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03. Juli 2024

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Europa macht an Boden gut

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Die drei größten staatlichen Forschungsförderstellen der USA verteilen 2010 mehr als 100 Milliarden Dollar. Das European Research Council hält mit einem Bruchteil dagegen. Doch die ERC-Strategie wird in Übersee mit Interesse verfolgt, weil Europa damit gezielt seine Elite aufbaut.

Wer sein Forschungsprojekt von den National Institutes of Health (NIH) finanziert bekommt, hat in den USA eine Art Initiationsritus geschafft. Mit einem Budget von 31 Mrd. Dollar plus 10 Mrd. Dollar aus dem Wirtschaftshilfspaket der Regierung hat die Förderstelle für medizinische- und Biotechforschung gut fünf Mal so viel Geld an der Hand wie das European Research Council (ERC) im gesamtem siebten Forschungsrahmenprogramm, und das streckt sich immerhin über sechs Jahre. Ein direkter Vergleich ist jedoch nur bedingt zulässig. Die NIH erhalten aus ihrer Kasse immerhin ganze Krankenhäuser und Forschungseinrichtungen. Fest steht, dass viele Mediziner, die eine Forschungskarriere anvisieren und bei den NIH wiederholt leer ausgehen, oft die akademische Laufbahn in Richtung Industrie verlassen.

Risikoscheue Projektauswahl
Trotz strenger Review-Verfahren füllen die Kritikpunkte an der Förderstrategie des NIH eine lange Liste. Einerseits würden risikoreiche Projekte vermieden, etwa in der Krebsforschung, und zu viel Forschungsvorarbeit verlangt, wodurch das Durchschnittsalter der Erstantragsteller in die Höhe getrieben würde. Andererseits sollen im Rahmen eines Starthilfeprogramms Zuschläge an Jungforscher vergeben werden, ohne ausreichend auf Exzellenz zu achten. Unter dem neuen NIH-Chef, dem Molekularbio­logen Francis Collins, wird nun in einem ersten Schritt das Peer Review-System überholt.
Wer es durch die Reviews der NIH schafft, hat mitunter die Chance, ein medizinisches Großprojekt zu starten. Wie etwa Pamela Douglas, Gefäßforscherin an der Duke University. Mit einem Etat von 5,5 Mio. Dollar konnte sie sich im letzten Jahr die höchste von den NIH vergebene Projektfinanzierung sichern. Zum Einsatz kommt das Geld bei einer Studie über die Wirksamkeit computertomografischer Angiografien, Anzahl der teilnehmenden Patienten: 10.000.


Die Superantragsteller

Insgesamt rund ein Fünftel der staatlich finanzierten Grundlagenforschung wird in den USA von der National Science Foundation (NSF) abgewickelt, der heuer ein Etat von 6,9 Mrd. Dollar zukommt. Von den 40.000 Projektanträgen pro Jahr sind rund 11.000 erfolgreich, Stipendien nicht eingerechnet. Von Seiten des Energieministeriums kommen noch rund 26 Mrd. Dollar hinzu, damit gilt es zwar auch für den Betrieb von 19 Forschungseinrichtungen aufzukommen. Eine Finanzspritze aus dem Stimuluspaket über knapp 39 Mrd. Dollar gibt Ener­gieminister und Physik-Nobelpreisträger Steven Chu jedoch einige Flexibilität an die Hand.
Den größten Teil des NSF-Kuchens sicherte sich 2009 das ozeanografische Forschungsinstitut Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) in Massachusetts. Insgesamt 136 Projekte und 103 Mio. Dollar wurden vom NSF bewilligt, ein ansehnlicher Teil des Geldes stammt auch hier aus dem letzten Wirtschaftshilfspaket der Regierung.

Europas strenge Auslese
In Europa schöpft das ERC aus dem größten Fördertopf. Die Geldbeschaffung über die Starting und Advanced Investigator Grants eignet sich aber nicht für jedermann. Von 9167 Einreichungen bei der ersten Ausschreibung wurden gerade einmal 200 finanziert. Die äußerst niedrige Erfolgsquote gilt allerdings auch als Garant dafür, nur die Besten zu erreichen. Verlangt werden von den Jungwissenschaftlern für die mit bis zu zwei Mio. Euro dotierten Starting-Etats drei bis acht Jahre Forschungserfahrung nach dem Doktorat, womit sich das Durchschnittsalter der Einreicher auf 36 Jahre hochschraubt. Ein recht großer Erfahrungssprung ist für die mit bis zu 3,5 Mio. Euro dotierten Advanced Grants notwendig, deren Antragsteller im Schnitt 53 Jahre alt sind. Dass sich Europa mit dem ERC vom Förderungsprinzip Gießkanne verabschiedet, wird in den USA längst mit Interesse verfolgt: zuletzt im Juli, als die EU zusätzliche 6,4 Mrd. Euro für Forschung bis Ende 2011 freigab. Wenngleich es beim Anteil der Forschungsausgaben am BIP in Europa noch hapert und die EU weiterhin für ihre Bürokratie verrufen ist, scheint aus Sicht der USA eines außer Zweifel zu stehen: dass das ERC mit seinen beiden Förderprogrammen gezielt Europas Forschungs­elite stärkt.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Steuermann im Kundendienst

Steuermann im Kundendienst

Die intelligente Verteilung von Anfragen im Unternehmen verbessert die Servicequalität deutlich.

