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04. Juli 2024

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Das große Hoffen auf Keuschheit

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In keinem westlichen Land werden mehr Schülerinnen ungewollt schwanger als in den USA, in keinem treiben mehr ab. Die Debatte über Form und Inhalt von Sexualunterricht an Schulen kommt dennoch nicht vom Fleck. Über das Politikum, Teenagern Verhütung beizubringen.

Auf wissenschaftliche Erkenntnisse zugunsten einer aus dem Bauch heraus empfundenen Moral zu pfeifen und Politik so stark mit Religion zu tränken wie seit hundert Jahren nicht mehr: Das waren nach Ansicht vieler die Grundzüge der US-Regierung unter George W. Bush. Eines der wichtigen Themen: wie Teenager an Sexualerziehung herangebracht oder vielmehr davon ferngehalten werden sollten. Kritiker sagen, dass dabei Realitätsverleugnung als politisches Programm verkauft wurde. Zu hoffen, dass Pubertierende möglichst bis zur Uni ihre Finger voneinander lassen, sei nun einmal keine Bildungsstrategie.
Die Vernachlässigung des Sexualunterrichts ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Werte-Rechtsruck hin zu militanten Pro-Life-Befürwortern ist so stark, dass eine Pro-Choice-Einstellung von Politikern heute als geradezu „linke“ Gesinnung gilt. Allzu schnell entstand inmitten der Extrempositionen ein Wertekrieg, der, sobald er die Familie tangiert, unantastbar ist, und zwar auch für die Liberalen des Landes. Die Berkeley-Wissenschaftlerin Kristin Luker, die für ihr Buch When Sex Goes to School (Wenn Sex zur Schule geht) unter anderem politisch konservative Erziehende im ganzen Land befragte, kam zu dem Schluss: „Für diese Eltern ist die Art und Weise, wie ihre Kinder über Sex unterrichtet werden, weit wichtiger als Politik, Religion oder sogar Freundschaft.“

Enthaltsamkeit statt Wissen
Die Gräben im Land sind so tief, dass unklar ist, was der Extremismus eigentlich über den Bevölkerungsdurchschnitt aussagt. Auf der einen Seite dominiert die Angst vor Sexualerziehung, weil diese die Jungen auf Gedanken bringen könnte, die sie vorher noch nicht hatten. Entsprechend wird auf Enthaltsamkeit gesetzt, die in Extremfällen für Jugendliche die einzige Information bleibt, auf die sie sich berufen können.
Tatsächlich lässt es sich dagegen nicht einmal besonders gut mit wissenschaftlichen Studien argumentieren, zumal das Wissen über Verhütung alleine noch nicht ungewollte Teenager-Schwangerschaften verhindert. Was nicht weiter überraschend erscheint: Sex­erziehung geschieht eben nicht durch Lehrer, sondern zumeist über die eigene Sozialisierung.

Zensierte Wörterbücher
Am anderen Ende der Skala wird kaum ein Widerspruch darin gesehen, wenn etwa Bristol Palin, die Tochter von Sarah Palin, der ehemaligen Gouverneurin von Alaska, als Schülerin ein Baby zur Welt bringt und dann für Enthaltsamheit eintritt. Auch tut Sarah Palins vermeintliches elterliches „Versagen“ ihrem Status als Aushängeschild der neuen konservativen Teabagger-Bewegung keinen Abbruch. Nicht von der Hand zu weisen ist indes, dass die USA die höchste Teenager-Schwangerschaftsrate aller westlichen Industrienationen aufweisen. Jedes 14. Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren wird schwanger. Ebenso führen die Vereinigten Staaten die Abtreibungsrate in dieser Altersgruppe an.
An absurden Beispielen selbst ernannter Moralapostel fehlt es nicht. Im kalifornischen Schulbezirk Menifee Union etwa wurden zu Jahresbeginn Wörterbücher von Merriam Webster (vergleichbar mit Duden) aus den Schulbibliotheken entfernt, weil ein Volksschüler darin auf eine „allzu bildliche“ Beschreibung des Begriffs Oralsex gestoßen war. Die Sprecherin des Schulbezirks erklärte, dass ihr Team die Wörterbücher weiter nach ähnlichen Beispielen durchkämmen würde.
Für Aufregung sorgte zuletzt eine Erhebung des Guttmacher Institute, wonach Teenager-Schwangerschaften just 2006, gegen Ende der zweiten Bush-Amtsperiode, um drei Prozent zulegten. Für Befürworter von schulischer Sexerziehung schien damit das Scheitern der Bush-Politik endlich auch mit Zahlen belegbar. Tatsächlich steckte die Bush-Regierung viel Geld in die Abstinenz-Kampagnen. Begonnen hat der Trend jedoch unter Bill Clinton. Und auch unter Barack Obama scheint er noch nicht zu Ende. So wird künftig neben „medizinisch korrekten und altersgerechten Informationen“ auch Enthaltsamkeit ihren Platz in den Aufklärungskampagnen haben.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Buchtipp

Buchtipp

Kinderkriegen im Spiegel der Jahrhunderte.

