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04. Juli 2024

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Jugend ist politisch

Jugend ist politischprivat

Die Jugend existiert nicht. Es handelt sich hierbei um ein äußerst heterogenes Spektrum von neorevolutionären „Yes we can“-Visionärinnen und -Visionären bis hin zu „Is’ ma wuascht“ blökenden Herdentieren. Was ist eigentlich Politik? Viele beziehen sich in ihrem Politikverdruss stets auf realpolitische Dauerlügen basisferner Funktionärinnen und Funktionäre, die oft mit aalglatter Attitüde und neoliberaler Rhetorik Privatisierung, Wettbewerb und Effizienzlogik predigen.
Politik umspannt aber auch das zwischenmenschliche soziale Gefüge von Individuen. Rosa Luxemburg bemerkte dazu: „Unpolitisch sein heißt, politisch sein, ohne es zu merken.“ Bewusstsein, Bildung und Selbstreflexion sind also fundamental. Aber welche Chancen haben junge Menschen heutzutage, den Geist politischen Engagements zu erfahren?
Die 68er sind vielen kein Begriff mehr, und aktuelle Widerstände wie die Studentenprotestbewegung werden von Verantwortlichen mithilfe von Hinhaltetaktik und strategischem Kuschelkurs im Keim erstickt. Massenmedien vermitteln vorwiegend lediglich Oberflächlichkeit und eben kaum, dass direkte Demokratie, das Denken von Alternativen und das Kämpfen für eigene Rechte erstrebenswert wären. Hinzu kommt der erdrückende Aspekt der stets zunehmenden Konstruktion düsterer Zukunftsprognosen; zum Beispiel die neoliberale Arbeitswelt mit steigendem Konkurrenzdruck, Stress und schwindenden Perspektiven.
Jugendliche werden des persönlichen Reifens und der Entfaltung individueller Potenziale beraubt, indem sie sich immer früher angeblichen Zwängen anpassen müssen und in vorgefertigte Muster gepresst werden, wo eigene kritische Meinungsbildung irrelevant ist. Vielleicht sollte Jugendlichen endlich genügend Freiraum zugesprochen werden, sie selbst sein zu dürfen, um frei und selbstbestimmt ein bewusstes Politikverständnis entwickeln zu können.
Nicole Kornherr ist Studentin der Politologie (Internationale Entwicklung).

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Nicole Kornherr, Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Spaß haben, Neues zu entdecken

Spaß haben, Neues zu entdeckenKinderbüro Uni Wien

Kinder sind ein dankbares, aber anstrengendes Publikum an den Unis. Denn sie sind wissbegierig, neugierig und fragen gern. Die Idee, Kindern an den Unis Wissenschaft zu vermitteln, boomt in Österreich. Größte Kinderuni des Landes und europaweit führend ist die Kinderuni Wien.

Lukas ist sieben, Anna ist neun Jahre. Lukas interessiert sich sehr für Computer, Anna will Ärztin werden. Einen einfachen Weg, in den Berufswunsch hineinzuschnuppern, stellt die Kinderuni Wien dar, die heuer bereits zum achten Mal stattfindet und zu den größten Initiativen dieser Art in ganz Europa zählt.
Jeden Sommer gehört die Universität für zwei Wochen lang den Kindern, heuer von 12. bis 24. Juli. Dann können rund 4000 Sieben- bis Zwölfjährige an über 400 kindgerechten Lehrveranstaltungen teilnehmen. Vier Wiener Universitäten sind daran beteiligt: die Uni Wien, die Med-Uni, die Technische Uni (TU) und die Uni für Bodenkultur.

Uni zum Mitmachen ...
Lukas wird also sicher an der TU spannende Vorlesungen oder Workshops finden, während Anna die Med-Uni interessiert. Dabei geht es nicht um Pauken oder Wissensvermittlung mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern darum, „die Kinder auf spannende und lustvolle Weise in die Welt der Wissenschaft einzuführen, ihre Neugierde zu wecken und sie aktiv mitpartizipieren zu lassen“, betont Karoline Iber, Geschäftsführerin des Kinderbüros der Uni Wien, das für die Organisation und Durchführung der Kinderuni verantwortlich ist.
Fragestellungen wie „Kann man in der Luft auch schwimmen?“, „Wie wird aus der Karotte Medizin?“ oder „Sind irrationale Zahlen unvernünftig?“ werden dabei spielerisch behandelt. Am Programm für heuer wird noch eifrig gebastelt, es soll bis Ende Mai fertig sein. Die Kinderuni 2010 steht unter dem Schwerpunkt „Reich an Wissen – zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung“. „Die Kinder sollen bei uns auch mit gesellschaftlich wichtigen Themen in Berührung kommen“, forciert Iber auch soziale Aspekte.
Barrierefreiheit wird großgeschrieben. Es gibt zum Beispiel einige Vorlesungen, die von einem Gebärdensprachen-Dolmetscher übersetzt werden. „Wir haben auch ein eigenes Projekt, das sich Kinder­uni on Tour nennt. Damit kommen wir mit der Kinderuni ins direkte Lebensumfeld der Kinder und erreichen zusätzlich andere Zielgruppen, etwa Kinder mit Migrationshintergrund“, berichtet Iber.
Auch unterm Jahr gibt es „Wissenschaft für Kinder“. Unter dem Motto „Staune Laune“ wird in den Osterferien rund ums (Oster-)Ei experimentiert (leider heuer schon ausgebucht). Die Teilnahme an der Kinderuni im Sommer ist kostenlos, die Anmeldung ist persönlich am 27. Juni auf dem Campus der Uni Wien (Hof 2, Spitalgasse 2, 1090 Wien) oder online (vom 28. Juni bis 9. Juli) möglich.
Die Idee der Kinderuni ist auch an anderen heimischen Unis in verschiedenster Form realisiert worden. Ein umfangreiches Angebot gibt es für junge Grazer.

... auch in den Bundesländern

Die Kinderuni Graz wird von der F. Schmiedl-Stiftung finanziell unterstützt und bietet einmal pro Monat eine Ringvorlesung an einer Grazer Uni an. Zielgruppe sind Schüler im Alter von acht bis zehn Jahren. Die Juniorunigraz wird von der Karl-Franzens-Uni Graz organisiert. Hier finden Kinder und Teenager ab zehn Jahren während des Sommersemesters Angebote wie eine Forscherwerkstatt Physik, Einblicke in die Unterwelt des Tierreiches oder Experimente mit Mineralien und Gesteinen.
„Im Vordergrund soll der Spaß stehen, etwas zu entdecken, aber die Kinder sollen auch merken, dass Wissenschaft mit Anstrengung verbunden ist“, meint Barbara Maier, zuständig für die Klagenfurter „Uni-Klu für Kinder“. Das Konzept sieht hier etwas anders aus. Einmal im Jahr, heuer war das am 4. Februar, erhalten Acht- bis Zwölfjährige die Chance, einen Unitag zu erleben. An der heurigen Klagenfurter Kinderuni nahmen 725 Kinder teil, das Motto lautete „So viele Sprachen“. Mit Workshops wie „Was sagt mein Körper?“, „Welche Sprache versteht mein Computer?“ oder „Was ist so fremd an der slowenischen Sprache?“ erhielten Kinder aus 29 Kärntner Schulen Einblicke in die Vielfalt der Kommunikation.
Mangels Finanzierung ist die Linzer Kinderuni eingestellt. Dafür findet die Kinderuni Steyr bereits zum siebenten Mal statt (von 30. August bis 2. September). „Schlaufuchsakademien“ gibt es im Juli in Linz, Wels, Kirchdorf und Ennstal, weitere Kinderunis in Innsbruck, Salzburg, Dornbirn und Krems.

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Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Jugendlicher Forschergeist

Jugendlicher Forschergeist

„Sparkling Science“ fördert die wissenschaftliche Zusammenarbeit von Forschern und Schulen.

