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04. Juli 2024

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Das Management von Mobilität

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Verkehrsplanung ist ein komplexes Feld: Nicht nur Bewegung und Geschwindigkeit im öffentlichen Raum müssen gemanagt werden. Auch soziologische und gesellschaftliche Faktoren und Trends sind dabei zu berücksichtigen.

Wer glaubt, dass Verkehrsplanung im Wesentlichen im richtigen Programmieren von Ampelphasen und dem Bereitstellen von Parkplätzen besteht, tappt ziemlich im Dunkeln. Bei dem einfach anmutenden Begriff Verkehrsplanung handelt es sich um eine komplexe Form von Mobilitätsmanagement, die sich dem öffentlichen Raum verschrieben hat – und zu managen gibt es hier einiges.
Es müssen nämlich nicht nur die Anforderungen von Berufs- und Privatverkehr – unabhängig von der Art des Fortbewegungsmittels – unter einen Hut gebracht werden. Auch gesellschaftliche Trends und Bedürfnisse, kurz, das sogenannte „Lebensgefühl“, und natürlich wirtschaftliche Aspekte der öffentlichen Hand als auch des privaten Sektors müssen berücksichtigt werden.
Kaum in einem anderen Sektor sind außerdem Lobbying- und Interessengruppen so zahlreich wie bei (städtischen) Verkehrsfragen. Die Palette reicht von Autofahrerorganisationen mit einem eher konservativen Zugang zur Materie wie dem Öamtc oder Arbö bis hin zu Radfahrer- und Fußgänger-Interessengruppen wie der Arge Zweirad oder dem VCÖ.

Hartnäckige Kritiker
Daneben gibt es hartnäckige Systemkritiker, die den individuellen Autoverkehr für die Wurzel allen Übels halten, wie etwa den Wiener Verkehrsplanungsprofessor Hermann Knoflacher, der das Auto sowohl für eine gesellschaftliche als auch ökologische Bedrohung hält und so die Diskussion um Verkehrsplanung an sich gewissermassen radikalisiert hat.
Die Grunddiskussion im privaten Verkehr spielt sich meistens auf der Ebene der persönlichen Freiheit ab: Die Fortbewegung im eigenen Auto wird als weitaus flexibler empfunden, als mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Eine Sichtweise, der Knoflacher nichts abgewinnen kann: „Es ist ein Irrtum, wenn die Leute glauben, dass ihnen das Auto Freiheit bringt, im Gegenteil: Der Autofahrer ist ein Sklave der Erdölindustrie, er ist permanent ein Werbeträger für die jeweilige Autofirma – also in Wirklichkeit eine lächerliche Figur. Wer das als Freiheit bezeichnet, ist wohl geistig dem Auto nicht gewachsen.“
Wie auch immer, die Dinge sind nicht mit einem Handstrich zu lösen. Wichtige Ursachen für das stetige Anwachsen des motorisierten Individualverkehrs sind der wachsende Freizeitverkehr, die höhere Anzahl von Autobesitzern sowie der Ausbau der Straßenverkehrsinfrastruktur. Außerdem steigen die Kilometerleistungen insgesamt, egal wie hoch gerade der Benzinpreis ist.
Der Trend zum Zweit- und Drittwagen hält an, neue Nutzerschichten tun sich in der Gruppe der „jungen Alten“ sowie bei den Frauen auf.
In einem Punkt muss man den Kritikern des Individualverkehrs allerdings recht geben: Die sogenannten „externen Kosten“ wie Unfallfolge-, Umwelt- und Staukosten werden abgesehen von den verkehrsbezogenen Steuern, Abgaben und Strafen nicht ausschließlich vom Verursacher, sondern auch von der Allgemeinheit getragen, wodurch es zu einer Marktverzerrung kommt, was mit Einschränkungen auch auf den Berufs- und Güterverkehr zutrifft, abgesehen von dessen Kostentragung durch Lkw-Maut und ähnliche Gebühren.

Radikale Maßnahmen
Wie sollen moderne Städte nun auf die Verkehrsexplosion reagieren? Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen, wobei hier stellvertretend die beiden Städte London und Dubai betrachtet werden können. In London, das bis vor wenigen Jahren noch im Verkehr sprichwörtlich erstickt ist, hat die radikale Maßnahme der City-Maut (Congestion Charge) diesem Problem ein radikales Ende bereitet. Das Resultat: Die Verkehrsmengen in der Innenstadt sind um bis zu 20 Prozent zurückgegangen. Durch den um 25 Prozent gestiegenen Einsatz von dieselbetriebenen Bussen, mit dem die rapid angestiegenen Fahrgastzahlen bewältigt werden mussten, hat sich aber keine Verbesserung der Luftqualität ergeben. Ähnliche Ergebnisse haben City-Maut-Projekte in Amsterdam und Stockholm gebracht.
Eine andere Lösung verfolgt die von chronischen Verkehrsproblemen geplagte Golf-Metropole Dubai: Dort hat sich durch den ständigen Ausbau clever geführter Straßen mit großzügigen ampelfreien Kreuzungssystemen und die gleichzeitige Einführung einer umweltfreundlichen U-Bahn-Linie an der Hauptverkehrsader eine tatsächlich spürbare Reduk­tion des täglichen Verkehrsinfarktes ergeben. Und das in einer Stadt, wo das Hauptargument gegen das Autofahren, ein hoher Benzinpreis, bei 20 Eurocent pro Liter nicht gilt.
Verkehrsströme müssen also in der Tat gemanagt werden. Herrn Knoflachers beliebtes Argument, dass in China früher auch alle mit dem Rad gefahren sind, wirkt nicht nur in diesem Zusammenhang ein wenig zynisch.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Fröhliches Jobben in ganz Europa

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Arbeitskräfte sollen künftig mobiler werden (dürfen) und damit Europa eine bessere Zukunft bescheren. Denn langfristig wird es einen
Arbeitskräftemangel geben. EU-Maßnahmen wie die „Blue Card“ sollen Abhilfe schaffen.