Als Caterina de’ Medici einen Kinderwunsch hegte, trank sie Stuten­urin und badete in Kuhmist. Dass Kinder nicht nur aus Menstruationsblut entstehen, war da schon bekannt. Welche Rolle Hygiene bei der Geburt spielt, sollte noch jahrhundertelang ungeklärt bleiben. Get Me Out: A History of Childbirth from the Garden of Eden to the Sperm Bank (Holt mich heraus: die Geschichte der Geburt vom Garten Eden bis zur Samenbank) von der US-amerikanischen Journalistin Randi Hutter Epstein ist eine Sammlung grotesker, naiver, barbarischer und lehrreicher Geschichten rund um die Geburt im Wandel der Zeit. Der Bogen spannt sich vom spanischen Arzt Arnaldus de Villanova, der vor 700 Jahren Sperma in eine bauchförmige Vase füllte und wartete, dass ein Kind heranwuchs, hin zur modernen Fortpflanzungsindustrie, die, wie die Autorin kritisiert, nicht genug reguliert ist. Hutter Epstein berichtet von bizarren Vorläuferinstrumenten zur Geburtszange; von Tabus, die Ärzte Babys zur Welt bringen ließen, ohne den mit einem Stoffzelt überspannten Schambereich der Frau zu se­hen; von den Schmerzen, die als „göttliche Pflicht“ und Bedingung fürs Mutterwerden galten. Erst als die britische Monarchin Victoria bei der Geburt ihrer Kinder Äther verlangte, begannen sich Schmerzmittel durchzusetzen.
Randi Hutter Epstein:
„Get Me Out: A History of Child­birth from the Garden of Eden to the Sperm Bank“
W. W. Norton & Co, 2010
ISBN: 978-0393064582

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Wertewandel

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Lebensentwürfe und Partnerschaften.

Heiraten und Kinderkriegen, das war einmal der Lebensentwurf für die große Mehrheit. Heute sieht das anders aus. Für einen nicht zu kleinen Teil der heute jungen Menschen hat dieser Fahrplan für ein Leben in ewiger Zweisamkeit einen schwer altmodischen Touch.
Heute geht es für viele um neue Lebensentwürfe als Alternative zur Ehe und Familie, als da sind: das Leben als Single, das „getrennte Zusammenleben“, die Patchworkfamilie, die Aufeinanderfolge von Lebenspartnerschaften, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft.
Viele dieser Veränderungen haben mit einer zunehmend egozentrierten Welt zu tun, in der Beziehungen zum Teil daran gemessen werden, wie sie dem Einzelnen „nützen“. Wer Lebensabschnittspartnerschaften eingeht, weiß von vornherein, dass diese ein schnelles Ende haben werden, wenn sie einengend werden. Wer als „moderner Single“ lebt und sich von Affäre zu Affäre hantelt, folgt genauso einem bindungsaversen Lebensentwurf wie zwei gestresste Leistungsträger, die „getrennt zusammenleben“, also auf separate Bestimmung ihres Zeitmanagements, ihrer Karriereplanung und ihrer Besitztümer Wert legen.
Oberwasser gewinnt in vielen Ländern auch der Lebensentwurf des gleichgeschlechtlichen Zusammenlebens, eine Thematik, die von einer Anzahl an politischen und soziologischen Diskussionen begleitet wird und mittlerweile salontauglich geworden ist.
„Der Wandel von familialen und nichtfamilialen Lebensformen in den vergangenen Jahrzehnten lässt sich für nahezu alle Industrienationen feststellen“, sagt der Soziologe Michael Feldhaus. Der Familientypus der modernen bürgerlichen Kleinfamilie ist heute je nach Sozialmilieu, in dem man lebt, teilweise stark überholt. Ein Typus, der seine stärkste Verbreitung in den 1950er und 1960er Jahren hatte und der gekennzeichnet ist durch die lebenslange, monogame Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die mit ihren gemeinsamen Kindern in einem Haushalt leben, mit traditioneller, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung.


Wertewandel statt Pflichtwerte

Als Ursachen für die Abwendung von diesem Typus führt Feldhaus die Wohlstandssteigerung, die Bildungsexpansion, die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes, den Wertewandel mit einer stärkeren Betonung von Selbstverwirklichungs- statt Pflicht- und Akzeptanzwerten sowie die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates an.
Einen weiteren Grund für neue Lebensentwürfe sieht der Soziologe Klaus Dörre aber auch in der vorherrschenden Wirtschaftskrise verborgen: Das (Erwerbs-)Leben ist zunehmend weniger planbar geworden, und soziale Unsicherheiten haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Lebens- und Partnerschafts­entwürfe. Manches davon könne soziale Beziehungen richtiggehend „zersetzen“, konstatiert Dörre.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Laborarbeit mit Mehrwert

Laborarbeit mit MehrwertSummerschool

In der Gen-Au-Summerschool erhalten Jugendliche Einblicke in die Welt und Arbeitsweise der Wissenschaft. Das Praktikum dient der ersten Kontaktaufnahme mit naturwissenschaftlichen Disziplinen und der gezielten Nachwuchsförderung in einer zukunftsträchtigen Branche.