„Sparkling Science“ nennt sich ein vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung ins Leben gerufenes Programm, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Schülerinnen und Schülern in den unterschiedlichsten Forschungsbereichen arbeiten. Genauer unter die Lupe genommen werden aktuelle Themen aus den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen, nämlich Geisteswissenschaften, Informatik, Lehr- und Lernforschung, Medizin und Gesundheit, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Technik.
Das Förderprogramm „Sparkling Science“ ist vorerst auf eine Dauer von zehn Jahren angelegt, derzeit läuft die dritte Ausschreibung. Eingeladen sind Forschungseinrichtungen, Pädagogische Hochschulen und Fachhochschulen, gemeinsam mit Schulen Anträge zur Förderung von Forschungsvorhaben einzureichen. Thematisch gibt es keine Vorgaben, doch die Projekte müssen gewisse Voraussetzungen erfüllen.

Zukunftsorientierte Arbeit
So etwa müssen diese den neuesten Stand der Wissenschaft berücksichtigen und innovative Erkenntnisse über diesen Stand hinaus erarbeiten. Ebenfalls maßgeblich ist, dass die Schülerinnen und Schüler aktiv in die wissenschaftliche Arbeit eingebunden sind und inhaltlich relevante Beiträge zur Erreichung des jeweiligen Forschungsziels beitragen. Die Projektergebnisse müssen schriftlich präsentiert werden und den gültigen wissenschaftlichen Qualitätsstandards entsprechen. Die Einreich­frist endet am 6. April 2010.
Die 30 höchstbewerteten Projektkonzepte erhalten Auszeichnungen sowie Forschungsprämien von jeweils bis zu 5000 Euro. Die Forschungsvorhaben starten im kommenden Schuljahr, über bisherige Projektergebnisse von „Sparkling Science“ informieren Publikationen, Homepage und Blogs.

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Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Kinderleichte Wissensvermittlung

Kinderleichte WissensvermittlungKinderbüro Uni Wien

Einmal im Jahr stehen viele österreichische Unis im Zeichen der „speziellen“ Nachwuchsförderung.

Seit mehreren Jahren widmen sich die Kinderuniversitäten der Aufgabe, junge Menschen im Alter von sieben bis zwölf Jahren für die Wissenschaft zu begeistern. Mittlerweile sind Kinderunis zu einem fixen Bestandteil der außerschulischen Wissenschaftsvermittlung geworden und haben sich erfolgreich in mehreren europäischen Ländern etabliert.
Die Kinderuni Wien gilt dabei als eines der Modellprojekte in Europa. Das Kinderbüro der Universität Wien war es auch, das gemeinsam mit Partnern das European Children’s Universities Network (Eucu.net) ins Leben gerufen hat. Dieses von der Europäischen Kommission finanzierte Projekt vernetzt länderübergreifend die zahlreichen Kinderunis: Neben dem Erfahrungsaustausch stehen auch die Unterstützung von Neugründungen und die Weiterentwicklung von bestehenden Kinderuniversitäten im Zentrum der Arbeit.

Gegen die Armut
Heuer widmet sich die Kinder­uni Wien dem Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. „Reich an Wissen – zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung“ lautet der Themenschwerpunkt des Groß-Events, der von 12. bis 24. Juli an zahlreichen Wiener Unis stattfinden wird. Groß-Event, weil im Vorjahr fast 4000 Kinder zwei Wochen lang den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Loch in den Bauch fragten. Rund 500 engagierte Lehrende beantworten auch heuer in über 400 Lehrveranstaltungen die oft kniffligen Fragen der Nachwuchsforscher. Dazu kommen praxisnahe Übungen in Labors und öffentlichem Raum. Wie im „echten“ Leben endet auch das Studium an der Kinderuni mit einer Sponsionsfeier. Die Kinder erhalten den Titel „Magister universitatis iuvenum“. Kinderunis werden an zahlreichen österreichischen Unis abgehalten.

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Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Chat, Spiel und Video

Chat, Spiel und Video Photos.com

Jugendliche passen ihr Kommunikationsverhalten den technischen Möglichkeiten an.

Noch liest Lukas (10) gerne. Augenblicklich wieder ein wenig mehr. Seine weitere Freizeit verbringt der Gymnasiast aus dem 2. Wiener Gemeindebezirk hinter dem Computer, indem er auf Youtube Kurzfilme der japanischen Manga-Serie „Naruto“ schaut oder sich Songs und Klingeltöne fürs Handy runterlädt. Sein derzeitiger Favorit ist We will rock you. Allerdings in der japanischen Version.
Gelegentlich spielt Lukas auch mit seinem Freund Luca (12), der in Ottakring am anderen Stadtende wohnt, Fußball. Nicht auf dem grünen Rasen, sondern virtuell auf dem Xbox-Live-Channel. Dabei unterhalten sich die beiden via Headset, meist über gemeinsame Freunde, seltener über das gespielte Spiel.
Dass sich Jugendliche heutzutage nicht mehr persönlich treffen, beschreiben deutsche Psychologen als Massenphänomen. Für die Teens sei es ganz selbstverständlich, ihre sozialen Kontakte übers Internet zu pflegen. Die Gründe dafür sehen die Wissenschaftler im fokussierten Interesse für andere Personen. Nicht ihre Ganzheit, sondern lediglich der Austausch von Gedanken stehe im Zentrum, wodurch temporäre Begegnungen via Internet oder Handy völlig ausreichen. Letztlich hätte man bei diesen Kontakten die Kontrolle, um sich rechtzeitig auszuloggen, wenn einem etwas nicht passt.
Dabei passen sich die Jugendlichen der schrittweisen zeitlichen Entwicklung an. Trotz einer Vielzahl technischer Möglichkeiten zeigen sich bei den Teenagern abhängig vom Alter sehr unterschiedliche Tendenzen.

Im Netz ist immer was los
Die heute 15-Jährigen bestätigen beispielsweise, dass „Mailen ziemlich out ist“. Sie versenden lieber Dutzende SMS, chatten mit mehr als drei Freunden gleichzeitig oder telefonieren so lange, bis die Leitung abbricht. Schlimmstenfalls rufen sie halt nochmals an. Nicht wenige nutzen zur Kontaktpflege auch ausschließlich Facebook. Einfach um dazuzugehören.
Die 24-Stunden-Unterhaltung stellt für Pädagogen das eigentliche Problem dar. Während ein Buch nach rund 300 Seiten ein Ende findet oder ein Film nach gut zwei Stunden aufhört, ist im Netz immer was los.
Für Lukas stellt dieses noch kein Objekt der Begierde dar. Lieber genießt er den Freiraum, der ihm in seiner Sommerresidenz in Tulln zur Verfügung steht. Auf dem Land scheint der persönliche Kontakt noch ein wenig wichtiger zu sein. Und dort telefoniert er auch mit seinem Vater, wenn dieser beruflich im Ausland weilt. Über Skype, um ihn zu se­hen, obwohl er resigniert feststellt: „Meistens ist er gerade unterwegs, und dann seh’ ich ihn auch nicht.“

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Kindergarten-Alarm

Kindergarten-Alarm

Familie, ja bitte. Kinder, ja bitte. Unsere Damen und Herren Politiker geben sich zwar sehr familienfreundlich, aber die Realität schaut anders aus. Erstens bedeutet ein Kind meist langfristig, dass die Mutter entweder nicht mehr in ihrem alten Job oder nur noch Teilzeit arbeiten kann, sofern man die Kinder nicht von sieben Uhr früh bis 18 Uhr in einer Kindertagesheimstätte verfrachtet. Die es de facto wiederum gar nicht gibt, denn die Öffnungszeiten der Kindergärten unterstützen nicht gerade berufstätige Eltern. Zweitens muss man von Glück sagen, wenn man in Zeiten wie diesen überhaupt erst einmal einen Kindergartenplatz für sein Kind ergattern kann. Drittens sind die Kindergärtnerinnen, schlecht bezahlt und wenig motiviert aufgrund mieser Rahmenbedingungen wie etwa zu große Gruppen und unzureichende Räumlichkeiten, wohl nicht wirklich in der Lage, den Nachwuchs so zu betreuen, wie man es sich als Elternteil wünscht. Viertens streiten Bund und Länder: Der Bund will einheitliche Kindergartenstandards – solche gibt es übrigens sogar für den Tierschutz in Österreich. Die Länder wollen ihre Kompetenzen nicht aufgeben, dafür aber mehr Geld vom Bund. Fünftens wird es ab Herbst noch schlimmer. Denn dann kommt das verpflichtende Kindergartenjahr für alle Fünfjährigen bundesweit. Die Empfehlung kann nur lauten, keine Kinder mehr zu bekommen oder am besten einfach nach Frankreich oder Schweden auszuwandern.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Verantwortungs bewusstes Sparen

Verantwortungs bewusstes SparenIBM

Thomas Grimm: „Die Unternehmen können sich nachhaltiges Wirtschaften auch in Krisenzeiten leisten. Denn werden die Logistik- und Produktionsprozesse umweltfreundlich optimiert, dann bedeutet das auch geringere Kosten“, erklärt der IBM-Experte für Nachhaltigkeit.

economy: Warum beschäftigt sich IBM so intensiv mit Nachhaltigkeit?
Thomas Grimm: Alle Organisationen sind heute gefordert, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen. Als weltgrößtes Beratungsunternehmen können wir das Thema nicht ignorieren.

