Stunden.
Niederösterreich meldet sich regelmäßig zu Wort, Kärnten ist schon lange ruhig. Das letzte Status-Update stammt von Mai 2009, Thema: Golf in Kärnten. Die Reise-Seite des Bundeslandes hat nur 1249 Fans. Eine kleine Fancommunity hat auch das Burgenland: Knapp 3000 Personen gefällt die Reisedestination. Auch hier richtet sich die Seite vorwiegend an Einheimische. Das letzte Status-Update ist ebenfalls eine Weile her, aber immerhin auch auf Englisch: „Burgenland wünscht allen Burgenländer/innen im In- und Ausland ein friedliches und gesegnetes Weihnachtsfest! Merry Christmas to all Burgenländer around the world!“
Was Oberösterreich hat, hat auch Tirol. Beide Bundesländer informieren via Botschafterin über Veranstaltungen im Land. Gesucht und gefunden wurden die laut Homepage „persönlichen Reiseführer“ von der Österreich Werbung. Es gibt sie für jedes Bundesland, sie bloggen, twittern und haben eigene Fanseiten auf Facebook.

Eine Kuh muht in Tirol
Tirols Status-Updates lesen sich dank Botschafterin dann so: „Tirol/Tyrol: *MUUUH!* Bei mir ‚muuuhts‘ jetzt, wenn das Handy läutet!“ Eine Meldung, die innerhalb von 24 Stunden 36 Menschen dazu bewegt, auf „Gefällt mir“ zu klicken.
Es ist zwar keine Kuh, aber auch ein Tier, das auf der Steiermark-Fanpage zu finden ist. Ein Nutzer hat hier kommentarlos das Foto eines Schäferhundes hinterlassen. Über 14.000 Fans hat die Steiermark und eine Fanpage mit reger Aktivität von allen Seiten. Es gibt Gewinnspiele, Fotos, Buchtipps von Usern. Gemächlicher geht es auf der Seite von Vorarlberg zu, die gut 4700 Fans hat. Status-Updates werden in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht, erstaunlich ist aber die Anzahl an Nicht-Vorarlbergern, die hier posten. „How is life in Vorarl­berg?“, fragt einer. Die Antwort zwei Wochen später: „Guat.“

Wien ist nicht NYC
Dass Wien den Frühling vermisst, gefällt Anfang Februar 572 Menschen, 135 Personen hinterlassen einen Kommentar dazu. Wien hat mit knapp 46.000 Fans die größte Community unter den Bundesländern. Wie bei Salzburg und Vorarlberg posten hier auch Fans von außerhalb. „A very small metropolis ... somehow like back home in NYC just 15 million less“, schreibt ein Wien-Besucher. Nicht nur die Einwohnerzahl, auch die Anzahl der Fans unterscheidet Wien von der größten Stadt der USA: 1,27 Mio. Personen gefällt New York City.

Anna Weidenholzer, Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Lernfähig machen

Lernfähig machenTelekom Austria

Die Bezeichnung Artificial Intelligence (AI) wurde von John McCarthy, einem US-amerikanischen Mathematiker und Computerwissenschaftler, 1956 geprägt. McCarthy hatte Wissenschaftler zu einer Konferenz eingeladen, die versucht hatten, den Computer nicht nur dazu zu verwenden, aus vielen Zahlen wenige zu extrahieren, sondern die Programme geschrieben hatten, mit denen Aufgaben gelöst werden sollten, zu denen menschliche Intelligenz erforderlich war. Dazu zählten Übersetzungsprogramme – bekanntlich nicht sehr erfolgreich – und Programme, die menschliche Gegner in Spielen ersetzen sollten. Erstmalig war es gelungen, Programme lernfähig zu machen: Nachdem eines davon gegen gute menschliche Spieler gespielt hatte, war es in der Lage, seinen Programmierer zu schlagen – etwas, was vorher als völlig unmöglich bezeichnet worden war. Bereits damals zeichneten sich zwei Ziele der AI ab: das technische, die Entlastung des Menschen durch intelligente Programme, und das psychologische, durch komplexe Modellbildung zu einem besseren Verständnis der menschlichen Psyche zu kommen. Inzwischen wurden neue Methoden entwickelt, etwa durch Modellierung von Nervennetzen, durch die Berücksichtigung emotionaler und sozialer Aspekte, durch „Inkorporierung“ von AI in Robotern. Wir sind uns heute gar nicht bewusst, wo Entwicklungen der AI eingesetzt werden, vom Sprachgenerator in Navigationssystemen, vom Erkennen von Gesichtern in Kameras, bis zur automationsunterstützten Filterung von Postings in Onlinezeitungen. Aber auch im Bereich der Verhinderung des Ausbruchs von bewaffneten Konflikten oder zu deren Beendigung können AI-Programme eingesetzt werden, die etwa die Wahl der besten Mediationsstrategie in einer gegebenen Konfliktsituation ermöglichen.
Robert Trappl ist Leiter des Österreichischen Forschungsinstituts für Artificial Intelligence.

