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03. Juli 2024

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Hightech statt Plastik

Hightech statt Plastik

Technologie und Innovation sind nicht nur Schlüsselfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens oder eines Landes. Intelligente Lösungen und Produkte tragen entscheidend zur Lösung jener Fragen bei, die durch globale Probleme wie den Klimawandel aufgeworfen werden.

Betrachtet man die Auswirkungen, die das Verhalten der Menschheit auf das Gleichgewicht der Erde hat, scheint Verzicht die einzig richtige Antwort zu sein. Wer öfter das Auto stehen lässt und ein paar Schritte zu Fuß geht, trägt gewiss einen Teil zum Klimaschutz bei.
Die Liste individueller Maßnahmen lässt sich fast beliebig verlängern. Wer etwa ein kleineres Auto kauft, verbessert seine persönliche CO2-Bilanz nicht nur durch den Treibstoff sparenden Betrieb, auch der Ressourcenverbrauch in der Herstellung ist geringer. Und wer seinen Computer öfter einmal ausschaltet, reduziert den Stromverbrauch.

Kein Allheilmittel
Mit diesen persönlichen Strategien kann jeder einen bedeutenden Beitrag leisten, ein Allheilmittel sind sie nicht. Angesichts einer Unzahl von Menschen auf der ganzen Welt, die am Wohlstand teilhaben wollen und sich dabei am ressourcenintensiven westlichen Lebensstil orientieren, können sie immer nur ein Teil der Lösung sein.
Um die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen, ist daher die nachhaltige Durchgestaltung der Produktlebenszyklen angefangen bei der Entwicklung über die Produktion und den Gebrauch bis hin zur Entsorgung nötig. Dabei muss auch der Benützer unterstützt werden. Das Ausschalten eines nicht benötigten Gerätes ist zwar ein brauchbarer Ansatz, die Erfahrung zeigt aber, dass das aus Bequemlichkeit oft nicht getan wird. Damit ist gerade niedriger Stromverbrauch im Stand-by-Betrieb wichtig.

Nachvollziehbar
Obwohl gerade für weltweit agierende Unternehmen Nachhaltigkeit längst keine leere Phrase mehr ist, wird das noch oft anders wahrgenommen. Um das Vertrauen wiederherzustellen, sieht Harald Himmer, Generaldirektor von Alcatel-Lucent Austria, die Notwendigkeit tief gehender Veränderungen: „Auch wenn wir noch immer mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise konfrontiert sind, verlangt der dramatische Klimawandel unsere volle Aufmerksamkeit.“ Daher reduziert Alcatel-Lucent die Auswirkungen ihrer Produkte auf Umwelt und Klima so stark wie möglich, allein der CO2-Fußabdruck des Konzerns soll bis 2020 halbiert werden. Im Mittelpunkt stehen der schonende Rohstoffeinsatz, der weitestgehende Verzicht auf Gefahrenstoffe wie etwa Blei und die Energieeffizienz der Geräte. Aktuelle Produkte von Alcatel-Lucent benötigen zwischen 30 und 50 Prozent weniger Strom als ihre Vorgängermodelle.
„Wir verfolgen einen umfassenden Ansatz“, betont Himmer, „und nehmen dabei auch unsere Zulieferer und Partner in die Pflicht.“ Entlang der ganzen Wertschöpfungskette von der Rohstoffgewinnung bis zum Kunden kommt das Nachhaltigkeitsprinzip zur Anwendung und beschränkt sich nicht allein auf den Schutz von Klima und Umwelt. Das zeigt auch der alljährlich ressourcenschonend erscheinende, da nur online verfügbare Nachhaltigkeitsbericht von Alcatel-Lucent, der sich unter anderem auch der Unternehmensethik und der Personalentwicklung widmet.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010

Flüchtige Skandale

Flüchtige SkandalePhotos.com

Politaffären schaffen es kaum in die US-Presse.

Wer in den USA lebt, kennt das. „Woher kommst du?“ „Österreich.“ „Wow, dort ist es ja so schön!“ Viele Amerikaner waren schon mal in Salzburg, Tirol oder sind durch Wien spaziert, die Fassaden der Häuser in der Innenstadt als eine Art Freilichtmuseum erlebend. Dann ist da noch die Trapp-Familie. Als ich 2006 bei McDonald’s einen Burger bestelle („Woher kommst du?“), stimmt die Südstaatlerin hinterm Tresen „Edelweiß“ an. Sie schaut mich fragend an, wie der Text weitergeht. Ich kann ihr da auch nicht helfen. Aus Sicht vieler Nicht-Europäer ist Österreich ein besonders schöner Flecken Erde, mit eisigen Wintern (Taxifahrer aus Marokko und Nigeria), klassischer Musik, die durch die Gassen Wiens und Salzburgs wehen, dazu das Kitschbild aus „Sound of Music“. Die Kampagne der Österreichwerbung, die entspannte Menschen in unbefleckter Natur zeigt, fügt sich nahtlos ein: „Das ist Österreich.“

Angeschlagenes Image
Als auf die Flucht von Natascha Kampusch zwei Jahre später in Amstetten der Kriminalfall Fritzl folgt, donnert Alfred Gusenbauer bei einer Pressekonferenz: „Wir werden nicht zulassen, dass das ganze Land in Geiselhaft eines einzelnen Mannes ist.“ Losgetreten wurde die Imagediskussion, als Zeitungen in ganz Europa nach der Veröffentlichung erschreckender Details über die Aussagekraft der Kriminalfälle hinsichtlich der rot-weiß-roten Volksseele nachdachten. Die britische Tageszeitung The Independent titelte: „Angeschlagenes Österreich entschlossen, das entsetzliche Image loszuwerden.“
Die aktuellen Skandale, von Hypo bis zu den Haider-Millionen, lassen zwar Österreichern den Mund offen stehen, über die EU hinaus gelangen die Wogen der Politaffären aber kaum. Länder wie die USA laborieren an eigenen, viel größeren Schmählichkeiten – Stichwort: die Gepflogenheiten an der Wall Street und deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. In die Schlagzeilen schaffte es 2008 gerade einmal Haiders Unfalltod oder die posthume Debatte über seine sexuelle Orientierung. Storys über die jüngsten Entwicklungen von Hypo und Co fehlen sowohl in der New York Times als auch der Washington Post.
Ausnahmen gibt es, wenn an Österreichs Nazi-Vergangenheit erinnert wird, wie etwa bei der Waldheim-Affäre und der Eintragung des damaligen Bundespräsidenten in der Watch list des US-Justizministeriums. Eher im Gedächtnis bleiben die Storys der Chronikseiten, oder wenn Medien die allgemeine Erbarmungslosigkeit eines ganzen Landes implizieren. Dementsprechend können Österreichs Imageberater von Glück sprechen. dass es der Fall Arigona nicht in die US-Zeitungen schaffte.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010

Die Grausamkeiten des Führens

Die Grausamkeiten des FührensSanti di Tito/Wikipedia

Niccolò Machiavelli, der Verfechter der zynischen Machtausübung, findet immer noch Eingang in die Management-Literatur. Sein philosophischer Konterpart, Baron de Montesquieu, zeigt, wie es auch anders gehen kann.

Es gab eine Zeit, da brüsteten sich Geschäftsführer und sonstige Managementpersönlichkeiten in österreichischen Unternehmen gerne in ihrer Machiavelli-Position: Die Machtaus­übung ohne Rücksicht auf Verluste, die Hinnahme von Kollateralschäden in Sinne des Ausräumens von Karrieregegnern und die Zementierung der eigenen Rolle.
Dass damit heutzutage kein Unternehmen zu führen ist, kam ihnen nicht in den Sinn. Faktoren wie soziale Intelligenz, Teamwork und Motivation sind weitaus zeitgemäßer als der Standpunkt des alten Machiavelli, wie ein Fürst über seine Lohnabhängigen zu regieren.
Kein Wunder, dass der Begriff des Machiavellismus daher oft als abwertende Beschreibung eines politischen oder sozialen Verhaltens gebraucht wird, das raffiniert, aber ohne ethische Einflüsse von Moral und Sittlichkeit die eigene Macht und das eigene Wohl als Ziel sieht.
Die simple Auffassung Machiavellis war es ja, dass alle anderen Menschen als undankbar gegen­über ihren „Wohltätern“ eingeschätzt wurden und nur ein gewisses „Ehrgefühl“ sie davon abhielte, ihrem Wohltäter zu schaden. Dass dies im modernen Managementumfeld gelinde gesagt eine kindische Position ist, ergibt sich daraus fast schon von selbst.
Eines der Kernprinzipien im machiavellistischen Management ist die Überbewertung von Loyalität. Abwertend interpretiert: Je mehr Jasager der Manager um sich sammelt, desto mehr fühlt er sich in seiner Rolle bestätigt.
„Die, welche ganz zu dir halten und nicht habgierig sind, musst du ehren und lieben“, schreibt Machiavelli beispielsweise im „Der Fürst“, seinem kontroversiellen Buch über die Kunst des Führens.
Doch wer will heute nur als Speichellecker seines Dienstgebers angesehen werden? Das Prinzip stammt, mit Verlaub, aus dem 16. Jahrhundert. Im Grunde handelte es sich um die Einkehr des Zynismus in die Führungsrolle, ein Prinzip, das meistens zu Konflikten und weniger zu Lösungen führt.