Gerade in Branchen, die auf langfristig gute Beziehungen zum Kunden angewiesen sind – wie etwa bei Telekommunikationsanbietern oder Versicherungen –, spielt die schnelle Reaktion auf Anfragen oder Beschwerden eine zentrale Rolle für den Geschäftserfolg. Call Center haben mittlerweile einen sehr hohen Grad an Professionalität erreicht und wickeln die Masse der Kundenkontakte befriedigend ab.
Aber die Vorstellung, dass allein das Call Center die Last der Kundenbeziehungen trägt, ist irreführend. Tatsächlich sind bei Vertragserstellungen, Reklamationen und anderen kundenbezogenen Prozessen meist vier bis sechs Abteilungen im Unternehmen involviert.

Unzufriedene Kunden
Die daraus resultierende hohe Komplexität macht es schwierig, die­se Prozesse zu managen, und führt oft zu aus Kundensicht nicht nachvollziehbaren Problemen, wie etwa unbefriedigende Auskünfte oder Verzögerungen bei der Beantwortung von schriftlichen Anfragen. Derartige Fehlleistungen sind aber für den Kunden ebenso ärgerlich wie ein fehlerhaftes Produkt. Sie wirken sich negativ auf die Kundenzufriedenheit aus und gefährden damit die langfristige Bindung an das Unternehmen.
Um auch komplexe Prozesse erfolgreich abschließen zu können, müssen die Verfahren, die sich im Call Center bereits bewährt haben, auf das gesamte Unternehmen ausgedehnt werden. Das ermöglicht iWD (intelligent Workload Distribution) von Genesys. Der Anbieter von Kundenbeziehungsmanagement- und Call Center-Software, der zu Beginn dieses Jahres von Alcatel-Lucent übernommen wurde, verspricht die Effizienz und Transparenz der kundenbezogenen Prozesse über das gesamte Unternehmen hinweg zu verbessern.

Steuerzentrale
Die intelligente Arbeitsverteilung iWD fasst alle eingehenden Kundenkontakte unabhängig vom benutzten Kanal – Telefon, SMS, E-Mail, Chat, Web-Formular oder Fax – auf einer zentralen Aufgabenliste zusammen und verteilt sie im Unternehmen weiter. Damit wird das Pull-Prinzip, bei dem die Angestellten sich ihre Aufgaben selbst holen, durch das Push-Prinzip ersetzt: Am Bildschirm des Mitarbeiters erscheint nach Erledigung einer Aufgabe die nächste. Die Aufgaben werden dabei nach ihrer Priorität geordnet, damit wird sichergestellt, dass Anrufer nicht zu lange in der Warteschleife hängen oder dass eine per E-Mail gestellte Anfrage nicht verloren geht.
Bei der Verteilung der Arbeit werden auch Wissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter berücksichtigt. Einfache Anfragen werden im Call Center erledigt, schwierigere Fälle automatisch an die Spezialisten in den Fachabteilungen weitergeleitet. Zusätzlich wird die Auslastung der Mitarbeiter verbessert. Im Call Center etwa werden die Phasen mit wenig eingehenden Anrufen genutzt, um die eingelangten E-Mails zu bearbeiten.
Freenet, der größte alternative Telefon- und Internetanbieter Deutschlands, konnte laut André Schnack mit iWD die durchschnittliche Bearbeitungszeit einer Anfrage um rund 30 Prozent reduzieren und die Produktivität des Call Centers insgesamt um 20 Prozent verbessern. Außerdem sanken die Nachbearbeitungskosten um ein Viertel, betont der Managing Director der Call Center-Tochter von Freenet. Das bedeutet, dass Kundenanfragen deutlich häufiger bereits bei der ersten Kontaktaufnahme zufriedenstellend beantwortet werden.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Die einzige Moral ist der Gewinn

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Der Homo Oeconomicus ist ein Kind seiner Zeit. Rational, nutzenmaximierend, anti-intellektuell – und reduzierten Zielvorstellungen des persönlichen und unternehmerischen Vorteils folgend. Ein Individuum, das im Zeitalter der Globalisierung seine Bestimmung hatte.

Das Kernelement des menschlichen Verhaltens mit dem Ziel des Eigennutzes wird am besten im Modell des Homo Oeconomicus beschrieben. Es ist im Grunde eine Wirtschaftstheorie, die – vom Individuum losgelöst – das Verhalten von Menschen in einem ökonomiegetriebenen Umfeld beschreiben will.
Es geht darum festzustellen, wie Menschen auf bestimmte Wirtschaftsbedingungen reagieren, mit dem Ziel, das Angebot auf die erwarteten Bedürfnisse und Reaktionen abzustimmen.
Doch der Homo Oeconomicus kann auch von dieser Sichtweise abgekoppelt betrachtet werden. Seine Grundcharakteristika, nämlich das auf Eigennutz abgestimmte Verhalten, das rationale Denken und klare soziale Lösungen, sind beschreibend für den Erfolgsmenschen im Börsezeitalter und der Ära der Globalisierung.

