Europa macht an Boden gut
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Die drei größten staatlichen Forschungsförderstellen der USA verteilen 2010 mehr als 100 Milliarden Dollar. Das European Research Council hält mit einem Bruchteil dagegen. Doch die ERC-Strategie wird in Übersee mit Interesse verfolgt, weil Europa damit gezielt seine Elite aufbaut.
Wer sein Forschungsprojekt von den National Institutes of Health (NIH) finanziert bekommt, hat in den USA eine Art Initiationsritus geschafft. Mit einem Budget von 31 Mrd. Dollar plus 10 Mrd. Dollar aus dem Wirtschaftshilfspaket der Regierung hat die Förderstelle für medizinische- und Biotechforschung gut fünf Mal so viel Geld an der Hand wie das European Research Council (ERC) im gesamtem siebten Forschungsrahmenprogramm, und das streckt sich immerhin über sechs Jahre. Ein direkter Vergleich ist jedoch nur bedingt zulässig. Die NIH erhalten aus ihrer Kasse immerhin ganze Krankenhäuser und Forschungseinrichtungen. Fest steht, dass viele Mediziner, die eine Forschungskarriere anvisieren und bei den NIH wiederholt leer ausgehen, oft die akademische Laufbahn in Richtung Industrie verlassen.
Risikoscheue Projektauswahl
Trotz strenger Review-Verfahren füllen die Kritikpunkte an der Förderstrategie des NIH eine lange Liste. Einerseits würden risikoreiche Projekte vermieden, etwa in der Krebsforschung, und zu viel Forschungsvorarbeit verlangt, wodurch das Durchschnittsalter der Erstantragsteller in die Höhe getrieben würde. Andererseits sollen im Rahmen eines Starthilfeprogramms Zuschläge an Jungforscher vergeben werden, ohne ausreichend auf Exzellenz zu achten. Unter dem neuen NIH-Chef, dem Molekularbiologen Francis Collins, wird nun in einem ersten Schritt das Peer Review-System überholt.
Wer es durch die Reviews der NIH schafft, hat mitunter die Chance, ein medizinisches Großprojekt zu starten. Wie etwa Pamela Douglas, Gefäßforscherin an der Duke University. Mit einem Etat von 5,5 Mio. Dollar konnte sie sich im letzten Jahr die höchste von den NIH vergebene Projektfinanzierung sichern. Zum Einsatz kommt das Geld bei einer Studie über die Wirksamkeit computertomografischer Angiografien, Anzahl der teilnehmenden Patienten: 10.000.
Die Superantragsteller
Insgesamt rund ein Fünftel der staatlich finanzierten Grundlagenforschung wird in den USA von der National Science Foundation (NSF) abgewickelt, der heuer ein Etat von 6,9 Mrd. Dollar zukommt. Von den 40.000 Projektanträgen pro Jahr sind rund 11.000 erfolgreich, Stipendien nicht eingerechnet. Von Seiten des Energieministeriums kommen noch rund 26 Mrd. Dollar hinzu, damit gilt es zwar auch für den Betrieb von 19 Forschungseinrichtungen aufzukommen. Eine Finanzspritze aus dem Stimuluspaket über knapp 39 Mrd. Dollar gibt Energieminister und Physik-Nobelpreisträger Steven Chu jedoch einige Flexibilität an die Hand.
Den größten Teil des NSF-Kuchens sicherte sich 2009 das ozeanografische Forschungsinstitut Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) in Massachusetts. Insgesamt 136 Projekte und 103 Mio. Dollar wurden vom NSF bewilligt, ein ansehnlicher Teil des Geldes stammt auch hier aus dem letzten Wirtschaftshilfspaket der Regierung.
Europas strenge Auslese
In Europa schöpft das ERC aus dem größten Fördertopf. Die Geldbeschaffung über die Starting und Advanced Investigator Grants eignet sich aber nicht für jedermann. Von 9167 Einreichungen bei der ersten Ausschreibung wurden gerade einmal 200 finanziert. Die äußerst niedrige Erfolgsquote gilt allerdings auch als Garant dafür, nur die Besten zu erreichen. Verlangt werden von den Jungwissenschaftlern für die mit bis zu zwei Mio. Euro dotierten Starting-Etats drei bis acht Jahre Forschungserfahrung nach dem Doktorat, womit sich das Durchschnittsalter der Einreicher auf 36 Jahre hochschraubt. Ein recht großer Erfahrungssprung ist für die mit bis zu 3,5 Mio. Euro dotierten Advanced Grants notwendig, deren Antragsteller im Schnitt 53 Jahre alt sind. Dass sich Europa mit dem ERC vom Förderungsprinzip Gießkanne verabschiedet, wird in den USA längst mit Interesse verfolgt: zuletzt im Juli, als die EU zusätzliche 6,4 Mrd. Euro für Forschung bis Ende 2011 freigab. Wenngleich es beim Anteil der Forschungsausgaben am BIP in Europa noch hapert und die EU weiterhin für ihre Bürokratie verrufen ist, scheint aus Sicht der USA eines außer Zweifel zu stehen: dass das ERC mit seinen beiden Förderprogrammen gezielt Europas Forschungselite stärkt.