Alternative Strategien
Es gibt beileibe andere Überlebensstrategien im wettbewerblichen Umfeld. Letzten Endes sind Machiavellisten schwache Charaktere, denen die Umstände ihrer Position erst gestatten, Macht auszu­üben, weil es ihnen an Persönlichkeit mangelt. Sobald sie ihren Posten verlieren, verschwinden sie in der Versenkung.
Ganz anders die Prinzipien des Baron de Montesquieu, der beschrieb, wie sich der Ehrgeiz, die Ruhmsucht und die Gier einzelner Menschen in einem politischen und wohl auch in einem wirtschaftlichen System so umleiten ließen, dass sie sich zum Wohle der Gesamtheit auswirken.
Nach Montesquieus Prinzipien besteht Management vor allem aus Teamarbeit und ist nicht geprägt durch die Führung eines Einzelnen. Dass dies einem Management alten Schlages sauer aufstößt, ist klar. Denn die Bewältigung von Teamarbeit ist eine weit kreativere und größere Aufgabe als die autoritative Führung, und die Resultate sind in den meisten Fällen erheblich besser.
Vertreter des Machiavellismus müssen sich auch damit auseinandersetzen, dass dieses Prinzip nicht zu selten in die Nähe zum Faschismus gerückt wurde, wenngleich es dabei wahrscheinlich über Gebühr vereinnahmt wurde.
Jedenfalls ist die Auffassung, dass Erfolg nur mit Gift und Dolch, Lüge und Verbrechen erreicht werden kann, heute bereits etwas überholt.
Obwohl: Umgelegt auf die heutige Politik findet sich Machiavellismus in seiner ganzen Mannigfaltigkeit wieder, verfeinert vielleicht noch durch die neurolinguistische Programmierung der Fremdschuld-Zuweisung, die von Grasser und Konsorten so gerne gebraucht wird. Dass dadurch letzten Endes nur Rechtsbruch ausgelöst wird, erleben wir ja derzeit.
In der Politik sei alles erlaubt, dekretiert Machiavelli. Es gebe kein Gut und kein Böse – nur taugliche und untaugliche Mittel. Verwerflich sei nur der Mangel an Entschlusskraft – „dass die Menschen weder verstehen, in Ehren böse noch mit Vollkommenheit gut zu sein“. Das Recht zur Grausamkeit hänge „nur davon ab, ob die Grausamkeiten gut oder schlecht angewandt sind“. Und vom richtigen Timing: „Gewalttaten muss man alle auf einmal begehen, damit sie weniger empfunden werden und dadurch weniger erbittern“, rät er. Ein Ratschlag, der nur zu Verbitterung führen kann.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010

Laut gebrüllt ist halb gewonnen

Laut gebrüllt ist halb gewonnenPhotos.com

Die Angst vor Karl Roves Wahlkampfmethoden sitzt bei den Demokraten zu Recht tief: Der Politstratege holte zwei Wahlsiege für George W. Bush. Auch beim Kongresswahlkampf ist Rove nun wieder in seinem Element.

Erst vor einem Jahr“, schreibt Tim Dickinson im Magazin Rolling Stone, „war die Republikanische Partei für tot erklärt worden.“ Ohne nennenswerte Führungsfiguren und von zwei verheerenden Wahlen gezeichnet – die Kongresswahlen 2006 und Obamas Kür zum Präsidenten zwei Jahre später – schien die Grand Old Party (GOP) ideenleer und ausgelaugt. Dass im Sommer des darauffolgenden Jahres die Medien rund um die Uhr von einer neuen republikanischen Protestbewegung berichten sollten, schien da noch unvorstellbar. Mobilisierung war nicht der Begriff, den man nach der Niederlage John McCains mit den Konservativen in Zusammenhang brachte.

Roves Schmutzkübel
Heute zittern die Demokraten vor der Teaparty-Bewegung, deren Leute zu Zehntausenden auf die Straße gehen, Amerika zurückfordern und vor wenig zurückschrecken: Obama als neuen Hitler zu beschimpfen gehört jedenfalls nicht dazu. Inzwischen gilt als nahezu sicher, dass bei den Kongresswahlen im November kein Stein auf dem anderen bleiben wird. „Die beunruhigendste Geschichte der heurigen Wahlen verbirgt sich hinter einer seltsamen Kombination aus Zahlen und Buchstaben“ steht im New York Times-Editorial vom 18. September. Gemeint ist 501(c)(4), eine Rechtsform für gemeinnützige Organisationen, denen Unternehmen, ohne Deklarierung wohlgemerkt, Geld für den Wahlkampf zukommen lassen können. Einzige Bedingung des Gesetzgebers: Die Organisationen, die zumindest in der Theorie dem sozialen Wohl dienen sollten, dürfen bei ihren Wahlempfehlungskampagnen Kandidaten nicht beim Namen nennen. Hinter manchen Gruppen stehen bekannte Gesichter – wie etwa Karl Rove hinter American Crossroads. George W. Bushs Schmutzkübelcampaigner unterhält laut New York Times bereits Kampagnen gegen Demokraten in Kalifornien, Pennsylvania und Nevada.
Die Angst vor Rove sitzt bei den Demokraten tief. Seine Wahlkampftaktik, ohne Rücksicht auf Verluste auf die Schwächen des politischen Gegners einzudreschen, brachte Bush immerhin zwei Wahlsiege ein. In Erinnerung ist etwa der Präsidentschaftswahlkampf 2004, als sich Bush auf John Kerrys Meinungsänderung zur Irakkriegfinanzierung einschoss. Erst 2006, als die Republikaner Senat und Repräsentantenhaus an die Demokraten verloren, musste Rove eine Niederlage einstecken.

Der 70-Millionen-Dollar-Bericht
Acht Jahre zuvor begann alles damit, dass Bill Clinton erklärte: „Ich hatte keine sexuelle Beziehung mit dieser Frau, Fräulein Lewinsky.“ Der Präsident verteidigte sich gerade gegen die Anschuldigung, eine frühere Mitarbeiterin, Paula Jones, sexuell belästigt zu haben. Der mit der Untersuchung Clintons beauftragte Jurist Kenneth Starr trug schließlich einen 70-Mio.-Dollar teuren Bericht zusammen, auf dessen Basis ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten eingeleitet wurde.
Den entscheidenden Hinweis hatte Starr von Linda Tripp erhalten, einer Vertrauten Lewinskys, die Telefonate aufzeichnete. Dass Teile aus dem mit – wie Kritiker meinen – unnötigen sexuellen Details gefüllten Bericht an die Presse gelangten, gilt gewissermaßen als Beweis des politischen Kalküls hinter dem Verfahren. Der Schuss ging letztlich nach hinten los: Weder verlor Clinton sein Amt, noch konnten die Republikaner die Stimmung im Herbst 1998 im Vorfeld des Amtsvergehens für einen Erfolg bei den Kongresswahlen nutzen. Repräsentanten­haussprecher Newt Gingrich, der das Amtsenthebungsverfahren vorangetrieben hatte, musste kurz danach seinen Hut nehmen. Ihm war nicht zuletzt sein eigenes, mitunter ausschweifendes Privatleben in die Quere gekommen. Als Clinton im Jänner 2001 an Bush übergab, bestätigten ihn Umfragen als einen der beliebtesten Präsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Lösungen für die Probleme der Amerikaner, vor allem die Arbeitslosigkeit, haben Teaparty-Anhänger und Republikaner nicht parat. Doch es gelingt ihnen, die Bevölkerung aufzuwiegeln und der Regierung die Schuld zu geben. Und sie setzen auf Altbewährtes: aus Prinzip alles abzulehnen, was von demokratischer Seite vorgeschlagen wird.

Angedrohter „Change“
Vom lauten Gebrüll und von der Androhung, bei den kommenden Wahlen erneut einen „Change“, eine Veränderung herbeizuführen, wirken die Demokraten höchst beeindruckt. Wahrscheinlich zu Recht. Denn dass das Stimuluspaket allein im ersten Jahr zwei Millionen Jobs geschaffen haben soll und dass Obama die erste Version einer allgemeinen Krankenversicherung durchgesetzt hat, interessiert derzeit niemanden.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010

Nester des Widerstandes

Nester des WiderstandesAndy Urban

In den Dörfern, aus denen gut integrierte asylwerbende Familien abgeschoben werden, wehren sich Nachbarn und Freunde immer häufiger gegen diese Politik. Die Erfahrung mit der Ohnmacht radikalisiert „brave“ Österreicher.

Ich fühle mich immer noch schuldig, dass wir damals nichts getan haben“, sagt Hans Jörg Ulreich leise. Er sagt es an dem Ort, wo aus dem Immobilienunternehmer Ulreich ein Mann des öffentlichen Widerstands wurde. Der Ort: ein graues, sanierungsbedürftiges Wohnhaus in der Arndtstraße im 12. Bezirk in Wien. Dort wohnen seit September vier Familien, deren Asylantrag endgültig abgelehnt worden ist und denen nun die Abschiebung droht. Ulreichs Unternehmen hatte das Haus vor einiger Zeit gekauft, in ein paar Jahren wird es saniert werden. Nun hat Ulreich mehrere Wohnungen hergerichtet und den Familien zur Verfügung gestellt.

Von der Ohnmacht ...
Damals, im vergangenen Februar, erlebte Ulreich etwas Einschneidendes: Bernard und seine Familie wurden in den Kosovo abgeschoben. Bernard ist ein Freund seines zehnjährigen Sohnes, die beiden haben miteinander Fußball gespielt.
„Bernard ist ein Wunderkicker“, sagt Ulreich. „Er redet Deutsch wie mein Sohn. Ich wusste gar nicht, dass er Ausländer war, geschweige denn Asylant.“ Im Februar wurde Bernard von der Polizei geholt und von der Familie getrennt in Schubhaft genommen, drei Tage später in den Flieger nach Priština gesteckt.
„Der ganze Ort stand ohnmächtig daneben“, sagt Ulreich. Der Ort: Winzendorf, nahe der Hohen Wand in Niederösterreich. Doch die Ohnmacht währte nicht lange. Ulreich tat, was wohlerzogene, demokratiegläubige Bürger in so einer Situation tun: Er schrieb an Politiker. An den Landeshauptmann, an den Bundespräsidenten. „Doch keiner fühlte sich zuständig. Alle haben sich abgeputzt. Sie haben sich hinter dem Recht versteckt.“
Daraufhin setzte er die Öffentlichkeit in Bewegung. Mit einer über E-Mails verbreiteten Petition sammelte er Tausende von Unterschriften. „Auch die Unterschriften haben nichts bewirkt. Und gleichzeitig werden die Plakate grauslicher, die Diskussionen grauslicher, die Gesetze grauslicher.“