Deutsche Ingenieure in Spanien, polnische Tischler in Österreich, Wissenschaftler-Austausch quer durch Europa – keine Seltenheit, aber noch lange nicht die Regel. Das soll sich ändern, wenn es nach den Wünschen von EU-Beschäftigungskommissar Vladimír Špidla geht. Denn Mobilität sei förderungswürdig, ist Špidla überzeugt. Langfristig wird es in Europa einen Arbeitskräftemangel geben: Bis zum Jahr 2015 wird sich die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter halbiert (!) haben. Zwischen 2010 und 2030 wird es zu einer Reduktion von 20 Mio. Arbeitskräften kommen, wenn nicht große oder veränderte Einwanderungswellen stattfinden, so sehen die Prognosen laut einer aktuellen EU-Studie aus.

Hilfe in Krisenzeiten
Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise sind flexible, mobile Arbeitskräfte enorm von Bedeutung und helfen, die schwierigen Zeiten besser zu überstehen. „Alles deutet darauf hin, dass sich Wirtschaften mit mobilen Arbeitskräften viel besser von wirtschaftlichen Problemen erholen können als Länder mit starren Arbeitsmarktstrukturen“, erklärt Špidla. Eine mobile Wirtschaft könne sich besser an Veränderungen anpassen, mobile Arbeitskräfte könnten leichter in anderen Regionen oder Branchen tätig werden und so die Wirtschaft wieder ankurbeln.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Obwohl sich die EU seit dem Jahr 2006, dem EU-Jahr der „Arbeitskräftemobilität“, vehement für eine Verbesserung einsetzt, hat sich bis dato wenig verändert. Zu groß sind die Mobilitätshindernisse: An erster Stelle stehen wohl fehlende Sprachkenntnisse, soziale Bindungen und finanzielle Kriterien, denn ein Umzug beziehungsweise neue „vier Wände“ kosten schließlich viel Geld. Aber auch Unterschiede in den Steuersystemen, in der Kranken- und Pensionsversicherung, das Fehlen einer EU-einheitlichen Arbeits- und Sozialgesetzgebung und die noch sehr lückenhafte zwischenstaatliche Anerkennung von beruflichen Qualifikationen wirken abschreckend. Die EU-Kommission verfolgt dennoch weiter ihre Strategie – wenn auch langsam. Bereits 2006 wurde das europäische Bewerbungsportal Eures eingeführt. Diskussionen um eine „Blue Card“ ähnlich der US-amerikanischen „Green Card“ gab es schon lange. Nach zähem Tauziehen wurde die Einführung der „Blue Card“ im Juni vergangenen Jahres vom EU-Ministerrat beschlossen. Sie ist aber nur eine EU-weite Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte Fachkräfte aus aller Welt. Bis spätestens 2011 müssen die Mitgliedstaaten diese Richtlinie umsetzen, ab 2011 sollen Fachkräfte etwa aus China, Russland oder Indien mit einer „Blue Card“ in Europa arbeiten dürfen.

Kritik an „Blue Card“

Auf Druck einiger Mitgliedstaaten wurden die EU-Pläne allerdings stark abgeschwächt. So gilt die „Blue Card“ nicht als Arbeitserlaubnis im gesamten EU-Raum, sondern kann nur für ein Land beantragt werden. Insgesamt wird die neue EU-Richtlinie als zu bürokratisch beurteilt, die beschränkte Geltungsdauer (maximal vier Jahre) sorgt für Kritik.
Das Interesse am Arbeiten im Ausland ist aber nach wie vor gering: Laut einer Studie von Pricewaterhouse Coopers (PWC) aus dem Jahr 2006 wurden bei insgesamt 445 Unternehmen aus 14 EU-Ländern gerade einmal fünf Prozent Bewerbungen von Ausländern registriert. Laut einer EU-Studie aus dem Jahr 2008 hat sich da wenig geändert: „Die Bevölkerung Europas ist überwiegend sesshaft eingestellt“, urteilt die Studie. „Statt eines Umzugs nehmen die Menschen lieber Pendeln auf sich, arbeitsbedingte Migration betrifft nur eine kleine Gruppe“, betont Studienautor Norbert Schneider von der Uni Mainz. Nur ein Sechstel der Berufstätigen Europas sieht sich selbst als beruflich mobil, allerdings eher innerhalb der eigenen Landesgrenzen.
„Angesichts eines steigenden Fachkräftemangels bei wachsender Tendenz zur Arbeitslosigkeit unter gering Qualifizierten bleibt neben der Bildungspolitik die Anwerbung internationaler und europäischer Fachkräfte eine zentrale politische Gestaltungsaufgabe für die Zukunft“, resümiert Klaus Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn, jüngst in einem Forschungsbeitrag. Die internen europäischen Mobilitätsbarrieren werden allerdings schwer zu durchbrechen sein, gibt sich Zimmermann skeptisch. „Der Schlüssel zur Mobilität liegt bei einer stärkeren Einbindung internationaler Arbeitsmigranten in den europäischen Migrationsprozess“, meint der IZA-Direktor.
In Österreich ist übrigens bereits jeder zehnte Erwerbstätige ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Laut Statistik Austria (Zahlen vom dritten Quartal 2009) sind von den insgesamt 4,1 Mio. Erwerbstätigen genau 418.000 Ausländer.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Vom Eintauchen in andere Welten

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„Im Land der Blinden ist der einäugige Mensch König“, unterstrich Erasmus von Rotterdam einst die Vorteile des Lernens und Reisens. Die EU unterstützt internationalen Austausch, der beides verbindet, mit Millionenbeträgen. Welche Projekte gibt es für wen? Und wer profitiert dabei?

„Warst du schon Erasmus?“ Unter Studenten bezieht sich diese Frage längst nicht nur auf das angesprochene europaweite Mobilitätsprogramm, an dem bereits jeder zehnte Student teilnimmt. „Erasmus“ hat sich zum Überbegriff für eine Vielzahl an Programmen entwickelt, von denen längst nicht nur Studenten profitieren.
Das europaweite „Programm für Lebenslanges Lernen“ bietet neben Studenten auch Lehrenden die Möglichkeit, Auslandsaufenthalte zu absolvieren. Im Rahmen diverser Stipendienprogramme werden neben Studienplätzen etwa ebenso Praktikumsstellen angeboten („Leonardo da Vinci“) und Mobilität im schulischen Bereich sowie bei Kindergartenpädagogen gefördert („Comenius“). Auch Unternehmen können zum Beispiel im Rahmen des „Grundtvig“-Programms teilnehmen.
Neben der Agentur „Lebenslanges Lernen“ gibt es diverse andere Anbieter von Auslandsaufenthalten. So besteht ebenso die Möglichkeit, als Assistent für Deutschunterricht Auslandserfahrung zu sammeln. Eine Vielzahl an Programmen wie etwa „Joint-Study“ fördert auch den Austausch über Europas Grenzen hinaus. Das weniger bekannte Programm „Operation Wallacea“ bietet Projekte zum Erhalt und zur Dokumentation der Artenvielfalt in den schier unglaublichsten Ecken dieser Erde. Auf der Suche nach finanzieller Unterstützung hilft es übrigens, sich auch im Zielland umzuhören, da dort ebenfalls gelegentlich Stipendien vergeben werden.