Wer kann sich Nachhaltigkeit in Zeiten der Krise leisten?
Nachhaltiges Wirtschaften hat den angenehmen Nebeneffekt, dass es auch Kosten spart. Optimiert ein Unternehmen seine Produktion nachhaltig, dann nutzt es die eingekauften Rohstoffe besser, reduziert den Energieverbrauch und vermeidet toxische Stoffe. Das bedeutet auch geringere Kosten beim Rohstoffeinkauf, beim Energieverbrauch und bei der Entsorgung. Und auch die nachhaltige Logistik reduziert Kosten.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
In den USA haben wir die Ersatzteilversorgung von VW optimiert. Da geht es um die Zusammenstellung der Transporte: Die dringend benötigten Teile kommen auf den Lkw; was Zeit hat, kann umweltfreundlich und kostengünstig per Schiff oder Bahn transportiert
werden.

IBM beschäftigt sich auch mit der energietechnischen Optimierung von Gebäuden.
Ja. Wir haben etwa für Migros Ostschweiz die Effizienz ihres gesamten Immobilienparks verbessert. Da geht es unter anderem um Produktionsbetriebe der Genossenschaft, um Shoppingmalls und Supermärkte sowie Hotels und Wellnesscenter. Migros Ostschweiz hatte den selben Energiespar- und Umweltauftrag wie die anderen vier Migros-Genossenschaften in der Schweiz. Die wählten aber den klassischen Ansatz und griffen zu Einzelmaßnahmen. Mit unserem ganzheitlichen Ansatz „IT for Green“ konnten wir wesentlich bessere Ergebnisse erzielen – beim Stromverbrauch um etwa 15 Prozent, beim Wasser gar 40 Prozent.

Was bedeutet „IT for Green“?
Üblicherweise werden die Einzelsysteme der Gebäudetechnik zwar optimiert, aber nicht aufeinander abgestimmt. Man muss ein Gebäude jedoch ganzheitlich sehen. Wir haben ein zentrales Kontroll- und Steuersystem installiert, das alle Faktoren wie die Beleuchtung und die Klimaanlage zueinander in Beziehung bringt.

IBM berät nicht nur Unternehmen, sondern hat im öffentlichen Bereich etwa die City-Maut in Stockholm umgesetzt. Wie lautet Ihr Fazit?
Ein großer Erfolg. Der Privatverkehr ging um 25 Prozent zurück, die Luft wurde besser, und das öffentliche Verkehrssystem wurde durch den weniger dichten Verkehr beschleunigt. Das Wichtigste ist aber: Die Bürger von Stockholm sind mit dieser Lösung zufrieden. Sie haben sich klar für die Beibehaltung des Mautsystems ausgesprochen.

Welches Nachhaltigkeitsthema kommt als Nächstes auf uns zu?
Smart Metering. Es geht um den Einsatz intelligenter Stromzähler, die dem Netzbetreiber melden, wer wann wie viel Strom verbraucht. Damit könnte die Netzauslastung besser geplant werden.

Was hat die Netzauslastung mit Nachhaltigkeit zu tun?
Mehr als die Hälfte des in Österreich produzierten Stroms wird gar nicht verbraucht. Dieser Strom verpufft ungenutzt als Wärme. Würden wir die benötigten Strommengen kennen, könnten wir die Energieproduktion besser steuern.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Facebook-Familie

Facebook-Familie

Ich verfolgte die Wettbewerbe der Olympischen Winterspiele in Vancouver via Livestream. Das Renngeschehen? Komplett egal. Das eigentlich Interessante fand neben dem Bild statt. Mich faszinierten die im Sekundentakt publik gemachten Facebook-Kommentare zu den sportiven Leistungen. So sammelte ich von vier Wettbewerben 1424 Anmerkungen. Das Ergebnis? Wintersport stellt ein Thema dar, bei dem alle mitreden können; Skirennen besitzen einen viel höheren Emotionalisierungsgrad als die Weitenjäger vom Schanzentisch. Knapp 15 Prozent unternahmen bei den Alpinen den Versuch des schriftlichen Anfeuerns. Weitere 15 Prozent äußerten sich mit wortkargen Ausrufen wie „Uiii“, „Jaaa“ oder „Jössas“. Völlig wertlos jene, die Zeitrückstand oder Platzierung dokumentierten (acht Prozent). Hilflos auch die, die sich in Prognosen übten (knapp 25 Prozent). Eventuell erwartete Zustimmung von anderen fand kaum statt. Vielmehr war es ein fröhliches Kommunikationsnebeneinander wie in den 70er Jahren, als die Familie noch gemeinsam vor dem Fernseher saß. Facebook präsentierte sich als Familien­ersatz vereinsamter Singlehaushalte, wobei der kollektive Tratsch für den Zusammenhalt der Community sorgt. Der Anschein, dass sich keiner was zu sagen hat, dies aber alle massenhaft tun, trügt. Es gibt auch die Heinz Prüllers mit ihren zweifelhaften Kommentaren (25 Prozent). Nur meine Angst, bei Facebook etwas zu verpassen, ist völlig unbegründet.

26.03.2010

Der Weg des Dialogs

Der Weg des DialogsChristian Jungwirth

Breite Forschungsbasis für Spitzenleistungen, Unterstützung der neuen Venture-Capital-Initiative von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, der Stellenwert von Grundlagenforschung und neue Anreize für den Forschungsstandort Österreich. Dazu die Themen Studentendemonstrationen, Zugangsbeschränkungen an den Unis, Anforderungen von Massenuniversitäten, „Bologna reloaded“ und ein Herz für die forschungsgeleitete Lehre. Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Gespräch mit economy.

Cengiz Kulac, der ÖH-Vorsitzende der Uni Graz, bezeichnete die europäische Bologna-Konferenz in Wien Mitte März als das „Kopenhagen der Bildungspolitik“ und fordert weiterhin „eine lebendige Protestkultur“. Die Konferenz fand anlässlich des Abschlusses der ersten Phase zur Schaffung eines europäischen Hochschulraumes statt. Im Mittelpunkt stand dabei auch die Bewertung des Bologna-Prozesses. Über die aktuellen Hochschulthemen sprach economy mit der neuen Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP).

economy: Österreich verfolgt im Bereich Wissenschaft und Forschung die sogenannte „Exzellenz-Strategie“: Wo sehen Sie Österreichs Schwerpunkte?
Beatrix Karl: Österreich kann im Forschungs- und Entwicklungsbereich auf eine sehr positive Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren verweisen. Jetzt gilt es, diese Investitionen zu sichern und dort Maßnahmen zu setzen, wo die Exzellenz im Land gehalten werden soll, zum Beispiel in der Quantenphysik. Dort konnte sich Österreich im vergangenen Jahrzehnt an die Weltspitze setzen. Diese Spitzenposition zu verteidigen ist unsere gemeinsame Aufgabe. Aber auch im Bereich der Astrophysik haben wir mit dem Beitritt zur Europäischen Südsternwarte ESO Akzente gesetzt. Weitere Stärkenfelder der heimischen Forschung sind im Bereich der Materialwissenschaften, Nanowissenschaften und Molekularbiologie zu finden. Aber auch der geistes- und sozialwissenschaftliche Bereich hat sich hervorragend entwickelt, oder auch der Computational-Bereich. Da denke ich beispielsweise an den Wittgenstein-Preisträger 2009 Gerhard Widmer. Diese Breite muss gewahrt bleiben, weil nur eine breit aufgestellte Forschungsbasis für Spitzenleistungen sorgen kann.