Grundsätzlich steckt in jeder Initiative, die es sich zur Aufgabe macht, Jugendliche an das echte Arbeitsleben heranzuführen, großes Potenzial. Umso mehr gilt das, wenn dies in Bereichen geschieht, die hierzulande als Schlüsseldisziplinen für zukünftigen Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit gesehen werden.
Eine davon ist die sogenannte wissensbasierte Bioökonomie (Knowledge-Based Bio-Economy), und nähergebracht wird diese interessierten Schülerinnen und Schülern ab dem 17. Lebensjahr von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung initiierten Genomforschungsprogramm Gen-Au. Seit dem Jahr 2003 gibt es die Gen-Au-Summerschool, die während der Sommermonate mehrere Wochen lang Einblicke in biowissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Institutionen in ganz Österreich gewährt und die Jugendlichen
aktiv an der Forschungsarbeit teilhaben lässt.

Gezielte Nachwuchsförderung
Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei, wie neues Wissen entsteht und wie man recherchiert. Sie übernehmen Eigenverantwortung, und sie lernen Wissenschaft als Beruf, Genomforschung als aktuelles Wissenschaftsgebiet und Gen-Au als Wissenschaftsprogramm kennen. Markus Schmidt, Betreuer der Gen-Au-Summerschool: „Es ist bekannt, dass sich junge Menschen heute seltener für naturwissenschaftliche Fächer an den Unis inskribieren als früher. Die Initiative versucht in dieser Hinsicht, die Lücke von der Schule zu den Unis beziehungsweise der Berufswahl zu schließen. Unsere Aufgabe ist es, die Auswirkungen der neuen Bioökonomie auf und Interaktionen mit der Gesellschaft und Umwelt zu erforschen und zu thematisieren. In der Summerschool können sich Jugendliche ein ganz konkretes Bild von unserer Arbeit machen.“
Die Praxis gibt Schmidt recht. In vielen Fällen war die Summerschool eine Entscheidungshilfe für die spätere Studienwahl. Den Auftakt zur Summerschool bilden Jahr für Jahr die sogenannten Infodays, die in Wien, Graz und Innsbruck stattfinden. Interessierte Schülerinnen und Schüler kommen aus ganz Österreich angereist, um mit Forscherinnen und Forschern zu diskutieren und sich für einen Praktikumsplatz vormerken zu lassen. Das Aufnahmeverfahren ist umfangreich. Die Motivationsschreiben der Bewerber werden zunächst von
einer Jury bewertet und gereiht. In einer zweiten Runde wird in einem persönlichen Gespräch zwischen Bewerber und Laborbetreuer über die endgültige Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entschieden. Die Schülerinnen und Schüler sind während des Praktikums bei der jeweiligen Institution angemeldet und versichert und erhalten ein Taschengeld in Höhe von 200 Euro. Im Rahmen des Praktikums berichten die Jugendlichen regelmäßig über ihre Forschungsarbeit und ihre persönlichen Erlebnisse und Eindrücke in einem Weblog. Diese Einträge werden für die abschließende Praktikumsdokumentation herangezogen, welche von einer Jury bewertet wird. Die besten Arbeiten werden bei einem Abschluss-Event vorgestellt und prämiert.

Ambitionierte Aufgaben
Für heuer rechnen die Organisatoren mit rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die von renommierten österreichischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, darunter Josef Penninger und Rudolf Zechner, betreut werden. Auf die Praktikantinnen und Praktikanten wartet eine Vielzahl von ambitionierten Aufgaben. Schmidt: „In meiner Gruppe wird es um einen Beitrag zum Projekt ‚Cisynbio: Cinema and Synthetic Biology‘ gehen. Die Schülerinnen und Schüler werden gebeten, ihre Ideen und Vorstellungen zu den Möglichkeiten, Chancen und Risiken der synthetischen Biologie filmisch umzusetzen. Dabei sollen reale wissenschaftlich-technische Aspekte genauso berücksichtigt werden wie gesellschaftliche Aspekte und Zugänge aus der Biokunst.“

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Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Internationales Landleben

Internationales LandlebenStemberger

Auf dem Outsourcing-Markt reüssieren nicht nur große IT-Unternehmen oder Facility-Betreuer. Auch kleine, hoch spezialisierte Dienstleister finden ihre Nische. Wie es ist, internationale Großkunden vom Land aus zu betreuen, und wie es sich arbeitet, wenn ein Baby durchs Büro krabbelt.

Göltschach, auf 644 Meter Seehöhe am Südhang der Sattnitzberge gelegen, ein typisches Unterkärntner Dorf mit ganzen 177 Einwohnern und dem herrlichen Panorama der Karawanken. Ganz so ländlich ist das Idyll auf den zweiten Blick dann doch nicht. Die Bautätigkeit ist lebhaft, jedes Jahr kommen neue Einfamilienhäuser dazu. Der Baugrund ist vergleichsweise günstig und Klagenfurt nur zehn Autominuten entfernt. Hier leben Sarah Roberts und Stefan Vospernik mit ihrem elf Monate alten Sohn Frazer.
Die Kanadierin und der Kärntner haben sich 2003 kennengelernt – an einer Londoner Hotelbar. Nach zwei Jahren transatlantischer Beziehung zog Sarah nach Wien, wo Stefan für ein Marktforschungsinstitut tätig war. Trotz des Umzugs arbeitete Sarah weiterhin für ihre Eltern in Toronto. Die Versicherungsspezialisten beraten Banken bei großen Immobiliengeschäften.