... zum Handeln
Reden, schreiben und demonstrieren, das allein ist offensichtlich zu wenig. Da hatte die Rechtsberaterin Karin Klaric eine Idee: Die von Abschiebung bedrohten Familien könnten in Zelten untergebracht werden, Freunde könnten sich schützend davorstellen. Dazu bräuchten sie eine Wiese. „Eine Wiese habe ich nicht in Wien, aber ein Haus“, sagte daraufhin Ulreich. Das war im August. Dann wurde der Plan ausgeheckt. Die Gewerbetreibenden im Haus wurden in den Plan eingeweiht – sie unterstützen ihn vorbehaltlos. Im Blitztempo wurden mehrere Wohnungen saniert, die ersten gefährdeten Familien sind eingezogen.
Ob er sich vor etwas fürchte? „Nein. Nicht vor der Polizei“, sagt Ulreich mit seiner leisen Stimme. „Aber ich fürchte mich vor dem Urteil meiner Kinder, wenn ich jetzt nichts tue.“ Seinen Großeltern könne er keine Vorwürfe machen.
Sie wären fürs Flugzettelverteilen umgebracht worden. Aber wir? „Noch nie war eine Generation so reich und so frei wie unsere. Und noch nie so feig und so ängstlich. Die Politiker fürchten sich vor den Wählern, und wir fürchten uns vor der Obrigkeit.“
Erich Hametner wirkt nicht wie einer, der sich vor der Obrigkeit fürchtet. Er ist ein geselliger, hemdsärmeliger Typ, mit jedem sofort per Du. Ein Fachmann für Trockentechnik, Unternehmer in Grünau im Almtal. Dort betreibt die Volkshilfe ein Heim, in dem Flüchtlingsfamilien leben. Hametner ist einer der Nachbarn. Im Laufe der Jahre hat sich zwischen einer Familie aus Aserbaidschan und ihm eine enge Freundschaft entwickelt. Er wurde Taufpate von einem der beiden Kinder.
Im Mai brach die Krise aus. Nach jahrelangem behördlichem Schweigen wurde die Familie vor das Asylgericht geladen. Hametner begleitete sie nach Wien. Und sah im dortigen Asylverfahren seine bisherige Welt auf den Kopf gestellt. „Ich war fünf Jahre Laienrichter am Arbeitsgericht. Da gilt: im Zweifel für den Angeklagten. Doch beim Asylgericht wird dem Asylwerber prinzipiell nichts geglaubt, alles wird angezweifelt“, sagt Hametner. Am Ende verwies die Richterin den Fall an die Fremdenpolizei zurück. Die habe sofort einen Ausweisungsantrag gestellt, obwohl sie laut Gesetz der Familie einen Antrag auf Bleiberecht ermöglichen hätte müssen.
Nun legte sich Hametner ins Zeug. Er fuhr mehrmals zum Bezirkshauptmann, teils in Begleitung des Grünauer Bürgermeisters. Die Fremdenpolizei habe gesetzeswidrig agiert, legte er dar. Der Bezirkshauptmann könne ein humanitäres Bleiberecht aussprechen. Er solle doch wie ein Christ handeln, wenn schon ständig das christliche Abendland beschworen werde. „Ich habe das Kind taufen lassen, ich trage Verantwortung“, sagte Hametner. Worauf der Bezirkshauptmann meinte, er gehe auch in die Kirche, aber leider Gottes müsse er Gesetze vollziehen. Der Satz komme ihm bekannt vor, sagte Hametner.
Einschüchterung und Schikane haben bewirkt, dass die Familie auf weitere Rechtswege verzichtet und Österreich verlassen wird. Für eine zweite Familie, eine Frau aus Nigeria und ihre beiden Töchter, denen dort Genitalverstümmelung droht, kämpft Hametner noch.
Was er in den Asylverfahren erlebte, hat ihn verändert: „Ich habe immer an den Rechtsstaat geglaubt. An die Justiz, die nach Gerechtigkeit sucht. An alles, was die Demokratie am Leben erhält. Jetzt graust mir, wenn ich ein Polizeiauto sehe.“
Winzendorf, Grünau, Röthis, Wolfau. Gemeinden, von denen man normalerweise nie etwas hört. Dörfer mit freiwilliger Feuerwehr und Fußballverein, wo man sonntags noch in die Kirche geht und die Männer nachher zum Stammtisch ins Gasthaus. Jeder kennt jeden, oder so gut wie. Das sind Orte, in denen sich Flüchtlingsfamilien oft gut integrieren können. Wo selbst anfängliche Skepsis der Einheimischen verfliegt, sobald sie die neuen Nachbarn persönlich kennenlernen. In diesen Dörfern ist der Schock besonders groß, wenn nach Jahren des gemeinsamen Lebens die Behörden die Familie ausweisen.

Aufstand in Röthis
Doch selbst ein kollektiver Aufschrei gegen Abschiebungen war bisher nicht erfolgreich. Mit einer Ausnahme: Röthis in Vorarlberg. Dort sollten am 25. Februar die Durmisis, ein Paar mit zwei kleinen Töchtern, in den Kosovo zurückgeschickt werden. Die Polizei sollte die Familie um fünf Uhr morgens abholen. Zwei enge Feundinnen der Frau, Amrei Rüdisser und Kerstin Vogg, hatten sich darauf vorbereitet. Sie riefen Freunde, Journalisten und den Bürgermeister Norbert Mähr (ÖVP) an und baten sie, dabeizusein. Als die drei Polizisten kamen, verwickelten die Leute sie in Diskussionen über die moralische Rechtmäßigkeit des Gesetzes. Rüdisser und Mähr weckten Behördenvertreter und Politiker aus dem Schlaf. Nach einer Stunde ließ die Bezirkshauptmannschaft die Abschiebung abbrechen. Nun wird der Asylantrag noch einmal geprüft.
Auch in Wolfau im Burgenland versuchte der ganze Ort samt Bürgermeister Walter Pfeiffer (ÖVP), der Familie Gjoni mit ihren vier Kindern das Bleiben zu ermöglichen. Es hat nichts genützt. Im August reiste die Familie unter Zwang „freiwillig“ in den Kosovo zurück.
Lange glaubten Österreichs regierende Parteien, die Bevölkerung wolle eine Verschärfung der Asylgesetze. Kritik an ihrer Politik, etwa vom UN-Flüchtlingshochkommissariat und Menschenrechtsgruppen, hat sie ignoriert. Doch nun scheint sich die Regierung von den Regierten zu entfernen – und diese lassen sich nicht mehr alles gefallen.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010

Ein Mann am Puls des Erfolgs

Ein Mann am Puls des ErfolgsTom Taller

Toni Innauer: „Ich denke, es tut der Wirtschaft und der Gesellschaft gut, Leute zu kennen, die nicht vor lauter Angst, sie könnten den nächsten Karriereschritt versäumen, immer weitermachen, obwohl sie keinen persönlichen Sinn mehr im Job sehen“, sagt der ehemalige ÖSV-Sportdirektor.

Mit Ende März dieses Jahres haben Sie Ihren Job als Sportdirektor beim Österreichischen Schiverband ÖSV beendet. Auszeit oder Neuorientierung?
Es ist beides. Und es ist auch ein bisschen ein Abenteuer und die Neugier zu schauen, was mit mir passiert, wenn ich aus einer gesicherten Position und aus einem System aussteige, in dem ich jahrzehntelang drinnen war. Andererseits war es auch ein Nachlassen der Faszination, in dem Getriebe der medialen Öffentlichkeit stehend jährlich immer wieder Erfolge liefern zu müssen. Darum war der Wunsch nach Veränderung da; auch der Wunsch, Beziehungen, Freundschaften und andere Dinge intensiver zu leben, als ich das in den letzten Jahrzehnten konnte. Und natürlich spielt dabei vorrangig auch meine Familie eine große Rolle.

Ein ungewöhnlicher Schritt für einen Top-Manager, der Sie ja beim ÖSV waren.

Ja, vielleicht, aber es war schon mein Einstieg in diesen Management-Job eher ungewöhnlich und nicht geplant gewesen. Daher war für mich vorprogrammiert, zu meinem eigenen Tun eine kritische Distanz zu halten, die auch bis zum Schluss da war. Und als das Gefühl immer größer geworden ist, dass das für mich nicht mehr ganz stimmt, habe ich mich gefragt, ob ich den Mut habe, diese Bauchentscheidung zu treffen. Und da ist dann der Schispringer wieder durchgekommen, der gesagt hat: Ja, ich fahr los vom Balken und schau, was rauskommt.

Aber Sie sind ja auch jetzt viel beschäftigt, halten Vorträge für Manager zum Thema Erfolg.
Ja, über Erfolg in seinen verschiedenen Dimensionen. Ich habe drei Kinder und entsprechende Lebenskosten, deshalb ist es für mich selbstverständlich, dass ich arbeiten und Geld verdienen muss. Manchmal fragen mich Leute, wie es denn jetzt in der Pension sei, aber meist ist es so, dass nach wie vor ich mehr Steuern als der Fragesteller zahle. Ich bin gerne aktives Mitglied dieser Gesellschaft und liefere meinen Beitrag ab.

Und was erzählen Sie den Zuhörern bei Ihren Vorträgen?
Ich erzähle ihnen von meinen Erfahrungen im Spitzensport, greife oft zurück auf die Zeit, als ich selber noch Sportprofi war; und dann natürlich auf die Zeit als Trainer, in der ich mich im Rahmen meines Studiums auch wissenschaftlich mit diesen Phänomenen auseinandergesetzt habe; und letztendlich auf meine Tätigkeit als Topsport-Manager, Direktor und Führungsperson. Da geht es auch um das tolle System des österreichischen Schiverbandes ÖSV, in dem wir versucht haben, Erfolge nachhaltig zu fördern, ständig innovativ zu sein und dafür zu sorgen, dass junge Sportler nachkommen.

Worum geht es da im Detail?
Das Schlagwort „Change“, Veränderung, spielt eine Rolle; das hat auch immer mit Mut zu tun. In unserem Sport sind das Umstellungen auf neue Technologien, Umgehen mit Erfolg und Niederlage oder Teamwork. Vor allem auch die Methoden im mentalen Bereich: Wie motiviert man sich, wie löst man Motivation in anderen aus, wie kommunizieren wir in einem Expertenteam? Viele solche Themen tauchen da auf – bis ins spezifisch Leistungspsychologische hinein, wo wir im Schispringen eine lange, beispielgebende Tradition und Zusammenarbeit mit Profis haben. Und schließlich habe ich auch in der Sportpolitik versucht, die Spielregeln dieses Sports international mitzugestalten, um Rahmenbedingungen zu haben, zu denen ich auch ethisch-moralisch stehen kann.

Sind die fairen Rahmenbedingungen, die Sie im Sport einfordern, mit denen im heutigen Wirtschaftsleben vergleichbar?
Der Sport ist natürlich nicht wesentlich anders strukturiert als die Wirtschaft. In beiden Bereichen findet ein Ringen um eigene Vorteile, aber auch um Fairness und Chancengleichheit, um akzeptable Standards statt. Wenn ich die unappetitlichste Seite des Sports heranziehe, nämlich Doping, dann sieht man Österreich neuerdings in einer bemerkenswerten internationalen Vorbildrolle. Bei uns wurden hohe Standards eingeführt, ein schärferes Gesetz, das Sportbetrug nicht nur sportrechtlich, sondern auch strafrechtlich mit Kronzeugenregelung verfolgbar macht – und zwar nicht den Besitz und die Anwendung von Dopingmitteln, sondern das Dealen. Wir sind Vorreiter, und einiges wurde ans Tageslicht gefördert – und darauf können wir einerseits stolz sein.

Und andererseits?