Profit als Moral
Man kann es auch verkürzt darstellen: Des Homo Oeconomicus einzige Moral ist der Profit, sei es der persönliche oder jener der Unternehmung, die er leitet. Dies steht im Gegensatz zum sozialen Menschen, der darüber hinausgehende Moralbegriffe hat und verfolgt.
Das führt in weiterer Folge dazu, dass ein Homo Oeconomicus „vo­raussagbar“ ist, wie der Sozialwissenschaftler Gebhard Kirchgässner sagt. Sein soziales Verhalten könne als „gegenseitig desinteressierte Vernünftigkeit“ beschrieben werden, die generell nur davon beeinflusst wird, welche ökomischen Interessen aus einem „Interesse“ an sozialer Interaktion abgeleitet werden können.
Kirchgässner führt auch aus, dass sich das rationale Verhalten des Homo Oeconomicus nicht nur auf wirtschaftliches Handeln per se beschränkt, sondern auch in anderen sozialen Handlungen zum Tragen kommt, etwa in der Liebe oder in der Familie. Charakteristisch für das Verhalten ist aber, das in solchen Kon­stellation mit Kooperation auf Kooperation und mit Nicht-Kooperation auf Nicht-Kooperation geantwortet wird, will heißen, dass der altruistische Aspekt beim Homo Oeconomicus kaum zum Tragen kommt.
Der Homo Oeconomicus steht im Mittelpunkt des neoklassischen Markt-Modells, er bildet die Grundlage der reinen Ökonomie. Der Homo Oeconomicus beschreibt aber nicht bloß einen Menschen, als Kernelement liberalen Gedankenguts bildet er die Grundlage, nach dessen Vorbild Menschen heute gebildet und geformt werden: als eigennützige und nutzenmaximierende Wesen. Der für die Gesellschaft weniger dienliche Aspekt ist der, dass das Verhalten des Homo oeconomicus darauf abzielt, auf alle Felder menschlichen Handelns anwendbar zu sein.
Der Homo Oeconomicus hatte seinen Platz natürlich vor allem in der Bank- und Börsenwelt, wo er das Banker-Mantra „Gier ist gut“ höchst rational ausleben konnte, indem er den Verlauf der Börsekurse stringent nach Kapitalmarktinformationen und Kursverläufen analysieren konnte und vorauszusagen versuchte.
Doch selbst die Bankenwelt ist sich heute nicht mehr so sicher, ob der rationale Zugang des Homo Oeconomicus der einzig richtige ist.
Das deutsche Bankhaus Metzler habe bereits im November vergangenen Jahres den Tod des Homo oeconomicus verkündet, schreibt etwa das Manager Magazin.
„Das größte Opfer der vergangenen zwei Jahre“, so Metzler, „ist unseres Erachtens keine Bank, sondern eine Kapitalmarkttheorie.“ Die These stets effizienter Kapitalmärkte habe ausgedient. Sie geht sinngemäß davon aus, dass alle Informationen in einem Börsenkurs enthalten sind. Das seien sie aber offenbar nicht, und deswegen ist auch das Konzept des Homo Oeconomicus falsch.
Die Schlussfolgerung des deutschen Wirtschaftsnobelpreisträgers Reinhard Selten: Menschen handeln „nichtkonsistent“, verzichten zum Beispiel lieber ganz auf einen Gewinn als einen geringeren zu akzeptieren. Seltens Schlussfolgerung: „Wir müssen schauen, wie man von der Figur des Homo Oeconomicus wegkommt zu einer realistischeren Theorie.“
So herrscht die Meinung unter Wirtschaftsphilosophen vor, dass die Ökonomie das Leben wieder als Ganzes ins Auge nehmen müsse und nicht nur mehr oder minder verkürzt auf das Einkommen abstellen solle. Vereinfacht geht es also um die ur-ökonomische Frage, wie man die einem zur Verfügung stehende Zeit so aufteilt, dass man ein glückliches Leben führt.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Schnappschuss

SchnappschussA1 Telekom

A1 Challenge for Apps.

A1 prämiert die Entwickler der besten Österreich-Apps. Im Rahmen der A1 Challenge for Apps war die österreichische Entwicklerszene aufgerufen, die besten Anwendungen mit lokalem Bezug für Android, Blackberry und iPhone zu entwerfen. 78 Einreichungen unterzogen sich dem prüfenden Urteil einer Fachjury. Als beste App wurde „runtastic PRO“ ausgezeichnet: 50.000 Euro (!) Preisgeld. Auf den Plätzen folgten „eSeL.at“ mit 20.000 Euro und „bikar“ mit 10.000 Euro. Zusätzlich wurde ein Sonderpreis für die beste Augmented Reality App in der Höhe von 5000 Euro vergeben. „Jede eingereichte Österreich-App macht die lokale Smartphone-Welt attraktiver und unterstreicht das Innovationspotenzial der heimischen Entwicklerszene“, so Marco Harfmann von A1 Telekom Austria.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Hauptstadt von Plastic Valley

Hauptstadt von Plastic ValleyBorealis

Das Silicon Valley gibt es schon – Linz will Zentrum des „Plastic Valley“ werden. Klingt hochgestochen, aber den Weg geben Borealis und Linzer Uni durch den Ausbau der Polymerforschung vor. Doch viele Steine blockieren den Weg: kleinliches „Fremden“recht und Technikfeindlichkeit.