Unabhängige Spezialisten
2007 gründeten Sarah und Stefan, damals 28 und 37 Jahre alt, ihr eigenes Unternehmen. Mit ein Grund für diese Entscheidung war Stefans Sohn aus einer früheren Beziehung. Stefan hatte schon länger nach einer Arbeit in Kärnten gesucht, um Paul näher sein zu können: „Das Jobangebot war nicht gerade umwerfend. Bei der Firmengründung spielte es aber nicht so eine große Rolle, wo wir uns niederlassen.“
Das in Europa unbekannte Geschäftsmodell wurde einfach von Sarahs Eltern kopiert. Deren Unternehmen gehört in Nordamerika zu den 15 größten seiner Art. Wenn große Immobilienpakete den Besitzer wechseln, wird das Geschäft von einer Bank finanziert. Um ihr Darlehen abzusichern, prüft die Bank den Deal bis ins Detail. In Übersee ist es üblich, dass dabei die Versicherungspolizzen von unabhängigen Riskmanagern wie Intech Risk Management analysiert werden. In Europa übernimmt diese Prüfung oft ein Versicherungsmakler, der aber Polizzen verkaufen will, also Eigeninteressen verfolgt. Oder es kümmert sich der interne Riskmanager der Bank selbst darum. Der ist aber wiederum meist kein Versicherungsspezialist.

Schlechtes Timing
Als der österreichische Ableger von Intech gegründet wurde, sollte einer der Stammkunden Sarahs, die Credit Suisse, für volle Bücher sorgen. Der Baugrund wurde gekauft und ein Fertigteilhaus bestellt, Stefan kündigte, und alle Vorbereitungen für die Übersiedlung nach Kärnten waren bereits im Laufen.
Schlechter konnte der Zeitpunkt nicht gewählt sein. Wenige Wochen später begann die Immobilienkrise. „Unser Kerngeschäft war die Prüfung der Versicherungen von Immobilienpaketen, bevor sie als Aktien angeboten wurden“, blickt Sarah zurück, „dieses Geschäft kam über Nacht zum Erliegen. Wir standen vor dem Aus.“ Doch dann tauchte wie aus dem Nichts ihr neues Geschäftsmodell auf. Ein Loan Servicer, also ein Dienstleister, der laufende Großdarlehen für Banken verwaltet, kam auch ins Trudeln. Bei der Analyse stellte er unter anderem fest, dass seine Versicherungsexpertise mangelhaft war. So kam er mit Intech ins Geschäft. Das ist zwar nicht so profitabel, aber dafür ein jährlich wiederkehrendes, umsatzstarkes Geschäft.

Lebensqualität im Büro
„Wenn das Wohnzimmer dein Büro ist, ist die Arbeit immer da“, erzählt Sarah. „Abschalten ist unmöglich, es gibt immer etwas zu tun.“ Um Kinder und Haushalt kümmert sich der, dessen Arbeit gerade weniger dringlich ist. Das ist meist Stefan. Dazu springen seine Eltern täglich drei Stunden als Babysitter ein: „Ohne sie würden wir es nicht schaffen. Trotzdem beginnt unsere Kernarbeitszeit um 20 Uhr, wenn die Kinder schlafen.“ Als Ausgleich genießen die beiden mehr Flexibilität. So holt Stefan seinen Sohn zweimal in der Woche von der Volksschule ab und fährt mit ihm zum Skifahren oder Schlittschuhlaufen.
Obwohl beide Wien vermissen, schätzen sie das Landleben. „Wenn du nur drei Schritte vom Büro in den Gemüsegarten brauchst, ist die Lebensqualität sehr hoch“, meinen die Hobbygärtner unisono. Und mit der Arbeit verträgt sich das Provinzleben ohne Weiteres. „Für unseren Job benötigen wir Telefon und Internet. Wo wir arbeiten, ist egal.“ Nur die Flugverbindungen könnten besser sein. Letztes Jahr wurde der Flug nach Frankfurt gestrichen. Nun müssen die beiden zu Meetings in der Bankenmetropole mit dem Auto anreisen.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Die Zügel in der Hand behalten

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In einer zunehmend arbeitsteiligen Welt laufen Unternehmen Gefahr, die Kontrolle über die ausgelagerten Arbeitsprozesse zu verlieren. Mit dem Monitoring von Prozesskennzahlen können sie das vermeiden und sehen tagesaktuell, ob getroffene Vereinbarungen auch eingehalten werden.

