Die Suche nach sozialer Gerechtigkeit
Die Grünen Alexander Van der Bellen: „Es werden immer mehr Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer haben werden, die ein sehr hohes Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko haben werden“, stellt der Volkswirtschaftsprofessor und Parlamentarier fest.
economy: Es gibt heute kein gutes politisches Kabarett mehr. Es stellt sich die Frage, ob das deswegen der Fall ist, weil sich das Kabarett ohnehin live im Parlament und in bestimmten Bereichen der Politik abspielt. Wie sehen Sie das?
Alexander Van der Bellen: Ja, spontan genauso. Nicht unbedingt im Parlament, aber wenn man sich anschaut, was beispielsweise in Kärnten über die Bühne geht … zwölf Mio. Euro für ein mündliches Gutachten, was dann auf sechs Millionen reduziert wird – und das geht einfach so durch. Feixende Landeshauptmänner und Landesräte, die sich freuen, dass Kärnten bei dem Hypo-Deal eh nicht draufgezahlt hat – nur alle anderen. Bei solchen Szenen und dergleichen mehr muss man schon sagen, dass es ein Kabarettist heutzutage schwer hat.
Auf Youtube ist ein Ausschnitt einer Parlamentsdebatte zu sehen, in dem Sie vor einem Jahr Heinz-Christian Strache recht launig vorgerechnet haben, dass er die Auswirkungen seiner Vorschläge zur Steuerpolitik nicht wirklich beurteilen kann. Das war ja auch ein Renner.
http://www.youtube.com/watch?v=A5zGtR55hjI
Als wir aufgehört haben zu zählen, gab es bereits mehr als 60.000 Zugriffe. Das war ja nicht geplant, das hat sich aus der Situation ergeben. Meine Fraktion hat mich als Redner zu der dringlichen Anfrage der Freiheitlichen nominiert, und bei dem Versuch, mit dem Antragsteller Strache zu diskutieren, hat sich herausgestellt, dass keinen blassen Schimmer hat, was er da eigentlich meint. Und das habe ich dann doch mit Genuss ausgekostet.
Aber wie geht es Ihnen in solchen Situationen wirklich? Bleibt Ihnen da nicht manchmal das Lachen im Hals stecken?
Ach nein. Aus guten Gründen lege ich keinen Wert auf meine zahlreichen Titel, und ich sitze im Parlament auch nicht als Professor, sondern als Abgeordneter. Wir Hyperakademiker haben ja die Weisheit nicht gepachtet. Dazu kommt noch, dass über volkswirtschaftliche Fragen, die ja mein Fachgebiet sind, eher selten diskutiert wird. Im Fall Strache ging es ja darum: Kann er Millionen von Milliarden unterscheiden, und weiß er, wie viel drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind? Das sind ja keine akademischen Fragen.
Sie haben ja damals auch, als Ihnen Überheblichkeit in der Argumentation unterstellt wurde, geantwortet, dass es keine Überheblichkeit darstelle, die Grundrechnungsarten zu beherrschen. Aber ein denkender Mensch mit fachlichem Hintergrund muss doch manchmal verzweifeln, oder?
Also, ich möchte das nicht überbewerten. Da ging es ja nicht um Grundsätze der Republik, das war mehr eine Routineauseinandersetzung. Es hat allerdings Zeiten gegeben, wo man die FPÖ in solchen Sachfragen ernster nehmen konnte und musste. Ich erinnere mich nicht ungern an die Einführung des Euro. Damals hat Jörg Haider Susanne Riess-Passer vorgeschickt, um die Nicht-Einführung argumentativ zu vertreten. Da war ich oft in Gegenpositionen zu ihr, aber ich habe immer gerne und mit Vergnügen mit ihr diskutiert. Unter dem Strich habe ich ihre Argumente nicht geteilt, aber es waren Argumente, mit denen man sich auseinandersetzen konnte und musste. Im Gegensatz, und das sage ich immer ganz spöttisch, zu den deutschen Universitätsprofessoren, die die FPÖ damals eingeflogen hat: Das waren ganz simple D-Mark-Fetischisten, und weiter war da gar nichts dahinter. Riess-Passer und ich waren zwar unterschiedlicher Meinung, aber wir konnten als intelligente Menschen darüber streiten.
Kommen wir zu Ihrem Fachgebiet Volkswirtschaft. Wir haben nun schon das Platzen einiger sogenannte Blasen erlebt. Auf welche weiteren müssen wir uns in den nächsten Jahren denn noch gefasst machen? Da scheint ja noch einiges zu gären.
