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04. Juli 2024

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Ein Alt-68er besucht das Audimax

Ein Alt-68er besucht das AudimaxBayerischer Rundfunk/Wilschewski

Konstantin Wecker: „Ich habe in Wien etwas gesagt, das hätte ich 1968 nicht sagen dürfen, da hätten sie mich niedergebrüllt: Wenn wir eine gerechtere Gesellschaft wollen, dann wollen wir auch eine zärtlichere und eine liebevollere Gesellschaft“, erzählt der bayrische Liedermacher.

economy: Bei deinem letzten Wien-Besuch im November hast du auch die Studierenden im besetzten Audimax der Uni Wien besucht. Mit welcher Absicht?
Konstantin Wecker: Ich habe dort zusammen mit dem Spring String Quartet, dem Streichquartett, mit dem ich am Abend vorher im Konzerthaus gespielt habe, auf der Bühne zwei, drei Lieder gesungen. Ich war vorher auch in München an der Akademie der bildenden Künste, weil ich wissen wollte: Was ist da los? Wie sind die drauf? Geht es ihnen nur darum, dass sie das Mensa-Essen ein bisserl billiger haben wollen? Oder geht es ihnen darum, dass sie erkannt haben, dass ihre Forderungen, die ich sehr vernünftig finde, auch in einem gesellschaftlichen Zusammenhang stehen? Das hat mich interessiert.

Und was hast du herausgefunden?
Ich habe das Positionspapier der Münchner gelesen; das hat mich sehr beeindruckt. Weil es ein sehr kluges Papier war, in dem die Studierenden das Bildungssystem, das sie nicht mehr für gerecht empfinden, mit dem Neoliberalismus in Zusammenhang gebracht haben. Und in Wien war es ähnlich. Da hatte ich auch den Eindruck, es geht, zumindest dem Kern der Besetzer, nicht nur darum, konkret an der Uni etwas zu ändern, sondern das könnte der Beginn eines Protestes gegen die gesellschaftlichen Zustände sein, die sie nicht mehr ertragen, nicht mehr hinnehmen wollen.

Du meinst eine Neuauflage der 68er-Bewegung?

Ja, so in etwa, aber doch anders. Ich habe ja die 68er-Bewegung live miterlebt; es klingt mir zwar selber ein wenig komisch in den Ohren, aber ich bin davon ja ein Zeitzeuge. Was mich damals sehr gestört hat, war der radikale, zum Teil sehr rüde und autoritäre Umgangston, den die Studenten untereinander hatten. Aber damals war auch die Wut viel größer. Denn was bei der Aufarbeitung der 68er-Zeit immer vergessen wird: Wir wollten in erster Linie die ganzen Nazis, die immer noch dasaßen, aus den Positionen raushaben; die wurden nicht annähernd so verfolgt, wie sie hätten verfolgt werden müssen. Das waren ja zum Großteil auch die Eltern der Studierenden, gegen die sie auch revoltiert haben, weil das meistens große Schweiger waren. Die meisten Eltern haben irgendwann beschlossen, über diese Zeit überhaupt nichts mehr zu sagen, was ich so von meinen Kommilitonen weiß.

Wie war das in deiner Familie?
Ich hatte mit meinen Eltern großes Glück, ich komme aus einer wirklich antimilitaristischen Familie. Mein Vater hatte den tollkühnen Mut, unter Hitler den Militärdienst zu verweigern, und dann noch das Riesenglück, diese Aktion zu überleben. Er hatte schon damit spekuliert, Selbstmord zu begehen, hatte aber dann das Glück, einen Oberst zu finden, der ihn für verrückt erklärte, aber nicht umbringen ließ. Einfach nur Glück! Und auch meine Mutter war Regimegegnerin. Ich habe meine Eltern geliebt und bewundert, insofern hatte ich eine Ausnahmestellung unter meinen Kommilitonen.

Und wie war das allgemeine Umfeld?
Wie gesagt: In Summe war da eine große Wut auf die Generation, die die Vergangenheit nicht annähernd so aufgearbeitet hatte, wie sie vorgab, getan zu haben. Ich hatte in meiner Gymnasialzeit noch richtig faschistische Lehrer, das waren echte Nazis. Auch in der Wirtschaft und in der Politik waren viele Positionen von alten Nazis besetzt. Und das war ursprünglich der Beginn der 68er-Bewegung, das war ein ganz konkreter Punkt. Dann hat sich das natürlich erweitert, und es kamen ein paar sehr kluge Leute, wie zum Beispiel Rudi Dutschke, der wirklich ein bestechend kluger Mann war.

Kommen wir zurück zu dem Vergleich mit der heutigen Studentenbewegung.
Da möchte ich eben noch einmal den Umgangston ansprechen. 1968 war das eine richtige Macho-Partie. Es gab ein paar hübsche Studentinnen wie Uschi Obermaier, die als Vorzeigefrauen mit dabei waren, aber nicht viel zu sagen hatten. Und jetzt habe ich etwas Erstaunliches erlebt: Als ich ins Audimax hineinkam, war das eine ähnliche Besetzungssituation, und die Mädchen und die Jungs schauten auch alle ein bisschen freakig aus. Auf den ersten Blick hat sich da nicht viel geändert. Aber in der Art und Weise des Umgangs hat sich ganz viel geändert! Ich glaube, das liegt auch daran, dass es jetzt 60 Prozent Frauen sind, und das ganz ohne Quote; und dadurch, und ich sag das ganz bewusst, ein deutlich zärtlicherer Umgangston vorherrscht.

Sehen das die Studenten auch so?
Ich habe in Wien etwas gesagt, das hätte ich 1968 nicht sagen dürfen, da hätten sie mich niedergebrüllt: „Wenn wir eine gerechtere Gesellschaft wollen, dann wollen wir auch eine zärtlichere und eine liebevollere Gesellschaft. Aber die können wir nicht erreichen, wenn wir untereinander nicht zärtlich und liebevoll sind.“ Und für diesen Satz gab es große Begeisterung! Es hat sich also wirklich viel getan. Da ist zum Beispiel die Selbstverständlichkeit, mit der in unserer Gesellschaft die Frauen das Ruder an sich reißen; aber es macht sich auch ein anderes Bewusstsein bemerkbar.