Business Intelligence, also das systematische Sammeln und Auswerten von Geschäftsdaten, hat sich über die Jahre zu einer der beliebtesten Disziplinen der Unternehmens-IT entwickelt. Die Darstellung und Visualisierung von Betriebskennzahlen ist zwar sinnvoll, wenn man sich einen Überblick verschaffen will. Wer aber die Ursache einer Fehlentwicklung finden will, dem bietet herkömmliche Business Intelligence nur eine oberflächliche Orientierung, wo er mit der Suche beginnen sollte.
„Bei der Datenanalyse sieht man nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Helge Heß, Senior Vice President Product & Solution Management bei IDS Scheer, „um zu erfahren, wie diese Kennzahlen zustande kommen, muss man die Geschäftsprozesse durchleuchten.“ Es geht um Ursachenforschung. Business Intelligence zeigt nur, dass – beispielsweise – die Umsätze in einer bestimmten Region sinken. Warum das passiert, kann man aus diesen Zahlen nicht herauslesen. Oft ist es eine einzige Schwachstelle, die ein sonst gut geöltes Räderwerk bremst. Dieser Flaschenhals findet sich auf der Prozessebene – möglicherweise ist die Hotline überlastet, und potenzielle Kunden hängen zu lange in der Warteschleife.

Den Überblick bewahren
In diese Lücke stößt IDS Scheer: „Wir wollen kein klassischer Business-Intelligence-Anbieter sein“, betont Heß, „uns geht es darum, den Zusammenhang zwischen den Kennzahlen und der Prozessebene herzustellen.“ Process Intelligence nennt IDS Scheer diese Verknüpfung des Geschäftszahlenmonitorings und der Analyse der Prozess­Performance.
Die aus diesem Konzept abgeleitete Software lässt sich auf jeder Ebene im Unternehmen einsetzen. Die Geschäftsleitung erhält damit einen Überblick über den Ist-Zustand der Geschäftsprozesse. Die Abteilungsleiter werden in ihrer Rolle als Prozessverantwortliche umgehend informiert, wenn einer ihrer Prozesse aus dem Ruder läuft. Und auch den Mitarbeiter, der den Prozess ausführt, unterstützt das System – bei der Priorisierung seiner täglichen Aufgaben.

Die Kontrolle zurückgewinnen
Unternehmen konzentrieren sich zunehmend auf ihre Kernprozesse. Was sie nicht so gut können, lagern sie an externe Dienstleister aus. Den Vorteilen, die von geringeren Kosten bis zur professionellen Abwicklung durch einen Spezialisten reichen, steht die Gefahr gegen­über, die Kontrolle über die ausgelagerten Prozesse zu verlieren. „Stehen aber dem Auftraggeber die aktuellen Prozesskennzahlen zur Verfügung“, so Heß, „gewinnt er die volle Kontrolle zurück.“ Bei einer Fehlentwicklung kann er sofort gegensteuern – noch bevor die Zielabweichung das eigene Unternehmensergebnis belastet.
Equens SE, ein Kunde von IDS Scheer, ist auf die Abwicklung des Zahlungsverkehrs zwischen Banken spezialisiert. Um die Zahlungsprozesse zu überwachen, setzt die größte deutsche Transaktionsbank den Aris Process Performance Manager (PPM) ein. Die dabei automatisiert hergestellten Reports werden auch direkt den Banken zur Verfügung gestellt.

Transparente Prozesse
Diese Fähigkeit, die Kunden stets auf dem Laufenden zu halten, kristallisiert sich zunehmend als ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für Dienstleister heraus. Als die Deutsche Bahn dem auf Kundenbeziehungskarten spezialisierten Unternehmen Loyalty Partner das Management der Bahncard übertragen hat, tat sie das nicht nur wegen der Branchenkompetenz des Anbieters. Mit ein Grund war auch, dass die Deutsche Bahn die Abwicklung der Bahnkarte überwachen kann, als ob sie im eigenen Haus geschehen würde. Der Auftraggeber kann also auf tagesaktueller Basis überprüfen, ob die vereinbarten Vorgaben tatsächlich erfüllt werden, und muss seinem Dienstleister nicht mehr blind vertrauen.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Werte im Wandel

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„Sie ist schrecklich anzusehen, und mit ihr ist kein Staat zu machen.“ Mit ähnlichen Worten hat Aristoteles bereits in der griechischen Antike die „heutige Jugend“ gegeißelt. Eigentlich ging es um das Sittenbild einer verdorbenen Jugend, also um die Benennung eines klassischen Generationskonfliktes. Dieser immerwährende Generationskonflikt ist trivial und nicht zu verwechseln mit dem Wertewandel, der sich ebenfalls ganz besonders in der Jugend widerspiegelt.
Der Wertewandel definiert tief greifende Veränderung in der Gesellschaft. Ändern sich unsere Wertvorstellungen, dann ändern sich auch Ethik und Moral der Gesellschaft. In diesem Prozess befinden wir uns gerade; dies zeigt sich im Vertrauensverlust von Institutionen, im steigenden Misstrauen gegenüber Banken, im Erlahmen von Wahlbeteiligungen und im generellen Bindungsverlust, der Entsolidarisierung der Gesellschaft. Der Klebstoff wird dünner, und damit steigt das persönliche Risiko. Diagnosen der Zukunft lauten Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft, High-Speed-Kultur; viele weitere Etikettierungen zeigen plakativ, wohin der Zug in die Zukunft ab-gefahren ist.
Die Analyse der Erziehungsgrundsätze dokumentiert die tektonische Verschiebung der Werte deutlich. Die Prioritäten, die wir unseren Kindern mit auf den Weg geben, haben sich gewaltig verändert im Vergleich zu dem, was unsere Eltern uns ans Herz gelegt haben. Während Pflichtwerte, also sogenannte Kardinaltugenden (Sparsamkeit, Bescheidenheit et cetera), immer stärker unter die Räder kommen, entwickelt sich die Individualisierung und damit die Kultivierung der persönlichen Freiheit zum neuen zentralen Wert der „Ichlings“-Gesellschaft. Allerdings hat diese Freiheit auch einen Preis. Er heißt Verantwortung für das Ich und seine Zukunft.
Werner Beutelmeyer ist Geschäftsführer des market-Instituts in Linz.