Welchen Stellenwert besitzt für Sie Grundlagenforschung? Stichwort: Ohne Grundlagenforschung keine Innovation – wie stehen Sie dazu?
Grundlagenforschung ist die Basis des gesamten Innovationssystems. Ein starker und unabhängiger FWF (Österreichs zentrale Einrichtung zur Förderung der Grundlagenforschung, Anm. d. Red.) in enger Kooperation mit den Universitäten und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist die beste Voraussetzung für die internationale Konkurrenzfähigkeit Österreichs als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort. Ich werde mich im Rahmen des FTI-Strategieprozesses der Bundesregierung für die weitere Stärkung der Grundlagenforschung in Österreich einsetzen.

Der FWF wurde mit einem starren und eingeschränkten Budget für fünf Jahre ausgestattet, was de facto eine Reduktion bei der Grundlagenforschung bedeutet. Wie stellen Sie sich da die Zukunft vor?
Zu den Zahlen: Dem FWF stehen zwischen 2009 und 2013 rund 800 Mio. Euro zur Verfügung. Aus dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung bekommt der FWF jährlich 160 Mio. Euro. Das sind im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren 25 Prozent, also ein Viertel, mehr an Mitteln. Die Neubewilligungssumme wird in den kommenden Jahren auf dem Niveau der vergangenen Jahre gehalten. Auch wenn die „Rekordsumme“ aus dem Jahr 2008 (183 Mio. Euro, Anm. d. Red.) nicht erreicht wird, ist die Finanzierung neuer Forschungsprojekte in den nächsten Jahren absolut sichergestellt. Zudem wurde die relativ krisenanfällige Konstruktion von Sondermitteln und schwer planbaren Stiftungsmitteln in ein verlässliches Regularbudget umgewandelt. Auch wenn wir uns alle noch mehr Mittel für den FWF wünschen – im Rahmen der derzeitigen wirtschaftlichen Situation wurde das Beste für den FWF herausgeholt.

Immer noch nur rund ein Fünftel der antragsberechtigten Forscher stellt FWF-Anträge. Viele meinen, FWF-Projektfinanzierungen seien zu schwierig. Ist dem so, beziehungsweise warum nur so wenige? Können Anreizsysteme wie bei der Uni Wien, wo der Overhead-Anteil an die Wissenschaftler geht, etwas ändern?
Der Weg der wettbewerbsorientierten Einwerbung von Drittmitteln hat sich in der Vergangenheit bewährt und soll daher auch fortgesetzt werden. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein FWF-Projekt erhalten, ist dies auch eine Qualitätszertifizierung ihrer wissenschaftlichen Arbeit, auf die sie stolz sein können. Zu den Overheads: Aus budgetären Gründen musste Johannes Hahn sie 2009 wieder abschaffen, nichtsdestotrotz bleiben sie ein wesentlicher Bestandteil meiner Forderungen im Rahmen einer neuen FTI-Strategie.

Zur Medizinforschung: Hier gibt es immer wieder Klagen, dass aufgrund von fehlenden Ressourcen keine Forschung möglich sei. Dazu kommt die Gratwanderung zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung, wo es im Falle einer Beteiligung eines Pharmaunternehmens dann keine Grundlagenforschung mehr ist und es in der Folge etwa vom FWF kein Geld mehr dafür gibt. Das Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, kurz Cemm, direkt am AKH in Wien ist ein erster Schritt, hier eine Art Kompromiss zu schaffen. Wie sehen Sie diese Situation und Entwicklung, auch im Konnex mit den anderen Medizin-Standorten?
Ihre generelle Feststellung würde ich nicht unterschreiben. Laut Statistik Austria beliefen sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2007 für die Humanmedizin in Österreich auf mehr als 568 Mio. Euro. Zieht man die Zahlen des FWF für 2007 heran, so gingen rund 20 Prozent der bewilligten FWF-Fördermittel, rund 30 Millionen Euro, an die humanmedizinische Forschung. Es stimmt, dass die Förderungen durch den FWF primär auf die Grundlagenforschung ausgerichtet sind, es gibt aber auch eine Programmschiene für translationale Forschung, durch die anwendungsorientierte Projekte gefördert werden.
Das Forschungszentrum für Molekulare Medizin hat sich in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich entwickelt. Es gibt aber auch weitere positive Beispiele: An der Medizinischen Universität Graz befindet sich die derzeit die größte Gewebebiobank Europas. Zudem gibt es eine Reihe von Ludwig-Boltzmann-Instituten und Christian-Doppler-Labors, die in enger Zusammenarbeit insbesondere mit den Medizinischen Universitäten Forschung betreiben.

Forschungsförderungsinstitutionen wie Austria Wirtschaftsservice, kurz AWS, fordern die Schaffung von „öffentlichem“ Venture Capital zur Finanzierung von Forschung- und Entwicklungsprojekten. Ihr Amtsvorgänger Johannes Hahn hat diese Forderung mit Hinweis auf bereits laufende Regierungsgespräche unterstützt und zum Beispiel auf den Biotech-Bereich hingewiesen, wo mit aktuellen Finanzierungsinstrumenten kein Auslangen zu finden ist. Wie ist der aktuelle Stand? Ist das noch ein Thema, und wie denken Sie darüber?

Wirtschaftsminister Mitterlehner hat erst im Februar neue Impulse für Innovationen in der heimischen Wirtschaft über die Förderungsbank AWS gesetzt. Die Venture-Capital-Initiative stellt insgesamt 15 Mio. Euro Risikokapital für junge Hightech-Unternehmen zur Verfügung. Damit leistet AWS einen weiteren Beitrag, um die in diesem Bereich bestehende Finanzierungslücke zu traditionellen Finanzierungsinstrumenten wie zum Beispiel dem Kredit zu schließen und die Realisierung Erfolg versprechender Ideen zu unterstützen.
Als Wissenschaftsministerin unterstütze ich meinen Kollegen Mitterlehner – und das im besten Sinne des Wortes nicht ganz uneigennützig: Denn viele der jungen Unternehmen stammen direkt oder indirekt aus den Universitäten. Daher ist es mir ein Anliegen, dass dieser Bereich durch diese Initiative über AWS gefördert wird.

Spitzenforscher wie Josef Penninger äußern immer wieder Reue, nach Österreich zurückgekommen zu sein. Was wollen Sie tun, damit Österreich für Forscher und Spitzenforscher noch attraktiver wird?
Entsprechende Rahmenbedingungen sind für Forscherinnen und Forscher essenziell, keine Frage. Österreich leistet daher einen entsprechenden Beitrag und kann Top-Forscherinnen und Forscher in Österreich halten beziehungsweise nach Österreich holen. Erst jüngst hat auch Wittgenstein-Preisträger Jürgen Knoblich die Rahmenbedingungen gelobt.
Josef Penninger ist es gelungen, mit dem von ihm geleiteten Forschungsinstitut IMBA am Campus Vienna Biocenter ein anregendes Milieu zu schaffen. Der Campus kann als ein erfolgreiches Beispiel eines Inkubators für exzellente Forschungsarbeit und Innovation im Bereich Life Sciences gesehen werden. Daher plant das Wissenschaftsministerium gemeinsam mit der Stadt Wien auch, über die nächsten zehn Jahre zusätzlich in Geräteinfrastruktur an diesem Standort zu investieren. Damit ist die Ausstattung des Campus mit modernster Technologie gewährleistet, und die Bedingungen für die Forschenden werden weiter verbessert.

Was planen Sie, um die immer wieder vorkommende Abwanderung von jungen Forschungstalenten zu verhindern?
Grundsätzlich ist die Mobilität von Forscherinnen und Forschern sehr positiv und bringt neue Impulse. Gerade die Forschung hat viel dazu beigetragen, dass Barrieren und Grenzen abgebaut wurden. Wir haben auch entsprechende Programme, etwa das Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendium. Es ermöglicht jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Österreich die Mitarbeit an führenden Forschungseinrichtungen im Ausland. Um den Forschungsstandort Österreich für junge Forscherinnen und Forscher attraktiv zu machen, braucht es wie bereits erwähnt passende Rahmenbedingungen und Anreize, die wir auch entsprechend setzen.