Und wie äußert sich das?
Mit den ideologischen Hackereien, die nach 1968 in und zwischen den unterschiedlichen ideologischen Gruppierungen vorherrschten, kann man heute nichts mehr erreichen. Es muss ein neues Bewusstsein her, und meine Hoffnung ist, dass das in diesen Kernzellen dieses Protestes entsteht. Die Studierenden sind angehende Wissenschaftler, Soziologen, Politologen, Ärzte und so weiter und werden in diesen Funktionen die zukünftige Gesellschaft formen. Wir stehen jetzt am Ende unseres völlig maroden Wirtschaftssystems, und ich hoffe inständig, dass jetzt nicht wieder ein Einzelner daherkommt und sagt: „Ich habe die Idee für die Heilung der Welt“, sondern dass die Zukunft durch ein Kollektiv von Menschen, die einen aufrechten Gang haben, entwickelt wird.

Und wie soll die Zukunft deiner Ansicht nach aussehen?
Ich halte den Kapitalismus für am Ende. Ich gebe ihm absolut keine Chance mehr, es sei denn, er wird mit Waffengewalt durchgezogen; okay, das kann man machen, und sein Ende künstlich hinausschieben. Und was kommt dann? Ich denke, dass wir vor allem ein demokratisches Wirtschaftssystem brauchen; eines, das sich nicht so unglaublich wichtig nimmt und macht wie das derzeitige, eines, das den Menschen ganz klar in den Vordergrund stellt, sodass wir nicht alles der Ökonomie unterordnen und opfern müssen. Wir merken ja in unserem eigenen Leben, wie schwer man es hat und dass es immer schwieriger wird, sich ökonomischen Zwängen zu entziehen. Und ich meine jetzt nicht, dass man arbeitet, um wohnen, essen und leben zu können; sondern ich meine, dass man in großen Zwängen lebt, auch wenn es einem relativ gut geht.

Wie merkst du das in deinem eigenen Leben?
Ich merke das vor allem an meinen Kindern, wie die schon in einen Konsumrausch hineingewachsen sind, den sie nicht unbedingt von uns Eltern gelernt haben. Obwohl: Ein bisserl muss ich mich natürlich auch an der Nase packen, denn meine Begeisterung für neue elektronische Geräte ist sicher nicht unerheblich, insofern …

Da kommt mir das Wort „Commodification“ in den Sinn; dass also jedes Ding und jede Leistung, dass alle gesellschaftlichen Güter und Funktionen heutzutage in Waren verwandelt werden. Das geht bis ins Private, wenn Menschen auch in sogenannten Liebesbeziehungen abwägen: Was habe ich davon?
Das ist genau das, was ich meine; und was übrigens Adorno und Habermas schon in den 70er Jahren versucht haben, sehr deutlich zu erklären. Aber genau das ist eingetreten. Damals habe ich das noch für ein Schreckensszenario gehalten, und jetzt haben wir genau das. Und wie kommen wir da wieder raus? Es gab ja Ende der 90er Jahre so Ansätze wie Ökokapitalismus, aber das kann es auch nicht sein.

Anfang Dezember gab es in Wien eine Demo, auf der Studenten, Obdachlose und Kurden nebeneinander gingen. Heute solidarisieren sich offenbar die, die nichts haben und denen alles weggenommen wird, gegen die reichen Schichten der Gesellschaft.
So ist es, keine Frage. Auch in Deutschland gibt es im Vergleich zu früher viel mehr Armut. Wie mit den Hartz-IV-Empfängern umgegangen wird, ist eine Katastrophe, da schäumt man oft vor Wut, weil ja das Geld da wäre. Aber da kommt dann die Ideologie ins Spiel. In dem Moment, wo man sagt, man muss gerechter verteilen, heißt es sofort, das sei Kommunismus und das Ende der Demokratie, und eine gerechte Verteilung führe zu einer Neiddiskussion. Aber es geht doch nicht mehr um Neid. Wir haben so viel Geld, dass wir auch viele Millionäre haben können; wer Millionär sein will, soll von mir aus eine Villa mit Swimmingpool und allem haben.

Also worum geht es dann?

Wir haben ein paar derart Superreiche, dass mich ihre Macht ängstigt. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand glaubt, er braucht drei Porsches, um glücklich zu sein. Von mir aus soll er es glauben, er wird es sowieso nicht; doch diese Erfahrung soll jeder machen, wenn er will. Aber wenn 500 Menschen auf der Welt so viel besitzen wie die Hälfte der Menschheit, dann muss man sich Gedanken machen, ob das nicht gefährlich ist. Und es ist natürlich gefährlich. Wenn zu viel Geld in der Hand einer Familie oder eines Konzerns ist, läuft man akut Gefahr, dass es dann überhaupt keine wirkliche Demokratie mehr geben kann.

Statt „Wissen ist Macht“ geht es jetzt also um „Geld ist Macht“.
Und diese Macht wird natürlich von Leuten ausgeübt, die ein – zumindest für mein Verständnis – sehr unangenehmes Weltbild haben. Wenn ich Interviews mit sogenannten Führungskräften lese, dann sind die meisten von denen extrem hierarchisch strukturierte Menschen, die natürlich auch an die Hierarchie glauben, weil sie ja ganz oben sitzen. Und das ist ein ausgesprochen patriarchales Weltbild, in dem übrigens die wenigen Frauen, die oben sitzen, genauso patriarchal geprägt sind und agieren.

Gibt es eine öffentlich geführte Diskussion über patriarchale Strukturen?
Nein, gibt es nicht, aber ich habe den Eindruck, das beginnt jetzt langsam. Der deutsche Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther hat ein Buch herausgebracht, in dem er aus hirnphysiologischer Sicht beschreibt, was mit einem Mann los ist. Im zweiten Kapitel meint er schon: „Es sieht nicht gut aus.“ Das Buch heißt bezeichnenderweise „Männer – Das schwache Geschlecht und sein Gehirn“. Auch in der Soziologie gibt es eine Menge an Forschung über den Mann und seine Situation in der Gesellschaft. Aber als ein diskussionswürdiges Thema ist es in der Öffentlichkeit ausgeklammert. Weil jeder denkt, das Gegenteil von Patriarchat sei das Matriarchat, und das wollen wir auch nicht, dass die Frauen herrschen. Was natürlich völlig verkehrt und falsch ist: Matriarchat heißt ja nicht „Herrschaft der Frau“, das hat mit Herrschaft überhaupt nichts zu tun; das bedeutet eine völlig andere gesellschaftliche Struktur, eine Gesellschaft ohne Konkurrenz und Leistungsdruck.