Im Juli 2007 war Borealis-Marketingmanager Marcelo Delvaux noch ein Vorzeigeausländer. „Als Brasilianer zähle ich zu den Exoten in der oberösterreichischen Industrie“, sagte er auf einer Pressekonferenz in Linz. Neben ihm saßen Wirtschaftslandesrat Viktor Sigl (ÖVP), Uni Linz-Rektor Richard Hagelauer sowie Vertreter der Innovationsagentur TMG. Delvauxs Aufgabe war, das Land zu loben – für die neuen englischen Infobroschüren, die Ausländern wie ihm den Umzug nach Österreich erleichtern sollten.
Ein Jahr später war Delvaux zurück in Brasilien. Obwohl er seinen Job geliebt hatte, obwohl er eine spannende Arbeit, ein sehr gutes Gehalt und nette Kollegen hatte. Doch seine Frau war in Linz unglücklich. Wegen des langen kalten Winters, und weil sie nicht arbeiten durfte. Sie hatte keine Arbeitsgenehmigung.

Forscher brauchen Kindergärten

„Wir sind immer auf der Suche nach Experten“, sagt Alfred Stern, Innovations- und Technologieleiter bei Borealis. Er könnte bis zu 20 erfahrenen Leuten eine Position anbieten. Doch es sei schwer, Leute mit internationaler Erfahrung nach Linz zu bewegen. Die meisten sind verheiratet, viele haben Kinder, es müssen die Rahmenbedingungen für die ganze Familie passen. Daran hapert es in Linz, auch wenn schon einiges besser wurde. Beispiel Kindergarten: Erst gab es keinen bilingualen Kindergarten, auf Betreiben von Borealis schuf die Caritas einen, im Herbst eröffnet auch das Magistrat Linz einen. Wichtig ist, dass auch die Partnerinnen bzw. Partner arbeiten können.
2006 entschieden die Borealis-Eigentümer, das Innovationszentrum in Linz auszubauen. Das hing auch mit der Änderung der Eigentümer zusammen. Vorher hatte Borealis zu 50 Prozent der norwegischen Statoil, zu 50 Prozent der OMV und der Abu Dhabi-Investmentgesellschaft IPIC gehört. 2006 übernahmen IPIC und OMV Borealis zur Gänze.
Doch bevor das Unternehmen sein intellektuelles Schicksal Linz anvertraute, handelte es mit dem Land und der Johannes Kepler Universität (JKU) die Bedingungen aus. Bund und Land investierten 18 Mio. Euro in den Ausbau der Polymer-Ausbildung, OMV und Borealis stellten drei Mio. Euro zur Verfügung. Die JKU richtete vier neue Lehrstühle für Polymerforschung ein und bietet seit 2009 die Studienrichtung Kunststofftechnik an.
Das ging nicht ohne Reibung ab. Zwischen der JKU und der Montanuniversität Leoben brach ein provinziell wirkender Konkurrenzkampf aus. Leoben war bis dahin die einzige Möglichkeit in Österreich, Kunststofftechnik zu studieren – und war eifersüchtig auf den Ausbau in Linz. Doch heuer schafften dort nur 19 Personen den Bachelor, 27 den Master. In Oberösterreich allein gibt es 220 Kunststoffunternehmen mit knapp 34.000 Beschäftigten. 100 Kunststofftechnikabsolventen jährlich seien notwendig, sagen Industrievertreter.
„Die Grundvoraussetzungen sind geschaffen“, sagt Alfred Stern. „Nun geht es darum, Weltklasse zu werden, internationale Kooperationen zu bilden und die hellsten Köpfe der Welt für Linz zu begeistern. Der Wettkampf findet nicht zwischen Leoben und Linz statt, sondern mit Universitäten wie der ETH Zürich, der Universität Leuven in Belgien oder dem MIT in Boston.“
Durch den Ausbau seines Innovationszentrums in Linz hat Borealis von 2007 bis 2010 zu den bestehenden 230 Forschern 120 neue Mitarbeiter eingestellt. 50 Mio. Euro wurden in neue Gebäude und Labors investiert, 30 Mio. Euro in eine Borstar-Anlage zur Entwicklung neuer Produkte in Schwechat. Im Dezember 2009 entschied Borealis, in Linz auch eine Katalysatoranlage um 75 Mio. Euro aufzubauen. Katalysatoren sind Stoffe, die die Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Reaktion verändern. Die Unterstützung des Landes und die Bereitschaft der JKU, ein Institut für industrielle Katalysatorforschung aufzubauen, waren entscheidend dafür, warum sich Linz gegen Porvoo in Finnland durchsetzte.
Eine andere Aufgabe steht noch bevor: den Funken der Begeisterung für Forschung zu zünden. „Die Technikfeindlichkeit ist ein großes Problem“, sagt Stern. „Unsere Mitbewerber sind in Indien, China, Osteuropa, wo die Einstellung zur Technik vollkommen anders ist.“ Umfragen in Österreich zur Reputation von Berufen seien erschütternd: Wissenschaftler und Chemiker rangieren am untersten Ende der Beliebtheitsskala.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Prozessorientiert erfolgreich