Andererseits ist klar, dass man sich in manchen Sportarten durch diese hohen Standards einen internationalen Wettbewerbsnachteil im Kampf um Podestplätze einhandelt. Und eben da finde ich den Zusammenhang mit der Wirtschaft interessant. Jedem Wirtschaftler ist es klar, dass die Chinesen andere Standards in der Produktion haben als die Amerikaner; und wir Europäer haben wahrscheinlich die höchsten, was Umweltschutz, Sozialstandards und Ähnliches anbelangt. Das beeinflusst natürlich die Wettbewerbsfähigkeit am internationalen Markt. In der Wirtschaft behilft man sich, indem man Produktionsprozesse in Billiglohnländer auslagert.

Und wie läuft das im Sport?
Dieses Ringen um Standards, die eben nicht nur für die Mächtigsten günstig sind, ist ein ganz schwieriger Prozess. Und diesen Prozess kann man auch im Spitzensport verfolgen. Es gibt zwar theoretische Gesetze, aber die gelebte Praxis sieht oft sehr anders aus und wird für die mächtigen Nationen zurechtgebogen – genauso wie es in der Wirtschaft passiert. Weil eben der Sport, wie viele andere gesellschaftliche Bereiche, im Takt mit der Wirtschaft geht; weil er hochgradig kommerziell ist und dort viel Geld und Prestige bewegt werden.

Am Beispiel des Schifliegens in Planica haben Sie sich in Ihrem neuen Buch sehr kritisch über die Kommerzialisierung von Sportereignissen geäußert, die zu jahrmarktähnlichen Festen werden, wo aber der Sport in den Hintergrund gedrängt wird.
Planica ist nur EIN Beispiel, und die Kritik kommt aus meinem persönlichen Zugang, weil ich Spitzensport anders begonnen habe zu leben. Schispringen ist ja ein noch sehr junger Kommerzsport. Ich habe vor 35 Jahren – ich bin ja erst 52 – noch das andächtige und doch atemberaubende Zeremoniell des Schifliegens erlebt; und heute merke ich, dass man ambitioniert dabei ist, diese tollen Veranstaltungen zuzudröhnen. Natürlich verdienen alle wesentlich mehr Geld, endlich auch die Schispringer, aber es geht ein Kernbereich des Ganzen verloren, nämlich der Fokus auf diese unglaublich tolle Leistung, wenn die Burschen auf weit über 200 Meter hinuntersegeln. Und das beschreibe ich aus meiner leidenden Beobachtung, weil mir das Drumherum einfach viel zu laut und trotz mehr Geld zu „billig“ geworden ist.

Es scheint aber, dass die Reise noch weiter in Richtung dieser Kommerzialisierung geht.

Gegen gute Kommerzialisierung unter Schutz der wesentlichen substanziellen Werte sollte man nichts haben, so blauäugig darf man nicht sein. Ich glaube, da wird der Sport in nächster Zeit ein paar Akzente setzen müssen, um nicht mit all diesen Ballermann-Aktionen verwechselt zu werden, die es rundum gibt, sondern dass man doch merkt, dass der Sport etwas ganz Spezielles, nämlich höchste Qualität zu bieten hat. Da muss man sich absetzen.

Was genau stört Sie an dieser Entwicklung?
Bei der Kommerzialisierung, wie wir sie jetzt erleben, ist mir abgegangen, dass sich viele Protagonisten unkritisch den Wünschen von Boulevard und Markt anpassen. Sie sind hellauf begeistert, weil man ein bisserl mehr Geld verdienen kann, gewahren jedoch nicht, dass ganz wesentliche Dinge verloren gehen. Dieses Phänomen stelle ich im Sport fest, wo ich Experte bin, aber es ist natürlich durchgängig in der gesamten Gesellschaft zu beobachten, dass wesentliche Dinge geopfert werden, um Geld zu verdienen, in die Schlagzeilen zu kommen und fragwürdige Unterhaltung zu bieten. Nicht einmal die Politik verschont uns vor diesen Auswüchsen.

Was kann der Sportler einem Wirtschaftsmanager vermitteln? Das Leben als aktiver Sportler ist kurz, in der Wirtschaft sollte man an sich nachhaltig über längere Zeiträume denken.
Der Sportler als Virtuose repräsentiert das System als Star nach außen. Er soll das zeigen, was die Trainingstheoretiker, Mediziner und Psychologen mit ihm erarbeiten. Es ist hochinteressant zu beobachten, welche Leistungsfähigkeit ein begabter Mensch in einem besonderen Förderungssystem entwickeln kann. Es lohnt sich für Manager wahrzunehmen, wie wichtig bei so einem Sportler Regeneration, Auszeiten, wirkliches Loslassen und das Aufladen der Batterie sind, und dass Spitzenleistungen ohne das Kultivieren dieser passiven Phasen unmöglich sind.

Wie wichtig ist dabei für einen Einzelsportler das Umfeld des Teams?
Es ist auch für einen Einzelsportler so, dass ein gutes System, ein gutes Team, in dem er sich wohlfühlt, enorm entlastend sein kann, und dass er aus der Unterstützung durch das Team einen merkbaren Kraftzuwachs erhalten kann. Das kann man mit jedem Frontmann in der Wirtschaft vergleichen, und so kann auch die Wirtschaft vom Sport lernen – wie wichtig zum Beispiel perfekte Organisation, Loyalität, gute mentale Einstellung, Vorbereitung, Visualisierung der Ziele und so weiter sind.

Also sind auch Einzelsportarten von systemischen Phänomenen geprägt?
Wenn ein Sportler auf sich allein gestellt agiert, wenn er nicht coachbar ist, wenn er nicht imstande ist, Rat anzunehmen, passiert es oft sehr schnell, dass er ausbrennt oder sich in Sackgassen verrennt. Bei aller Egozentrik tut ein Spitzensportler genauso wie ein Topmanager gut daran, Perspektiven von außen aufzunehmen. Ein gutes Beispiel war Thomas Muster, der ohne Ronnie Leitgeb als Organisator und Stratege deutlich schwächer war. Das heißt, Leistungsfähigkeit entsteht im System, auch bei einem hoch begabten Sportler. Dass alles sind Dinge, die ich versuche zu vermitteln.

Es gibt viele Bücher, in denen ehemalige Spitzensportler ihre Erfolgssysteme auf die Wirtschaft umzulegen versuchen. Aber kann aus der Sicht eines Sportlers überhaupt ein Leitfaden für gutes Wirtschaften erstellt werden? Kann man aus Ihren Gedanken ein wirtschaftspolitisches Konzept erstellen?
Schuster, bleib bei deinen Leisten! Ich könnte vielleicht in eine Expertenrunde meine Erfahrung mit speziellen Beiträgen einbringen, aber es wäre eine Anmaßung und ein Überschreiten der mir gegebenen Grenzen, die ich mir selber gerne setze, zu glauben, dass ich so was aufstellen könnte.

Ich meine auch eher die Diskussion über Rahmenbedingungen.
Es geht immer um Analogien, Parallelen und strukturelle Ähnlichkeiten. Der Sport hat einzigartigen Symbolcharakter, aber es wäre eine Überschätzung zu glauben, dass man aus der reduzierten Realität des Sports heraus alles entwickeln kann. Man kann über Dinge, die im Sport passieren, berichten, großes Interesse wecken und eine Transferleistung beim Zuhörer anregen. Dann kommt man schnell drauf, dass es aus dem Spitzensport sehr gute Anregungen gibt, weil dort Leistungen eben auf die Spitze getrieben werden. Letztendlich muss man sich aber selber auch wieder einordnen. Der Sport könnte allerdings, wie ich es in meinem Buch dem Internationalen Olympischen Komitee vorschlage, weltweit beachtete ethische Standards umsetzen und nicht nur Milliarden von Euro.

Weil Sie das ansprechen: Sie haben vor Kurzem ein neues Buch „Am Puls des Erfolgs“ herausgebracht und überarbeiten gerade Ihren Erstling „Der kritische Punkt“.
„Der kritische Punkt“, ein Buch, das ich gemeinsam mit Christian Seiler vor fast 20 Jahren geschrieben habe, war damals ein toller Erfolg. Es wurde zum Prototyp einer neuen Art von Sportbiografie und auch zu einem Bestseller, ist aber seit langer Zeit vergriffen; antiquarische Exemplare werden teuer gehandelt. Deshalb haben wir gesagt, wir legen das erste Buch für jene Menschen, die durch das aktuelle Buch neugierig geworden sind, wieder auf. Es wird im Herbst in einer kleinen Auflage frisch erscheinen.

Denken Sie auch daran, das Thema Ihrer Vorträge „Was die Wirtschaft vom Spitzensport lernen kann“ in Buchform zu behandeln?

Auch im alten Buch waren schon einige so genannte Gebrauchsanleitungen – aus dem Sport abgeleitete Tipps für den Alltag – drinnen, und wir werden bei der Neuauflage noch einige ganz besondere dazugeben. Das sind erprobte Instrumente, die auch im Berufsleben greifen.

Das Wirtschaftsberater-Buch kommt also nicht?

Das wird nicht kommen. Aber ob Sport oder Wirtschaft: Wir sind alle Menschen mit Emotionen, Intellekt und Körper – und dort setze ich mit den Gebrauchsanleitungen an. Und ich bin überzeugt, diese werden viel nützlicher sein als wirtschaftsspezifische Ratschläge von mir. Das ist mein Ansatz: Im Mittelpunkt steht der ganze Mensch in verschiedenen Wettbewerbs- und Leistungssituationen, aber auch im wichtigen Abstand dazu.

Geben Sie, so wie Sie es ja selber machen, den Managern auch die Idee mit, beizeiten eine Auszeit aus dem Leben im Getriebe zu nehmen?
Nicht explizit, aber ich bin ja nicht der Einzige, der sich verändert. Ich denke, es tut der Wirtschaft und der Gesellschaft gut, Leute zu kennen, die nicht vor lauter Angst, sie könnten den nächsten Karriereschritt versäumen, immer weitermachen, obwohl sie keinen persönlichen Sinn mehr im Job sehen. Ich halte es für wichtig, Wert darauf zu legen, mehr Lebens- und Beziehungsqualität zu erfahren. Und das in jeder Hinsicht: mehr Beziehung zu sich selbst, Beziehung zu seinen engsten Mitmenschen, Beziehung zur Natur und allem, was zu einem erfüllten Leben dazugehört. Denn all das sollte man nicht aus dem Blick verlieren. Das ist schon ein Thema, das ich mit meinem eigenen Beispiel zumindest indirekt als Botschaft vermittle. Es muss nicht bis zur Pensionierung immer nur schneller, höher und stärker sein.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010

economy ist tot, es lebe economy.at

economy ist tot, es lebe economy.at

Von Beamten mit Säbel. Abschließende gedruckte Worte und eine nötige unternehmerische Neuorientierung.