Das altgriechische „arche“ heißt ja auch nicht „Herrschaft“, sondern „Ursprung“; und Matriarchat meint demgemäß, dass die Frau der Ursprung des Lebens ist und fortgesetzt neues Leben hervorbringt.
Du sagst es. Ich war schon 1968 und bin heute noch im Grunde Anarchist. Von der schönsten Idee dieses Wortes her gesehen: Ich bin für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Und ich bin der Meinung, die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft ist durchaus realisierbar. Seit rund 8000 Jahren gibt es Herrschaft, aber vielleicht hat man ja 8000 Jahre lang alles falsch gemacht. Heute werden Menschen, die meiner Ansicht nach zu Recht fordern, dass endlich nicht die Ökonomie im Vordergrund stehen sollte, sondern unser Fortleben, einfach niedergeknüppelt. Und das, obwohl die, die sie niederknüppeln lassen, selbst zu keinem erfreulichen Ergebnis kommen. Das ist doch eine Farce, was da passiert. Tausende von Menschen werden niedergeknüppelt, und dann steht in der Bild-Zeitung: „Tausende Chaoten am Werk.“ Also das sind die Chaoten? Und die, die auf der anderen Seite sitzen, was sind denn dann die? Was da abläuft, ist unglaublich.

Wer kann dann heutzutage noch das freie Wort führen? Haben die sogenannten Künstler eine Verpflichtung, den Mund aufzumachen? Ich sage deswegen „sogenannt“, weil ich mir denke, es ist nicht jeder Künstler ein denkender Mensch, aber jeder denkende Mensch ist in gewissem Sinn ein Künstler.
Es gibt auch tolle Wissenschaftler, die ihren Mund aufmachen; das ist aber nicht so wahnsinnig öffentlichkeitskompatibel, weil die oft eine Sprache sprechen, die schwer zu verstehen ist. Zum Beispiel der deutsche Physiker Hans Peter Dürr ist für mich auch ein Künstler, allein wie er denkt und spricht und sein ganzheitliches Denken – das ist wunderbar. Aber ja, es stimmt: Die Künstler haben in den letzten zehn, 15 Jahren den Schwanz eingezogen. Weil sie gemerkt haben, dass ihnen das neoliberale Klima medienmäßig Vorteile gebracht hat. Die wenigen Aufrechten haben zehn, 15 Jahre lang ganz schön eine auf den Deckel gekriegt. Ich selber habe immer den Vorwurf gehört, naiv zu sein. Wenn ich gegen den Irak-Krieg war, war ich naiv; wenn ich gegen den Afghanistan-Krieg war, war ich naiv. Ich frage mich jetzt: Wer ist denn jetzt der Naive? Der, der die Kriege immer weiterführt, oder der, der diese Spirale der Gewalt endlich einmal durchbrechen will? Wer ist der Realist? Ist der Realist wirklich der, der der Meinung ist, wir schicken jetzt wieder junge Menschen in den Krieg?

Dazu möchte ich anmerken, dass „naiv“ einer meiner Lieblingsbegriffe ist, nur wird er meist missbräuchlich verwendet. Die Naive am Theater zum Beispiel ist ja nicht die Dumme, sondern die, die noch eine unschuldige, eine unverbildete Sicht hat; die ist aber total realistisch, weil sie einfach wie ein Kind sagt, was ist.
Dem stimme ich unbedingt zu. Genauso definiert Schiller das Wort „naiv“: die unverstellte Sicht auf die Welt. Übrigens: Ist dir schon einmal aufgefallen, dass bei allen modernen Kriegen die meisten Politiker und Kommentatoren Männer sind, die nicht mehr im kriegsfähigen Alter sind, die alle nie mehr eingezogen werden können? Ich habe manchmal den Verdacht, dass der Krieg die Rache der alten Männer an der Jugend ist. Oder solche, die sich vorm Militär drücken konnten, wie zum Beispiel Bush junior. Am meisten begeistert sind offenbar die, die auf keinen Fall mitmachen.

Also besteht für die Künstler, die das Leben als Kunst verstehen oder ihre Kunst ins Leben eingebunden fühlen, sehr wohl eine Verpflichtung, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen und sich dazu zu äußern?
Für einen Künstler kann es ganz wichtig sein, sich einmal für einige Zeit vollkommen zurückzuziehen; er oder sie muss sich ab und an in den Elfenbeinturm zurückziehen. Wir brauchen auch die Poeten als geistige Nahrung. Aber auf der anderen Seite: Solange ein Künstler in dieser Welt lebt und gerade, wenn er auf der Bühne tätig ist … also, ich denke schon, dass es zurzeit wirklich eine Verpflichtung für Künstler gibt, sich gesellschaftlich einzumischen.

Und weil ihr auch die Öffentlichkeit habt, also im Gegensatz zu den Wissenschaftlern …

Wir haben auch nicht die Öffentlichkeit.

Okay, dann frage ich so: Wer hat Öffentlichkeit? Also die Politiker, aber die reden doch nur in ihren eingelernten stereotypen Schablonen. Aber wer wird sonst noch von einem breiteren Publikum gehört und äußert sich zu gesellschaftlichen Themen?
Das führt auch zu der Frage, wie weit die Berlusconisierung jetzt auch in anderen Ländern geht. Wer Italien gut kennt wie ich, weiß, dass schon vor 30 Jahren, lang vor Berlusconi, das Fernsehen die Leute zu verblöden begonnen hat, weil diese unsäglichen Privatsender in jeder Küche empfangen wurden. Aber heute? Ein Land, in dem 97 Prozent der Medien einem einzigen Menschen gehören, ist einfach kein demokratisches Land mehr. Und wem gehören denn die großen Medien international gesehen? Im Endeffekt drei oder vier großen Konzernen. Es gibt kaum mehr unabhängige Zeitungen. Ich will jetzt nicht unbedingt sagen, dass nicht auch in den Konzern-Zeitungen bestimmte Journalisten die Möglichkeit haben, bis zu einem gewissen Grad unabhängig zu schreiben. Aber dann kommt heute auch noch der Druck des Alltagsgeschäfts dazu. Ich habe erst letztens mit einem Journalisten geredet, der sagte, es gebe keine Zeit mehr, um wirklich profund zu recherchieren.

Dazu kommt noch, dass, wie auch zum Beispiel hier in Österreich, so mancher Zeitungsherausgeber nicht Politik kommentiert, sondern Politik macht.

Genau, da sind wir letztendlich wieder bei den Machtmenschen. Deshalb habe ich für meine Website extra zwei Redakteure engagiert, die in der Rubrik „Hinter den Schlagzeilen“ eine Online-Zeitung machen, in der Artikel, Blogs und andere Inhalte aufscheinen, die nicht in der üblichen Weise vorkommen.