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Prozessmanagement löst die Hierarchie als bestimmende Organisationsform im Unternehmen ab. Zu Recht – ist es doch der Prozess, der die Leistungserbringung erst ermöglicht. Am besten lässt sich der Wandel zum prozessorientierten Denken im Rahmen einer SAP-Einführung vollziehen.

Prozessmanagement ist mehr als nur eine Software zur automatisierten Steuerung von betrieblichen Abläufen. Dominiert im klassisch geführten Unternehmen die hierarchische Organisation, so ermöglicht der Übergang zur prozess­orientierten Organisationsstruktur, Managemententscheidungen entlang der wertschöpfenden Kernprozesse zu treffen.
Hinter der sperrigen Formulierung verbirgt sich ein Paradigmenwechsel in der unternehmerischen Organisationskultur, die die Entstehungsprozesse von Produkten oder Dienstleistungen in den Mittelpunkt aller Betrachtungen rückt. „Das Verständnis für die Bedeutung der Prozesse hat in den letzten Jahren zwar sehr stark zugenommen“, konstatiert Wolfram Jost, Vorstandsmitglied bei IDS Scheer und beim Mutterunternehmen Software AG. Aber weitere Überzeugungsarbeit sei nötig, denn: „Es sind die Prozesse, die letztlich den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens ausmachen.“

Zeit für Veränderungen
Derzeit denken viele mittelständische Unternehmen darüber nach, wie sie ihre in die Jahre gekommene Betriebssteuerungsoftware erneuern können. Enterprise Resource Planning (ERP) der ersten Generation war meist eine maßgeschneiderte Software. Diese Lösungen sind heute am Ende ihres Lebenszyklus, die Weiterentwicklung käme teuer und der Erfolg wäre fraglich. So bietet sich der Übergang zu standardisierten Softwarepaketen wie SAP ERP 6.0 an.
Die SAP-Einführung ist für Jost der ideale Zeitpunkt, um prozess­orientiertes Denken und Handeln zu etablieren. Die Prozessorganisation muss dabei gut durchdacht werden: „Es gibt zwar viele branchentypische Prozesse von einer gewissen allgemeinen Gültigkeit. Diese Standardprozesse von SAP müssen aber unbedingt an die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens angepasst werden.“

Hinterfragen
Jost, der beim Prozessmanagement-Spezialisten IDS Scheer und der Software AG unter anderem die Forschung und Entwicklung verantwortet, betont die Notwendigkeit, noch vor der SAP-Einführung die betrieblichen Abläufe zu durchleuchten und zu hinterfragen: „Da sind die Mitarbeiter in den Fachabteilungen gefordert. Sie kennen ihre Prozesse und deren Verbesserungspotenzial am besten.“ Zuerst werden die Ist-Prozesse erhoben und nach deren Analyse die Soll-Prozesse definiert. Dabei ermöglicht die ARIS-Software von IDS Scheer die transparente Darstellung der Prozesse.
Beim Übergang zur prozessorientierten Betriebsorganisation ist die augenscheinlichste Veränderung die Einführung von sogenannten Prozessverantwortlichen. Prozesse ziehen sich durch das ganze Unternehmen und überschreiten dabei die Grenzen mehrerer Fachabteilungen.

Tieferes Bewusstsein
Die Prozessverantwortlichen, in der Regel sind das Abteilungsleiter, müssen daher die Fähigkeit entwickeln, über den eigenen Tellerrand zu blicken. „Schon in der Analysephase entwickelt sich meist ein gemeinsames Prozessverständnis aller Abteilungen“, betont Jost. Das neue, tiefere Bewusstsein für die betrieblichen Abläufe wird dann am besten in den Köpfen der Mitarbeiter verankert, wenn in der Planungsphase alle Standorte des Unternehmens miteinbezogen werden.
Bei der Einführung der Betriebssteuerungssoftware achtet IDS Scheer darauf, dass die Abweichungen zu den Standardprozessen von SAP ERP 6.0 möglichst gering gehalten werden. Diese Vorgangsweise vereinfacht die Implementierung und senkt so die Kosten.
Wenn die Software dann einmal läuft, ist die Arbeit noch lange nicht getan, klärt Jost einen Irrglauben auf: „Prozesse sind nicht fest zementiert. Sie verändern sich laufend.“ Daher müssen sie auch permanent überwacht, auf ihre Effizienz hin überprüft und wenn nötig modifiziert werden.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Fußballsport unter dem Mikroskop

Fußballsport unter dem MikroskopEPA

Die wichtigste Nebensache der Welt gilt auch unter Forschern als Objekt der Begierde.