Kommen wir zu den Universitäten: Wie wollen Sie die derzeitige verfahrene Situation an den Unis in den Griff bekommen, Stichwort alte Lehrpläne, massive Überlastung. Mit einer alleinigen Zugangsbeschränkung ist es wohl nicht getan, oder?
Ich sehe keine verfahrene Situation an allen Unis – wir haben sehr viele gut funktionierende Studiengänge. Probleme haben wir vor allem in den Massenfächern. Hier gilt es, bereits in der Studienwahlberatung anzusetzen. Jede Maturantin und jeder Maturant soll Bescheid wissen, welche Möglichkeiten es an den Unis gibt. Weiters bedarf es Maßnahmen bei der Bologna-Umsetzung. Dazu habe ich im Rahmen der Bologna-Konferenz in Wien unter dem Motto „Bologna reloaded“ ein Zehn-Punkte-Programm präsentiert.

Sie haben Gesprächsbereitschaft in Hinblick auf die Ihnen gegenüber kritisch gegenüberstehenden Studenten gezeigt und einen Tag vor dem Meeting mit den „Uni-Besetzern“ Ihre Pläne zur Zugangsbeschränkung veröffentlicht. War das als „taktischer Schuss vor den Bug“ geplant, und wie wollen Sie den Konflikt in den Griff bekommen?
Ich habe bereits bei meinem Amtsantritt betont: Mein Weg ist der Weg des Dialogs. Ich habe aber auch klare Meinungen und Positionen. Den Dialog habe ich bisher gelebt, etwa gab es gleich zu Beginn meiner Amtszeit ein Treffen mit der ÖH-Spitze, und ich war bei der akademischen Fragestunde der ÖH und der protestierenden Studierenden. Auch wenn ich mit den Studierenden in einigen Punkten nicht einer Meinung bin – wichtig ist der Austausch, die Diskussion. Es ist zudem vor allem meine Verantwortung, als zuständige Ministerin Pläne vorzulegen, um die Probleme in den Massenfächern in den Griff zu bekommen und die Qualität an den Unis weiter zu steigern.

Wenn es schon nicht genug Platz an den Unis gibt, warum werden nicht zuerst ausländische Studierende mit strengen Zugangskriterien faktisch „abgewehrt“?
Die Mobilität der Studierenden ist grundsätzlich sehr begrüßenswert und bekanntlich auch ein konkretes Ziel des Bologna-Prozesses. In manchen Fächern haben wir vermehrt Zustrom aus dem Ausland, etwa gibt es viele junge Deutsche, die in Österreich Medizin studieren möchten. Hier gibt es eine Quote, sodass für österreichische Studierende ein fixes Kontingent an Studienplätzen zur Verfügung steht. Das ist etwa in Hinblick auf die künftige medizinische Versorgung wichtig. Ich sage aber auch klar: Ich möchte, dass Studierende zu uns kommen der guten Bildung und Ausbildung wegen – nicht, um vor dem Numerus clausus zu flüchten.

In Deutschland gibt es den Numerus clausus, außerdem werden die Studenten je nach Studium bestimmten Unis bundesweit zugeteilt. Können Sie sich das langfristig auch für Österreich vorstellen?
Einen Numerus clausus für Österreich schließe ich aus. Eine konkrete Zuteilung von Studierenden ist derzeit nicht angedacht.

Stichwort Studiengebühren: Wäre es denkbar, dass Unis die Höhe von Studiengebühren selbst festsetzen können? Und wenn, welche Höhe wäre dabei denkbar?
Ich habe bereits mehrfach betont: Aus meiner Sicht sind Studienbeiträge sinnvoll, sie sind derzeit aber – auch aufgrund der fehlenden politischen Mehrheit – kein Thema. Sollte die SPÖ über ihren Schatten springen und, wie auch etwa die OECD empfiehlt, für Studienbeiträge stimmen, wird man auch über die Höhe diskutieren. Für mich steht jedenfalls außer Frage: Studienbeiträge müssen Hand in Hand mit einem Ausbau des Stipendienwesens gehen.

Sind Zugangsbeschränkungen unbedingte Voraussetzung für Studienplatzfinanzierung an den Unis, oder ist auch eine andere Übereinkunft denkbar?  
Es gibt im internationalen Vergleich kaum ein Land, in dem die Studienplatzfinanzierung nicht im weitesten Sinne auch an gewisse Kapazitäten geknüpft ist. Die Frage ist: Was ist ein Studienplatz? Ist bereits jeder Studierende, der inskribiert ist, zu zählen? Oder wird ein gewisses Maß an Wochenstunden oder die Anzahl von Prüfungen herangezogen? Oder orientiert man sich an den Absolventenzahlen? Wir müssen uns bei der Studienplatzfinanzierung also zunächst mit der Definition von „Studienplätzen“ beschäftigen, eng verknüpft mit den Ressourcen und Studierendenzahlen.

Ist Studienplatzfinanzierung bei den nächsten Leistungsvereinbarungsverhandlungen ein Thema?  
Derzeit laufen in meinem Ministerium – wie auch im Regierungsprogramm vorgesehen –Vorarbeiten in Richtung Studienplatzbewirtschaftung. Man wird sehen, wie weit sie bis zum Beginn der nächsten Leistungsvereinbarungsverhandlungen fortgeschritten sind.
 
Wie steht es mit den Grundlagen vonseiten der Unis: Ist eine Kosten- und Leistungsrechnung bei den Unis bis dahin vorhanden? 
Die Kosten- und Leistungsrechnung ist grundsätzlich ein Instrument, das den Unis helfen soll, ihre Mittel optimal einzusetzen und die tatsächlichen Kosten zu berechnen. Insofern sehe ich die Kosten- und Leistungsrechnung als eine von mehreren wichtigen Voraussetzungen für die Unis …

… zu denen auch der neue Uni-Kollektivvertrag gehört. Sind Sie zufrieden damit? Wissenschaftler kritisieren, die Excellenz steht wieder nicht im Mittelpunkt, das schafft eh jeder.
Der Uni-Kollektivvertrag wurde zwischen dem Dachverband der Unis und der Gewerkschaft nach sechs Jahren unter Dach und Fach gebracht und war ein wichtiges Signal für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Alle 21 Unis haben zugestimmt – auch der Anschub- beziehungsweise Teilfinanzierung durch das Wissenschaftsministerium. Die Unis haben sich in Eigenverantwortung für den Kollektivvertrag entschieden – diese Verantwortung erwarte ich mir von den Unis nun auch bei der Umsetzung.

Wie steht es mit der Stundenbelastung von Uniangestellten: Wie viel Zeit bleibt für Forschung, wie viel für Lehre? Sie sprachen in einem Interview mit der Zeitung „Die Presse“ von nötigen Reparaturen.
Die forschungsgeleitete Lehre liegt mir – gerade auch, weil ich selbst jahrelang Professorin an der Uni war – ganz besonders am Herzen. Es darf zu keiner Trennung von Forschung und Lehre kommen. Lehre und Forschung bedingen einander. Wir müssen aber auf ein Gleichgewicht achten. Den teils großen Anstieg bei der Zahl an Lektoren, die natürlich notwendig sind, um die Anforderungen der Massenuniversität zu bewältigen, sehe ich nicht ganz unproblematisch. Lektoren sind zweifelsfrei sehr wichtig, und sie machen eine sehr gute Arbeit an unseren Universitäten. Aber die Lehre kann nicht alleine von Lektoren bewältigt werden.

Die 40-Prozent-Frauenquote ist mit der letzten UG-Novelle ab 1. Oktober 2009 in Kraft getreten. Wie läuft die Entwicklung?
Wir hatten bereits ein erstes positives Beispiel: In der Curriculum-Kommission der Fakultät für Bauingenieurwesen der Uni Innsbruck wurde der Frauenanteil von null auf 44 Prozent gesteigert. Klar ist aber: Quoten allein sind zu wenig, es braucht weitere Maßnahmen. Im Wissenschaftsministerium gibt es zahlreiche Frauenförderungsmaßnahmen. Wir müssen vor allem auch das Bewusstsein weiter stärken.

Wie geht es mit der von Johannes Hahn gestarteten Initiative für gesetzliche Rahmenbedingungen zur Absicherung des Forschungsstandortes weiter?