Nächstes Österreich-Konzert von Konstantin Wecker : am 8. August 2010 im Wolkenturm von Grafenegg/Niederösterreich

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Economy Ausgabe 81-02-2010, 26.02.2010

Horchposten in der Blogosphäre

Horchposten in der BlogosphärePhotos.com

Dank automatischer Analyseverfahren erkennen Unternehmen Trends und Risiken rechtzeitig.

Das World Wide Web mit seinen ungezählten Foren und Blogs spielt eine immer größere Rolle im Meinungsbildungsprozess. Das Web ist unübersichtlich, seine Beobachtung sehr aufwendig. Bei vielen Unternehmen löst das Unbehagen aus – denn allzu oft wissen sie nicht, was im Web gerade vor sich geht und ob ihr Image Schaden nehmen könnte.
„Daher war der Zuspruch, als Ende 2009 unsere verbesserte Web-Beobachtung vorgestellt wurde, enorm“, berichtet APA-De­facto-Geschäftsführerin Waltraud Wiedermann: „Wir haben da ein dringend benötigtes Warninstrument geschaffen.“ Der Kunde wird informiert, sobald er im Web auftaucht, und demnächst sieht er auch gleich, ob der Zusammenhang positiv oder negativ ist. Da Themen ihre Karriere oft in Übersee starten, wird APA-Defacto bald auch englischsprachige Blogs beobachten.

Handgeknüpfte Netze
Wer mit solchen Info-Mengen wie APA-Defacto konfrontiert ist – allein in der Medienbeobachtung sind dies täglich bis zu 30.000 Artikel –, braucht Verfahren, um nicht im Trüben zu fischen. In semantischen Netzen werden Themen und Schlagworte manuell miteinander verknüpft. Dies erlaubt später das Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen Texten. So liefert die Suche nach einem Begriff wie etwa „Pension“ auch relevante Meldungen, in denen das Wort gar nicht vorkommt. Um Kunden die Bewältigung der wachsenden Informationsflut zu erleichtern, setzt APA-Defacto auf automatisch erstellte Zusammenfassungen, Visualisierung und auf maßgeschneiderte Pressespiegel. „Was die Finanzabteilung interessiert, ist für das Marketing oft unerheblich“, sagt Wiedermann. Der Zeitfaktor gewinne zunehmend an Bedeutung. Mit daumendicken Pressespiegeln voller irrelevanter Clippings kann und muss sich heute niemand mehr herumschlagen.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 81-02-2010, 26.02.2010

Geförderter Forschergeist

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Das neue Marietta-Blau-Stipendium ermöglicht Doktoranden einen einjährigen Auslandsaufenthalt.

Auslandserfahrungen stellen einen wichtigen Mehrwert für die akademische Ausbildung und die weitere wissenschaftliche Laufbahn dar.
Hierzulande gibt es, gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF), eine Vielzahl von Stipendien, die es den Absolventinnen und Absolventen der österreichischen Universitäten ermöglichen, ihren wissenschaftlichen Arbeiten in einem internationalen Rahmen nachgehen zu können.

Neues Förderprogramm
Im Oktober des Vorjahres wurde den Universitäten ein neues Stipendienprogramm präsentiert. Das Marietta-Blau-Stipendium richtet sich an hoch qualifizierte Doktorandinnen und Doktoranden und dient einmal mehr der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Ausschreibung läuft noch bis zum 1. März 2010, ein weiterer Termin ist für den 1. September 2010 anberaumt. Das Besondere an dem nach einer österreichischen Physikerin benannten Stipendium ist, dass damit Stipendiatinnen und Stipendiaten bis zu einem Jahr im Ausland forschen können. Elisabeth Häfele, in der Abteilung für Internationalisierung der Hochschulen und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses des BMWF für administrative Belange des Stipendiums zuständig: „Bisher gab es für Doktorandinnen und Doktoranden kein Stipendienprogramm für längere wissenschaftliche Auslandsaufenthalte, die zum Erstellen einer Dissertation oft notwendig sind. Diese Lücke kann jetzt geschlossen werden.“
Zur Verfügung steht ein monatlicher Stipendienbetrag von 1200 Euro, bewerben können sich Absolventinnen und Absolventen sämtlicher Fachrichtungen. Abgewickelt wird die Stipendienvergabe vom Österreichischen Austauschdienst (OeAD), das Budget für das Marietta-Blau-Stipendium ist bis zum Jahr 2013 gesichert.

Bis zu 90 Stipendien jährlich
„Unter der Annahme, dass jeweils zwölf Stipendienmonate beantragt werden würden, könnten wir pro Jahr bis zu 90 Stipendien finanzieren. Wir gehen aber zumindest für den Anfang von niedrigeren Zahlen aus“, erklärt Häfele. Letzteres deshalb, weil es naturgemäß einer längeren Anlaufzeit bedarf, bis derlei Fördermöglichkeiten auch potenziellen Anwärterinnen und Anwärtern bekannt sind. „Das Marietta-Blau-Stipendium kann einen wichtigen Beitrag zur Internationalisierung der Doktorandinnen- und Doktorandenausbildung leisten, und ich hoffe sehr, dass sich dieses in der Stipendienlandschaft gut etablieren wird. Zunächst ist es aber einmal wichtig, die Informationen dazu an die Adressatinnen und Adressaten zu bringen“, so Häfele.
Für eine erfolgreiche Bewerbung ist eine ausreichende Vorbereitungszeit wichtig. Zur Unterstützung der Bewerberinnen und Bewerber bietet der OeAD spezielle Informationsveranstaltungen an. Häfele: „Die Teilnahme daran ist höchst empfehlenswert. Auch bei Fragen und Unklarheiten ist es sinnvoll, sich rechtzeitig an den OeAD zu wenden.“

Marietta Blau
Marietta Blau (1894–1970) war eine österreichische Physikerin. Nach ihrem Studium an der Universität Wien war Blau für mehrere Forschungsinstitute, unter anderem das Institut für Radiumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, tätig. 1938 musste Blau aus Österreich emigrieren, ging nach Oslo, landete aber schließlich über Vermittlung von Albert Einstein an der Technischen Hochschule in Mexiko-Stadt. 1944 übersiedelte Blau in die USA, wo sie neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit an der University of Miami auch für die Industrie arbeitete. 1960 kehrte Blau wieder nach Österreich zurück. Zehn Jahre später erlag sie einem schweren Krebsleiden – verursacht durch ihre jahrelange ungeschützte Arbeit mit radioaktiven Substanzen. Marietta Blau wurde dreimal für den Nobelpreis vorgeschlagen, erhalten hat sie ihn nie.