Was schreibt man im letzten gedruckten Editorial? Einmal, das nächste „Edi“ erscheint am 29. Oktober auf economy.at
(siehe „Werte Leser“ vorige Seite). Wir machen ab jetzt elektrischen Journalismus. Jener elektrische Journalismus, der einen Paradigmenwechsel im Mediengeschäft verantwortet. Gerfried Sperl, Verleger von Phönix meinte einmal: „Der Zeitungsjournalismus hat das größte Potential um Aufklärung zu betreiben, daher sind Qualitätszeitungen auch nicht umzubringen.“ Das wird sich zeigen, die hier oftmals kritisierten medienpolitischen Entwicklungen lassen Zweifel aufkommen. Zurück zu den Reaktionen auf die Einstellung. Von „Die Zeitung ist das Papier nicht wert“ bis „Ein echter Gewinn für den Leser“ war alles dabei. Persönlich nehme ich mit: „Schade. Die Pionierarbeit – einen öffentlichen Raum für Forschung und Technologie zu schaffen – bleibt erhalten.“ Und die Bezeichnung „Publizist“ in einem internationalen Forum mit einer sachlichen Erörterung meiner kritischen Auseinandersetzung zum Islam in Österreich. Mitnehmen tue ich auch unsere Leser-Demografie: Drei Viertel der zuletzt erreichten 46.000 Personen sind unter 40 Jahren mit Hochschulabschluss oder Matura. Junge, gebildete Menschen sind mit einem gedruckten Medium zu begeistern.
Wieder zur Politik. Ein lang gedienter Spitzen-Beamter ist in die zweite Reihe getreten. Ein Spitzen-Beamter, der ohnehin immer gerne aus der zweiten Reihe agiert hat und den die Wissenschaftsszene oft als „wahren Forschungsminister“ bezeichnete. Er selbst nennt sich einen „alten österreichischen Beamten mit dem Säbel im Gürtel.“ Den Säbel zieht er wenn es „politisch“ wird und nicht um die Sache geht. Forschungsmanager bescheinigen ihm eine „große Loyalität für die österreichische Wissenschafts-Community UND für seine/n jeweilige/n Minister/in.“ Beim Forum-Alpbach begrüßte ihn der Tiroler Zukunfts-Manager Harald Gohm in einer Reihe mit den MinisterInnen. Seine Minister waren Staribacher, Farnleitner, Schüssel, Bartenstein, Gehrer, Hahn und jetzt Karl. Von Gehrer erhielt er eine Auszeichnung. Eine tiefschwarze Ministerin prämiert einen tiefroten Spitzen-Beamten. All das sagt viel über sein Standing. Vor zehn Jahren präsentierte ich ihm EConomyAustria. Die damals schon publizierten Inhalte aus Technologie sollten um Forschungsthemen ergänzt werden. Die Präsentation war erfolgreich und bald waren alle wichtigen Forschungs-Institutionen Plattform-Partner. Die EU-Kommission nominierte EConomyAustria aus 162 europäischen FIT-Initiativen für die Wirtschaft als europaweites Vorzeigeprojekt.
Werter Peter Kowalski, wir sind einen weiten Weg gegangen. Wir haben dabei in der Tat Pionierarbeit geleistet und einen öffentlichen Raum für diese standortpolitisch entscheidenden Themen geschaffen. Das bleibt uns erhalten. DANKE. Danke auch an mein Team. Und danke an meine Frau Michaela und an meine wunderbaren Kinder Hannah und Laurin für Rückhalt und Kraft. Und für das Vertrauen bei der nun nötigen unternehmerischen Neuorientierung. Nach 21 Jahren im Mediengeschäft geht es nun auch in Richtung Kunst. Wir starten von 30. Oktober bis 7. November 2010 bei der WIKAM, der Wiener Internationalen Kunst- und Antiquitätenmesse im Palais Ferstel. Kommen Sie. Und kaufen Sie. Es erwartet Sie wieder sinnlich bereichernde Qualität. Diesmal in gebrannter und gemalter Form. Und nicht mehr in gedruckter Form.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 27.09.2010

Grüne Jobs haben Zukunft

Grüne Jobs haben ZukunftPhotos.com

Umweltschutz schafft Arbeitsplätze. Österreich setzt sich hohe, aber realistische Ziele. Doch die Entwicklungen im „grünen Bereich“ kommen nicht von allein. Investitionen in Zukunftstechnologien bedürfen einer gezielten Forschungsförderung und eines gesellschaftlichen Wandels.

Dass mit der Neu-Etikettierung politischer Initiativen kein „alter Wein in neuen Schläuchen ver­kauft“ wird, sondern mit zielgerichteten Förderangeboten im Sinne eines New Deal ein Paradigmenwechsel in Richtung Nachhaltigkeit eingeleitet wird, zeigt das Beispiel „Green Jobs“. Heuer werden dafür vom Staat 760 Mio. Euro investiert, 270 Mio. für Umweltschutz, weitere 200 Mio. für Gewässerschutz, 250 Mio. für Bio-Landwirtschaft und 40 Mio. für Altlastensanierung.
Auch wenn laut Arbeiterkammer jeder dritte Umweltarbeitsplatz schlecht bezahlt und noch dazu mit hohen körperlichen Belastungen verbunden ist, ist der Begriff „Green Job“ bei Politikern aller Couleur en vogue.
Allein mit der Schaffung von Jobs ist es nicht getan, diese müssen auch sozial verträglich und umweltgerecht werden, fordert der Umweltökonom der Arbeiterkammer Thomas Ritt. „Der Landwirtschaftsminister möchte gerne mehr Green Jobs haben. Das klingt gut. Doch noch viel zu oft verbergen sich hinter dieser Bezeichnung Arbeitsplätze mit ausgesprochen harten Arbeitsbedingungen.“

2020: Schlüsseljahr für Austria
Bis 2020 hat Österreich Zeit, die von der Europäischen Union definierten Klimaschutzziele zu erreichen. Es wird, so Umweltminister Niki Berlakovich (ÖVP), „ein Schlüsseljahr“ für Österreich. Der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch soll sich von derzeit 28 auf 34 Prozent erhöhen, der CO2-Ausstoß in jenen Sektoren, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, also vor allem im Verkehr, um 16 Prozent zurückgehen und die Energieeffizienz soll sich um 20 Prozent steigern. Hierzu stellte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) gemeinsam mit Berlakovich die Umweltstrategie 2020 vor, die „intelligentes Wachstum“ sichern und ganz en passant Jobs – hier werden Zahlen zwischen 80.000 und 100.000 Euro kolportiert – sichern bzw. schaffen soll.
Auch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie fördert die Innovationsführerschaft Österreichs in diesem Segment. Beispielsweise durch Maßnahmen und Investitionen in den Bereichen Gebäudesanierung, erneuerbare Energien, energieeffiziente Produktion, öffentlicher Verkehr und Elektromobilität. Amtskollege Mitterlehner will insbesondere in der thermischen Sanierung einen Schwerpunkt setzen. Aus der geplanten „Ökologisierung des Steuersystems“ sollen jährlich 100 Mio. Euro in die thermische Sanierung fließen. Immerhin besteht in Österreich bei zwei Dritteln der insgesamt 3,5 Mio. Wohnungen ein Sanierungsbedarf. Konkretes Ziel ist es, die Sanierungsrate von derzeit 1,2 Prozent bis zum Jahr 2020 auf drei Prozent zu steigern. Derzeit werden jährlich 40.000 Gebäude saniert, bis 2020 sollen es 110.000 jährlich werden. Dadurch wären in zehn Jahren rund 20 Prozent aller Wohnungen saniert.

Die Umwelttechnologie boomt
Fakt ist: Die Umwelt- und Ener­gietechnologien boomen trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten.
Die vom Lebensministerium beauftragte Studie „Qualifikation-Green Jobs“ gibt neben österreichischen und EU-weiten Definitionen einen Überblick darüber, welche Qualitätsanforderungen zukünftig an Green Jobs gestellt werden.
Durch das rasante Wachstum des Umweltsektors mit rund 12 Prozent pro Jahr entstehen vor allem durch innovative Klein- und Mittelbetriebe immer mehr Arbeitsplätze, die im Zusammenhang mit Klima- und Umweltschutz stehen. Die Zahl der Green Jobs in Österreich – EU-weit sind rund 3,5 Mio. Menschen in diesem Sektor beschäftigt – wird laut Prognosen in den nächsten Jahren stark ansteigen. Green Jobs sorgten 2008 für einen Umsatz von 29,8 Mrd. Euro. Das waren 10,6 Prozent des nominellen Bruttoinlandsproduktes. Davon werden rund 65 Prozent durch Exporte generiert.
185.141 Menschen (Statistik Austria: 2008) sind hierzulande im Umweltschutz in diesem Sektor beschäftigt, das ist ungefähr jeder 20. Arbeitsplatz. Der Umweltschutz schafft Arbeitsplätze. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Ökoverbände heftig gerügt wurden, dass sich ihre Forderungen negativ auf den Arbeitsmarkt auswirkten.
Aus dem „Jobkiller“ Umweltschutz ist längst ein „Jobbringer“ geworden.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 10.09.2010

Jeder Mensch ist gleich an Rechten und Würde

Jeder Mensch ist gleich an Rechten und WürdeErzdiözese Wien

Helmut Schüller: „Hat bei uns jeder ein menschenwürdiges Auskommen, hat bei uns jeder einen menschenwürdigen Arbeitsplatz, der ihn braucht und will, wird der Mensch wirklich als Mensch geachtet oder als Mittel zum Zweck angesehen?“, fragt der Priester und Seelsorger.

Wie definieren Sie Christentum?
Christentum ist die Vision des Jesus von Nazareth. Diese lässt sich ganz einfach zusammenfassen: Alle Menschen sind Geschwister, weil sie einen gemeinsamen Vater im Himmel haben. Sie sind einander Brüder und Schwestern, daher gibt es untereinander keine Unterschiede und einer hat auf den anderen zu achten. Daher haben Frieden und Gerechtigkeit unter den Menschen den Vorrang.

Ein unerreichbares Ideal oder eine Lebensmaxime?
Das ist die urchristliche Perspektive, nach der auch gleich am Anfang Gemeinden zu leben begonnen haben. Sie praktizierten Gütergemeinschaft und Güterteilung, und sie haben das weitergesagt, was Jesus ihnen gesagt hat. Das hat damals viel Staub aufgewirbelt, auch deshalb, weil es mit vielen herkömmlichen Gottesbildern gebrochen hat, sogar mit dem des Volkes Israel, dem ja Jesus angehört hat; auch das war ihm schon zu verkastet und hierarchisiert. Und er hat den Ursprungsgedanken aufgegriffen, dass man Gott direkt gegenübertreten kann, dass er für jede und jeden von uns offen ist und dass auch wir füreinander da sind. Daher hat Solidarität den Vorrang vor Eigennutz; es geht darum, einander in Solidarität verbunden zu sein.