Stimmt es, dass Fußballtorhüter meist Einzelkinder waren und im Vergleich zu den Feldspielern die wenigsten Geschwister haben? Erhöht eine Sekunde Konzentrationszeit zwischen Schiedsrichterpfiff und Elfmeterschuss die Trefferquote um 22 Prozent? Wird bei Foulvergehen glatzköpfiger Spieler öfter gepfiffen und werden deren Fouls schneller mit Gelb geahndet als die langmähniger Kicker? Dass alle drei Fragen eindeutig mit Ja beantwortet werden können, verdanken wir Studien von Sportwissenschaftlern, Psychologen und Medizinern, die sich vermehrt mit dem Fußballsport auseinandersetzen.
Beispielsweise fanden die Psychologen Mark G. Frank und Thomas Gilovich heraus, dass die Farbe Schwarz für Aggression steht und deshalb dieser Trikotfarbe ein Loser-Image anhaftet. Unparteiische pfeifen öfter gegen Teams in dunklem Outfit. Der britische Studienleiter Paul Morris wiederum entlarvte Elfmeterschinder anhand biomechanisch unnatürlicher Bewegungsabläufe. Kennzeichen eines Schwalbenkönigs sind die nach vorne oder oben gestreckten Hände. Bei einem Sturz gehen die Arme üblicherweise instinktiv nach unten. Und Nick Neave (Universität Newcastle) erklärte die Heimstärke aufgrund eines erhöhten Testo­steronwertes, den er in Vergleichen von Speichelproben bei Heim- und Auswärtspartien nachwies.

Anderes Spielverhalten
Dass die Studienresultate zusehends auch Einfluss auf das Spiel selbst nehmen, war bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika bereits zu erkennen. Nach der WM 2006 kritisierten deutsche Forscher, dass ihre Mannschaft kurz vor Spiel­ende unabhängig vom Stand die Eckbälle immer noch hoch in den Strafraum kickte. Südamerikaner spielten diese Standards in den letzten Spielminuten nämlich kurz ab, um unnötige Ballverluste zu vermeiden. Schließlich bedeutet jeder Ballverlust einen Mehraufwand in der Rückeroberung. 2010 hatten die Europäer dann daraus gelernt. Nicht selten sah man statt der hohen Flanken nun ein Kurzpassspiel an der Eckfahne, wie es die Spanier schon in der ersten Hälfte praktizierten.

Bei Lärm gibt’s Gelb
Dass angeschnittene Freistöße unhaltbar werden, weil Bälle mit Drall die menschliche Wahrnehmung überfordern, scheint logisch, wie auch der Einfluss einer laut brüllenden Zuschauermenge auf Schiedsrichterentscheidungen. Lärm bedeutet Gelb, wenn das Auswärtsteam grätscht. Allerdings nicht zwingend in den ersten 15 Minuten, da sich der Referee erst aufs Spiel einstellen muss, analysierte Sportpsychologe Daniel Memmert. Ob dies auch für Spieler mit mangelnder Haarpracht gilt, konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Aktiv-Trend lässt Kassen klingeln

Aktiv-Trend lässt Kassen klingelnVHS/August Lechner

In der Freizeit zu lernen ist groß in Mode: Im Sommer lassen viele Eltern ihren Nachwuchs Feriencamps besuchen, während des Schuljahrs gibt es ein immer größeres Angebot für Gr0ß und Klein. Allein die Wiener Volkshochschulen (VHS) bieten rund 16.000 Kurse pro Jahr an.

Die zweite und dritte Ferienwoche sind die Kinder bei der Kinderuni im Einsatz, danach macht Lukas zwei Wochen ein Tenniscamp, Tanja ist im Segelkurs. Nach dem Familienurlaub absolviert Tanja dann noch eine Woche ein Landhockey-Trainingslager, während Lukas sich bei „Robots for Kids“ eine Woche an der FH Technikum Wien damit beschäftigen wird, einen Rettungsroboter mit Lego Mindstorm NXT zu bauen und zu programmieren. Lukas ist zwölf, Tanja zehn. Ihre Feriengestaltung ist ein Beispiel dafür, wie viele Eltern die Sommerferien „bewältigen“. Denn die Unterbringung bei den Großeltern fällt immer öfter aus, entweder weil diese zu alt oder noch sehr aktiv sind und zu der Zeit selber verreisen – und damit in jedem Fall als Betreuer nicht in Frage kommen.