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Werner Beutelmeyer, Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Kreative Kinder und Deoroller

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Eigenständiges Denken, Offenheit für Neues, Innovationsgeist, Flexibilität: In immer mehr Jobprofilen werden Anforderungen gestellt, die Kreativität voraussetzen. Gesellschaft und Wirtschaft befinden sich im Wandel. Wie werden Kinder darauf vorbereitet?

Kinder sind kreativer als Erwachsene. Das liegt unter anderem daran, dass wir Erwachsenen unsere eigenen Ideen und Gedanken zensurieren. Erwachsene haben „Angst“ vor dem Urteil ihres Umfeldes, Kinder hingegen werkeln unbekümmert darauf los und kommen somit zum kreativeren Ergebnis. Diese Unbekümmertheit wird ihnen jedoch laut dem Bildungsexperten Sir Ken Robinson beim Durchlaufen des Bildungssystems nach und nach ausgetrieben. Der emeritierte Professor der englischen Universität Warwick geht sogar noch einen Schritt weiter: Klassische Bildungssysteme, meint er, würden die natürliche Kreativität in Kindern zerstören.
Zum einen würden Misserfolge, also Fehler, immer bestraft. Dadurch würden Kinder „lernen“, Versagensangst zu haben, und somit zur gleichen Selbstzensur erzogen, die Erwachsene betreiben. Darüber hinaus seien Bildungssysteme weltweit sehr naturwissenschaftslastig. Gelegenheiten, die eigene Kreativität tatsächlich auszuleben oder gar weiter auszubilden, würden oft nur selten bis gar nicht geboten. Auch mit der Aufsatztaktik „Einfach die Meinung des Lehrers wiedergeben“ fahre man in der Schule in der Regel immer gut. So werde gedanklicher Mainstream und das Nachbrabbeln alter Sichtweisen weitergegeben, anstatt Anreize zu setzen nach Neuem zu streben.

Verschwendung von Potenzial
Die klassischen Bildungssysteme von heute entstanden zur Zeit der Industrialisierung, und so dürfe es wenig verwundern, dass sie auf die Ausbildung von Arbeitskräften ausgelegt sind und nur wenig Raum für Kreativität lassen, so Robinson. Inzwischen hätte sich jedoch die Gesellschaft wie auch die Wirtschaft einem enormen Wandel unterzogen. Folglich könnten wir es uns nicht mehr leisten, kreatives Potenzial zu verschwenden, indem wir auf verstaubten Strukturen beharren. Kreativität und Innovationsgeist sollten stattdessen in einer entsprechenden Umgebung gefördert werden.
Zudem leben wir „in einer Zeit akademischer Inflation“, so der Bildungsexperte. Die Unesco sagt voraus, dass es innerhalb der nächsten drei Dekaden mehr Menschen mit Universitätsabschluss geben wird als alle bisherigen Universitätsabschlüsse zusammengerechnet. Die EU peilt in ihrer Wirtschaftsstrategie „EU 2020“ eine Anhebung des Akademikeranteils auf 40 Prozent in den nächsten zehn Jahren an. Schon heute ist ein Universitätsabschluss bekanntlich längst keine Jobgarantie mehr. In Zukunft werden Kreativität sowie eigenständiges Denken und -Handeln also noch wichtiger werden, will man auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sein und den wachsenden Innovationsbedarf in der Wirtschaft decken.