Leider ja. Aber das ist sehr schwer einzuschätzen, weil, wie sich im Fall Griechenland gezeigt hat, die Stimmung auf den Finanzmärkten innerhalb kürzester Zeit massiv umschlagen kann. Die Situation Griechenlands hat sich in den letzten acht Wochen nicht viel verändert im Vergleich zu November oder Dezember 2009. Und plötzlich war die Aufmerksamkeit voll auf die Datenfälschungen gerichtet, auf die jahrelange Schlamperei und die Nichtanpassung an die nicht abwertbare Währung, jedenfalls von Griechenland nicht abwertbar, auf die Nichtanpassung der Löhne und Gehälter et cetera. Und auf einmal stellt sich die Frage: Wird Griechenland im März oder April zahlungsunfähig sein?
Wie schätzen Sie das ein?
Ich halte das für eine psychologisch übertriebene Reaktion, der die Ökonomen traditionell immer hinterherhinken, weil man so was nicht voraussehen kann. Warum ist das jetzt geplatzt und nicht zwei, drei oder fünf Jahre früher? Aber mit einiger Sicherheit kann man sagen: Die Verschuldungskrise wird uns weiterhin begleiten, und wir werden laufend Finanzierungsfragen zu lösen haben. Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo so viele Staaten, im Grund genommen die gesamte industrialisierte Welt, gleichzeitig derartige Kreditbedürfnisse hatten wie derzeit. Da ist Griechenland, verglichen mit den USA oder Großbritannien, nur ein Zwerg.
Und es gibt Anzeichen, dass auch das boomende Wirtschaftswachstum Chinas auf einer Schuldenbasis aufbaut, und wenn das stimmt, dann ist das keine Blase, sondern ein kleines Universum.
Ja, wenn das stimmt. Die Betonung liegt auf „wenn“. Auch hier gilt: schwer zu sagen. Wenn man einmal in China war, dann ist man schon beeindruckt, in welch atemberaubendem Tempo sich das Land entwickelt. Wenn man sich vorstellt: Das Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten 20 Jahren bei Wachstumsraten von zehn Prozent oder darüber gelegen, verdoppelt sich demnach alle sieben Jahre. Also ich sehe momentan nicht, dass die nächste Krise von China ausgehen wird. Worauf wir uns zweifellos einstellen müssen, ist, dass China und Indien die Industrienationen des 21. Jahrhunderts sein werden und dass Europa, also die EU, gut daran tun wird, die inneren Strukturen zu überdenken und die Entscheidungsfähigkeit zu verbessern.
Wo genau sollte da Ihrer Ansicht nach angesetzt werden?
Ich denke, dass wir mit den Entscheidungsprozessen in der EU große Schwierigkeiten kriegen werden. Als zum Beispiel im Herbst 2008 die Bankenkrise ausgebrochen ist, hat die EU zunächst unkoordiniert, dann aber ganz gut koordiniert reagiert, obwohl es dafür gar keine Vertragsgrundlagen gibt. Das waren alles Gentlemen’s Agreements: also sich abzusprechen, dass man Defizite zulässt, dass die automatischen Stabilisatoren wirken sollen et cetera. Das waren gute Beschlüsse, aber eben nächtliche Kaminbeschlüsse. Wir haben in der EU keine Wirtschaftsregierung, keinen Finanzminister; wir haben zwar eine Außenministerin, aber jeder weiß, dass es keine gemeinsame Außenpolitik gibt. Und wie gesagt: Vor allem die Verschuldung und die Zinsbelastung in öffentlichen Haushalten und die notwendigen Konsequenzen auf der Ausgaben- und Einnahmenseite werden uns vor eine riesige Herausforderung stellen.
Damit sind wir bei den Auswirkungen des sogenannten Neoliberalismus. Ich sage „sogenannt“, weil es noch immer genug Machtinteressen und Regulative gibt, die dem Begriff des „Liberalismus“ diametral entgegenstehen. Wie würde denn Ihrer Einschätzung nach Adam Smith, der ja ein Moralphilosoph und gar kein Wirtschaftswissenschaftler war, auf die heutigen Auswirkungen reagieren?
(lacht) Was Adam Smith dazu sagen würde, kann ich nicht sagen.
Und was würden Sie selbst dazu sagen, wenn Sie Moralphilosoph wären?