Bologna und die Folgen
Neben kulturellem Austausch ist ein wichtiges Ziel akademischer Austauschprogramme die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulwesens. Dieses Ziel verfolgt auch der umstrittene Bologna-Prozess, der die formelle Angleichung des Hochschulraums forciert, um akademische Mobilität zu erleichtern. Bei dieser liegt Österreich laut Gerhard Volz, dem „Erasmus“-Bereichsleiter der Nationalagentur Lebenslanges Lernen, übrigens europaweit an der Spitze, was er damit begründet, „dass es ein starkes Bekenntnis zur Förderung der Mobilität gibt, welches sich in entsprechender Finanzierung niederschlägt.“ Der Österreichische Austauschdienst (OeAD) kann somit aus EU- und nationalen Mitteln jährlich rund 5700 Stipendien im Hochschulbereich vergeben, „davon etwa 5000 im Rahmen von ‚Erasmus‘“, so Volz.
Das im April 2009 im Rahmen des Bologna-Prozesses beschlossene Mobilitätsziel sieht zudem vor, dass bis 2020 mindestens 20 Prozent aller europäischen Hochschulabsolventen zumindest ein Auslandssemester absolviert haben. Um dieses Ziel zu erreichen, fließen allein in das „Erasmus“-Programm jährlich mehr als 400 Mio. Euro, wobei bereits 90 Prozent der europäischen Hochschulen teilnehmen. Europas Aushängeprojekt rechnet mit einer Teilnehmerzunahme um gut 50 Prozent bis 2012 auf drei Millionen.
Der Bologna-Plan ist dennoch teilweise mangelhaft. Zwar steigen die Teilnehmerzahlen an Austauschprogrammen weiterhin an, „dennoch wird es Studierenden durch die Neugestaltung der Studienpläne oft nicht leicht gemacht, ein Auslandssemester zu absolvieren“, so Gerhard Volz gegenüber economy.
Was aber bringt so ein Auslands­aufenthalt tatsächlich? Laut einer Studie des Internationalen Zentrums für Hochschulforschung in Kassel (Incher) kann man sich durch einen Auslandsaufenthalt zwar keinen besser bezahlten Job erwarten. Aus der Langzeitstudie von Maiworm und Teichler (Study Abroad and Early Career) geht jedoch immerhin hervor, dass zumindest 54 Prozent aller ehemaligen Teilnehmer am „Erasmus“-Programm überzeugt sind, durch ihren Auslandsaufenthalt Vorteile bei der späteren Arbeitssuche gehabt zu haben.

Weg vom Mainstream-Denken

Teichler bestätigt zudem, dass sich aus Auslandsaufenthalten „Vorteile für die persönliche Lebensführung“ ergeben. „Wer in eine andere Denkwelt eintaucht, entkommt dabei dem Mainstream einer Kultur und erkennt, dass es für jedes Problem mindestens zwei verschiedene Lösungen gibt“, so Teichler. Diese Erkenntnis wird von Wissenschaftlern der Northwestern University in Evanston (Illinois, USA) unterstrichen. Für eine Studie wurden mehrere Tests hinsichtlich Kreativität und Schaffenskraft durchgeführt. Probanden, die im Ausland gewesen waren, schnitten dabei deutlich am besten ab.
Ein Auslandsaufenthalt mag also kein Garant für einen besseren Arbeitsplatz sein, doch es werden dadurch „zusätzliche Kompetenzen erworben, die im Berufsleben bedeutende Vorteile bringen können. Ein Studiensemester oder ein Praktikum in einem anderen Land stärkt die fachlichen, sozialen und interkulturellen Kompetenzen und verbessert die Fremdsprachenkenntnisse“, fasst Volz gegenüber economy zusammen. Auslandserprobte Absolventen als „Einäugige“ im „Land der Blinden“? Die EU setzt jedenfalls weiterhin stark auf internationale Mobilität, und in Anbetracht der Entwicklungen auf dem europäischen Arbeitsmarkt, der zunehmend vernetzter agiert, zahlt es sich mitunter doppelt aus, diese Programme auch zu nutzen.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Ein Augenblick

Ein Augenblick

Ich bin einer Dimension auf der Spur. Einer Dimension in ihrer ganzen Bandbreite und Bedeutungsvielfalt, von Weltzeit und Lebenszeit, von Geschichte und Ewigkeit, von Dauer und Augenblick: Was ist Zeit?
Zeit ist das, was uns fehlt, wenn sich zu viel ereignet. Schon Aristoteles fragte, „ob die Zeit existieren würde, wenn es kein Bewusstsein gäbe“. Eine eindeutige Antwort ist bis heute weder von Natur- noch von Geisteswissenschaftlern gefunden worden. Aristoteles definierte Zeit als „das Maß der Bewegung nach dem Früher und Später“.
Jeder Mensch erlebt subjektiv den Ablauf der Zeit – einerseits in Bezug auf sein Leben und andererseits in Bezug auf die Personen und Dinge der Welt. Den subjektiven Ablauf der Zeit teilt der Mensch ein in die Vergangenheit, die er zwar schnell vergisst, aber grundsätzlich genau kennt, und die Zukunft, die er nicht voraussagen kann, die aber sein Schicksal enthält und die er deshalb fürchtet. Dazwischen empfindet er das „Jetzt“, „den Augenblick“, die „Gegenwart“, in der er sein Leben „erlebt“. Dies birgt einen Konflikt in sich: Auf einer objektiven Zeitskala ist das Bewusstsein des gegenwärtigen Momentes lediglich ein Trennpunkt ohne Dauer zwischen Vergangenheit und Zukunft. Mit diesen Begriffen verknüpft der Mensch auch die Kausalität, indem die Ursache vor dem bewirkten Ereignis liegen muss. Auch wenn die Zeit subjektiv noch so verschieden schnell ablaufen kann, die kausale Folge bleibt bestehen, im „Jetzt“ allerdings verwischt.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Passwortgeschütztes Shoppen