Ich nehme an, Sie sprechen das von Gio Hahn initiierte Forschungsfinanzierungsgesetz an. Dazu laufen im Ministerium die entsprechenden Vorarbeiten für einen Entwurf. Klar ist auch, dass wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen müssen. Ich bin aber optimistisch, weil sich auch der Finanzminister für das Forschungsfinanzierungsgesetz ausgesprochen hat.

Stichwort Cern: Johannes Hahn wollte austreten, Werner Faymann hat nach Intervention von Erwin Pröll, der Angst um den Forschungsstandort Wiener Neustadt hatte, Nein gesagt. Wie denken Sie über Cern?
Das Cern ist sicherlich eine spannende Forschungseinrichtung. Aber auch die Umsetzung zahlreicher Forschungsprojekte von der European Roadmap wäre absolut wünschenswert. Bides gleichzeitig schaffen wir budgetär leider nicht. Nun müssen wir bei der European Roadmap eben Abstriche machen.

Was sagen Sie als Wissenschaftsministerien zu den wiederholten milliardenschweren Bankunterstützungen und der parallelen überaus restriktiven Budgetpolitik im Bereich Wissenschaft und Bildung?
Man kann gar nicht genug in Wissenschaft und Forschung investieren. Sie können sicher sein, dass ich um jeden Cent kämpfen werde. Aber wir dürfen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht aus den Augen verlieren. Und es ist auch nicht zielführend, Äpfel mit Birnen zu vermischen und einzelne Bereiche gegeneinander auszuspielen.

Was haben Sie sich für Ziele und Aufgaben gesteckt – kurzfristig und langfristig für die gesamte Legislaturperiode?
Für mich ist zentral, dass wir die Qualität an den Hochschulen weiter ausbauen und den Forschungsstandort Österreich weiterhin stärken, um auch auf europäischer Ebene und international mitspielen zu können. Ebenfalls Schwerpunkte sind die Frauen- und Nachwuchsförderung.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

Die Suche nach sozialer Gerechtigkeit

Die Suche nach sozialer GerechtigkeitDie Grünen

Alexander Van der Bellen: „Es werden immer mehr Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer haben werden, die ein sehr hohes Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko haben werden“, stellt der Volkswirtschaftsprofessor und Parlamentarier fest.

economy: Es gibt heute kein gutes politisches Kabarett mehr. Es stellt sich die Frage, ob das deswegen der Fall ist, weil sich das Kabarett ohnehin live im Parlament und in bestimmten Bereichen der Politik abspielt. Wie sehen Sie das?
Alexander Van der Bellen: Ja, spontan genauso. Nicht unbedingt im Parlament, aber wenn man sich anschaut, was beispielsweise in Kärnten über die Bühne geht … zwölf Mio. Euro für ein mündliches Gutachten, was dann auf sechs Millionen reduziert wird – und das geht einfach so durch. Feixende Landeshauptmänner und Landesräte, die sich freuen, dass Kärnten bei dem Hypo-Deal eh nicht draufgezahlt hat – nur alle anderen. Bei solchen Szenen und dergleichen mehr muss man schon sagen, dass es ein Kabarettist heutzutage schwer hat.

Auf Youtube ist ein Ausschnitt einer Parlamentsdebatte zu sehen, in dem Sie vor einem Jahr Heinz-Christian Strache recht launig vorgerechnet haben, dass er die Auswirkungen seiner Vorschläge zur Steuerpolitik nicht wirklich beurteilen kann. Das war ja auch ein Renner.
http://www.youtube.com/watch?v=A5zGtR55hjI

Als wir aufgehört haben zu zählen, gab es bereits mehr als 60.000 Zugriffe. Das war ja nicht geplant, das hat sich aus der Situation ergeben. Meine Fraktion hat mich als Redner zu der dringlichen Anfrage der Freiheitlichen nominiert, und bei dem Versuch, mit dem Antragsteller Strache zu diskutieren, hat sich herausgestellt, dass keinen blassen Schimmer hat, was er da eigentlich meint. Und das habe ich dann doch mit Genuss ausgekostet.

Aber wie geht es Ihnen in solchen Situationen wirklich? Bleibt Ihnen da nicht manchmal das Lachen im Hals stecken?

Ach nein. Aus guten Gründen lege ich keinen Wert auf meine zahlreichen Titel, und ich sitze im Parlament auch nicht als Professor, sondern als Abgeordneter. Wir Hyperakademiker haben ja die Weisheit nicht gepachtet. Dazu kommt noch, dass über volkswirtschaftliche Fragen, die ja mein Fachgebiet sind, eher selten diskutiert wird. Im Fall Strache ging es ja darum: Kann er Millionen von Milliarden unterscheiden, und weiß er, wie viel drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind? Das sind ja keine akademischen Fragen.

Sie haben ja damals auch, als Ihnen Überheblichkeit in der Argumentation unterstellt wurde, geantwortet, dass es keine Überheblichkeit darstelle, die Grundrechnungsarten zu beherrschen. Aber ein denkender Mensch mit fachlichem Hintergrund muss doch manchmal verzweifeln, oder?
Also, ich möchte das nicht überbewerten. Da ging es ja nicht um Grundsätze der Republik, das war mehr eine Routineauseinandersetzung. Es hat allerdings Zeiten gegeben, wo man die FPÖ in solchen Sachfragen ernster nehmen konnte und musste. Ich erinnere mich nicht ungern an die Einführung des Euro. Damals hat Jörg Haider Susanne Riess-Passer vorgeschickt, um die Nicht-Einführung argumentativ zu vertreten. Da war ich oft in Gegenpositionen zu ihr, aber ich habe immer gerne und mit Vergnügen mit ihr diskutiert. Unter dem Strich habe ich ihre Argumente nicht geteilt, aber es waren Argumente, mit denen man sich auseinandersetzen konnte und musste. Im Gegensatz, und das sage ich immer ganz spöttisch, zu den deutschen Universitätsprofessoren, die die FPÖ damals eingeflogen hat: Das waren ganz simple D-Mark-Fetischisten, und weiter war da gar nichts dahinter. Riess-Passer und ich waren zwar unterschiedlicher Meinung, aber wir konnten als intelligente Menschen darüber streiten.

Kommen wir zu Ihrem Fachgebiet Volkswirtschaft. Wir haben nun schon das Platzen einiger sogenannte Blasen erlebt. Auf welche weiteren müssen wir uns in den nächsten Jahren denn noch gefasst machen? Da scheint ja noch einiges zu gären.
Leider ja. Aber das ist sehr schwer einzuschätzen, weil, wie sich im Fall Griechenland gezeigt hat, die Stimmung auf den Finanzmärkten innerhalb kürzester Zeit massiv umschlagen kann. Die Situation Griechenlands hat sich in den letzten acht Wochen nicht viel verändert im Vergleich zu November oder Dezember 2009. Und plötzlich war die Aufmerksamkeit voll auf die Datenfälschungen gerichtet, auf die jahrelange Schlamperei und die Nichtanpassung an die nicht abwertbare Währung, jedenfalls von Griechenland nicht abwertbar, auf die Nichtanpassung der Löhne und Gehälter et cetera. Und auf einmal stellt sich die Frage: Wird Griechenland im März oder April zahlungsunfähig sein?

Wie schätzen Sie das ein?
Ich halte das für eine psychologisch übertriebene Reaktion, der die Ökonomen traditionell immer hinterherhinken, weil man so was nicht voraussehen kann. Warum ist das jetzt geplatzt und nicht zwei, drei oder fünf Jahre früher? Aber mit einiger Sicherheit kann man sagen: Die Verschuldungskrise wird uns weiterhin begleiten, und wir werden laufend Finanzierungsfragen zu lösen haben. Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo so viele Staaten, im Grund genommen die gesamte industrialisierte Welt, gleichzeitig derartige Kreditbedürfnisse hatten wie derzeit. Da ist Griechenland, verglichen mit den USA oder Großbritannien, nur ein Zwerg.

Und es gibt Anzeichen, dass auch das boomende Wirtschaftswachstum Chinas auf einer Schuldenbasis aufbaut, und wenn das stimmt, dann ist das keine Blase, sondern ein kleines Universum.