Basics für Bewerber
Eine Auswahlkommission bestehend aus Mitgliedern der Universitäten und des Ministeriums prüft die Einreichungsunterlagen und lädt die Bewerberinnen und Bewerber zu persönlichen Interviews ein.
Es gibt in puncto Vergabe des Stipendiums keine Altersgrenze und auch keine Quotenregelung. Für die Wahrscheinlichkeit einer Zuerkennung ebenfalls nicht von Relevanz ist, ob man sich für die Dauer von sechs oder zwölf Monaten Auslandsaufenthalt bewirbt. Es ist nur wichtig, dass der Zeitplan schlüssig argumentiert wird. Sollten Bewerberinnen und Bewerber beim ersten Mal mit ihrem Antrag scheitern, steht neuerlichen Versuchen nichts im Wege – zumindest solange die Stipendienbedingungen eingehalten werden. Diese besagen, dass zum Zeitpunkt des Einreichtermins nicht mehr als sechs Semester des Doktorats- beziehungsweise PhD-Studiums abgeschlossen sein dürfen. Bewerben können sich alle, die an einer österreichischen Universität ihr Doktorats- oder PhD-Studium absolvieren. Die Fachrichtung spielt keine Rolle.
Details zu Ausschreibung und Ansprechpartnern finden sich auf der Datenbank des OeAD unter nachstehendem Link.

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Economy Ausgabe 80-01-2010, 12.02.2010

Physische und geistige Beweglichkeit als unternehmerischer Qualitätsfaktor.

Physische und geistige Beweglichkeit als unternehmerischer Qualitätsfaktor.

Status und Zukunft von economy.

LLaut Gründerservice der Wirtschaftskammer sind 2009 rund 30.000 neue Unternehmen gegründet worden. 80 Prozent sind Kleinstunternehmen, die nur aus einer Person bestehen. Bei 40 Prozent ist diese Person eine Frau, Tendenz steigend. Das Durchschnittsalter beträgt 37 Jahre, beeindruckende 26 Prozent sind zwischen 20 und 30 Jahren jung. 65 Prozent wollen in der Lebensgestaltung flexibler sein und eigene Verantwortung. Für alle ist es ein Sprung ins kalte Wasser. Selbst und ständig. Erfrischend und bewegungsfördernd, damit man nicht untergeht. Interessant bei den Gründungen ist das Verhältnis der Rechtsform: Alle Kleinstunternehmen werden als Einzelpersonen gegründet. GmbH, KG oder OG machen anteilsmäßig nur 15 Prozent aus – trotzdem die GmbH höhere Steuervorteile bringt: 25 Prozent Körperschaftsteuer bei GmbHs versus bis zu 50 Prozent Spitzensteuer bei selbstständigen Einzelpersonen. Zur Bereinigung fordern Wirtschaftskammer und Wirtschaftsbund (ÖVP) die Senkung der Mindesteinlage bei einer GmbH-Gründung auf 10.000 Euro (derzeit 35.000 Euro). Kleine und eigentümergeführte Unternehmen bilden das wirtschaftliche Rückgrat dieses Landes. Sie erhalten (noch) den Pakt der Generationen, tragen den überwiegenden Teil der Abgabenlast. Einmal mehr auch hier die Forderung, bei einer kommenden Steuerreform Lohnsteuer, Sozialversicherung und Dienstgeberabgaben zu senken. Nehmen wir eine Gehaltsabrechnung von brutto 2500 Euro: Für den Dienstnehmer bleiben nach Abzug von 460 Euro Sozialversicherung und 440 Euro Lohnsteuer 1600 Euro. Neben diesen Abzügen zahlt der Dienstgeber nochmals 570 Euro Sozialversicherung, 110 Euro Lohnsteuer und 80 Euro Kommunalsteuer. Zusammengerechnet steht 1600 Euro netto eine Abgabensumme von 1660 Euro gegenüber. Der Faktor Arbeit muss steuerlich entlastet werden. Dann werden sich (noch) mehr neue Unternehmer finden und dazu ihre Mitarbeiter wieder vermehrt anstellen. Monetäre und psychologische Aspekte könnten sich positiv auf Kaufkraftverhalten auswirken und ein funktionierender Kreislauf werden.
Economy erscheint im fünften Jahr. Nach dem Rückblick in der letzten Ausgabe nun zur Zukunft. Um großformatbedingte logistische Probleme beim Hineinstopfen ins Postkastel, beim Auflegen in Trafiken und beim Direktvertrieb zu lösen und um noch mehr als Magazin wahrgenommen zu werden, haben wir unser Blattformat verkleinert. Die frei werdenden Ressourcen investieren wir in Blattumfang, inhaltliche Qualität und Auflage sowie in neue Vertriebswege. In unserer jährlichen Abonnenten- und Leserbefragung (1062 Fragebögen österreichweit 2009) zeigt sich wiederum ein Zuwachs bei jungen, bildungsaffinen Menschen. Mittlerweile sind 52 Prozent der rund 58.000 economy-Leser jünger als 30 Jahre. 87 Prozent haben Matura-, FH- oder Uniabschluss. Mit dieser Entwicklung verstärken wir Maßnahmen zur weiteren Gewinnung von jungen, bildungs- und wirtschaftsaffinen Lesern. Neben den österreichweiten Vertriebsaktivitäten an den Unistandorten starten wir mit dieser Ausgabe eine eigene Vertriebsschiene an AHS und HTLs in Wien und NÖ. Es ist ein Investment in die Zukunft und ökonomisch sinnvoller als ein auf die Dauer nicht leistbarer Positionierungskampf als Kauftitel rein für (ältere) Entscheidungsträger. Nach vier überaus ressourcenintensiven Jahren liegen wir dort nun bei rund 28.000 Lesern. Insgesamt feine Zielgruppen, wo Markenbildung noch sinnvoll und leistbar ist. Einzig die Werbewirtschaft glaubt immer noch viel zu sehr an die teure Masse.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Versilberte Zeit

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Arbeiten ohne Deadline: Besuch bei Menschen, für die es keine verlorene Zeit gibt.

Gutes braucht seine Zeit, Zeit zum Reifen: Sauerteig, Käse, Schinken, Wein und Cognac. Das gilt auch für Berufe, die hektischer Betriebsamkeit mit außerordentlicher Souveränität gelassen trotzen. Für die man neben Feinmotorik auch unendliche Geduld mitbringen muss. Gold- und Silberschmiede zum Beispiel oder Geigenbauer. „Geduld ist eine Frage der Selbstdisziplin und der Hingabefähigkeit. Ablenkende Faktoren hat es immer gegeben, die Schnelllebigkeit unserer Zeit ist sogar in der Lage, eine Gegenreaktion hervorzurufen. Meine persönlichen Instrumentenbaukurse sind voll von EDV-Technikern, Ärzten und Musikern – also mit Vertretern eher abstrakter Berufe“, erklärt Nupi Jenner, Meister für Streich- und Saiteninstrumentenerzeugung.
Geigenbau erfordert Geduld und Liebe zum Detail, doch beschert er in jeder Phase der Herstellung unmittelbare Erfolgserlebnisse. Geigenbau stellt eine gelungene Synthese aus Kunsthandwerk und Musik dar.