Passwortgeschütztes ShoppenPay Life Bank

Michael Bratl: „Die Kreditkartenkunden nehmen die Sicherheitstechnologie Verified by Visa und Mastercard Securecode sehr gut an. Um die Kunden zu erreichen, die sich mit diesem Thema noch nicht auseinandergesetzt haben, wurde Activation During Shopping eingeführt.“

Immer mehr Österreicher zahlen mit der Kreditkarte. Pay Life konnte 2009 einen Umsatzzuwachs von fünf Prozent verzeichnen, die Zahl der Transaktionen stieg um 5,9 Prozent. 812.000 Pay-Life-Kreditkarten sind österreichweit in Umlauf, das ist ein Plus von 4,4 Prozent gegenüber 2008. Für 2010 rechnet Pay Life mit einem Transaktionsplus von sieben Prozent. Gerade im Internet punktet die Kreditkarte als sicheres, weltweit anerkanntes Zahlungsmittel.

economy: Der Handel im Internet floriert trotz Krise. Welche Eigenschaften muss ein Zahlungsmittel haben, damit der Kunde es im Onlineshop benützt?
Michael Bratl: Der Einkauf im Internet setzt Vertrauen voraus. Daher ist die Sicherheit der Bezahlmethode von größter Bedeutung. Andererseits – und das bedeutet einen gewissen Interessenkonflikt – muss das Bezahlen im Internet auch schnell und einfach gehen. Daran ist auch das Sicherheitsprotokoll Secure Electronic Transactions, kurz SET, gescheitert. Das bot zwar höchste Sicherheit, war aber so kompliziert und unflexibel, dass der Konsument letztlich daran gescheitert ist.

Nach SET kam 3-D Secure – hat man aus den Fehlern gelernt?
Ein eindeutiges Ja. 3-D Secure bietet höchste Sicherheit bei einfacher Handhabung, es funktioniert wie der PIN bei der Bankomatkarte. Der Karteninhaber registriert sich und wählt ein Passwort. Im Onlineshop weist dieses Passwort den Kunden als rechtmäßigen Besitzer der Kreditkarte aus.

Wo wird 3-D Secure eingesetzt?
3-D Secure ist der Branchenstandard bei Kreditkarten. Verified by Visa und Mastercard Securecode bauen auf dieser Technologie auf.

Man kann mit der Kreditkarte im Internet aber auch ohne 3-D Secure shoppen. Wer entscheidet, ob der Standard zum Einsatz kommt?
Der Händler entscheidet, ob er Zahlungen basierend auf der Technologie 3-D Secure akzeptiert. Auch hier ist die Resonanz sehr gut. Alle Online-Händler, die wir bei Pay Life unter Vertrag haben, akzeptieren Verified by Visa und Mastercard Securecode. Für den Händler hat dies einen großen Vorteil: Er erhält eine Zahlungsgarantie. Dazu ist es ein Qualitätsmerkmal – der Kunde kann davon ausgehen, dass der Händler höchsten Wert auf Sicherheit legt.

In letzter Zeit fällt im Zusammenhang mit 3-D Secure immer wieder das Stichwort Activation During Shopping (ADS). Was hat es damit auf sich?
Verified by Visa und Mastercard Securecode werden von Kundenseite sehr gut angenommen. Um die Kunden zu erreichen, die sich damit noch nicht auseinandergesetzt haben, gibt es ADS. Wenn der Kunde online ein Produkt ausgewählt hat und den Bezahlvorgang mit seiner Kreditkarte startet, öffnet sich ein Bildschirmfenster. Abhängig von der Karte wird der Kunde aufgefordert, sich zu Verified by Visa oder Mastercard Securecode anzumelden.

Ist dieser Zeitpunkt zur Registrierung gut gewählt?
Aus meiner Sicht ja. In diesem Moment, in dem der Kunde den Bezahlvorgang einleitet, ist seine Bereitschaft, sich mit Sicherheitsfragen auseinanderzusetzen, so hoch wie sonst nie. Es geht ja dann um sein Geld.

Wer entscheidet über den Einsatz von ADS?
Das ist Sache der Kundenbank. Das kartenausgebende Institut muss entscheiden, ob es seinen Kunden diese Möglicheit zur Registrierung und damit zur Nutzung von Verified by Visa oder Mastercard Securecode anbieten will.

Sie stehen ohne Einschränkung hinter ADS?
Wir begrüßen ADS außerordentlich. Es ist für alle Beteiligten eine Gewinnsituation. Die Karte ist nach der Anmeldung mit einem Passwort geschützt, das nur der Kunde selbst kennt. Damit ist dort, wo auch der Händler auf 3-D Secure setzt, ein Betrugsversuch allein mit der Kartennummer nicht mehr möglich. Durch ADS werden in Zukunft noch mehr Karteninhaber auf die sichere Zahlungsvariante setzen, damit steigt insgesamt die Sicherheit im Netz und das Vertrauen in Online-Handel und Kreditkarte.

Nicht alle Händler akzeptieren Zahlungen auf Basis der 3-D-Secure-Technologie. Können Kunden, die Verified by Visa oder Mastercard Securecode nutzen, auch dort noch einkaufen?
Ja, natürlich. Die Kreditkarteninhaber können dort weiterhin wie gewohnt mit ihrer Karte bezahlen.

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Christian Stemberger, Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Verkehrsschilder verschrotten

Verkehrsschilder verschrottenBüro Landesrätin Edlinger-Ploder

Der holländische Verkehrsplaner Hans Moderman hat das Shared-Space-Konzept entwickelt: Alle Verkehrsteilnehmer bewegen sich in einem gemeinsamen Raum. Die einzige Regel: Augen auf und aufeinander Rücksicht nehmen. Die steirische Gemeinde Gleinstätten baut bereits um.