Die Zukunft bleibt „open“
In unserem zweckorientierten Denken ist uns Bildung, die nicht zu etwas Bestimmtem ausbildet, aber noch immer suspekt. Da Kreativität schwer mess- oder erfassbar ist, wird sie in der Bildung oft vernachlässigt. Dabei muss rein zweckorientiertes Denken nicht zwingend zum besseren Ergebnis führen.
Die Vergangenheit hat wiederholt gezeigt, dass beispielsweise die Verwendbarkeit neuer Erfindungen dem Erfinder selbst nicht zwingend bekannt sein muss. Seine Aufgabe ist der kreative Prozess ihrer Entwicklung. Deren Verwendung zu finden fällt vermehrt in den Aufgabenbereich des Konsumenten, so Tim Brown, CEO der Firma Ideo für Innovation und Design sowie Autor des Bestsellers Change by Design. Wer hätte schon gedacht, dass die Rollkugel in der klassischen Computermaus auf den Prototyp des ersten Deorollers zurückgeht? Auch die SMS-Technologie gewann erst ihre heutige Bedeutung, als sie in die Hände jugendlicher Konsumenten fiel.
Gerade im Zeitalter von Massenkommunikation wird der Konsument immer mehr in den Produktionsprozess miteinbezogen. Menschen können sich heutzutage auch ohne Hilfe großer Organisationen zusammenschließen und koordinieren. Dadurch entsteht eine völlig neue Dynamik, auf die es sich einzustellen gilt. So trägt etwa die Bereitstellung von Open-Source-Produkten im Softwarebereich viel zur Weiterentwicklung dieser Produkte bei. Zudem werden sie auch in Zukunft eine der seltenen Alternativen zu Marktführern wie zum Beispiel Microsoft sein.
Laut Charles Leadbeater vom Londoner Thinktank „Demos“ wird der Markt dadurch in gewisser Weise demokratisiert: Durch die starke Vernetzung bekommen immer mehr Konsumenten ein Mitspracherecht. Wird diese neue gesellschaftliche Realität entsprechend genutzt, „multipliziert sie die Kreativkraft, da sie Verbraucher zu Produzenten und Konsumenten zu Designern macht“, so Leadbeater. Der Konsument von morgen wird also auch in der Produktion immer mehr mitmischen können. Nicht zuletzt, um dieses neue Entwicklungspotenzial in der Wirtschaft voll ausschöpfen zu können, scheint es wichtig, Kreativität frühestmöglich zu fördern.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Konsumenten an der langen Leine

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Kaufen hat gerade für Jugendliche eine sinnstiftende Qualität: Hast du was, dann bist du was.

Begonnen hat alles mit der „Erfindung“ des Taschengeldes in den USA in den 1890er Jahren. Und der Schaffung einer neuen Konsumgruppe: den Kindern und Jugendlichen. Heute ist die Kindheit zu einer „Konsumkindheit“ geworden, geht es doch in vielen Gesprächen im Familien- und Freundeskreis oft ums Haben- und Kaufen-Wollen.
In Österreich lernen etwa 1,2 Mio. Schüler. Das sind ebenso viele potenzielle Kunden für Produkte von Almdudler bis Zotter. Kinder und Jugendliche sind eine wichtige Zielgruppe für Marketingstrategen geworden, nicht nur, weil sie heute schon über hohe Kaufkraft verfügen, und auch nicht, weil sie die „Mitentscheider“ in den Familien sind. Das Konsumverhalten von Kindern und Jugendlichen wird neben den Einflüssen aus Familie und Schule deutlich von der Werbung treibenden Wirtschaft mitbestimmt, denn die Jugend gehört für sie indessen zu einer der interessantesten Zielgruppen. Es geht hier um die Kaufkraft von über einer Mrd. Euro, die 960.000 Jugendliche in Österreich zwischen zehn und 19 Jahren besitzen. In den Schulen erreichen Unternehmen in konzentrierter Form eine verhältnismäßig leicht zu beeinflussende Zielgruppe, die zu großen Teilen bereits markt­orientiert ist und zudem die Kaufentscheidungen der Eltern nicht unerheblich mitbestimmt.

Markenbindung der Kids
Über drei Mrd. Euro investiert die Werbewirtschaft jährlich für ihre (Werbe-)Botschaften. Ein Großteil wird für Kinder und Jugendliche verwendet. Denn auch für „Markenbildung und -bindung“ wird viel Geld in die Hand genommen, da Marken eine wichtige Rolle im Leben der Kids spielen. Sie sind Ausdruck von Lebensstilen, Meinungen und Einstellungen. Für Jugendliche wird hier eine besondere Problemlage erkennbar, geht es doch in diesem Alter darum, eine eigene Identität zu finden, sich abzulösen vom Elternhaus und auf der Suche nach Selbstverwirklichung zu sein.
Mit 14 Jahren bestimmen circa 50 Prozent der Teenager über ihr Aussehen und ihre bevorzugten Produkte. Zwei Jahre später sind es schon über 80 Prozent. Marken, die Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr nicht geläufig sind, fordern bei über 25-Jährigen den fünffachen Werbeaufwand. Aus Bedarfsdeckung wird Bedarfsweckung. Geschickt wird den Kids zur „Konsumentenkarriere“ verholfen. Jugendliche sollen nicht Hüter ihrer Geldbörse, geschweige denn Herr ihrer Sinne und Bedürfnisse sein. Verführung und Manipulation sollen zum schnellen, wenn möglich unüberlegten Kauf verführen.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Was Väter abhält, in Karenz zu gehen

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Sie lieben ihre Kinder, sie denken partnerschaftlich. Dennoch gehen nur fünf Prozent der Väter in Karenz. Weil es zu stressig ist. Weil sie Angst um ihre Karriere haben. Oder weil sie noch nie darüber nachgedacht haben.