Kostenfaktor Feriencamp
Ebenfalls immer weniger beliebt, vielfach aus ideologischen Gründen oder weil nicht „cool“, sind Jungschar-, Pfadfinder- oder Rote-Falken-Lager. Obwohl Psychologen meinen, dass hier die Kinder gemeinsam mit ihnen bekannten Gleichaltrigen noch am ehesten die Chance hätten, entspannte, schöne Ferien zu erleben.
Somit sind Feriencamps für viele Eltern eine willkommene Alternative, für die zum Teil tief in die Tasche gegriffen wird. Eine Liste der Anbieter bietet etwa die Wiener Kinderinfo (www.kinderinfowien.at). Die Preise sind sehr unterschiedlich – je nachdem wie viele Stunden Betreuung, ob mit oder ohne Verpflegung –, sie bewegen sich zwischen 150 und 700 Euro. Das Angebot ist riesig: Sport-, Lern-, Computer- und Kreativcamps stehen zur Auswahl. Aber auch Popstar- und Muscialcamps sind beliebt. Daneben gewinnen Abenteuercamps zunehmend an Bedeutung. So bietet das ferien4kids-Portal etwa ein „Huskycamp“ an (Preis: 449 Euro). Eine Woche lang betreuen die Kinder einen Schlittenhund, wohnen in einem Tipi-Zelt, lernen Klettern und machen eine Kanufahrt. „Es genügt nicht mehr, nur die Klassiker wie Tennis oder Fußball im Rahmen eines Sommercamps anzubieten“, sagt Wolfgang Meister, Chef von ferien4kids.

Kinder nicht überfordern
Allerdings können Feriencamps die Kinder auch unter Leistungsdruck setzen. „Denn niemand, der 300 Euro für eine Woche Tennis- oder Computercamp bezahlt, ist damit zufrieden, dass die Kinder eine Woche lang nur beaufsichtigt werden“, sagt die Kinder- und Jugendpsychologin Barbara Kleedorfer. Schlimm ist das deswegen, weil die lieben Kleinen ja auch unterm Jahr in diversen Kursen nachmittags (Fußball, Ballett, Turnen, Musikschule etc.) mehr als eingespannt sind. Die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder in Kurse gehen zu lassen und zunehmend auch selbst welche zu belegen, liegt daran, dass „73 Prozent der Österreicher Bildung für einen wichtigen Faktor für die Lebensqualität halten“, heißt es in einer aktuellen Studie der deutschen Stiftung für Zukunftsfragen. „Über drei Viertel sind der Meinung, dass jeder selbst für die eigene Weiterbildung verantwortlich ist“, sagt Studienautor Ulrich Reinhardt. 31 Prozent sind überzeugt, dass Weiterbildung in Zukunft vor allem in der Freizeit stattfinden muss.
Das dürfte die Kursanbieter freuen. Größter und traditioneller Anbieter sind die Volkshochschulen (VHS), österreichweit gibt es davon 272. Insgesamt werden hierzulande jährlich 47.000 Kurse mit rund 500.000 Teilnehmern abgehalten.

Frauen machen mehr Kurse
Größter Anbieter sind die Wiener VHS (24 Einrichtungen an 53 Standorten) mit rund 16.000 Kursen jährlich und etwa 4000 Unterrich­tenden. Die Weiterbildung an der VHS ist übrigens fest in weiblicher Hand: 77 Prozent aller Kursteilnehmer sind Frauen. Am beliebtesten sind Kurse aus dem Bereich „Gesundheit und Bewegung“ (40,7 Prozent Kursteilnehmer), gefolgt von Sprachkursen (26,2 Prozent), wobei hier Englisch am häufigsten belegt wird, gefolgt von Deutsch-, Spanisch-, Italienisch- und Französischkursanmeldungen.

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Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Karriere

Karriere

Karriere

• Alexander Sperl ist neuer Chief Commercial Officer (CCO) von A1 Telekom Aus­tria. Der international erfolgreiche Manager komplettiert somit das aus CEO Hannes Ametsreiter, Siegfried Mayerhofer (CFO, Finanzen), Walter Goldenits (CTO, Technik) und Dino Dogan (CIO, Integration) bestehende Vorstandsteam von Österreichs Marktführer.

• Wolfgang Greil wechselt als Projektleiter zur Ramsauer & Stürmer Software GmbH. Als Projektleiter ist er für die Einführung der betriebswirtschaftlichen Unternehmenssoftware rs2 verantwortlich. Zuletzt war Wolfgang Greil bei ACP Business Solutions tätig, wo er für Finance und Controlling sowie Logistikprojekte zuständig war.

• Bettina Malatschnig ist neue Personalchefin bei Tele2 Österreich. Die Personal-Expertin ist ab sofort für alle Personalagenden bei Österreichs alternativem Telekommunikationsanbieter verantwortlich. Malatschnig kann auf über 12 Jahre Expertise in der nationalen und internationalen Personalarbeit zurückgreifen, zuletzt bei COLT Telecom Austria.

•Franz Koll übernimmt Einkauf Hardware bei Intersport. Der aktive Allroundsportler kann insgesamt auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in der Sportartikelbranche verweisen. Zuletzt war Koll bei der Firma Silhouette International als Prokurist tätig und verantwortete weltweit die Lizenzmarke Adidas Eyewear.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

Der Exodus der klugen Köpfe

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Österreich interessiert sich kaum für seine Spitzenforscher: Seit Jahren leidet das Land unter einem anhaltenden Braindrain. Hoch qualifizierte Wissenschaftler verlassen reihenweise das Land. Die wenigen Forscher, die einwandern, können den Verlust bei Weitem nicht ausgleichen.