In den urchristlichen Gemeinden waren also die Menschen mit Gott direkt in Kontakt. Erst später wurde der Klerus als Mittler- respektive Vermittlerschicht eingezogen. Woraus zieht der Klerus seine Legitimation?
Am Anfang waren Christen eine horizontale Gemeinschaft, es gab fast keine Leitungsämter, und wenn doch, dann nur, um die Einheit zu sichern und Verbindung miteinander zu halten. Aber es gibt immer diese Machtspielchen; die hat es sogar unter den Aposteln Jesu gegeben. Das Urmenschliche drängt sich immer wieder durch: erstens Macht, Einfluss, Eifersucht usw., und zweitens, die Dinge auf so etwas wie Amtskapplträger hinzutrimmen. Das Volk hat immer wieder diese Erwartung, dass bestimmte Personen zuständig sein sollen. Das hat sich gegenseitig hochgeschaukelt: Die einen hatten es nicht so ungern, dass man ihnen das Amtskappl, sprich die Bischofsmütze aufgesetzt hat, die anderen haben sich zurückgelehnt und gemeint, der Klerus würde das religiöse Geschäft für sie erledigen.

Also eine Entwicklung, wie man sie auch von politischen Ideen kennt?
Auch wenn eine neue politische Bewegung entsteht, endet sie irgendwann bei einer Partei mit Zentralsekretariat und Parteietagen. Die Frische der Uridee hält meistens nicht ganz durch. Ab und zu kommt dann wieder so eine Rückbesinnung wie in der Reformation unter Martin Luther – eine Erinnerung, dass man schon weit weg vom Urgedanken ist. Leider hat man damals die Kritik nicht intern verarbeitet, sondern nach außen getragen, was in einer Glaubensspaltung endete – an der Europa durch den 30-jährigen Krieg schwer getragen hat.

Das heißt, die christliche Uridee ist uns schon ziemlich verloren gegangen?
Wenn ich mit meiner Gemeinde darüber spreche, sind die Menschen ganz erstaunt, wenn ich sage: „Jeder ist Priester.“ Schon im Neuen Testament zeigt sich: Jesus ist eine ganz neue Art von „Priester“, schon zwischen Gott und uns Menschen, aber er sieht das so, dass wir es mit ihm sind. Das wir also – um es so auszudrücken – nur eine Etage und kein hierarchisches Gebäude brauchen.

Sogar bis dahin, was uns unvorstellbar ist, dass wir all das, was er kann, ja angeblich auch können – potenziell.
Vollkommen richtig. Und er hat ja kein Riesenspektakel daraus gemacht. Er ist auf Kranke zugegangen, und sie sind gesund geworden, wie auch immer. Er hat Leute zusammengeführt, er hat ganz neue Dinge gestiftet. Und er hat uns als Botschaft hinterlassen, dass das jederzeit wieder aufleben kann. Es ist eine Art von Lebenskunst, von Glaubenskunst, die er beherrscht hat; und wenn wir mit ihm Kontakt halten und uns bemühen, aus seinem Geist zu leben, dann ist nichts unmöglich. Es ist interessant zu sehen, dass sich in den Beschreibungen der ersten Gemeinden viele Phänomene fortgesetzt haben, also auch Heilungsphänomene, aber auch diese neue Art, von Gott zu reden, und die Begabung einzelner einfacher Gläubiger, den anderen plötzlich etwas Interessantes zu erzählen.

Welche Art von Rückbesinnung auf diesen Ursprung wäre in der heutigen Zeit notwendig?
Man muss sehen, dass die Vision des Jesus von Nazareth grundsätzlich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 wieder vollkommen auferstanden ist. Jeder Mensch ist gleich an Rechten und Würde und frei geboren. Das ist dieser Blick auf den einzelnen Menschen als gleichwertig mit dem anderen, und jeder ist für den anderen engagiert. Die Verfasser der Menschenrechte haben dazu keine Bibel gebraucht, die haben das aus eigenen Gedanken im Angesicht des Schreckens des Zweiten Weltkrieges neu formuliert. Denn wenn es stimmt, dass jeder gleich an Rechten und Würde geboren ist und daher ein Anrecht auf ein angemessenes menschliches Leben hat, dann hat sich jeder darum zu bemühen, dass er das selbst hat und dass es der andere auch hat.

Ein urchristlicher Zugang also?
Ja, denn das ist in ganz anderem Gewand wieder diese uralte Idee. Und Christen sind herausgefordert zu schauen: Funktioniert es in unserer Zeit? Ist jeder Mensch gleich, kann jeder menschenwürdig leben? Oder gibt es von vornherein Ausgeschlossene? Oder gibt es sogar stark Unterdrückte? Zum Beispiel arm Gemachte und arm Gehaltene? Sind unsere Staatsformen, ist unsere Weltordnung, von der Wirtschaft bis zum Recht, so ausgelegt, dass dieser Grundsatz gelebt wird?

Können wir da gleich als Antwort festhalten: Nein!
Es wird nicht gelebt, das ist richtig. Es leben viele gegen diesen Zustand an. Es hat zu allen Zeiten große Gestalten gegeben, die regelmäßig große Schwierigkeiten gekriegt haben. Das gibt es im Kleinen, aber im Großen bewegen wir uns rasant davon weg, das ist ganz eindeutig. Verstärkt jetzt auch wieder in dieser Situation der Weltwirtschaftskrise – die wird wieder als Vorwand dafür genommen, um in Wahrheit immer Wenigeren immer mehr zu sichern, denn die Kosten dieser Krise werden wieder auf die Allgemeinheit übergewälzt.

Es besteht also weitestgehend eine Diskrepanz zwischen Ideal und Praxis?
Wenn Sie sich das Millenniumsziel anschauen, den Hunger in der Welt auf die Hälfte zu reduzieren: das ist nicht annähernd erreicht. Oder wenn Sie schauen: Die entwickelten reichen Staaten haben versprochen, einen größeren Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Entwicklungszusammenarbeit zu widmen. Das wurde nicht nur nicht erreicht, sondern es wird sogar zurückgeschraubt. Gerade der Staat Österreich hat jetzt wieder reduziert. Wir haben ohnedies schon bald die rote Laterne, fahren das aber noch einmal runter. Dies zeigt natürlich, dass es nicht gelebt wird.

Und wie so oft in der Politik mit feinen Rechentricks, indem man zum Beispiel Schuldennachlass in diesen Anteil hineinrechnet.
Genau, aber da hat Österreich jetzt sozusagen Pech, denn der Schuldennachlass, der bisher eingerechnet wurde, ist nun zu Ende. Und jetzt steht man da und kann das nicht mehr verstecken; und jetzt schaut die Zahl noch mickriger aus. Also etwa 0,23 statt 0,7 Prozent des BIP – und das geht noch weiter zurück. Da sind wir, auch von der Willensbildung der Staatengemeinschaft, sehr, sehr weit weg von unseren vorgeblichen Zielen.

Woher kommt diese Bigotterie der politischen Parteien, die sich nach außen hin noch immer zu den christlichen Werten bekennen?
Diese Parteien müssen selber bestimmen, wie nahe oder weit weg von der christlichen Idee sie sich befinden. Es kann sich eine Partei christlich nennen oder das Wort „christlich“ x-mal in ihrem Parteiprogramm verwenden – es wird nicht funktionieren, weil man jederzeit und sofort nachschauen kann, ob dem auch so ist, ob es der gelebten Praxis entspricht. Weil jeder das Christentum irgendwie verstanden hat, das Gespür dafür ist weit verbreitet – auch wenn viele sich nicht daran halten, wissen sie doch, worum es geht. Das ist so was von einfach und lässt sich deswegen auch ziemlich leicht überprüfen.

Also doch gelebte Bigotterie?
Immer wieder kommen Wirtschaftstreibende, Politiker oder Forscher zu mir und sagen: „Ja, natürlich ist das unser Ideal, aber es geht halt nicht – weil die anderen uns nicht lassen, weil die so genannten Sachzwänge uns davon abhalten, weil …“ usw. Es gab den Versuch, die Grundgesetze des Kapitalismus mit dem Christentum zu versöhnen und zu fragen: „Kriegt man nicht doch eine Form hin, in der man kapitalistisch sein kann, sich aber trotzdem noch christlich nennen darf?“ Das alles sind aber schöne Lebenslügen, die natürlich nicht stimmen.

Warum geht sich das nicht aus?
Weil das Wesen des christlichen Menschen-, Welt- und Gesellschaftsbildes ganz eindeutig ist: Das Maß für alle Maßnahmen ist einerseits, dem Menschen gerecht zu werden, und andererseits, mit den Gütern der Schöpfung angemessen umzugehen. Und alles andere hat sich unterzuordnen, auch der Gewinn ist nichts Unabhängiges. Man kann nicht bis zum Gewinn eine Sau und nachher dann mildtätig sein. Das ist definitiv bigott.

Wo würden Sie da die Richtschnur anlegen?
Man muss sich fragen: Bin ich zum Gewinn nur dadurch gekommen, dass ich vieles zerstört habe, was ich eigentlich aufbauen sollte, um es danach mit etwas Wohltätigkeit wieder reparieren zu helfen? Oder sehe ich, dass ein Gewinn, der nur auf Kosten dieser Dinge gegangen ist, in Wahrheit schon ein Verlust ist, auch wenn er den Zahlen nach wie ein Gewinn ausschaut.

Sie haben die Solidarität als Wesen des christlichen Denkens angesprochen, doch die Basis des Kapitalismus ist der Eigennutz. Und die Summe allen Eigennutzens soll dann durch irgendwelche wundersamen unsichtbaren Mechanismen zum Allgemeinwohl führen. Aber da liegt doch schon in den Grundideen ein Widerspruch vor.
Die Wirtschaft wird von den großen Ökonomieschulen gelehrt, als wäre sie eine Naturwissenschaft. Das ist natürlich ein totaler Unsinn. Sie ist bestenfalls eine Sozialwissenschaft. Das heißt, es geht nicht um das Scheingefecht von irgendwelchen ökonomischen Naturgesetzen, die es in dem Sinn ja gar nicht gibt – also die von Ihnen angedeutete unsichtbare Hand und all diese Dinge –, sondern immer ist der Mensch aufgefordert, zu formen und zu gestalten. Und es geht darum, die Eigendynamik, die das alles entwickelt, immer wieder in den Griff zu kriegen und sie auszurichten auf das eigentliche Ziel – und das Ziel ist der Mensch. Auch die Wirtschaft steht im Dienst der Gesellschaft und nicht umgekehrt.