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Robert Trappl, Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

Der Mann, der den Ball streichelte

Der Mann, der den Ball streichelteZolles

Herbert Prohaska: „Als junger Spieler habe ich mich über Beschimpfungen, die ich mir anhören musste, total geärgert. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: Okay, die beschimpfen mich, weil ich gut bin. Ich habe es dann als eine Ehre aufgefasst“, sagt Österreichs Jahrhundertfußballer.

economy: Erinnern Sie sich noch, was im Juni 1983 war?
Herbert Prohaska: (denkt lange nach) Im Juni 1983? Sportlich? Keine Ahnung.

Da hat ein gewisser Herbert Prohaska mit AS Roma die italienische Fußballmeisterschaft gewonnen.
(lacht) Da wär’ ich jetzt so schnell nicht draufgekommen.

Deswegen muss ich mich noch nach 27 Jahren bei Ihnen bedanken. Ich war am Wochenende des letzten Heimspiels zufällig in Rom und wurde drei Tage lang von wildfremden Menschen auf alles Mögliche eingeladen, nur weil ich immer wieder die Zauberworte „Austria“ und „Prohaska“ von mir gegeben habe.
Da haben Sie Glück gehabt. Auch von der Stimmung in der Stadt her, da war damals ja die Hölle los.

Als kleine Reminiszenz an Ihre drei Jahre in Italien: Wenn Sie heute ein Spiel Inter Mailand gegen AS Roma sehen, wem gehört da Ihre Sympathie?
Ich versuche, das gerecht aufzuteilen. Am ehesten würd’ ich mir wünschen: Inter gewinnt die Champions League, und Roma wird italienischer Meister. Ich habe mich sowohl in Mailand als auch in Rom wohlgefühlt. Vom Lebensgefühl her hat mir Rom um eine Spur mehr getaugt, weil das Klima über das ganze Jahr viel besser ist und die Stadt enorm viel zu sehen bietet. In Mailand ist das Zentrum sehr schön, es ist aber doch eine Industriestadt.

Und sportlich gesehen?
Bei Inter war der Druck ungleich größer, weil der Klub immer noch im Gefühl der 60er Jahre gelebt hat, als „La Grande Inter“ unter dem Trainer Helenio Herrera die erfolgreichste Zeit erlebte und die Leute bei jedem Match, das wir nicht gewonnen haben, fast beleidigt waren. Hingegen war die Mentalität im Süden mehr der österreichischen ähnlich. Wenn wir verloren haben, ließ keiner den Kopf hängen, weil alle gewusst haben, dass wir nicht unschlagbar sind. So nach dem Motto: Das Leben geht weiter, und wir lassen uns die gute Stimmung nicht verderben.

Wie haben Sie das Meisterjahr in Rom erlebt?

In Mailand war man gewohnt zu gewinnen, aber in Rom war das 1983 ein historischer Meistertitel. Es war erst der zweite Meistertitel der Vereinsgeschichte, immerhin 41 Jahre nach dem ersten; und das war mein erstes Jahr in Rom. Juventus ist damals als haushoher Favorit in die Meisterschaft gestartet, hatte gerade Michel Platini und Zbigniew Boniek gekauft und wurde von den Zeitungen schon vor der Saison als Meister gefeiert. Aber ich kann mich noch genau erinnern, wie ich ins Trainingslager zu Roma gekommen bin und unser schwedischer Trainer Nils Liedholm bei der ersten Spielerbesprechung gesagt hat: „Das ist unser Jahr, heuer werden wir Meister.“ Diese Aussage hat mich fast aus den Fußballschuhen gehaut, und dass wir dann dieses große Ziel erreichen konnten, war einfach unbeschreiblich. In Italien gilt sowieso ein Meistertitel im Süden zehnmal so viel wie einer im reichen Norden. Das war eine Riesensache für mich.