Bei den Banken sehe ich ein geradezu unmoralisches Verhalten, was die Gier nach kurzfristigen Profiten betrifft. Aber im Wesentlichen registriere ich ein erstaunliches Versagen der Institutionen. Wir haben doch alle seit Jahrzehnten gewusst, dass Unternehmen, zum Beispiel auch Banken, die wissen, dass sie nicht pleitegehen können, dem Problem des „Moral Hazard“ (moralische Versuchung durch eine Versicherung gegen ein Risiko, Anm. d. Red.) unterliegen, dass sie sich also so verhalten, wie sie sich ohne eine derartige Versicherung nicht verhalten würden. Wenn man ihnen jedes Risikio abnimmt, dann lassen sie sich auf riskantere Geschäfte ein. Das ist absolut nichts Neues.
Das ist ja auch nicht liberal.
Aber woher! Das hat auch mit neoliberal gar nichts zu tun, im Gegenteil. Das ist einfach nur blöd. Mein Lieblingsbeispiel ist immer die Entwicklung der Subprime-Hypotheken-Krise in den USA. Dass da keiner aufgeschrien hat: So geht das nicht! Dass nämlich kleinere Banken, meist in ländlichen Gebieten, Vertreter ausgeschickt haben, die die Leute überredet haben, eine Hypothek aufzunehmen, um ein neues Haus zu bauen oder das alte zu renovieren. Oft gab es überhaupt kein Haus, und das war eine reine Betrugsgeschichte. Und diese Vertreter wurden nach Umsatz bezahlt. Das heißt, je mehr Hypothekarverträge sie angeschleppt haben, desto mehr haben sie verdient. Wenn ich so ein System habe, darf ich mich nicht wundern, wenn der Vertreter im Lauf der Zeit sich überhaupt nicht mehr darum schert, ob der Kunde nach menschlichem Ermessen fähig sein wird, die Annuitäten zu bezahlen.
So ein Vertreter ist aber das kleinste Rädchen in diesem Getriebe.
Der Vertreter hat völlig rational gehandelt – er hat sein Einkommen maximiert. Das kann man unmoralisch nennen, aber die Moral ist keine ökonomische Kategorie. Doch warum haben die Banken das gemacht? Weil sie gewusst haben, sie können das Risiko weiterreichen. Sie können Pakete schnüren, Tausende von Hypotheken zu einem Paket zusammenschnüren und an andere Banken weiterverkaufen. Was zunächst auch vernünftig klingt, weil Risikostreuung immer besser ist als Risikokonzentration. Nur war das in dem Fall keine Risikostreuung, sondern es hat niemand mehr gewusst, wie hoch das Risiko denn überhaupt ist. Aber dadurch, dass die Kette immens lang war, hat entlang dieser Kette niemand unvernünftig gehandelt, weil er das Risiko ja losgeworden ist. Das ist eindeutig ein Versagen der Aufsicht, dass sie nicht erkannt hat, in welches systemische Schlamassel das führt.
Vielleicht auch im Vertrauen auf die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die das schon richten wird?
Das kann schon was mit neoliberaler Ideologie, die in den 80er und 90er Jahren weit verbreitet war, zu tun haben, und eben mit dem geradezu irrationalen Glauben, der Markt werde sich selber richten. Der Markt richtet sich schon selber – wenn man ihn lässt! Eine Schuhfabrik, die nur blaue Schuhe produziert, wenn grüne gefragt sind, wird pleitegehen. Aber wenn man weiß, dass die Schuhfabrik so wichtig ist, dass sie nicht pleitegehen darf, dann muss man sich rechtzeitig überlegen, wie man das verhindert. Und das war bei den Banken das Problem – und ist bis heute das Problem.
Da schwingt ja eine interessante Doppeldeutigkeit mit, wenn man sagt: Der Markt richtet sich selbst.
(lacht) Das kann man wohl sagen.
Schwenken wir zum Thema „Energiepolitik“: Die EU als Ganzes richtet sich auf den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien aus, und in Österreich haben wir in den letzten drei, vier Jahren absoluten Stillstand gehabt. Was ist da los gewesen?
Das kann ich mir selbst kaum beantworten. Denn abgesehen vom Treibhauseffekt und der Klimaveränderung gäbe es ja wesentliche sicherheitspolitische Gründe, stärker auf erneuerbare und damit heimische Energieträger umzustellen – also auf Wind, Wasser, Biomasse, Solarenergie. Langfristig muss man sehen, dass wir, auch wenn der Zeitpunkt strittig ist, in den kommenden Jahrzehnten aus Öl und Gas aussteigen müssen; und wenn es nicht gelingt, die CO2-Problematik dort zu beherrschen, auch aus der Kohle.
Sie sprechen den Rückgang der Produktion bei Öl und Gas an.
