Kampf um die Zukunft hoch drei
Michael Adam Eine Alphafrau auf Pferden, ein echter Wiener in der Moschee, eine Skiläuferin im Rollstuhl – die drei 21-Jährigen sind die Gesichter des neuen Österreich. Dass die wirtschaftliche Zukunft unsicher ist, wissen sie. Sie studieren dennoch, was ihnen Spaß macht.
Mehmet Kocak schwankt noch. Zwischen seinem Wunsch nach einem sicheren Job und dem nach Selbstständigkeit. Krisenfest wäre das Bundesheer. Die Alternative: eine eigene Medienfirma gründen.
Julia Rohrdorfer (Anm.: Name von der Redaktion geändert) hofft, irgendwann eine bezahlte Arbeit zu bekommen. Dafür muss sie wohl auswandern. Denn sie studiert Pferdewissenschaften, und Arbeit mit Pferden wird in Österreich maximal mit Kost und Logis entgolten.
Auch Claudia Lösch reizt das Risiko, finanziell und überhaupt. Sie studiert Politikwissenschaft und will Journalistin werden. Derzeit ist sie Skirennläuferin und gewann gerade zwei Goldene bei den Paralympischen Spielen in Vancouver.
Wie die Millennials ticken
Mehmet Kocak, Julia Rohrdorfer und Claudia Lösch sind 21 Jahre alt. Sie stehen exemplarisch für circa 100.000 weitere 21-Jährige, die in Österreich leben. Wie ticken diese jungen Erwachsenen, was wollen sie, wovon träumen sie? Soziologen bezeichnen sie als die Millennium-Generation. Die Definition variiert, aber meist sind damit die zwischen 1980 und 2000 Geborenen gemeint. Für die Jüngeren kursieren auch die Begriffe Net Generation und Digital Natives – das sind jene Kinder und Jugendlichen, die mit Computer und Handys aufgewachsen sind und die Zeit, in der es diese Dinge noch nicht gab, gar nicht erlebt haben.
Mit 21 ist man erwachsen, rechtlich gesehen. Doch oft noch von der Familie abhängig, finanziell betrachtet. Von den drei hier zu Wort kommenden 21-Jährigen wohnen zwei bei ihrer Familie, eine lebt unabhängig in der Stadt, in der sie studiert. Bildungsmäßig liegen sie über dem Durchschnitt ihrer Altersgenossen. Zwei studieren, einer beendet gerade eine HTL für Mediendesign.
„Otur, canım“, sagt Mehmet Kocak zum x-ten Mal zu seiner kleinen Schwester. „Setz dich, mein Schatz.“ Der breitschultrige Kerl mit dem durchtrainierten Körper bringt für die Vierjährige eine Engelsgeduld auf. Er hat sie zum Interview ins Café mitgenommen, weil sie sich zu Hause gelangweilt hatte. Wie wird sich seine Schwester in 30 Jahren sehen, wenn sie vielleicht verheiratet ist und Kinder hat? „Sicher als Österreicherin“, sagt Mehmet. „Sie ist hier geboren, sie hat nie in der Türkei gelebt.“
„Ich bin ein echter Wiener“
Ein Wendepunkt in seinem Leben war, als ihm eine Freundin sagte, warum sie ihn gern habe. Weil er so offen sei. Und weil er viele Fremdwörter benutze. Da wurde ihm bewusst, dass er wirklich hierher gehört. „Ich bin ein Teil dieser Gesellschaft“, erkannte er. „Ich bin doch nicht bloß ein Türke, ein Typ mit Migrationshintergrund.“
Sein Vater hat sich geärgert, als Mehmet als Bub alle möglichen Schulfreunde heimbrachte: den Thomas ebenso wie den Mohammed aus Afghanistan. Damals riet ihm der Vater, nur türkische Freunde zu haben. Weil er selber sich früher nur auf seine Landsleute stützen konnte, wenn er Hilfe benötigte. Doch für Mehmet sieht die Welt ganz anders aus. Er ist in der türkischen Community – in der Moschee, in die sein Vater geht – genauso daheim wie in der „österreichischen“ Kultur. „Ich bin ein echter Wiener.“
Probleme gibt es natürlich. „Das österreichische Schulsystem ist scheiße“, sagt Mehmet. Er ist in eine Volks- und Hauptschule mit hohem Ausländeranteil gegangen. Dort hat er zu wenig gelernt. Die Lehrerin meinte, seine Eltern sollten ihm doch bei den Hausaufgaben helfen. Doch seine Mutter spricht kein Deutsch, sein Vater nur so viel, wie er in seinem Job auf Baustellen braucht. Das ist meist ein Befehlsform-Deutsch: „Tu dies. Mach das.“
Mehmets – die dritte – Migrantengeneration habe sich alles weitgehend selber beigebracht. Die Eltern würden ihre Kinder aber nach Kräften finanziell unterstützen und sie ermahnen, nur ja in die Schule zu gehen und keinen Blödsinn zu machen. „Ihr könnt mehr erreichen als wir“, schärfen türkische Eltern ihren Kindern ein. „Steckt eure Ziele so hoch, wie ihr könnt.“
Die Millennium-Generation in den Industrieländern in Europa und Nordamerika ist zunehmend multikulturell, bedingt durch die Migration. Die sei für Europa überlebensnotwendig, betonen Demografen und weitsichtige Industrielle immer wieder. Die Frage ist, wie viele Chancen den Einwanderern und ihren Kindern eingeräumt werden. Österreich baut selbst gegenüber hoch qualifizierten Einwanderern oft demütigende Hürden auf. Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft ist eine Lebenserfahrung für Migranten und ihre hier aufwachsenden Kinder. Obwohl die sich „österreichisch“ fühlen und so behandelt werden wollen – deshalb lehnen viele von ihnen den soziologischen Begriff „Migrationshintergrund“ ab. Dabei könnte die Zweisprachigkeit und multikulturelle Erfahrung jungen Leuten wie Mehmet Chancen einräumen, die „monokulturelle“ Österreicher nicht haben. Entscheidend ist aber, ob Unternehmen die Chancen ergreifen, die ihnen multikulturelle Arbeitskräfte bieten. Oder ob Mehmet nur innerhalb der türkischen Community Websites erstellen kann.