Die südsteirische Gemeinde Gleinstätten hat eine Schule mitten im Ort. Doch das übliche rot umrandete, dreieckige Schild mit Kindern in der Mitte, das Autofahrer vor der Gefahr Kind warnt, montiert Gleinstätten gerade ab. Es wird auch kein blaues Schule-Zeichen mehr geben. Denn Gleinstätten schafft die Verkehrsschilder ab. Das klingt wie eine Autofahrerkampfansage à la „freie Fahrt für freie Bürger“.
Ist es aber nicht. Hier wird das revolutionäre Konzept „Shared Space“ realisiert, das der holländische Verkehrsplaner Hans Monderman entwickelt hat. Shared Space ist eine gemeinsame Fläche, die sich Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger, Rollstuhlfahrer, einfach alle, teilen. Eine Fläche ohne Gehsteig oder Fahrbahn. Plätze, wo man sich ohne Regeln fortbewegt – außer der einen: Augen auf und aufeinander Rücksicht nehmen.

Das Hirn einschalten
Das funktioniere, „weil die Menschen Hirn und soziales Denken einschalten“, sagt Monderman. Wenn alles reglementiert sei, nutze jeder den ihm zustehenden Raum. Wenn man sich aber im Recht fühle, nehme man auf die anderen keine Rücksicht.
In Holland haben bereits Dutzende Städte ihre Verkehrsschilder abmontiert. Über ein EU-Projekt wurde das Konzept in Europa verbreitet. In England greift die Bewegung, in Deutschland hat die Stadt Bohmte damit begonnen.
In Österreich hat die steirische Verkehrslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder (ÖVP) das Konzept importiert. „Es war eigentlich ein Zufall“, sagt sie. „Ich habe in einer Zeitschrift einen Artikel über Shared Space und Hans Monderman gelesen.“ Zur ungefähr selben Zeit hat die Forschungsgesellschaft Mobilität Kontakt zu Monderman aufgenommen. Monderman kam nach Graz und präsentierte sein Shared-Space-Konzept dem Verkehrssicherheitsbeirat, einer Runde von Verkehrsexperten und Bezirkshauptleuten. Auf einer Exkursion nach Holland begutachtete Edlinger-Ploder schilderfreie Städte und vereinbarte eine Zusammenarbeit mit Mondermans Keuning Instituut in Groningen. Zurück in Graz lud sie ein wichtiges Medium (die Kronen Zeitung) zu einer Informationsveranstaltung und verbreitete so die Botschaft an die Gemeinden – mit der Aufforderung, sich zu melden, wenn sie Interesse hätten.
Bürgermeister Gottfried Schober (ÖVP) von der Marktgemeinde Gleinstätten meldete sich. Die Gemeinde hatte ein Problem: eine Straße, die den Ort wie eine Schnellstraße durchschnitt. Da sie ohnehin sanierungsbedürftig war, wird Gleinstätten das erste Shared-Space-Projekt in Österreich verwirklichen. In einem aufwendigen Beteiligungsprozess wurde die gesamte Bevölkerung einbezogen. Da mussten erst mal Bedenken ausgeräumt werden – ob die Autofahrer wirklich das Tempo drosseln würden, wenn es keine Schilder gebe. Edlinger-Ploder verweist auf die holländische Erfahrung, wonach es im geteilten Raum viel weniger Verkehrsunfälle, Verletzte und Tote gebe als früher. „Ich glaube nicht, dass Autofahrer aufgrund eines Verkehrsschildes ein moralisches Bewusstsein haben, die Geschwindigkeit zu drosseln. Wenn sie aber Kinder auf einem Schulhof sehen, nehmen sie automatisch das Tempo runter“, sagt Edlinger-Ploder. „Die persönliche Kommunikation der Menschen untereinander ist stärker als eine Verordnung.“

Chaotischer Platz, wenig Unfälle
Den Beweis liefere der Dietrichsteinplatz in Graz, der ziemlich chaotisch aussehe, aber seit Jahren funktioniere. Da fahren Autos, Straßenbahnen, Busse und Räder durch, eine heterogene Verkehrsmischung ohne große Regeln. „Jeder Mensch, der dort hinfährt, überlegt, was da eigentlich los ist. Genau diese Unsicherheit schürt die Aufmerksamkeit“, so Edlinger-Ploder. Die Statistik zeige, dass dort relativ wenige Unfälle mit maximal Blechschaden passieren.
Das Konzept begeistert viele Gemeinden, doch viele sind auch skeptisch. In Gleinstätten wird der gemeinsame Staßenraum gerade realisiert, Feldkirchen bei Graz folgt in Kürze, die Grazer Vizebürgermeisterin Lisa Rücker (Die Grünen) wird mehrere Plätze nach der Shared-Space-Devise umbauen lassen.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Zeit ist relativ

Zeit ist relativDPA/Upi/Arthur Sasse

Albert Einstein hat unser Verständnis von Zeit und Geschwindigkeit gründlich umgekrempelt. Durch ihn wissen wir: Bei hohem Tempo vergeht Zeit langsamer, Zeit ist relativ. Doch was sagt seine Theorie eigentlich aus? Eine Anschauung.

Vor Albert Einstein war die Sache noch klar. Alle Uhren gehen gleich; wenn sie doch anders ticken, ticken sie nicht richtig. Die Zeit galt als eine unverrückbare Größe. Eine Sekunde war eine Sekunde und dauerte immer gleich lang. Der Physiker Albert Einstein hat diese Vorstellung gründlich umgekrempelt. „Was würde geschehen, wenn ich hinter einem Lichtstrahl hereilen und ihn schließlich einholen würde?“ Diese Frage stellte er sich als 17-Jähriger. Einige Jahre später hatte er diesen Gedankengang vollendet und damit die alten Vorstellungen von der Beschaffenheit von Raum und Zeit – über 200 Jahre bestehendes Gedankengut – hinfällig gemacht, der Welt eine neue, vierte Dimension offenbart: die Zeit.
Der bescheidene Titel seiner Abhandlung deutete allerdings noch nicht darauf hin, welche physikalische Revolution der damals weitgehend unbekannte Patentbeamte aus Bern anzettelte. „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ hieß der Text, der 1905 in den Annalen der Physik erschien und die Grundlagen der Speziellen Relativitätstheorie enthielt. Darin zeigt Einstein, dass Zeit keineswegs eine absolute Größe ist. Fundamental: Wie schnell eine Uhr tickt und ob zwei Ereignisse gleichzeitig stattfinden oder nicht, hängt vom Beobachter ab. Wie kam Albert Einstein zu diesen Ideen, die so sehr dem gesunden Menschenverstand widersprechen? Er ließ sich von zwei einfachen Grundprinzipien leiten. Da wäre als Erstes das Relativitätsprinzip. Vereinfacht besagt es: Ob ein Mensch oder ein Körper ruht oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, lässt sich nur in Bezug auf andere Menschen oder Körper feststellen. Einen absoluten Ruhezustand gibt es nicht. Eine Erfahrung, die wir aus dem Alltag kennen: Wer in einem sanft anfahrenden Zug sitzt, kann ohne den Blick nach draußen kaum feststellen, ob der Zug noch steht oder sich schon in Bewegung gesetzt hat.