Aber heute läuft das doch umgekehrt.
Ja, aber diese Gesellschaft wird nicht weit hüpfen. Weil sie zwar einige Zeit lang einigen zu sehr viel Reichtum verhelfen wird, aber dafür wird der Friede flöten gehen; es wird drunter und drüber gehen, und man wird daran erkennen müssen, dass dies kein guter Weg ist. Man könnte sich Katastrophen ersparen, indem man sich schon vorher besinnt und sagt: Es kann nur ein Weg weiterführen, an dem möglichst alle teilhaben können, der möglichst allen einen angemessenen Platz zukommen lässt, wie er den Menschen aufgrund ihrer Geburt zusteht. Das ist die Messlatte.

Also wiederum Vorrang des Sozialen vor dem Ökonomischen?
Es gibt, wie gesagt, diese Versuche, Systeme zu klittern. Die Wahrheit ist, dass Wirtschaftswissenschaft eine Sozialwissenschaft ist; das heißt, dass sie zuallererst anerkennen muss, dass sie eingebettet ist in das Wissen vom Menschen und von der Gesellschaft. Als Beispiel:
Der Markt war in seiner Urform eine ganz gesunde menschliche Begegnungsplattform, und wenn einer am Markt die Wildsau gespielt hat, dann war er dort nicht mehr lang zuhause. Oder wenn wir das Wort „Ökonomie“ nehmen: Es kommt aus dem Griechischen von „oikos“ und meint „Hauswirtschaft“.

Diese Sichtweise war ja auch lange Zeit das Vorbild für die Führung des Staatshaushaltes.
Alles, was in einer vernünftigen Hauswirtschaft gilt, das gilt auch in der Gesellschaft. Und alles, was man an diesen Grundgesetzen in der Gesellschaft verletzt, rächt sich sofort. Und eine Hauswirtschaft, zum Beispiel eine Familie oder ein Haushalt, ist etwas völlig Unkapitalistisches. Es gibt von sich aus keine kapitalistische Familie, weil Familie oder Partnerschaft darauf aufbaut, dass der andere etwas gilt, dass das gemeinsame Wohl das Hauptziel ist, dass man persönliche Abstriche machen muss, um das Gemeinsame zu sichern. All diese menschlichen Urweisheiten hat man über Bord geworfen, weil man gemeint hat, das gilt in der Gesellschaft nicht – doch gilt es natürlich.

Und diese Arbeit für das Gemeinwohl findet ja heute nach wie vor im so genannten informellen Sektor statt.
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit Arbeit. Würde man die von Menschen in der Gesellschaft unbezahlt geleisteten Tätigkeiten durch- und einrechnen, würde man sehen, dass ohne diesen informellen Sektor die ganze Organisation der Erwerbsarbeit nicht aufrechterhalten werden könnte und die gesamte gesellschaftliche Organisation kollabieren würde.

Das bringt uns zur Definition von Arbeit.
Wir haben ein ganz kümmerliches Bild von Wirtschaft und Arbeit. Wenn wir Wirtschaft sagen, meinen wir in der Regel Erwerbswirtschaft oder -arbeit, und alles andere fällt damit weg: die Familienleistungen, die Kultur, der Idealismus der Leute, die unbezahlte Arbeit leisten, alles, was idealistische Vereine leisten, von der Caritas über das Rote Kreuz bis zur Diakonie – und überhaupt jeder, der auch ohne Verein täglich Stunden aufwendet, um einem anderen zu helfen. Das hätte einen unglaublichen Wert, wenn man es in der herkömmlichen Werteskala berechnen würde. Die Erwerbswirtschaft und der Gütermarkt sind ja nur ein Teil der Lebenswirklichkeit, und zwar der in Summe gesehen kleinere Teil der gesamten wirtschaftlich-gesellschaftlichen Tätigkeiten.

Welches Bild haben wir in den industriellen kapitalistischen Ländern überhaupt von uns als Menschen?
Wir lassen uns so einige Dinge einreden. Zum Beispiel, dass wir nur gut funktionieren, wenn wir kaufen. Das heißt, wir verstehen uns als Kaufkraft auf Beinen. Wofür werden wir von Politik und Wirtschaft gelobt, besonders rund um Weihnachten? Gott sei Dank, die Österreicher haben wieder eingekauft! Das ist der Maßstab, an dem sich unsere Sinnhaftigkeit als Bürger erweist. Der Mensch ist Arbeitskraft auf Beinen oder Kostenfaktor auf Beinen. Oder es wird vom Menschen wie von einem Ding gesprochen.

Der Mensch als Schmierstoff der Wirtschaft?
Der Mensch soll flexibel sein bis zum absoluten Abknicken. Flexibilität klingt ja so schön, aber sie kann auch zum Zwang werden. Ich möchte dich biegen, damit du meinen Interessen möglichst gut angepasst werden kannst; auch das kann Flexibilität heißen. In Wahrheit haben wir das Gefühl, wir sollen permanent durch Hackeln unsere Daseinsberechtigung erleben und durch Kaufen nützlich auftreten. Wir sollen ein Leben lang so viel arbeiten wie möglich, um das Geld zu verdienen, mit dem wir dann kaufen können, was nur irgendwie geht.

Ein ziemlich dürftiges Menschenbild, das sich aber offenbar zunehmend ausbreitet.
Es ist ja so, dass uns dieses Leben immer weniger Zeit lässt, Mensch zu sein. Wir sind in diesem Hamsterradl drinnen, und das ist das Menschenbild, das wir jetzt von uns haben. Dementsprechend wenig halten wir oft von uns selber. Grantigkeit und Aggressivität sind ja unsere heutigen Grundstimmungen; und man muss sich fragen, warum es bei uns so grantig und aggressiv zugeht. Vom wirtschaftlichen Reichtum her sind wir absolute Spitze auf diesem Planeten, aber man hat den Eindruck, nirgendwo sonst gibt es so viele grantige, aggressive, selbstsüchtige Menschen, die einander nicht einmal mehr grüßen, einander permanent als Konkurrenten sehen.

Und wie können wir aus diesem Hamsterradl herauskommen?
Es riecht nach einer sehr radikalen Besinnung: Was wollen wir denn letztendlich selber sein? Ich werde manchmal zu Management-Seminaren eingeladen, und da höre ich immer, das alles lasse sich nicht vereinbaren. Ich sage dann immer ganz radikal: Sie müssen selber beurteilen, was es am Schluss gewesen sein soll, wenn es aus ist. Wenn Sie tatsächlich einen erklecklichen Teil Ihrer Lebenszeit und -kraft nur dafür aufgewendet haben, dass Ihre Firma an Geld reicher wird und Sie mit ihr, dann urteilen Sie selbst, ob dies ein Output ist, wegen dem Sie sich im Spiegel anschauen können.

Und der Gegenentwurf?
Oder Sie sagen: Ich möchte mein Leben damit zubringen, dass ich selber an Menschsein gewinne, dass ich mein Menschsein kultiviere und entwickle – und zwar genau dadurch, dass ich mich auch um das Menschsein der anderen kümmere. Ob ich Wirtschafter oder Lehrer oder Arzt oder Priester oder was auch immer bin, ist völlig egal, das kann jeder an seinem Platz. Natürlich ist es anspruchsvoll, das in verantwortungsvollen Positionen zu tun. Doch man muss sich eben überlegen, wo man mitspielt – und wo nicht.

Woher, glauben Sie, kommt die Grantigkeit, von der Sie gesprochen haben? Ich habe den Eindruck, dass die Leute körperlich wie geistig sehr erschöpft und ausgelaugt sind respektive werden. Heute heißt es Burn-out-Syndrom.
Erschöpfung ist ein gutes Stichwort. Man hat den Eindruck einer irrsinnigen Müdigkeit, vielleicht auch Erschöpfung, ein Nachbarwort wäre für mich Enttäuschung. Enttäuschung, dass das Leben nach nichts mehr schmeckt, dass – was immer du tust, was immer du kaufst – deine Lebensqualität durch die Quantität nicht besser wird. Vielleicht ist es auch die langsam aufkeimende Einsicht, dass diese gigantische Materialschlacht, die wir da liefern und mit der wir alles verwüsten, trotzdem nur ein kümmerliches Ergebnis hervorbringt.

Welches Ergebnis meinen Sie?
Ich kann mir noch so viele Autos und Häuser und Luxusurlaube gönnen, am Ende des Tages stehe ich mir wieder selber gegenüber und wundere mich, warum das Leben noch immer nach nichts schmeckt. Ich denke, dass Müdigkeit, Erschöpfung und Enttäuschung sehr viel miteinander zu tun haben. Und es ist eine merkwürdige Sache: Wir haben offensichtlich sehr vieles auf unserem rasanten Entwicklungsweg verloren. Wir sind nicht in der Lage, unseren unglaublichen Mittelreichtum gut einzusetzen – es geht immer wieder frisch in denselben Wahnsinn hinein.

Eine Art Hamsterradl in großem Stil?
Auf jeden Fall. Wir erwirtschaften gigantische Beträge, dann stecken wir das Geld wieder in dasselbe System hinein – und dann müssen wir aufs Neue erwirtschaften und wieder hineinstecken und so weiter und so fort. Das ist wirklich wie in einem Hamsterradl: Es hört nicht auf und man kommt nicht raus. Die Frage ist: Ist dieser „Way of Life“ tatsächlich zielführend? Und wer kann den Anstoß geben, darüber nachzudenken? Da könnten die Kirchen und christlichen Gemeinden dazugehören und Mut machen nachzudenken, zu bilanzieren.

Wie, glauben Sie, würde diese Bilanz heutzutage ausfallen?
Es gibt eine Bewegung aus Italien, „Bilanz der Gerechtigkeit“, die den Menschen nahelegt, sich einfach mal hinzusetzen und Input und Output ihres Lebens zu bilanzieren. Was brauchen wir, um zum Frieden und zur Ruhe zu kommen? Das Maß ist: Es ist genug. Und zwar so genug, dass ich sagen kann: Ich kann damit gut leben. Und vor allem: Was brauche ich dabei nicht? Und wenn ich draufkomme, dass ich vieles nicht brauche, dann kann ich mich und die anderen dadurch entlasten. Denn dann brauche ich vielleicht auch weniger Geld. Und wenn ich weniger Geld brauche, dann kann ich mein Leben anders gestalten.

Und wie könnte das dann aussehen?
Dann kann ich meine Arbeitszeit danach bemessen, dann kann ich auch eine andere Relation zwischen Freizeit, Familie, persönlichem Leben und Arbeit herstellen. Dann hab ich vielleicht sogar Zeit für Arbeit im Gemeinwesen. Zeit für Dinge, von denen ich jetzt sage, ich hätte keine Zeit dafür. Ob es die alten Eltern oder andere Menschen in der Umgebung sind – über all das könnte man anfangen nachzudenken. Doch solange die Rechnung so angelegt ist, dass sich alles gerade noch ausgeht, um das Bisherige einigermaßen hinzukriegen, dürfen wir uns nicht wundern, dass wir ausbrennen wie ein ständig überhitzter Motor.

