Eisbären stricken und auftrennen
Tricky Women/Sarah Cox Animationsfilme sind Kunst, Unterhaltung oder beides, und sie können politische Botschaften prägnant vermitteln. Ein von Al Gore beauftragter Kurzfilm der britischen Filmerin Sarah Cox kann alles gleichzeitig. Auch der Wiener Games-Hersteller Sproing ist mehrdimensional.
Ein blauer Planet im Universum, wie ein Wollknäuel. Plötzlich umkreisen drei Flugzeuge das Wollknäuel und ziehen Fäden. Sie trennen die gestrickte Erde auf. Erst die Polarkappen. Dann einen Eisbären mitsamt seinem Eis. Dann Fische und die Pflanzen im Meer. Dann eine Ente mitsamt dem Wasser, in dem sie schwimmt. Zuletzt werden Bäume und Blätter aufgetrennt, und am Ende steht der Satz: „Don’t let it all unravel.“ Lass nicht zu, dass sich alles auflöst.
Der zweiminütige Film der britischen Filmerin Sarah Cox wurde 2008 auf dem „Tricky Women“-Animationsfilmfestival in Wien gezeigt und gewann den ersten Preis. Jetzt läuft er im Technischen Museum in Wien in einer Ausstellung über den Klimawandel. Der Film von Cox gehört zu einer Serie von Kurzfilmen, die von Live Earth, einer vom Filmproduzenten Kevin Wall und dem früheren US-Vizepräsidenten Al Gore gegründeten Organisation, in Auftrag gegeben wurden.
Heikle Dinge darstellen
„Animationsfilme eignen sich besonders gut, um heikle Dinge sensibel darzustellen“, sagt Waltraud Grausgruber, Organisatorin des „Tricky Women“-Festivals, das 2011 zum zehnten Mal veranstaltet wird. „Es gibt etwa einen Film über Missbrauch, den man auch Jugendlichen zeigen kann, weil er nicht ganz so direkt ist.“
Im künstlerischen Bereich, besonders im experimentellen, sind einige Österreicher und Österreicherinnen sehr erfolgreich. Allen voran Maria Lassnig, Grande Dame der österreichischen Malerei, die als Professorin an der Angewandten 1982 das Studio für Experimentelle Animation gegründet und eine Reihe von Zeichentrickfilmen produziert hat.
„Aber ich würde das nicht trennen – hier Kunst, dort Kommerz“, sagt Grausgruber. Der Animationsbereich werde in Österreich völlig unterschätzt. Das riesige wirtschaftliche Potenzial werde nicht erkannt. Zwar gebe es viele talentierte Leute, die Basis-Know-how erworben haben – an der FH Hagenberg etwa oder an den Kunstuniversitäten. Um sich aber weiterzuentwickeln und vor allem, wenn man Geld damit verdienen will, müsse man ins Ausland. Nach England, Frankreich, in die USA, aber auch nach Tschechien oder Polen – viele der früher kommunistischen Staaten haben im Animationsbereich eine lange Tradition.
Im Raum Stuttgart blühe derzeit die kreative Industrie, so Grausgruber. Rund 600 Leute arbeiten in Österreich in der Computergrafik, sagt Kris Staber, Charakter-Animator und Betreiber des CG-Forums, einer Plattform für die Branche. In Wien gibt es ein paar erfolgreiche Spielehersteller, allen voran Sproing Interactive Media. Das 2001 gegründete Unternehmen habe derzeit 50 Beschäftigte und bisher 40 Spiele entwickelt, so Sproings Lead Artist Hector Moran. Darunter ist Panzer Tactics, mit dem Sproing 2008 den Deutschen Entwicklerpreis gewann, aber auch – gewissermaßen am anderen Ende des ideologischen Spektrums – das Spiel Sea Manager, das mit Greenpeace entwickelt wurde, und das „Mädchenspiel“ Mein Gestüt – ein Leben für die Pferde.
Männerfilme, Frauenfilme
Bei aller Vorsicht vor geschlechtsspezifischen Kategorisierungen – sie scheinen dennoch zu existieren. „Tricky Women“ ist das einzige auf Frauen spezialisierte Animationsfilmfestival. Beim Prix Ars Electronica gebe es auch den Bereich Computeranimation – aber der sei mehr auf Computertechnik ausgerichtet und viel „männlicher“, meint Waltraud Grausgruber. Der gestrickte Eisbär dagegen ist ganz offensichtlich weiblich. „Ich habe jede Person, von der ich wusste, dass sie stricken kann, gebeten, mir zu helfen – alles Frauen“, sagte Sarah Cox der New York Times. „Meine Mutter, meine Produzentin und ihre Mutter, Freundinnen, Freundinnen von Freundinnen.“
Auch die japanische Künstlerin Maya Yonesho arbeitet mit einer Technik, die auf den ersten Blick altmodisch wirkt. Mit gezeichneten Bildern, der ältesten Methode, Bilder zum Laufen zu bringen. Ihre Daumenreise-Workshops bietet sie mittlerweile von Taiwan bis Polen an. Entstanden sind sie in Wien. Yonesho flanierte durch Wien und zeichnete, was ihr auffiel. Die Klimt-Häuser natürlich, das Riesenrad und aufgeschnittene Mozartkugeln. Daraus entstand der Film Wiener Wuast. Der hätte, gerade auch wegen seiner Klischees, kommerzielles Potenzial – wenn ihn die Wien-Werbung entdecken würde.
Economy Ausgabe 84-05-2010, 28.05.2010