Das Tempolimit des Universums
Zweites Grundprinzip ist die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Licht, zum Beispiel der Strahl einer Taschenlampe oder der Blitz einer Fotokamera, bewegt sich mit immer gleicher Geschwindigkeit vorwärts – mit knapp 300.000 Kilometern pro Sekunde. Das war für die Forscher unerwartet, aber wahr, wie eine Reihe von Experimenten nachwies. Die Lichtgeschwindigkeit ist außerdem die absolute Höchstgeschwindigkeit, wenn es darum geht, Energie oder Materie von einem Ort zum anderen zu transportieren. Sie stellt damit eine Art Tempolimit des Universums dar.
Aus diesen beiden Prinzipien schloss Einstein: Wenn die Lichtgeschwindigkeit eine Naturkonstante ist, muss sich etwas anderes ändern: die Zeit! Zeit ist eine relative Größe, ist abhängig von Bewegung. Wenn eine Uhr mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbeifliegt, ist festzustellen, dass sie deutlich langsamer geht als das baugleiche Modell, das neben mir auf dem Boden steht. Physiker nennen dieses Phänomen Zeitdilatation. Der Effekt wird umso deutlicher, je näher die Geschwindigkeiten der Lichtgeschwindigkeit kommen. Auch Gleichzeitigkeit ist relativ: Zwei Ereignisse, die einem Beobachter als gleichzeitig erscheinen, kann ein anderer als zeitversetzt wahrnehmen.

Schneller bewegen, länger leben
Im Alltagsleben wirkt sich die Zeitdilatation nicht aus, weil es sich nur um winzige Sekundenbruchteile handelt. Aber nachweisen lässt sich der Effekt schon.
Angenommen, ein Geschäftsreisender wird von seiner Ehefrau nach Schwechat gebracht. Der Geschäftsmann steigt in den Überschallflieger nach New York, seine Frau fährt ins Büro. Beide haben extrem genaue Atomuhren im Gepäck. Der Reisende führt seine Gespräche in New York und setzt sich in die nächste Überschallmaschine, die ihn nach Hause bringt. Seine Frau, die am Boden geblieben ist, holt ihn wieder am Flughafen ab. Jetzt machen die beiden einen Uhrenvergleich. Der überraschende Effekt: Auf der Atomuhr des Mannes sind einige Milliardstelsekunden weniger vergangen. Verantwortlich dafür ist das hohe Flugtempo, mit dem ein Überschallflugzeug den Atlantik überquert. Das Experiment zeigt: Zeit ist relativ!
Noch deutlicher tritt dieser Effekt auf, wenn man Objekte betrachtet, gegen die ein Überschallflugzeug sich geradezu im Schneckentempo bewegt: Beschleunigt man Elementarteilchen, die kleinsten Bausteine der Materie, auf mehr als 99 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, dann erreichen selbst kurzlebige Teilchen ein überraschend hohes Alter: Im Vergleich zu Teilchen derselben Sorte, die sich in Ruhe befinden, geht ihre „innere Uhr“ deutlich langsamer. Teilchen, die sich bewegen, leben also länger.

Einstein als Co-Pilot

Allerdings spielt bei unserem Flug­reisenden ein weiterer Effekt eine Rolle, den die Spezielle Relativitätstheorie nicht erklärt. Ihn kann man erst im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie verstehen, die Einstein 1915 veröffentlicht hat: Uhren laufen umso langsamer, je näher sie sich an einer Schwerkraftquelle befinden, in unserem Fall der Erde. Würde der Reisende in New York aufs Empire State Building fahren, das 381 Meter hoch ist, dann ginge seine Atomuhr auf der Aussichtsplattform minimal schneller als eine Uhr im Erdgeschoß. Alles weit weg von der Alltagswelt? Nicht ganz: Jeder, der in seinem Auto mit GPS (Global Positioning System) fährt, hat Einstein als Co-Piloten bei sich. Das GPS-System besteht aus 29 Satelliten, die um die Erde kreisen und Zeitsignale aussenden. Deren Takt wird mithilfe genauer Atomuhren reguliert, und aus den Laufzeiten mehrerer Satellitensignale berechnet der Empfänger im Auto die aktuelle Position. Wegen der großen Entfernung von der Erde überwiegen – anders als bei unserem Flugreisenden – die Auswirkungen der Gravitation, und die Satellitenuhren gehen ein wenig schneller als auf der Erdoberfläche. Da die Satelliten mit über 10.000 Stundenkilometern durchs All sausen, ticken die Uhren an Bord langsamer als baugleiche Atomuhren auf der Erde und gehen jeden Tag ein paar Millionstelsekunden nach. Wenn die Ingenieure Einsteins Formel nicht berücksichtigt hätten, wüsste der Computer in ihrem Wagen nach ein paar Wochen nicht mehr, ob er gerade in Wien oder im Waldviertel steht. Ohne Einstein kämen Sie immer zu spät.