Kann es sein, dass die Trennung von Kirche und Staat, die wir haben, dazu geführt hat, dass auch die Menschen in sich gespalten sind? Privat bin ich sozial und wohltätig, im Job bin ich konkurrenz- und erfolgsorientiert.
Ich glaube, das hat weniger mit Kirche und Staat zu tun, sondern damit, dass wir unsere Verfassung nicht leben. Ein moderner freier demokratischer Staat, der die Menschenrechte als Grundlage seiner Verfassung hat, könnte von der Schulbildung bis zur Gestaltung des politischen Lebens diese Ideale der Menschenrechte leben und Politik danach gestalten – dann würde diese Spaltung verschwinden. Es würde ein Bild von Bürgern und Gesellschaft entstehen, in dem wir das alles leben könnten und wo das auch Staats- oder EU-Ideal wäre.

Aber davon sind wir doch meilenweit entfernt.
Ja, leider. Die modernen Nationalstaaten haben sich in Wahrheit zu Erfüllungsgehilfen, zu Ministranten der Wirtschaft degenerieren lassen. In jedem Satz, den ein Politiker herausbringt, kommt mindestens einmal das Wort „Wirtschaft“ vor. Und dann kommen so Sätze wie: „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.“ Das ist ein verhängnisvoller Slogan der Wirtschaftskammer. Er hat natürlich in gewisser Hinsicht seine Richtigkeit, dennoch ist er mehr falsch als richtig, würde ich sagen. Denn das stimmt so natürlich nicht.

Was stimmt dann?
Wir wirtschaften nur gut, wenn’s uns gut geht – nämlich als Menschen gut geht. Ich drehe den Spieß um und sage: „Geht’s uns als Menschen gut, dann geht’s der Wirtschaft gut.“ Geht’s uns als Menschen gut, auch miteinander, indem wir Solidarität leben, indem wir die Ziele der Menschenrechte auch tatsächlich verwirklichen, dann würde es uns auch als Volk, als Staat gut gehen. Die demokratisch gewählten Politiker sind auf die Verfassung vereidigt, und diese gibt uns die Ideale ausreichend vor.

Sie spielen damit wieder auf die Menschenrechte an?
Ja, denn die österreichische Bundesverfassung hat als Grundlage die Europäische Menschenrechtskonvention anerkannt. Und die gibt ein umfassendes Bild vom Menschen und der Gesellschaft, da braucht man gar nichts Neues zu erfinden. Das wäre der Zauber der Sache. Wenn die Politik sich zu Herzen nimmt, Artikel 1 der Menschenrechte zu erfüllen, dann haben wir alle genug Lebenssinn, dann haben wir gute Modelle für ein bürgerliches Zusammenleben, dann würden wahrscheinlich auch die Nationen miteinander zum Völkerfrieden finden und zur Entwicklungszusammenarbeit beitragen.

Wie meinen Sie den letzten Punkt?
Wenn ich das ernst nehme, dass jeder Mensch gleich an Rechten und Würde ist, dann müssten der österreichische Staat und seine Bürger sagen: Okay, das ist aber im größten Teil der Welt noch nicht einmal annähernd verwirklicht. Daher haben wir uns angemessen daran zu beteiligen, dass es so wird. Und damit hätten wir schon eine wichtige politische Ausrichtung. Oder umgelegt aufs Inland: Hat bei uns jeder ein menschenwürdiges Auskommen, hat bei uns jeder einen menschenwürdigen Arbeitsplatz, der ihn braucht und will, wird der Mensch wirklich als Mensch geachtet oder als Mittel zum Zweck angesehen?

Aber vorgeblich dreht sich doch alles um den Menschen.
Der Slogan „Bei uns steht immer der Mensch im Mittelpunkt“ ist mittlerweile ziemlich abgedroschen. Wenn man das wirklich zu verwirklichen sucht, dann wird’s irrsinnig spannend und auch ziemlich anstrengend. Ein Zyniker hat mal gesagt: „Bei uns steht der Mensch immer im Mittelpunkt, das Blöde ist nur, dass er dort ziemlich oft stört.“ Ob das bei einer Bank oder einer Versicherung oder im Spital oder in der Kirche ist – immer geht das dann verloren.

Ist die Stimme Ihrer Kirche Ihrer Meinung nach laut genug, um auf diese Rückbesinnung hinzuweisen?
Sie könnte auf jeden Fall noch lauter, noch deutlicher werden, vor allem auch, indem sie mit eigenem Beispiel vorangeht. Also die Kirche selber müsste sich wieder mehr reformieren – sich auf das Ideal ihres Stifters zurückbesinnen. Wir sehen, dass die Kirche sich dort, wo sie stark präsent ist – zum Beispiel in Lateinamerika oder in vielen afrikanischen Regionen –, in diesem Punkt auch einsetzt. Das ist die eigentliche Kraft und Stärke, weil dort das Evangelium greifbare Wirklichkeit wird. Bei uns in den reichen Industriestaaten ist es so, dass die Kirchen sich mit einbauen haben lassen ins System, also sozusagen in diesem Hamsterradl mitstrampeln; und sie sind manchmal auch ein wenig schweigsam, wenn es um die Verteilungsgerechtigkeit geht, weil sie fürchten, von den Mächtigen eins aufs Dach zu bekommen, quasi aufs Kirchendach.

Aber das ist doch der Punkt: Wer kann denn die Stimme erheben, ohne dass er eine aufs Dach kriegt? Künstler, Journalisten, Priester?
Na, wenn man für das Richtige eins aufs Dach kriegt, ist das ja nicht schlimm. Was ich sagen will ist, dass die Kirchen permanent in der Versuchung – und dieser oft auch schon erlegen – sind, sich mit einem Platz in diesem System zufriedenzugeben. Und daher im Großen und Ganzen die wirklich brisanten Fragen der Gesellschaft selten anreißen. Ab und zu wird dann, völlig zu Recht, die Stimme für Schwache erhoben, ob es jetzt ungeborene Kinder oder alte Menschen sind, ob es Behinderte oder Asylwerber sind – das ist schon richtig. Doch das System, das dahintersteckt, wird weniger gern zur Sprache gebracht: Es wird weniger über die Ursachen gesprochen, nämlich warum Menschen in Armut rutschen. Doch die Ursachen sind natürlich das eigentlich brisante Thema.

Ist es innerhalb der Kirche klar, was die Ursachen sind?
Es gibt ja auch Ökonomen in der Kirche, es gibt Leute, die mit Sachverstand die Grundgesetze durchschauen; und es gibt vor allem welche, die sich einen klaren Blick bewahrt haben für den Zusammenhang zwischen dem, was die eigene Botschaft beinhaltet und dem, was sich abspielt oder abspielen sollte. Das ist ziemlich eindeutig.

Es gibt doch die Geschichte von der Vertreibung aus dem Tempel. Kann man sagen, dass es Not täte, nicht nur die Kirche als Tempel zu sehen, sondern die ganze Welt?
Könnte man auch sagen. Es müsste gelingen, den Kapitalismus nicht nur zu zähmen und ihm die gefährlichsten Spitzen zu nehmen, denn dann ist er immer noch mächtig genug, um uns von unserer eigentlichen Bestimmung wegzutreiben, sondern dieses Denksystem komplett gegen die sozial-ökologische Marktwirtschaft auszutauschen, die alles in den Gesamtzusammenhang einordnet. Das wäre dann aber kein Kapitalismus mehr, weil der Wirtschaftsapparat nicht mehr dem Kapital unterliegen würde, sondern der Gesellschaft dienlich wäre.

Also der Denkansatz, den Kapitalismus nicht nur zu zähmen, sondern letztlich zu überwinden, ist auch dem Christentum inhärent?
Selbstverständlich. Das haben wir mitbekommen von der Idee: Alles ist Geschenk, alles ist Gabe und Gut, wir müssen uns für alles verantworten, wir sind füreinander da. Das sind die Grundsätze. Und was immer an Wirtschaft gebaut wird, wie immer das System heißen wird, wird sich daran messen lassen, ob es all das beherzigt.

Helmut Schüller ist Priester, Pfarrer in Probstdorf und Universitätsseelsorger in Wien.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

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Mit moderner IKT schafft Asklepios die Basis für die optimale medizinische Betreuung.

Die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ist ein wesentlicher Kostenfaktor im Gesundheitswesen. Dafür sorgen die großen Datenmengen und hohe Sicherheitsanforderungen bei der Verwaltung sensibler Patientendaten. Dazu kommt die notwendige Hochverfügbarkeit der IT und der erhebliche Kommunikationsbedarf des medizinischen Personals.
Andererseits kann IKT auch ein Innovationstreiber sein und damit das ohnehin unter dem hohen Kostendruck leidende Gesundheitssystem entlasten. Voraussetzung dafür ist die Standardisierung und Homogenisierung der IT-Landschaft. Erst wenn ein durchgehender IT-Standard vorhanden ist, können Informationsträger wie Arztbriefe, Laborbefunde oder Röntgenbilder in einem Verbund von Kliniken effizient verwaltet werden.

Unabhängiges Netz
Um eine einheitliche IT-Landschaft zu verwirklichen, werden Asklepios-Kliniken über ein gemeinsames Rechenzentrum gemanagt. Wartung und Störungsbehebung erfolgen nun ferngesteuert, und neue Software wird zentral zur Verfügung gestellt. „Durch die straffe IKT-Infrastruktur schaffen wir langfristig die Basis für Kostenreduktionen bei Kommunikation, Datenerfassung und medizinischer Dokumentation“, sagt Robert La­croix, der Leiter der Basistechnologie bei Asklepios.
Ein bedeutender Bestandteil dieser Infrastruktur ist das MPLS-Netz von T-Systems, das die über 100 Asklepios-Kliniken miteinander vernetzt. Multiprotocol Label Switching (MPLS) schafft innerhalb des Internets ein separates Netz, das die Übertragung von Datenpaketen entlang eines vordefinierten Pfades ermöglicht. „Dies gewährleistet ein Maximum an Sicherheit und Verfügbarkeit“, betont Georg Obermeier, Geschäftsführer von T-Systems Austria.
Dazu ist MPLS Voraussetzung für qualitativ hochwertige IP-Telefonie und Videokonferenzen, da die Weiterleitung priorisiert erfolgt – die Datenpakete eines Telefongesprächs zum Beispiel werden damit schneller durchs Netz geschickt als eine E-Mail.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010

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