Ja, genau, denn egal, wann jetzt Peak Oil oder Peak Gas tatsächlich kommt oder vielleicht schon war, da geht es vorrangig auch um die Versorgungssicherheit. Wie oft sollen sich Russland und die Ukraine noch um die Gaslieferungen streiten, bis wir draufkommen, wie riskant es ist, nur von einem Anbieter abhängig zu sein?
Dazu kommt: Wenn die Ölproduktion einmal rückläufig ist, wird sich weltweit die Nachfragekonkurrenz nach Gas verschärfen. Die Frage wird dann sein: In welche Weltregionen werden die Gaslieferungen daraufhin gehen? Gehen die weiterhin nach Europa oder verstärkt in den asiatischen Raum?
So ist es. Deshalb müssten wir schon aus Gründen der Sicherheit und der Risikosteuerung alles tun, und zwar jetzt und sofort beginnend, Energieeffizienz zu erhöhen, namentlich in der Wärmedämmung – ein Sechstel aller Treibhausgase stammt aus der Raumwärme. Wir müssten andere Autos fördern. Nichts gegen das Auto, ich bin auch darauf angewiesen, aber wir könnten heute schon flächendeckend mit Autos fahren, die nur mehr vier bis sechs Liter verbrauchen und nicht zehn bis 15. Und dieser Wechsel muss steuerlich gefördert werden.
Und auch Forcierung der Elektromobilität, sprich: Forcierung von Elektroautos?
Ja, natürlich. Immer vorausgesetzt, dass wir den Strom auf vernünftige Weise, also mit erneuerbaren Energien, erzeugen. Auch da ist die Technologie ja bereits vorhanden, die ist uralt. Ich kann mich erinnern: In den Donald-Duck-Heften der 50er Jahre ist ab und zu auch Oma Duck vorgekommen, und die fuhr ein Elektromobil aus dem Jahr 1895 oder so.
Wir waren bei der Thematik, dass Österreich diese Energiewende nicht aktiv mitmacht.
Genau, denn es ist ja so: Da eröffnen sich weltweit Milliardenmärkte, und wer als Erster den Fuß in der Tür hat, der hat natürlich einen Wettbewerbsvorteil – und wer als Letzter kommt, hat einen Wettbewerbsnachteil. Aber in Österreich wird diese Entwicklung von der Politik systematisch verschlafen. Immerhin: Einzelne Firmen haben das sehr wohl erkannt. Einige Beispiele: Fronius in Oberösterreich, ein hervorragend geführtes Familienunternehmen, zählt zu den Weltmarktführern in der Fotovoltaik: Das Unternehmen stellt Wechselrichter her, um den erzeugten Gleichstrom in Wechselstrom umzuwandeln. Oder die Firma Solon im Tiroler Wipptal, die Solarkraftwerke baut: Als ich vor fünf Jahren mit einigen Grünen dort war, waren wir die ersten Politiker, die dieses Werk überhaupt wahrgenommen haben. Innsbruck ist nur 30 Kilometer entfernt, aber die Landespolitiker haben dafür kein Interesse. Aber das ist insofern verständlich, als dieses Unternehmen typischerweise eine Exportquote von 100 Prozent hat. Ein österreichischer Markt existiert nicht. Das ist eben ein neuer Markt, und der entsteht nur, wenn die öffentliche Hand vorübergehend dafür sorgt, dass über große Stückzahlen in der Folge auch die Produktionskosten sinken. Deutschland, Spanien, Italien und andere Länder haben das gemacht, und dort stehen dann auch die Kraftwerke.
Und diese Länder haben ja sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Ja, aber in Österreich wurde mit dem unsinnigen Ökostromgesetz über Jahre verhindert, dass Ökostromanlagen errichtet werden können. Jetzt hat die Politik beim Wind ein wenig nachgebessert, aber Fotovoltaik interessiert sie nach wie vor nicht.
Da kann ich auch noch ein paar Beispiele nennen. Das steirische Unternehmen Elin Motoren produziert Komponenten für Windkraftanlagen – Exportquote ebenfalls 100 Prozent. Die Klagenfurter Windtec konzipiert Windräder und verkauft diese in Lizenz – die sind beim Windkraftboom in China voll dabei: Jedes dritte chinesische Windrad wird mit einer Windtec-Lizenz gebaut. Das sind alles Exportschlager, die niemand zu interessieren scheinen.