Papa‘, schreien sie, wenn ich zur Tür hereinkomme. Und dann hängen sie schon an mir. Das ist der schönste Moment des ganzen Tages.“ Wenn Georg M. über seine kleinen Töchter redet, strahlen seine Augen. Sein Leben habe sich total verändert. „Ich habe meinen Egoismus zurückgeschraubt. Früher bin ich viel mountainbiken gegangen, war mit Freunden unterwegs.“ Jetzt gehört das Wochenende seiner Familie. Er kocht, geht einkaufen, hilft beim Putzen.
Ja, die Väter sind anders als früher. Sie spielen mit ihren Kindern und passen auch mal allein auf sie auf, damit die Frau ins Fitnesscenter gehen oder eine Freundin treffen kann. Sie bringen die Kleinen ins Bett, lesen Geschichten vor. Dennoch: Die neuen Väter könnten viel mehr tun. Kaum einer teilt Kinder- und Hausarbeit halbe halbe.

Fall 1: Eine Woche ist zu viel
Georg M. hat eine mittlere Position in einem Unternehmen, seine Frau hatte eine sehr gute. Sie verdiente mehr als er. Nun sorgt sie seit dreieinhalb Jahren für ihre zwei Kinder; in einem halben Jahr wird sie in ihren Beruf zurückkehren. In Teilzeit. Plant er vielleicht, seine Arbeitszeit auch etwas zu reduzieren, damit sie mehr Stunden arbeiten kann? „Daran habe ich noch nie gedacht“, sagt er.
Er ist ehrlich. Einmal hat er eine Woche lang für sein erstes Kind gesorgt. Seine Frau lag mit einer schweren Grippe im Bett. „In den ersten drei Tagen habe ich einen Saustall gehabt. Ich bin zu nichts gekommen. Keine Wäsche gewaschen, nichts Gescheites gekocht. Ich war schon froh, wenn ich selber halbwegs angezogen war.“ Hochachtung hat er seither davor, wie seine Frau die Arbeit mit den zwei Kindern schafft. Er könne das nicht.
Fünf Prozent der Bezieher von Kinderbetreuungsgeld in Österreich sind Männer. Der Anteil der Väter in Karenz steigt, wenn auch langsam. Vor 15 Jahren lag er unter einem Prozent. Lange galt als Grund dafür, dass die meist besser verdienenden Männer die Familie erhalten müssen und Paare nicht auf das Einkommen des Mannes verzichten können. Bei vielen Paaren stimmte das wohl – wenn auch sicher nicht in 95 Prozent der Fälle.
Seit Oktober 2009 gibt es auch eine einkommensabhängige Variante des Kinderbetreuungsgeldes. Sie ist kürzer: zwölf beziehungsweise 14 Monate, wenn der Mann zumindest zwei Monate in Karenz geht. Dafür erhält man 80 Prozent des Einkommens. Da die neue Regelung für Kinder gilt, die ab Oktober 2009 geboren werden, lässt sich noch nicht sagen, ob mehr Männer in Karenz gehen werden. Massenbewegung ist noch keine ausgebrochen: Von 473 Personen, die einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld beziehen, sind neun Männer. Also zwei Prozent.

Fall 2: Realität schlägt Anspruch
Johann S. hat zwei Kinder. Und den Anspruch, Familie und Hausarbeit partnerschaftlich zu teilen. Seine Frau war zweieinhalb Jahre beim ersten Kind zu Hause, er sieben Monate. Länger wagte er nicht, weil er nicht wusste, wie sein Unternehmen reagieren würde. Er war der erste Mann in Karenz. Das Unternehmen nahm es positiv auf. Warum ging er nicht auch beim zweiten Kind in Karenz? „Ich hatte bereits die Erfahrung gemacht, wie es ist, zu Hause beim Kind zu sein“, sagt er. Wie es ist, sich ganz auf das Kind einzulassen, den Beruf in den Hintergrund zu schieben. Doch was ist mit seinem Anspruch, Kinderarbeit partnerschaftlich zu teilen? „Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob es ginge, noch einmal in Karenz zu gehen.“ Er hat nun eine Führungsposition. Seine Frau arbeitet Teilzeit.

Fall 3: Studium statt Kinder
Franz S. und seine Frau haben zwei Kinder, sie ist in Karenz. Um ihr die Arbeit an einem Projekt zu ermöglichen, reduzierte S. seine Arbeitszeit auf 32 Stunden. Freitags ist er bei den Kindern zu Hause, sie ist im Büro. Einfach sei es nicht. Der Stress sei groß, die Arbeit ließ sich nicht im selben Ausmaß reduzieren. Zusätzlichen Stress hat er, weil er ein berufsbegleitendes Studium begonnen hat. Er will einen Master machen. Weshalb er nun zwar den Freitag mit den Kindern verbringt, die Samstage und zwei Abende pro Woche aber an der Uni ist.
Die Fälle vier bis 100 können aus Platzmangel nicht beschrieben werden. Sie ähneln einander ohnehin. Mann könne nicht statt 60 nur 40 Stunden arbeiten, weil mann Kunden verlieren würde. Oder Aufträge. Weil mann nicht befördert würde. Weil die anderen Männer es auch nicht tun. Außerdem: Die Frau geht ja eh in Karenz. Gern noch dazu.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

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