Ja, wenn das stimmt. Die Betonung liegt auf „wenn“. Auch hier gilt: schwer zu sagen. Wenn man einmal in China war, dann ist man schon beeindruckt, in welch atemberaubendem Tempo sich das Land entwickelt. Wenn man sich vorstellt: Das Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten 20 Jahren bei Wachstumsraten von zehn Prozent oder darüber gelegen, verdoppelt sich demnach alle sieben Jahre. Also ich sehe momentan nicht, dass die nächste Krise von China ausgehen wird. Worauf wir uns zweifellos einstellen müssen, ist, dass China und Indien die Industrienationen des 21. Jahrhunderts sein werden und dass Europa, also die EU, gut daran tun wird, die inneren Strukturen zu überdenken und die Entscheidungsfähigkeit zu verbessern.

Wo genau sollte da Ihrer Ansicht nach angesetzt werden?
Ich denke, dass wir mit den Entscheidungsprozessen in der EU große Schwierigkeiten kriegen werden. Als zum Beispiel im Herbst 2008 die Bankenkrise ausgebrochen ist, hat die EU zunächst unkoordiniert, dann aber ganz gut koordiniert reagiert, obwohl es dafür gar keine Vertragsgrundlagen gibt. Das waren alles Gentlemen’s Agreements: also sich abzusprechen, dass man Defizite zulässt, dass die automatischen Stabilisatoren wirken sollen et cetera. Das waren gute Beschlüsse, aber eben nächtliche Kaminbeschlüsse. Wir haben in der EU keine Wirtschaftsregierung, keinen Finanzminister; wir haben zwar eine Außenministerin, aber jeder weiß, dass es keine gemeinsame Außenpolitik gibt. Und wie gesagt: Vor allem die Verschuldung und die Zinsbelastung in öffentlichen Haushalten und die notwendigen Konsequenzen auf der Ausgaben- und Einnahmenseite werden uns vor eine riesige Herausforderung stellen.

Damit sind wir bei den Auswirkungen des sogenannten Neoliberalismus. Ich sage „sogenannt“, weil es noch immer genug Machtinteressen und Regulative gibt, die dem Begriff des „Liberalismus“ diametral entgegenstehen. Wie würde denn Ihrer Einschätzung nach Adam Smith, der ja ein Moralphilosoph und gar kein Wirtschaftswissenschaftler war, auf die heutigen Auswirkungen reagieren?
(lacht) Was Adam Smith dazu sagen würde, kann ich nicht sagen.

Und was würden Sie selbst dazu sagen, wenn Sie Moralphilosoph wären?
Bei den Banken sehe ich ein geradezu unmoralisches Verhalten, was die Gier nach kurzfristigen Profiten betrifft. Aber im Wesentlichen registriere ich ein erstaunliches Versagen der Institutionen. Wir haben doch alle seit Jahrzehnten gewusst, dass Unternehmen, zum Beispiel auch Banken, die wissen, dass sie nicht pleitegehen können, dem Problem des „Moral Hazard“ (moralische Versuchung durch eine Versicherung gegen ein Risiko, Anm. d. Red.) unterliegen, dass sie sich also so verhalten, wie sie sich ohne eine derartige Versicherung nicht verhalten würden. Wenn man ihnen jedes Risikio abnimmt, dann lassen sie sich auf riskantere Geschäfte ein. Das ist absolut nichts Neues.

Das ist ja auch nicht liberal.
Aber woher! Das hat auch mit neoliberal gar nichts zu tun, im Gegenteil. Das ist einfach nur blöd. Mein Lieblingsbeispiel ist immer die Entwicklung der Subprime-Hypotheken-Krise in den USA. Dass da keiner aufgeschrien hat: So geht das nicht! Dass nämlich kleinere Banken, meist in ländlichen Gebieten, Vertreter ausgeschickt haben, die die Leute überredet haben, eine Hypothek aufzunehmen, um ein neues Haus zu bauen oder das alte zu renovieren. Oft gab es überhaupt kein Haus, und das war eine reine Betrugsgeschichte. Und diese Vertreter wurden nach Umsatz bezahlt. Das heißt, je mehr Hypothekarverträge sie angeschleppt haben, desto mehr haben sie verdient. Wenn ich so ein System habe, darf ich mich nicht wundern, wenn der Vertreter im Lauf der Zeit sich überhaupt nicht mehr darum schert, ob der Kunde nach menschlichem Ermessen fähig sein wird, die Annuitäten zu bezahlen.

So ein Vertreter ist aber das kleinste Rädchen in diesem Getriebe.
Der Vertreter hat völlig rational gehandelt – er hat sein Einkommen maximiert. Das kann man unmoralisch nennen, aber die Moral ist keine ökonomische Kategorie. Doch warum haben die Banken das gemacht? Weil sie gewusst haben, sie können das Risiko weiterreichen. Sie können Pakete schnüren, Tausende von Hypotheken zu einem Paket zusammenschnüren und an andere Banken weiterverkaufen. Was zunächst auch vernünftig klingt, weil Risikostreuung immer besser ist als Risikokonzentration. Nur war das in dem Fall keine Risikostreuung, sondern es hat niemand mehr gewusst, wie hoch das Risiko denn überhaupt ist. Aber dadurch, dass die Kette immens lang war, hat entlang dieser Kette niemand unvernünftig gehandelt, weil er das Risiko ja losgeworden ist. Das ist eindeutig ein Versagen der Aufsicht, dass sie nicht erkannt hat, in welches systemische Schlamassel das führt.

Vielleicht auch im Vertrauen auf die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die das schon richten wird?

Das kann schon was mit neoliberaler Ideologie, die in den 80er und 90er Jahren weit verbreitet war, zu tun haben, und eben mit dem geradezu irrationalen Glauben, der Markt werde sich selber richten. Der Markt richtet sich schon selber – wenn man ihn lässt! Eine Schuhfabrik, die nur blaue Schuhe produziert, wenn grüne gefragt sind, wird pleitegehen. Aber wenn man weiß, dass die Schuhfabrik so wichtig ist, dass sie nicht pleitegehen darf, dann muss man sich rechtzeitig überlegen, wie man das verhindert. Und das war bei den Banken das Problem – und ist bis heute das Problem.

Da schwingt ja eine interessante Doppeldeutigkeit mit, wenn man sagt: Der Markt richtet sich selbst.

(lacht) Das kann man wohl sagen.

Schwenken wir zum Thema „Energiepolitik“: Die EU als Ganzes richtet sich auf den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien aus, und in Österreich haben wir in den letzten drei, vier Jahren absoluten Stillstand gehabt. Was ist da los gewesen?

Das kann ich mir selbst kaum beantworten. Denn abgesehen vom Treibhauseffekt und der Klimaveränderung gäbe es ja wesentliche sicherheitspolitische Gründe, stärker auf erneuerbare und damit heimische Energieträger umzustellen – also auf Wind, Wasser, Biomasse, Solarenergie. Langfristig muss man sehen, dass wir, auch wenn der Zeitpunkt strittig ist, in den kommenden Jahrzehnten aus Öl und Gas aussteigen müssen; und wenn es nicht gelingt, die CO2-Problematik dort zu beherrschen, auch aus der Kohle.

Sie sprechen den Rückgang der Produktion bei Öl und Gas an.

Ja, genau, denn egal, wann jetzt Peak Oil oder Peak Gas tatsächlich kommt oder vielleicht schon war, da geht es vorrangig auch um die Versorgungssicherheit. Wie oft sollen sich Russland und die Ukraine noch um die Gaslieferungen streiten, bis wir draufkommen, wie riskant es ist, nur von einem Anbieter abhängig zu sein?

Dazu kommt: Wenn die Ölproduktion einmal rückläufig ist, wird sich weltweit die Nachfragekonkurrenz nach Gas verschärfen. Die Frage wird dann sein: In welche Weltregionen werden die Gaslieferungen daraufhin gehen? Gehen die weiterhin nach Europa oder verstärkt in den asiatischen Raum?
So ist es. Deshalb müssten wir schon aus Gründen der Sicherheit und der Risikosteuerung alles tun, und zwar jetzt und sofort beginnend, Energieeffizienz zu erhöhen, namentlich in der Wärmedämmung – ein Sechstel aller Treibhausgase stammt aus der Raumwärme. Wir müssten andere Autos fördern. Nichts gegen das Auto, ich bin auch darauf angewiesen, aber wir könnten heute schon flächendeckend mit Autos fahren, die nur mehr vier bis sechs Liter verbrauchen und nicht zehn bis 15. Und dieser Wechsel muss steuerlich gefördert werden.