Auch Frauen haben hinreichend Erfahrung mit Diskriminierung. Noch immer verdienen Frauen nur rund zwei Drittel so viel wie Männer. Selbst bei gleich guter Ausbildung, in vergleichbaren Positionen. Berufe mit einem besonders hohen Frauenanteil werden im Allgemeinen besonders niedrig entlohnt.
Julia Rohrdorfer ist sich des Dilemmas bewusst: „Ich mache mir Sorgen, dass ich mein Leben lang immer nur für Essen und Wohnung arbeiten werde müssen und mir nie ein eigenes Pferd leisten können werde.“ Sie studiert Pferdewissenschaften an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. Dafür gibt es maximal 50 Studienplätze pro Jahr. Den Studentinnen – bis auf zwei Männer nur Frauen – wurde bei Studienbeginn eingehämmert, dass sie sich keine Jobs erwarten könnten. „Ich reite, seit ich sechs bin“, sagt Julia. „Ich will unbedingt mit Pferden arbeiten.“ Einen Plan B hat sie nicht. Sie weiß nur, dass sie nach dem Studium auswandern wird. Nach Deutschland, Holland oder England – dort gibt es Arbeit auf Pferdegestüten und in Zuchtbetrieben.
Lukrative Jobs nur für Schöne
Um sich die meist unbezahlten Praktika leisten zu können, jobbt sie. Die einzigen halbwegs lukrativen Jobs gibt es im Bereich Promotions – aber nur, wenn man gut aussieht. Sie könnte auch als Model arbeiten und für ihr gutes Aussehen abcashen. „Überlegt habe ich es mir schon“, gesteht sie. „Aber da müsste ich mir fünf Kilo runterhungern, das war es mir bisher doch nicht wert.“ Julia sieht sich eher als Managerin eines Gestüts denn als Model. Eine Alphafrau also. Das bedeutet aber, dass sie gegen das Frauenbild der ganzen Pferdebranche ankämpfen muss. Denn das ist durch die freiwillige Arbeit verzerrt, die Tausende von Mädchen in Pferdeställen leisten. Sie striegeln die Pferde und misten die Ställe aus, jahrelang und unbezahlt, nur um ihren geliebten Tieren nahe zu sein.
„Papa, das will ich auch!“
Auch Claudia Lösch ist eine, die tut, was sie will. Sie studiert Politikwissenschaft und Italienisch in Innsbruck und will Journalistin werden. Damit steht ihr ein harter Kampf ums finanzielle Überleben bevor. Doch Kämpfen ist sie gewohnt. Sie ist Profisportlerin. Bei den Paralympischen Winterspielen in Vancouver hat sie eben vier Medaillen – zweimal Gold, einmal Silber, einmal Bronze – errungen.
Als sie fünf war, erlitt Claudia bei einem Autounfall eine Querschnittslähmung. Seither ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Doch das hat ihren Bewegungsdrang nicht gestoppt. Als Kind war sie Torfrau und kletterte auf Klettergestelle. Als sie acht war, sah sie im Fernsehen einen Bericht über die Ski-WM für Behinderte in Lech am Arlberg. „Ich habe sofort geschrien: ‚Papa, das will ich auch machen!‘“, erzählt sie. Er ermöglichte ihr Skikurse beim behinderten Profisportler Andreas Schiestl. Der erkannte ihr Talent und riet ihr zum Rennfahren.
Nun lebt sie in zwei Welten: Als erfolgreiche Rennläuferin auf Skipisten in aller Welt und als einfache Studentin im Rollstuhl. Dass die Leute auf der Straße sie anschauen –
und dabei oft blöd dreinblicken – daran hat sie sich gewöhnt. Dass jedoch ein Uniprofessor jedes Mal wegsah, wenn sie sich zu Wort meldete, war schlimm. Nach einer Vorlesung sprach sie ihn darauf an. Er sagte, er wisse nicht, wie er mit ihr reden solle. „Ganz normal“, sagte sie. Seither sei die Kommunikation zwischen ihnen okay.
Menschen mit Behinderungen haben in den vergangenen Jahren viel erkämpft. Sie haben bauliche Barrieren in alten Universitätsgebäuden überwunden und sich ein Studium ertrotzt. Einige wurden Abgeordnete im Parlament und haben so geholfen, Bewusstsein und Gesetze zu verändern. Doch wie offen sind Medienunternehmen, wenn eine Reporterin im Rollstuhl TV-Nachrichten präsentieren möchte?
Demografen prognostizieren einen großen Arbeitskräftemangel in einigen Jahren. Vielleicht wird erst der Abgang der alten Machos den Aufstieg der Frauen in gute Positionen, mit gleicher Bezahlung wie für Männer, ermöglichen.
Mehmet, Julia und Claudia stehen stellvertretend für eine Generation mit viel Potenzial. Die Zeit wäre reif für – Change.
Economy Ausgabe 82-03-2010, 26.03.2010