Nette Mädchen und heiße Öfen

Die weltberühmte Formel E=mc2 ist eine weitere Konsequenz der Speziellen Relativitätstheorie. Sie besagt, dass Energie und Masse äquivalent sind. Jeder Energie entspricht eine definierte Masse; jeder Masse eine Energie. Für Physiker, die mit Teilchenbeschleunigern die kleinsten Strukturen der Materie untersuchen, gehört die Formel zum täglichen Brot. Führen sie ihren Elementarteilchen Energie zu, um sie fast auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, erhöht sich auch die Teilchenmasse. Würden sie das nicht berücksichtigen, wenn Magneten die Teilchen auf eine Kreisbahn zwingen, ließen sich die Beschleuniger gar nicht erst in Betrieb nehmen. Der weltweit größte Teilchenbeschleuniger befindet sich am Cern, dem europäischen Teilchenphysik-Forschungszentrum nahe Genf. Einmal beschleunigt, werden die Teilchen zur Kollision gebracht und offenbaren die zweite Facette der berühmten Formel: Dann verwandeln sich die Kollisionspartner in reine Strahlungsenergie, aus der massereiche Teilchen entstehen. Materie und Energie lassen sich ineinander umwandeln.
Der Physiker Guido Saathoff vom Max-Planck-Institut für Kernforschung in Heidelberg misst mit hochgenauen „Uhren“ die Dilatation. Lithium-Atome schwingen mit einer genauen Frequenz, Atome dienen damit quasi als Pendel der Uhren. Werden sie auf höhere Geschwindigkeiten gebracht, vergeht für sie die Zeit langsamer. „Wir haben das auf neun Stellen hinter dem Komma gemessen und können Einsteins Relativitätstheorien mit dieser Genauigkeit bestätigen“, so Saathoff.
Zu viel Physik? Einstein selbst hat es einfach erklärt: „Wenn man zwei Stunden lang mit einem netten Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität.“

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Die Zukunft der Mobilität

Die Zukunft der MobilitätVerbund

Der Klimawandel erfordert ein neues Energie- und ein neues Mobilitätssystem; deshalb treiben wir die Elektromobilität voran. Österreich hat beste Voraussetzungen, weil der Strom schon heute überwiegend aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird. So wird das Klima wirklich geschützt; und weil moderne Elektroautos umgerechnet weniger als zwei Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrauchen, wird auch die Geldbörse geschont.
Seit 2009 sind der Verbund und mehr als ein Dutzend Partner aus Industrie und Forschung in der offenen Plattform „Austrian Mobile Power“ engagiert. Magna, Siemens und Verbund haben jetzt die Firma Austrian Mobile Power Management (AMP) gegründet, um Investitionen von rund 50 Mio. Euro bis 2020 voranzutreiben. In zehn Jahren könnten in Österreich 250.000 Elektroautos unterwegs sein. Diese würden jährlich 800 Mio. Kilowattstunden (kWh) Strom verbrauchen. Allein der Verbund kann die­se Menge problemlos mit erneuerbarer Energie bereitstellen; bis 2015 sind in Österreich neue Wasser- und Windkraftwerke mit zusätzlicher Ökostrom-Erzeugung von einer Mrd. kWh geplant.
AMP setzt auf ein „Lade-überall“-Konzept, bei dem Starkstrom aus der Steckdose zu Hause oder während der Arbeit oder des Einkaufs am Parkplatz und so weiter verwendet wird. In diesen Steckdosen sorgt eine eigene Kommunikationsschnittstelle für Identifizierung und Abrechnung, denn jedes Fahrzeug gilt als eigener Verbraucher, ähnlich, wie es bei Handys funktioniert. Der Aufbau der Infrastruktur startet heuer. Spätestens ab 2013 dürften weltweit moderne, reichweitenstarke Elektro-Serienfahrzeuge auf dem Markt sein – entweder zum Kauf oder via Leasing. Die Vision für Österreich im Jahr 2050: In unseren Autos findet sich Erdöl bestenfalls noch als Schmiermittel, und Emissionen kommen nur noch aus dem Radio.
Wolfgang Pell ist Leiter der Abteilung Innovation, Forschung und Entwicklung beim Verbund.

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Wolfgang Pell, Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Auf der Suche nach der Zeit

Auf der Suche nach der ZeitUni Klagenfurt

Peter Heintel: „Die Zielvorgaben werden immer mehr gesteigert. Wer sein Ziel erreicht hat, kriegt noch etwas draufgepackt.“ Der Philosoph gründete vor 20 Jahren den „Verein zur Verzögerung der Zeit“ . Seither ist alles noch schneller geworden.

Da hetzt man die Treppe hinauf, zu einem Besprechungstermin mit einem Kunden, der Zuspätkommen hasst. Auf einer vereisten Stufe rutscht man aus, verknackst sich den Knöchel, und zeitgleich mit dem Schmerzensschrei blinkt ein Satz im Hirn auf: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam.“ Jaja, Dalai Lama oder wer immer das gesagt hat, du hast ja recht.
Im Büro warten zehn Aufgaben, von denen bestenfalls drei noch zu schaffen sind, denn ab morgen ist Skiurlaub angesagt. Den Urlaub um zwei Tage verschieben? Das gäbe Krieg zu Hause. Wenn sich doch die Zeit verzögern ließe!
So einen Gedanken haben kluge Köpfe im Jahr 1990 auch gehabt. Da gründeten Peter Heintel und ein paar seiner Philosophen-Kumpane den „Verein zur Verzögerung der Zeit“. Es war der frühe Tod eines Freundes, der Heintel die Kostbarkeit der Zeit schätzen ließ. Und seine Erfahrung als Berater von Unternehmen, als Beobachter von Gruppendynamik. Also empfahlen die Vereinsmeier Entschleunigung. Wer Mitglied im Verein werden wollte, verpflichtete sich, „innezuhalten und dort zum Nachdenken aufzufordern, wo blinder Aktivismus und partikuläres Interesse Scheinlösungen produzieren“. Klingt auch 20 Jahre später wie eine höchst aktuelle, sehr dringende Forderung an die Politik, an die Wirtschaft, an uns alle.

economy: Sind Sie mit der Verzögerung der Zeit nicht kolossal gescheitert?
Peter Heintel: Oberflächlich, ja. Im Denken der Menschen, nein. Entschleunigung war zur Zeit unserer Vereinsgründung kein wirklich diskutiertes Thema. Die faktische Entwicklung hat zu noch mehr Zeitverdichtung und Beschleunigungsprozessen geführt. Es klingt blöd idealistisch, wenn man sagt, dass nun die Bewusstseinsbildung fortgeschritten ist. Doch in der Wirtschaft hat man erkannt, dass Beschleunigung und Druckausübung ökonomisch ineffizient sein können. Es gibt auch Leute in der Wirtschaft, die die Innovationshysterie – man schafft ständig Neues und verkürzt die Produktzyklen immer mehr – nicht für vernünftig halten.