Und auch Forcierung der Elektromobilität, sprich: Forcierung von Elektroautos?
Ja, natürlich. Immer vorausgesetzt, dass wir den Strom auf vernünftige Weise, also mit erneuerbaren Energien, erzeugen. Auch da ist die Technologie ja bereits vorhanden, die ist uralt. Ich kann mich erinnern: In den Donald-Duck-Heften der 50er Jahre ist ab und zu auch Oma Duck vorgekommen, und die fuhr ein Elektromobil aus dem Jahr 1895 oder so.

Wir waren bei der Thematik, dass Österreich diese Energiewende nicht aktiv mitmacht.
Genau, denn es ist ja so: Da eröffnen sich weltweit Milliardenmärkte, und wer als Erster den Fuß in der Tür hat, der hat natürlich einen Wettbewerbsvorteil – und wer als Letzter kommt, hat einen Wettbewerbsnachteil. Aber in Österreich wird diese Entwicklung von der Politik systematisch verschlafen. Immerhin: Einzelne Firmen haben das sehr wohl erkannt. Einige Beispiele: Fronius in Oberösterreich, ein hervorragend geführtes Familienunternehmen, zählt zu den Weltmarktführern in der Fotovoltaik: Das Unternehmen stellt Wechselrichter her, um den erzeugten Gleichstrom in Wechselstrom umzuwandeln. Oder die Firma Solon im Tiroler Wipptal, die Solarkraftwerke baut: Als ich vor fünf Jahren mit einigen Grünen dort war, waren wir die ersten Politiker, die dieses Werk überhaupt wahrgenommen haben. Innsbruck ist nur 30 Kilometer entfernt, aber die Landespolitiker haben dafür kein Interesse. Aber das ist insofern verständlich, als dieses Unternehmen typischerweise eine Exportquote von 100 Prozent hat. Ein österreichischer Markt existiert nicht. Das ist eben ein neuer Markt, und der entsteht nur, wenn die öffentliche Hand vorübergehend dafür sorgt, dass über große Stückzahlen in der Folge auch die Produktionskosten sinken. Deutschland, Spanien, Italien und andere Länder haben das gemacht, und dort stehen dann auch die Kraftwerke.

Und diese Länder haben ja sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Ja, aber in Österreich wurde mit dem unsinnigen Ökostromgesetz über Jahre verhindert, dass Ökostromanlagen errichtet werden können. Jetzt hat die Politik beim Wind ein wenig nachgebessert, aber Fotovoltaik interessiert sie nach wie vor nicht.

Da kann ich auch noch ein paar Beispiele nennen. Das steirische Unternehmen Elin Motoren produziert Komponenten für Windkraftanlagen – Exportquote ebenfalls 100 Prozent. Die Klagenfurter Windtec konzipiert Windräder und verkauft diese in Lizenz – die sind beim Windkraftboom in China voll dabei: Jedes dritte chinesische Windrad wird mit einer Windtec-Lizenz gebaut. Das sind alles Exportschlager, die niemand zu interessieren scheinen.

So ist es. Und weil Sie China erwähnen: Die haben in den klassischen Umweltfragen – Luftverschmutzung, Smog in den Städten et cetera – einen riesigen Nachholbedarf; das sieht man mit freiem Auge, wenn der Wind zu schwach ist. Aber die wissen auch, dass sie im 21. Jahrhundert nicht mit der Energiepolitik des 20. Jahrhunderts fahren können werden, und investieren deshalb gewaltig in Know-how für erneuerbare Energien. Und es ist sehr schade, dass Österreich diese Chancen, die von der Unternehmensstruktur durchaus gegeben sind, nicht wahrnimmt. Das Einzige, wo wir – mit Verzögerung – richtig gut sind, das ist die Biomasse, Pelletsheizung und dergleichen, und teilweise gut in allem, was Know-how, Dienstleistungen, technische Anlagen et cetera in der Wärmedämmung und im Bau von Passivhäusern betrifft. Allen voran sind hier die Vorarlberger zu nennen, die schon vor Jahren die Wohnbauförderung in Richtung Energieeffizienz ausgerichtet haben.

Zum Schluss noch eine generelle Frage: Was muss in den nächsten 20 bis 30 Jahren geschehen respektive sich ändern, damit wir wieder von sozialer Gerechtigkeit und einem guten Leben träumen können?
(lacht) Also, zunächst einmal müssen wir auf vernünftige Weise die Budgetdefizite unter Kontrolle halten, damit wir nicht in die Zinsenfalle geraten. Die Griechen haben für die Staatsanleihe, die sie soeben erfolgreich abgesetzt haben, einen Coupon von 6,1 Prozent angeboten, Österreich bietet rund vier Prozent; das geht ordentlich ins Geld, wenn man das über zehn, zwölf oder 15 Jahre rechnet. Aufgrund des Mengeneffekts haben wir deshalb schon in den nächsten Jahren – bei ohnehin steigender Verschuldung – mit Zusatzkosten in Milliardenhöhe bei den Zinsausgaben des Bundes zu rechnen. Gleichzeitig existieren die alten Probleme weiter: Wir müssen mehr Geld ausgeben für die Kindergärten, für Schulen, Universitäten, den ganzen Bildungssektor.

Können Sie die Bildungsproblematik genauer beschreiben?
Seit Jahren, ja Jahrzehnten begleitet uns dieses Problem: Was man im Kindergarten versäumt – zum Beispiel bei Kindern mit nicht deutscher Muttersprache –, wird man in der Volksschule schwer und danach schon gar nicht nachholen können. Wir wissen, dass ein Fünftel aller Schulabgänger unzureichend lesen und schreiben kann. Das muss man sich vorstellen: Ein Fünftel eines Jahrgangs – das sind 15.000 bis 20.000 Personen. Die kommen jedes Jahr neu dazu.

Ein kumulativer Effekt also.
Ja, es werden immer mehr Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer haben werden, die ein sehr hohes Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko haben werden. Und die mit nicht deutscher Muttersprache sind dort überrepräsentiert. Wir züchten uns hier hausgemachte Probleme heran, von denen wir wissen sollten, dass sie uns spätestens in zehn bis 20 Jahren auf den Kopf fallen werden.

Und wie soll das finanziert werden?
Ich gehe so weit zu sagen: Okay, wenn das Geld nicht da ist, müssen wir eben ein paar Steuern erhöhen, denn da geht es um wesentliche Zukunftsaufgaben. Da geht es – bildhaft ausgedrückt – nicht um einen kleinen Wasserschaden in der Küche, sondern da leckt das Dach; und das muss repariert werden, sonst ist in ein paar Jahren das ganze Haus kaputt. Das sind also Dinge, die auf der Hand liegen und gar keine großen ideologischen Fragen sein sollten, sondern schlicht pragmatische Notwendigkeiten.

Noch ein letzter Punkt?
Wir brauchen eine vernünftige Einstellung zur Zuwanderung. Sozialminister Hundstorfer sagte in einer Ausschusssitzung so nebenbei, dass in Österreichs Spitälern Menschen aus 60 Nationen arbeiten. Nehmen wir das einmal zur Kenntnis, dass wir unsere Spitäler zusperren könnten, wenn wir diese Ausländer nicht hätten. Und was täten wir in der Altenbetreuung ohne die berühmten slowakischen und ungarischen Pflegerinnen und Betreuerinnen? Länder, die sich abschotten wollen, können das machen, aber sie werden ökonomisch zurückfallen.

Sie selbst sind ja für das Thema Zuwanderung ein gutes Beispiel.
Ja, denn ich weiß selbst nie, wie ich mich bezeichnen soll: Menschen, die nicht österreichische Eltern haben und in Wien geboren wurden – sind das die Immigranten der zweiten Generation? Ich bin auch so ein Typ; und ich finde nicht, dass ich ein Parasit im Körper der Republik gewesen bin oder heute bin.

Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010

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