Sie persönlich hatten in dieser Zeit ja einen unglaublich erfolgreichen Lauf.
Ja, das stimmt. Von 1976 bis 1986 war ich siebenmal mit der Wiener Austria Meister und ein paarmal Cupsieger. In meinen drei Jahren in Italien war ich 1981 mit Inter im Semifinale des Europacups der Meister, dem Vorläufer der heutigen Champions League, wo wir nur ganz knapp gegen Real Madrid ausgeschieden sind. 1982 war ich dann mit Inter Cupsieger und eben 1983 mit Roma Meister. Ja, das waren schon große Zeiten.

Sie sind damals um 13 Mio. Schilling, heute wäre das knapp eine Mio. Euro, von Austria Wien zu Inter Mailand transferiert worden. Welchem Marktwert würde das heute entsprechen?
Das war schon damals viel Geld. Ich denke, das wäre heute ein Marktwert in mindestens zehnfacher Höhe. Und auch ich würde heute zehnmal mehr verdienen als damals. (lacht) Aber diese Vergleiche soll man gar nicht anstellen oder sagen, man habe in der falschen Zeit gespielt. Das passt schon; wir haben damals ganz gut verdient, und die Entwicklung geht eben weiter.

Wieso sind Sie nach nur drei Jahren in Italien so schnell wieder nach Wien zurückgekehrt?
Das ist eine längere Geschichte. Ich bin unschuldig zum Handkuss gekommen. In Italien waren vor 1980 keine ausländischen Spieler erlaubt. Dann sind die Grenzen aufgegangen, und ich war praktisch der erste Legionär, der verpflichtet wurde. Pro Mannschaft waren aber nur zwei Ausländer erlaubt. Mit mir war damals der Brasilianer Falcao bei Roma. Und mit dem gab es einige Probleme, weil er in unserem Meisterjahr während der Saison seinen gerade erst abgeschlossenen Drei-Jahre-Vertrag nachgebessert haben wollte. Als der Präsident das verweigerte, hat Falcao gedroht, nach Ende der Meisterschaft nach Brasilien abzuhauen und dort zu bleiben. Und das hat er dann auch gemacht.

Und wie ging’s dann weiter?
Daraufhin hat der Klub den Brasilianer Cerezo, ebenso Nationalspieler wie Falcao, als zweiten Legionär verpflichtet, ebenfalls mit einem Vertrag auf drei Jahre. Zwei Wochen später war aber der Falcao auch wieder da, hat sich entschuldigt und gemeint, er werde seinen Vertrag wie vereinbart einhalten. Ich selbst hatte noch einen Vertrag für ein Jahr, aber es waren eben nur zwei Ausländer im ganzen Kader erlaubt. Roma musste sich also entscheiden, einen von uns auszuzahlen, und da war mein Vertrag natürlich die billigste Variante. Ich habe also drei Jahre in Italien gespielt und für vier Jahre Gehalt bekommen. Finanziell war es also kein Schaden, aber für Herz und Seele war es ein Riesenschaden. Ich war total beleidigt.

Wieso sind Sie nicht zu einem anderen italienischen Verein gewechselt?
Ich habe unzählige Angebote von anderen Klubs bekommen, aber ich war damals so getroffen und beleidigt, dass ich einfach nur wegwollte aus dem Land – was ich seither allerdings oft bedauert habe. Ich hatte eine Klausel im Vertrag, um drei Mio. Schilling (218.000 Euro, Anm. d. Red.) zu einem österreichischen Verein zurückgehen zu können; ein nicht österreichischer Klub hätte eine Ablöse zahlen müssen. Und so bin ich zurück nach Österreich, was mir, um ehrlich zu sein, sogar heute noch etwas wehtut. Meine Frau und ich haben uns in Rom sehr wohlgefühlt, unsere zwei Kinder waren noch klein, und wir hatten im Grunde schon die Weichen gestellt, um überhaupt nicht mehr nach Österreich zurückzukommen.