So ist es. Und weil Sie China erwähnen: Die haben in den klassischen Umweltfragen – Luftverschmutzung, Smog in den Städten et cetera – einen riesigen Nachholbedarf; das sieht man mit freiem Auge, wenn der Wind zu schwach ist. Aber die wissen auch, dass sie im 21. Jahrhundert nicht mit der Energiepolitik des 20. Jahrhunderts fahren können werden, und investieren deshalb gewaltig in Know-how für erneuerbare Energien. Und es ist sehr schade, dass Österreich diese Chancen, die von der Unternehmensstruktur durchaus gegeben sind, nicht wahrnimmt. Das Einzige, wo wir – mit Verzögerung – richtig gut sind, das ist die Biomasse, Pelletsheizung und dergleichen, und teilweise gut in allem, was Know-how, Dienstleistungen, technische Anlagen et cetera in der Wärmedämmung und im Bau von Passivhäusern betrifft. Allen voran sind hier die Vorarlberger zu nennen, die schon vor Jahren die Wohnbauförderung in Richtung Energieeffizienz ausgerichtet haben.
Zum Schluss noch eine generelle Frage: Was muss in den nächsten 20 bis 30 Jahren geschehen respektive sich ändern, damit wir wieder von sozialer Gerechtigkeit und einem guten Leben träumen können?
(lacht) Also, zunächst einmal müssen wir auf vernünftige Weise die Budgetdefizite unter Kontrolle halten, damit wir nicht in die Zinsenfalle geraten. Die Griechen haben für die Staatsanleihe, die sie soeben erfolgreich abgesetzt haben, einen Coupon von 6,1 Prozent angeboten, Österreich bietet rund vier Prozent; das geht ordentlich ins Geld, wenn man das über zehn, zwölf oder 15 Jahre rechnet. Aufgrund des Mengeneffekts haben wir deshalb schon in den nächsten Jahren – bei ohnehin steigender Verschuldung – mit Zusatzkosten in Milliardenhöhe bei den Zinsausgaben des Bundes zu rechnen. Gleichzeitig existieren die alten Probleme weiter: Wir müssen mehr Geld ausgeben für die Kindergärten, für Schulen, Universitäten, den ganzen Bildungssektor.
Können Sie die Bildungsproblematik genauer beschreiben?
Seit Jahren, ja Jahrzehnten begleitet uns dieses Problem: Was man im Kindergarten versäumt – zum Beispiel bei Kindern mit nicht deutscher Muttersprache –, wird man in der Volksschule schwer und danach schon gar nicht nachholen können. Wir wissen, dass ein Fünftel aller Schulabgänger unzureichend lesen und schreiben kann. Das muss man sich vorstellen: Ein Fünftel eines Jahrgangs – das sind 15.000 bis 20.000 Personen. Die kommen jedes Jahr neu dazu.
Ein kumulativer Effekt also.
Ja, es werden immer mehr Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer haben werden, die ein sehr hohes Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko haben werden. Und die mit nicht deutscher Muttersprache sind dort überrepräsentiert. Wir züchten uns hier hausgemachte Probleme heran, von denen wir wissen sollten, dass sie uns spätestens in zehn bis 20 Jahren auf den Kopf fallen werden.
Und wie soll das finanziert werden?
Ich gehe so weit zu sagen: Okay, wenn das Geld nicht da ist, müssen wir eben ein paar Steuern erhöhen, denn da geht es um wesentliche Zukunftsaufgaben. Da geht es – bildhaft ausgedrückt – nicht um einen kleinen Wasserschaden in der Küche, sondern da leckt das Dach; und das muss repariert werden, sonst ist in ein paar Jahren das ganze Haus kaputt. Das sind also Dinge, die auf der Hand liegen und gar keine großen ideologischen Fragen sein sollten, sondern schlicht pragmatische Notwendigkeiten.
Noch ein letzter Punkt?
Wir brauchen eine vernünftige Einstellung zur Zuwanderung. Sozialminister Hundstorfer sagte in einer Ausschusssitzung so nebenbei, dass in Österreichs Spitälern Menschen aus 60 Nationen arbeiten. Nehmen wir das einmal zur Kenntnis, dass wir unsere Spitäler zusperren könnten, wenn wir diese Ausländer nicht hätten. Und was täten wir in der Altenbetreuung ohne die berühmten slowakischen und ungarischen Pflegerinnen und Betreuerinnen? Länder, die sich abschotten wollen, können das machen, aber sie werden ökonomisch zurückfallen.
Sie selbst sind ja für das Thema Zuwanderung ein gutes Beispiel.
Ja, denn ich weiß selbst nie, wie ich mich bezeichnen soll: Menschen, die nicht österreichische Eltern haben und in Wien geboren wurden – sind das die Immigranten der zweiten Generation? Ich bin auch so ein Typ; und ich finde nicht, dass ich ein Parasit im Körper der Republik gewesen bin oder heute bin.
Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010