Die besten österreichi­schen Wissenschaftler arbeiten im Ausland. Nicht immer lockt sie das Geld an Universitäten und Institute, nicht deren Renommee, aber fast immer „das System“.

Verlorene Intelligenz
Österreich interessiert sich kaum für seine Spitzenforscher. Aufgrund der unbeweglichen Strukturen an den Universitäten, in denen Studenten erst spät selbst gewählte Fragestellungen bearbeiten können, bleibt auch der Nachwuchs auf der Strecke. Fazit: miese Arbeitsbedingungen für kluge Köpfe.
Die Folge ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Braindrain. Hoch qualifizierte Wissenschafter verlassen reihenweise das Land. Die wenigen Forscher, die einwandern, können den Verlust bei Weitem nicht ausgleichen. „Die Bilanz stimmt nicht“, klagte bereits vor einiger Zeit Peter Schuster, der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Mit dem 57-jährigen Biochemiker und Gentechnikpionier Erwin Wagner kehrte beispielsweise einer der klügsten Köpfe Österreich den Rücken, um in Madrid das zu tun, was hier nicht möglich war: frei zu forschen. Im Nationalen Zentrum für Krebsforschung Spanien übernahm er den Posten des Programmleiters. In den nächsten Jahren sollen unter seiner Führung rund 80 Wissenschaftler versuchen, die Geheimnisse von Krebszellen zu entschlüsseln. Seit 25 Jahren arbeitet Wagner mit genmanipulierten Mäusen und ihren Stammzellen. Er beschäftigt sich mit der Frage, welche Gene das Wachstum und die Teilung der Zellen regulieren. Sein Ziel: jene krankhafte Zellwucherung zu stoppen, an der 22 Millionen Menschen weltweit leiden. Wagner hat an den besten Instituten Europas und in den USA gearbeitet, auch mit dem späteren Medizin-Nobelpreisräger Richard Axel. 1996 gewann er mit dem Wittgenstein-Preis die höchste Auszeichnung des Landes und veröffentlichte bis heute rekordverdächtige 250 wissenschaftliche Artikel. Nebenbei kümmerte er sich als Universitätsprofessor um den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Seit Jahren versucht man in Österreich, das Versagen als Forschungsstandort zu korrigieren und die Rahmenbedingungen zu verbessern: höhere Gehälter für Universitätslehrer und rasant steigende Forschungsausgaben, zuletzt 6,83 Mrd. Euro pro Jahr. Das ist doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Viel investiert wird auch in das Prestigeprojekt in Maria Gugging bei Klosterneuburg. In das Exzellenzzentrum für Naturwissenschaften namens Institute of Science and Technology Austria (ISTA) sollen bis 2016 mehr als 500 Mio. Euro fließen.
Die Zeit sei reif, so geben sich viele Politiker überzeugt, den Brain­drain, den Exodus österreichischer Wissenschaftler, in einen Braingain, einen Strom akademischer Rückkehrer zu verwandeln. Doch schwankt die Reaktion der Hochschulemigranten zwischen Sympathie, dass nach jahrzehntelanger fruchtloser Reformdebatte endlich jemand den Mut hat, „heilige Kühe“ zu schlachten – und Skepsis. Reicht es aus, dem Wissenschaftssystem ein paar neue Strukturen, etwa nach amerikanischem Vorbild, einzupflanzen, um es international konkurrenzfähig zu machen?

Akademisches Himmelreich
Schwer haben es hierzulande auch junge Wissenschaftler, die ungewohnte wissenschaftliche Methoden und Themen von ihren Auslands­aufenthalten mitbringen. Denn die Pforten des akademischen Himmelreiches bewachen die Universitätsprofessoren höchstselbst. Schwer hat es da, wer mit einem Thema zur Habilitation um Einlass bittet, das den Hochschullehrern nicht behagt, etwa weil es in andere Fachgebiete hineinragt. Interdisziplinarität nennt sich dieses Forschen zwischen den Fachgebieten. Es wird in jeder Festrede über die Zukunft der Universität gepriesen – im Alltag jedoch sabotiert. Doch hat eben eine Forschung, die nicht die Grenzen des Wissens sucht, sondern das Bekannte bedient, keine Zukunft. Und sie scheucht junge, talentierte Wissenschaftler in die Welt hinaus.
Wissen ist zum Rohstoff der Zukunft geworden, nach dem weltweit geschürft wird. Wer es nicht schafft, den Talentpool des eigenen Landes oder anderer Länder anzuzapfen, droht wissenschaftlich und damit wirtschaftlich in die zweite Liga abzusinken. Die Vereinigten Staaten haben das begriffen. 21 Prozent des wissenschaftlichen Hochschulpersonals stammt aus anderen Ländern. Hierzulande dagegen ist ein nichtösterreichischer Professor noch seltener als eine Frau auf einem Lehrstuhl.

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