Was waren Ihre Pläne?
Wir wollten in Rom bleiben. Mein Plan war, nach Ablauf meines ersten Vertrags um drei weitere Jahre zu verlängern. Wir hatten uns schon um eine deutsche Schule für die Kinder und um eine längerfristige Wohnung umgeschaut. Und dann ist das alles in sich zusammengebrochen, ohne dass wir etwas dafürkonnten. Ich weiß noch, wie die Frau des Klubpräsidenten geweint hat, als ich mich verabschiedet habe, und auch der Präsident selbst war total fertig, weil ich ja Teil der Meistermannschaft und quasi schon Teil der Klubfamilie war; aber er konnte nicht anders handeln. Denn Falcao war damals der Liebling der Fans und die absolute Nummer eins in der Mannschaft.

Zurück in die Gegenwart. Sie sind heute Chefanalytiker im ORF. Was weiß der Chefanalytiker mehr als alle anderen?

Gut, dass ich das einmal klarstellen kann. Also, der Ausdruck „Chefanalytiker“ ist im ORF nur aus Spaß geboren worden. Ich mach’ den Job schon seit zehn Jahren, und die ersten sechs, sieben Jahre gab es neben mir gar niemand anderen, der die Spiele analysiert hat. Deswegen haben die ORF-Leute zu mir immer scherzhaft Chefanalytiker gesagt, weil sie gemeint haben, ich könne leicht der Chef sein, weil ich ja der Einzige sei. Die haben mich damit einfach nur aufziehen wollen.

Bei einer der letzten Fußballübertragungen gab es einen Tonausfall, und Sie und der Studiomoderator mussten live kommentieren. Warum machen Sie das nicht überhaupt ständig?
Das Einzige, was dagegen spricht, ist, dass es beim ORF nicht erwünscht ist. In vielen anderen Ländern ist ein ehemaliger Spieler als Co-Kommentator dabei, doch der ORF hat da ein anderes Konzept. Aber obwohl ich mich selbst nicht so wichtig nehme, stimmt es natürlich: Für das, was gesagt gehört, gibt es in meiner derzeitigen Rolle zu wenig Zeit.

Viele Zuschauer vor dem Fernsehapparat würden das gut finden, wenn ein wirklich fachlicher Kommentar die Entwicklung eines Spiels und seine Besonderheiten begleiten würde – obwohl wir ja alle selbst Experten sind.
Ja, ja, natürlich. (lacht) Ich meine auch, dass man während des Spiels mehr erklären könnte. Man könnte die Zuschauer auf bestimmte taktische Feinheiten aufmerksam machen, auf bestimmte sich wiederholende Spielzüge. Aber es ist auch ORF-Linie, dass der Kommentator nicht zu viel reden soll. Und zwei reden dann eben auch mehr als einer.

Was hat sich in den letzten zehn Jahren am Wesen des Fußballspiels verändert?
Das Wichtigste ist heute die Technik, und ich meine damit nicht, ob einer besonders gut dribbelt. Es geht darum, in der Bewegung den Ball zu spielen, und das in hohem Tempo und mit ein- oder zweimal Berühren und perfekter Ballkontrolle. Was den Unterschied zu früher ausmacht, ist, dass sich sehr viel im taktischen Bereich verändert hat, dass es heute darum geht, den Raum eng zu machen, sowohl offensiv wie auch defensiv ein Überzahlspiel herzustellen. Dadurch sind die Spieler gezwungen, den Ball viel schneller zu spielen.

Das heißt, das Spiel ist schneller und athletischer geworden?
Es wird immer gesagt, es ist alles schneller geworden, aber viele Menschen bringen da was durcheinander. Ich höre oft das Argument, wir hätten früher viel langsamer gespielt. Aber man darf nicht glauben, wir seien früher langsamer gelaufen oder gesprintet als die heutigen Kicker. Wir haben langsamer gespielt, weil wir mehr Platz hatten und kein Pressing betrieben wurde. Also, das Spiel ist schneller geworden, aber nicht die Spieler. Gelaufen sind wir zu allen Zeiten schnell, nur heute läuft der Ball viel schneller. Heute ist es so, dass ein guter Spieler, wenn er angespielt wird, schon wissen sollte, wohin er den Ball weiterspielt, noch bevor er ihn angenommen hat. Spieler mit mangelhafter Technik haben heute auf hohem Niveau keine Chance mehr.