Geduld und Liebe zum Detail
Stilistisch erfordert der Bau einer Geige ein gutes Verständnis barocker Ausdrucksformen, in musikalischer Hinsicht viel Gespür für die akustischen Eigenschaften der verwendeten Materialien. Für eine Geige, die in reiner Handarbeit entsteht, rechnet der Profi mit etwa 70 bis 120 Arbeitsstunden. Das ist nur ein Richtwert, da abgesehen von der persönlichen Fertigkeit des Erzeugers auch die zeitliche Investition in die Qualität der handwerklichen und akustischen Verarbeitung eine Rolle spielt.
Zu der alchimistisch anmutenden Manufaktur, einem stillen Raum, in dem alles darauf angelegt ist, der Zeitmessung keine Chance zu geben, passen keine Deadlines – gibt es keine verlorene Zeit. In einer hektischen Umgebung könnte der Goldschmied seine filigrane Arbeit gar nicht machen. „Schmuck zu fertigen ist wie ein kleines Bildhauerstück“, erklärt Günter Guggenberger, Landesinnungsmeister Wien, und ergänzt: „Der Wiener Goldschmied macht nichts über vier Zentimeter.“ Längst ist leider auch in seinem Metier zur Realität geworden, was Friedrich Nietzsche so formulierte: „Handwerk hat goldenen Boden, aber manchmal hängt auch eine bleierne Decke darüber.“ Die goldenen Zeiten der 60er und 70er Jahre seien vorbei, erklärt Guggenberger. Ließ sich die Dame von Welt früher ein prestigeträchtiges Unikat eigens für den Opernball anfertigen, so ist es heute die Marke, die eigentlich unbezahlbare Individualität verdrängt hat.
Wie beim Geigenbauen kann man bestimmte Dinge rationalisieren, aber nur bedingt. Früher war alles sehr viel schwerer, ohne Gas und ohne Strom. Wenn ein Ring heute einen Tag dauert, brauchte es vor hundert Jahren dafür dreimal so lange. Das ist das, was die Menschen nicht verstehen: dass es dauert. Usus sei es mittlerweile, dass sich hoch qualifizierte Kollegen mit Taxifahren und Unterricht an Volkshochschulen ein zweites Standbein schaffen müssen.

Goldener Boden, bleierne Decke
Erwin Vögerl, der 1979 als erster und bislang einziger Österreicher Weltmeister seiner Zunft wurde, ist einer der Letzten seiner Art. Es gibt nur noch fünf Silberschmiede in Österreich. Und von Jahr zu Jahr werden es weniger, die sakrale Symbole wie Kreuze und Monstranzen, aber auch Tabletts und Bestecke von Hand fertigen und ihnen die Anmutung kleiner Kunstwerke verleihen. Menschen wie Vögerl, die 200 Stunden an einer Teekanne arbeiten, wirken wie aus der Zeit gefallen, seit die Industrie in kurzer Zeit maschinell schöne Dinge herstellen kann, denen jedoch die „Seele“ fehlt. Man könnte erwarten, dass ihm das Sorgen macht, dass er sich, um in dieser Welt zu überleben, Termine setzt, zu denen seine Stücke fertig sein müssen. Doch Vögerl kann mit dieser Arbeit nur leben, weil er sich nicht drängen lässt. Ein Mann wie er braucht seine eigene Zeitrechnung. Silberschmied zu sein, das ist wie Opern zu singen. Man erarbeitet sich ein Repertoire. Die Stücke sind immer auch Ergebnisse des bisherigen Arbeitslebens. Ein Tablett aus einem einzigen Stück Silber zu treiben, das ist die allerhöchste Kunst.
Aber kaum noch erlernen junge Menschen den Beruf, weil kaum mehr einer davon leben kann. Der Stundenlohn ist vergleichsweise lächerlich. 8000 Euro für eine Teekanne, das klingt zwar nach einem stattlichen Preis, nach neureichen Menschen und Königshäusern. Aber für Vögerl bedeutet solch eine Kanne 200 Arbeitsstunden. Eigentlich bedeutet sie viel mehr: „Wenn Sie jetzt im Alter etwas machen, dann ist das auch die Summe Ihres Lebens“, sagt er. Man muss an E. T. A. Hoffmanns Novelle Fräulein von Scuderi denken, wo der Goldschmied René Cardillac Kunden ermordet, um seine Stücke wiederzubekommen. Und daran, dass solch eine Werkstatt ein Gefühl dafür vermittelt, dass ein Original sie für immer verlässt, zusammen mit den vielen Stunden, die es mit dem Schmied verbracht hat. Die Kunden kaufen nicht nur Kannen, sie kaufen auch versilberte Zeit.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Mit Tempo leben

Mit Tempo leben  Kilian Kada

Sowohl im Beruf als auch im Privaten fehlt Zeit.

„Zweite Kasse!“, brüllt die Dame mit der gefärbten Haarpracht schroff in mein Ohr. In Supermärkten herrscht zu Spitzenzeiten reges Treiben. Zeit hat von den hier in der Schlange Stehenden offenbar niemand. Denn schon stürmen alle in Richtung freie Spur, um dort einen neuen Einkaufswagenstau zu bilden.
Auch im Journalismus hat sich einiges verändert. Es ist gerade einmal 20 Jahre her, da wurden Texte wie dieser auf der mechanischen Schreibmaschine „Erika“ getippt und per Brief an die Redaktion geschickt. Heute zu Zeiten von E-Mail erfolgt die Textübermittlung in Windeseile, wenn nicht gar in Sekundenschnelle direkt ins Redaktionssystem geschrieben wird.
Apropos Schreiben: Letztens stellte meine pubertierende Tochter lapidar fest: „Wir schreiben uns den gleichen Blödsinn wie ihr damals, nur geht’s bei uns viel schneller.“ Sie hatte gerade das Briefarchiv geplündert, um das Kennenlernen ihrer Eltern zu erforschen. Logisch, das Chatten und Simsen schlägt jeden Postversand. Handy? Der war gut. Damals besaßen wir einen Vierteltelefonanschluss. Wir teilten eine Leitung mit den Nachbarn. Wenn das Mädchen von nebenan mit ihrem Freund telefonierte, hatte die eigene Beziehung Sendepause.