Gibt es auf hohem Niveau eine bessere Taktik oder einfach nur das besser qualifizierte Spielermaterial, das eine Taktik besser umsetzen kann?
Ausschlaggebend ist immer das Spielermaterial, das du als Trainer zur Verfügung hast; danach richtet sich in den meisten Fällen die Taktik. Und eines ist auch klar: Wo das Geld ist, dort sind die besten Spieler, und dort sind auch die besten Mannschaften. Deswegen ist auch die Spanne zwischen den Top-Ligen und Österreich riesengroß. Seit dem Bosman-Urteil, in dessen Folge die Gehaltsschemen explodiert sind, ist klar: Wer soll da noch nach Österreich kommen? Entweder ins Alter gekommene, gute Spieler oder solche, die europaweit gesehen dritte bis vierte Garnitur sind. Die erste Garnitur holen sich Spanien, England und eventuell Italien, die zweite Deutschland, Frankreich und Russland, und dann kommen schön langsam wir, stehen aber in enormer Konkurrenz zu Ländern wie Holland, Belgien oder der Schweiz. Auch wenn man sagt: Geld gewinnt keine Meisterschaft. Aber die Mannschaften, die in den großen Ligen Meister werden, die haben auch das Geld.

Wenn also taktische Belange immer wichtiger werden, sind dann die Top-Trainer noch immer unterbezahlt? Denn die geben ja die Taktik vor.
Also, wirkliche Top-Trainer wie Van Gaal, Ancelotti oder Ferguson sind sicher nicht unterbezahlt. Mourinho verdient bei Inter elf Mio. Euro netto im Jahr. Dass viele Spieler mehr verdienen als der Trainer, liegt auch daran, dass die Leute zu einem Spiel kommen, um ebendiese Spieler zu sehen. Und man darf außerdem die Taktik allein nicht überschätzen. Wenn Magath heute zu Bochum ginge oder Mourinho zu Catania, würden die dort auch nicht um die Meisterschaft spielen. Aber für Mannschaften mit vielen Stars braucht es ebenfalls große Trainer, die mit ihnen umgehen können. Als Trainer musst du es schaffen, dass die Spieler Respekt vor dir haben, andererseits musst du mit ihnen auch freundschaftlich umgehen. Diktatoren setzen sich heute nicht mehr durch.

Wie wichtig ist aber dann die Taktik?
Mit Taktik allein gewinnt man kein Spiel. Da brauchst du eben Spieler, die Chancen herausspielen, Chancen verwerten, die individuell erkennen, wie man den Gegner aushebeln kann. Du kannst die beste Taktik der Welt haben, kriegst ein Elfmetertor und ein Freistoßtor hintennach und verlierst 0:2. Deine Abwehr ist zwar bombensicher gestanden, aber du gewinnst die Partie trotzdem nicht. Spielentscheidend sind meist herausragende Einzelleistungen von Spielern, und solche kann man auch in einer taktischen Besprechung nicht vorgeben.

Wer sind nach Ihrem Geschmack derzeit die drei besten Kicker auf dem Planeten?
Es gibt unheimlich viele hervorragende Spieler, der beste davon ist sicher Lionel Messi. Und das sag ich nicht erst seit heuer. Der ist auch, abgesehen von seiner Leistung, die er auf dem Feld bringt, ein totales Vorbild. Man hört von Messi keine anderen Geschichten – außer dass er gut Fußball spielt. Der fährt nicht mit einem Maserati in einen Baum, wird nicht mit zwei Prostituierten in einem Hotelzimmer erwischt und liefert auch sonst keine Eskapaden. Messi ist ein Superstar ausschließlich auf dem Platz, und das imponiert mir am meisten – da geht es nur um den Ball.