Wettlauf mit der Zeit
Ist das komplette Fehlen des hoffungsvollen Wartens nun ein emotionaler Verlust, oder stellt die Plötzlichkeit der Kommunikation einen persönlichen Gewinn dar? Die Kulturgeschichte der Beschleunigung entfaltet sich erst im konvenablen Betrachtungswinkel. Erfindungen wie Automobil oder Flugzeug lassen den 1873 veröffentlichten Roman In 80 Tagen um die Welt von Jules Verne lächerlich erscheinen. Andere Buchautoren wollen erkannt haben, dass das Tempo-Virus bereits um 1450 startete. Mit den technischen Entwicklungen setzte zwischen 1800 und 1950 eine Beschleunigungsphase ein. Wir befinden uns nun im Zeitalter der Elektronik in einer Tempophase, in der wir verlernt haben, mit dem Tag/Nacht-Rhythmus umzugehen. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der die Lichter nie ausgehen. Das macht viele krank (Burn-out). Nicht wenige versuchen, möglichst viele Leben in einem unterzubringen. Sie vergessen, dass die Entscheidungsfreiheit immer noch bei jedem Einzelnen liegt, ob er am Wettlauf mit der Zeit mit vollen Terminkalendern oder permanent summendem Blackberry/iPhone mitmacht.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Bis ins Alter mobil

Bis ins Alter mobilWilke

In früheren Jahren war es üblich, mit zunehmendem Alter den eintretenden Verlust der Mobilität als natürlichen Prozess hinzunehmen. Mit der Entwicklung von Kunstgelenken, sogenannten Endoprothesen, war es erstmals möglich, die Gelenksbeweglichkeit wiederherzustellen, Schmerzfreiheit zu erzielen und dem Patienten zu einer verbesserten Lebensqualität zu verhelfen. Durch Verbesserungen der Operationstechniken, der Belastbarkeit der Materialien sowie des Prothesendesigns kann nun auch den Ansprüchen der Patienten hinsichtlich ihrer sportlichen Aktivitäten Rechnung getragen werden.
So ist es heute möglich, auch nach Implantation eines Kunstgelenks in Hüfte oder Knie – nach intensiver orthopädischer oder sportmedizinischer Beratung – seinen gewohnten Sportarten nachzugehen. Dabei müssen – um die „Haltbarkeit“ der Prothese nicht zu beeinträchtigen – Bewegungsabläufe wie abrupte Stop-and-go-Bewegungen oder Belastungsspitzen (etwa Sprünge) vermieden werden.
Ansonsten sind auch nach der Implantation von Endoprothesen viele Sportarten meist problemlos möglich: Wandern, Walking, Radfahren; eingeschränkt meist auch Jogging, Golf, Tischtennis, Kegeln, Schwimmen, Langlauf; mit besonderer Vorsicht bei entsprechendem Trainingszustand durchwegs auch Tennis und alpiner Skilauf.
Grundsätzlich sind Sportarten mit erhöhtem Verletzungsrisiko, die gleichzeitig auch zu höheren Belastungen des Kunstgelenks führen können, wenig geeignet. Andererseits gibt es keinen statistisch gesicherten Beleg dafür, dass es dabei häufiger zu Lockerungen des Kunstgelenks kommt. Ungeachtet dessen gelten aber in jedem Fall auch für diese Sportarten die erwähnten Voraussetzungen der Sportfähigkeit bei Endoprothesenträgern und die Notwendigkeit des Vermeidens kontraindizierter Bewegungsformen.
Johannes Gründler ist Facharzt für Orthopädie und orthopäd. Chirurgie.

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Johannes Gründler, Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Beschleunigung der Arbeitswelt

Beschleunigung der ArbeitsweltCarla Müller

Mobiles Arbeiten ist der Beschäftigungstrend des Jahrzehnts. Er führt zu rascheren Wertschöpfungsketten, beugt Abwanderungstendenzen vor, hat aber auch seine Nachteile für Auftragnehmer wie etwa wachsenden Zeitdruck.

Jeder Generation ihr Schlagwort, und das Schlagwort der Arbeitswelt der Gegenwart lautet E-Mobility.
Der Begriff beschreibt eine Arbeitsform, die von der modernen Computertechnik geprägt ist, früher auch „Telearbeit“ genannt: Arbeitnehmer oder Freiberufler wickeln Aufträge oder Geschäftsprozesse über das Internet ab, je nach Grad der Professionalisierung über einfache E-Mails oder über spezielle Software-Portale. Das Resultat: Die­se Personen sind insofern von der üblichen Lohnarbeitsinfrastruktur entfernt, als sie physisch nicht an einem angestammten Arbeitsplatz anwesend sind und sich den Ort der Verrichtung ihrer Dienste aussuchen können: mobiles Arbeiten eben.
Mit der Verbreitung mobiler Arbeit verändert sich die Arbeitswelt gravierend. Die Vorteile für Beschäftigte dieser Art sind höhere Autonomie und Handlungsfreiheit, besseres Zeitmanagement und weniger Stress durch den Wegfall des täglichen Weges zur Arbeit.
„Informationen und Arbeitspakete lassen sich in Sekundenschnelle um den Globus schieben, was völlig neue Formen der Arbeitsorganisation zulässt. Mobile Arbeit ist damit längst kein Randphänomen mehr und dehnt sich weiter aus“, sagt die Münchner Soziologin Gerlinde Vogl.
E-Mobility hat aber auch ihre Nachteile. Von der arbeitsrechtlichen beziehungsweise gewerkschaftlichen Seite wird hierbei vor allem die ständige Verfügbarkeit und die Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben negativ beurteilt und klare Regelung eingefordert. Durch die Abwesenheit zeitlicher Begrenzungen oder einzuhaltender Pausenzeiten wird der individuelle Druck auf den Mobilitätsarbeiter erhöht, da der klassische „Feierabend“ keine Rolle mehr spielt. „Für den Arbeitgeber ist es nicht einfach, seine Verantwortung für ein gesundes Arbeiten unter diesen Bedingungen wahrzunehmen“, argumentiert Markus Kohn vom deutschen Institut für Arbeitsschutz. „Die meisten Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz im Bereich der Informationstechnologie sind an konstante Ortsverhältnisse gebunden. Für wechselnde Arbeitsorte gibt es derzeit nur wenige und sehr allgemeine Handlungsempfehlungen.“
Was in Folge dazu führt, dass als Mobilitätsarbeiter nur derjenige dauerhaft erfolgreich ist, der flexibel ist und große Mobilitätsbereitschaft und Geschwindigkeit in der Abwicklung seiner Aufträge demonstriert.