Obwohl auch Messi sehr viele Einzelaktionen macht: Kann man sagen, dass moderne, sehr gute Fußballer sehr mannschaftsdienlich spielen müssen? Zum Beispiel wirkt ein Cristiano Ronaldo, auch ein Superkicker, oft sehr eigensinnig.
Ja, natürlich. Aber zum einen ist er noch sehr jung, zum anderen ergibt es bei seiner Schnelligkeit und Technik oft wirklich Sinn, allein zu gehen. Aber es stimmt schon: Bei ihm kann sich der Gegner darauf einstellen, dass er zu 90 Prozent etwas auf eigene Faust versuchen wird. Das ist bei Messi nicht der Fall, der spielt ebenso den einfachen Ball. Aber es ist auch so: Cristiano Ronaldo will den Zuschauern eine Show bieten; er spielt, wie wir sagen, auch für die Galerie. Bei Messi gibt es keinen unnötigen Trick an der Mittelauflage, der will schnellstens zum Tor und dort den Ball reindonnern.

Anderes Thema: Wieso kriegen die Vereine die Hooligans, die ja mit Fußball gar nichts am Hut haben, sondern nur Randale machen wollen, nicht aus den Stadien?
Die Geschichte mit den Hooligans ist schon viel besser geworden, obwohl noch nicht komplett erledigt. In Österreich oder Deutschland gibt es, abgesehen von einigen Fanprotesten, so gut wie keine Ausschreitungen. Und die, die sich einschleusen wollen, um rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten, die muss man aus den Stadien zu entfernen versuchen. Aber das hat mit dem Fußball selbst nichts zu tun. Wenn man diese Leute aus den Stadien wegbringt, werden sie probieren, sich eben bei anderen Großveranstaltungen in Szene zu setzen. Doch der Fußball bietet natürlich eine große Öffentlichkeit, die diese Leute ausnutzen wollen. Das ist aber in den letzten Jahren deutlich besser geworden.

Wieso ist Ihrer Meinung nach der Rassismus in den Stadien so angewachsen? In den 60er Jahren spielte mit Jacare der erste dunkelhäutige Brasilianer in Österreich, nämlich bei Austria Wien. Der wurde damals mit Spitznamen Murl genannt, war aber der Liebling der Fans, und das hatte auch keine rassistischen Untertöne.
Das ist eine zweischneidige Sache. Natürlich ist es nicht angenehm, wenn ein dunkelhäutiger Spieler am Ball ist und aus dem Publikum Affenlaute kommen. Aber ich kann mich erinnern, wenn wir ein Wiener Derby gespielt haben, dann haben die Rapid-Anhänger 90 Minuten lang „Prohaska, du Oaschloch“ gesungen. Nur bin ich ein Weißer, und deswegen ist das nicht rassistisch. Umgekehrt haben die Austria-Anhänger den Krankl beschimpft. Die Beleidigung des Gegners hat ja zum Ziel, ihn zu verunsichern, damit der dann nichts mehr zusammenbringt. Ich glaube, dass die Mehrzahl dieser Leute nicht wirklich negativ gegen Dunkelhäutige eingestellt ist. Solche Provokationen verfolgen also eher das Ziel, gegnerische Spieler zu irritieren, sind aber natürlich trotzdem grundsätzlich abzulehnen.

Müssen sich die Spieler diese Beschimpfungen gefallen lassen?
Viele Zuschauer glauben, sich mit ihrem Geld auch dieses „Recht“ mit einzukaufen. Und wenn die eigene Mannschaft schlecht spielt oder gar verliert, werden sie ausfällig. Ich weiß, wie schwer das fällt, da als Spieler ruhig zu bleiben. Als junger Spieler habe ich mich über diese Beschimpfungen, die ich mir anhören musste, total geärgert. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: Okay, die beschimpfen mich, weil ich gut bin. (lacht) Ich habe es dann als eine Ehre aufgefasst, weil uninteressante Spieler nicht beschimpft werden.

Oft ist es aber auch so, dass sich die Fans gegen die eigenen Spieler wenden.
Ja, das ist auch so eine Sache. Aber ein Fan kann sich mit seiner Eintrittskarte keine garantierte Leistung kaufen. Fußballer, so banal das klingt, sind auch nur Menschen und können nicht immer gleich gut sein. Als Spieler wollten wir den Zuschauern natürlich immer das bieten, was sie sich erwartet haben. Am liebsten hätten wir immer brillant gespielt und fünf Tore geschossen. (lacht) Der Hund beim Fußball ist halt nur der, dass es auf der anderen Seite elf Spieler gibt, die das alles verhindern wollen.

Economy Ausgabe 83-04-2010, 30.04.2010

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