Arbeit als Sequenz
„Als Folge dieser Anpassungsprozesse können Menschen ihre soziale Anbindung und Verortung zunehmend verlieren, denn alles soll der geforderten Mobilität und Flexibilität untergeordnet werden“, meint Soziologin Vogl. „Selbst das eigene Leben wird zu einer Sequenz aufeinanderfolgender Projekte, die eine langfristige Lebensplanung oder Orientierung nicht mehr zulassen. Immobilität wird Privileg für diejenigen, die es sich leisten können.“
Eine schöne Definition für einen E-Mobilitätsarbeiter ist jene des „selbstgesteuert handelnden Einzelnen“, der die Beschleunigung der Virtualisierung von Geschäfts- und Arbeitsprozessen vorantreibt. E-Mobility hat auch, zumindest gesamtwirtschaftlich gesehen, ihre guten Seiten. In Hinblick auf die weltweite Arbeitsmigration glauben Unternehmer ebenso wie Gewerkschaften, eine Lösung für die unerwünschten Folgen von Auslagerungen und das klassische Outsourcing in Billiglohnländer gefunden zu haben. Denn E-Mobility verringert nicht nur die Lohnnebenkosten für den Arbeitgeber (Bürobetriebskosten et cetera), sondern hat auch eine arbeitsmarktstimulierende Wirkung vor allem durch „neue Selbstständige“ und raschere Wertschöpfungsketten insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Das führt im Idealfall zur Standortsicherung gegen Offshoring mithilfe mobiler Organisationskonzepte. Jedoch, so mahnen Kritiker, verlangt E-Mobility in hohem Maße eine Befähigung zu selbstgesteuertem Handeln und individueller Zeitsouveränität sowie großer Selbstdisziplin, andernfalls der Schuss nach hinten losgeht. Die ständige Möglichkeit, durch Telearbeit noch mehr zu arbeiten und noch mehr Geld zu verdienen, führt bei manchen dazu, dass sie es übertreiben. Das beginnt bei den „Crackberries“ (den Blackberry-„Süchtigen“) bis hin zu sogenannten „Moonlightern“, den endlos in die Nacht Arbeitenden, beides Formen von E-Mobility, die die unerwünschten Folgen einer neuen Arbeitskultur aufzeigen.
Wozu das alles führt? Arbeitswelten der Zukunft werden in weit größerem Maße von Assoziationen und Netzwerken autonomer Berufstätiger geprägt sein. Die Geschwindigkeit von Arbeitsdienstleistungen wird ansteigen, es wird derjenige Erfolg haben, der schneller ist – sei es durch bessere Selbstorganisation, durch bessere Kommunikationstechnik oder durch mehr Flexibilität.
Die Voraussetzungen dafür sind aber hoch: Neben ständiger Anpassung an neue Arbeitsgeschwindigkeiten sind die Eigeninitiative und das selbstgesteuerte Handeln vor allem verbunden mit steter Pflege der eigenen Beschäftigungsfähigkeit und des eigenen Qualifikationsprofils, sprich: des begleitenden konstanten Lernens und individuellen Wissensmanagements.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Sicheres Onlineshoppen

Sicheres OnlineshoppenPhotos.com

Erfolgreicher Internet-Handel braucht optimale Zahlungsmittel. Handy Testsieger in Studie.

Immer mehr Österreicher kaufen online ein. Anstatt sich ins Auto zu setzen und in den nächsten Einkaufstempel zu fahren, erkunden sie lieber die virtuellen Einkaufswelten. Fast jeder zweite Österreicher hat schon einmal etwas im Internet bestellt. Davon sind 58 Prozent zu den regelmäßigen Internetshoppern zu rechnen – Tendenz steigend. Besonders beliebt sind Bücher, elektronische Geräte, Kleidung und Sportartikel. Auch Reisen, Hotels und Veranstaltungen werden gern im Internet gebucht.

Testsieger
Ist das richtige Produkt gefunden, geht es wie im Einkaufszentrum an die Kassa. Dort stellt sich immer auch die Sicherheitsfrage. Als besonders sicheres Zahlungsmittel im Internet konnte sich Paybox, das Bezahlen mit dem Handy, etablieren. So hat das Österreichische Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT) Paybox 2009 zum Testsieger in der Kategorie Sicherheit gekürt. Dazu Jochen Punzet, CEO Paybox Austria: „Damit erfüllt Paybox die zwei wesentlichen Kriterien für ein Online-Zahlungsmittel – rasche und unkomplizierte Abwicklung sowie höchste Sicherheit.“ Der Kunde honoriert das. Paybox, in Österreich unangefochtene Nummer eins im Mobile Payment, kann ihre Umsätze im Internet-Handel laufend ausbauen. Mitverantwortlich für den Erfolg von Paybox ist der qualitative Ausbau des Akzeptanzstellennetzes. So konnten letztes Jahr attraktive Shops wie Weinco.at als Partner gewonnen werden.

Abgekoppelt
Onlineshopping mit dem Handy gilt als so sicher, weil der Bezahlvorgang vom Internet abgekoppelt ist. Damit sind Gefahren wie Missbrauch von Kundendaten oder Phishing von vornherein technisch ausgeschlossen. Die sensiblen Zahlungsdaten werden übers Handy-Netz ausgetauscht, Zahlungsfreigabe und Identifizierung des Zahlers erfolgen verschlüsselt. Da der Kunde jede einzelne Zahlung per Handy bestätigen muss, kommt es nach einem Kauf nicht zu unerfreulichen Überraschungen wie einer Mehrfachbelastung. Legt der Käufer großen Wert auf Privatsphäre, kann er bei Paybox kostenlos eine Wunsch­nummer anfordern. Dann muss er bei der Bezahlung mit Paybox nicht mehr die eigene Handy-Nummer angeben und bleibt vollständig anonym.
Einen wichtigen Platz im Sicherheitskonzept von Paybox nimmt der Jugendschutz ein. Das Handy ist im Alltag von Kindern und Jugendlichen zur Selbstverständlichkeit geworden, so Punzet: „Da ist es nahe liegend, dass sie auch mit dem Handy bezahlen.“ Bei Zigarettenautomaten und in kritischen Internet-Bereichen, etwa bei Glücksspiel, Wetten und Erotik, gibt es eine altersabhängige Nutzungseinschränkung. Eltern können also nicht nur selbst sicher im Netz einkaufen – sie können sich auch entspannt zurücklehnen, wenn ihre Sprösslinge online mit dem Handy bezahlen.

Christian Stemberger, Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

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