Was kann man als Einzelner, der unter dem Druck leidet, machen?
Wenn jemand sehr unter Zeitdruck leidet, soll er sich eine Woche beobachten. Er wird draufkommen, dass das eine oder andere unnötig war. Es gibt Zeitspielräume, die nicht für Entschleunigung, Innehalten, Überlegen, Sinnbestimmen genutzt wurden. Mit einem Zeittagebuch kommt man auf einiges drauf.

Unter meinen Bekannten nimmt Burn-out zu, viele brechen zusammen. Ist den Unternehmen bewusst, dass sie die Leute an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit treiben?

Das ist auf eigenartige Weise widersprüchlich. Die eine Seite sieht: „Die sind an der Grenze.“ Die andere Seite sagt: „Könnte nicht noch was drinnen sein?“ Das sieht man an den Zielvereinbarungen, die in Wirklichkeit Zielvorgaben sind. Die Zielvorgaben werden immer mehr gesteigert. Wer sein Ziel erreicht hat, kriegt noch etwas draufgepackt. Dann heißt es: „Der ist noch nicht am Limit.“ Das ist problematisch. Wenn Sie Ihr Ziel erfüllen, sind Sie stolz darauf. Wenn Sie dann aber etwas draufgepackt bekommen, wird Ihnen der Erfolg genommen. Das ist demotivierend. Wenn ich dauernd Druck kriege, bis zum Burn-out, fällt meine Kreativität aus. Wie motiviert man Menschen ohne Druck, wie motiviert man sich selber, um das Maximum, das verlangt ist, zu geben? Das Maximum, aber nicht mehr – keine Selbstausbeutung.

Es gibt ein Unternehmen, das Mitarbeiter, die zu viele Überstunden angehäuft haben, am Wochenende nicht mehr ins Bürogebäude lässt. Kennen Sie solche Fälle?
Ich kenne Firmen, die am Freitag ab einer bestimmten Zeit ein E-Mail-Verbot haben. Dann geht kein E-Mail mehr raus oder rein. Wir haben noch keinen befriedigenden Umgang mit dieser technologischen Kultur gefunden. Wenn mir jemand um 23:20 Uhr ein E-Mail schickt und ich es am nächsten Morgen lese, denke ich, dass ich sofort antworten muss. Doch kurzfristige, unüberlegte Antworten führen oft zu weiterem E-Mail-Verkehr. Bei einer Software-Firma haben sich die Leute sogar von Zimmer zu Zimmer E-Mails geschrieben, statt den Kopf aus dem Zimmmer rauszustecken und zu reden. Das hatte den Vorteil, dass man alles schwarz auf weiß hatte, was für das Kontrollsystem wichtig war. Als die Firma auch mit einem Kunden nur per E-Mail kommunizierte, war der Kunde sehr befremdet, wie die Firma mit dieser Art der Kommunikation Probleme wie Reklamationen bewältigen wollte.

Viele Mütter reduzieren ihre Arbeitszeit. Die Soziologin Helen Peterson hat in Schweden zehn Paare mit Kindern untersucht, bei denen jeweils Mann und Frau IT-Experte und -Expertin sind. Alle Frauen und drei der Männer hatten ihre Arbeitszeit reduziert. Im Endeffekt arbeiteten die Frauen auch abends und nahmen auf dem Spielplatz Anrufe von Kunden entgegen. Genau deshalb reduzierten die Männer ihre Arbeitszeit nicht: weil sie zwar gleich lang, aber für weniger Geld arbeiten würden.
Wir wissen schon lange, dass Teilzeit dazu neigt, zu überborden. Halbtags war immer ein Dreivierteltag. Wenn alle voll arbeiten und Sie verabschieden sich, obwohl viel zu tun ist, kriegen Sie ein schlechtes Gewissen. Frauen stehen unter einem doppelten psychischen Dauerdruck. Sie sind im Beruf zu wenig präsent – Präsenz und Verfügbarkeit sind oft die Hauptkriterien für Erfolg. Und sie haben für die Familie ihrer Meinung nach zu wenig Zeit. Bei solch widersprüchlichen Verhältnissen wie Beruf und Familie – beide fordern die volle Verfügbarkeit – ist ein Konflikt unvermeidbar. Man muss sich zu Hause hinsetzen und das durchdiskutieren: Was wollen wir voneinander, wie organisieren wir das? Dann muss man Vereinbarungen treffen – auf Zeit, da geht es ja nie ums ganze Leben. Doch das geschieht viel zu wenig. Stattdessen operiert man mit Schuldzuweisungen und schlechtem Gewissen.

Sie haben in Ihrem Buch „Innehalten“ geschrieben, was sich durch Viagra in der Sexualität verändert. Man glaube, die Zeit verkürzen zu können, Vorspiel und Nachspiel seien nicht mehr notwendig, man müsse sich nicht mehr „anstrengen“, damit der Mann „potent“ sei.
Habe ich das geschrieben? Na, so was. Wenn Sexualität etwas mit Nähe und Liebe zu tun hat, ist es etwas anderes als bloße Sexualität. Das braucht Zeit. Einige Menschen brauchen weniger, andere mehr Zärtlichkeit, nicht unbedingt nur im sexuellen Sinne. Sexualität, kombiniert mit etwas, was man gemeinhin als geschlechtliche Liebe bezeichnet, braucht eine zusätzliche Sorgsamkeit, eine zusätzliche Zeit. Durch unsere generelle Beschleunigung und die Übertragung des Leistungsprinzips auf die Sexualität ist das gefährdet. Bei Viagra muss die Sexualität getaktet sein. Das nimmt sehr viel an Spontaneität weg, am von selbst entstehenden Begehren. Es hat immer Aphrodisiaka gegeben, ich möchte auch Viagra nicht abwerten. Es kann zum sexuellen Lusterleben beitragen, aber es nimmt eine Form von nicht spontaner Messbarkeit an. Das wollen Sie auch schreiben?

Es geht um Zeit und Schnelligkeit.
Das muss ich schon sagen: Es gibt Bereiche, wo Geschwindigkeit etwas Wunderbares ist. Ich bin ja ein wilder Skifahrer. Ich gehe kaum mehr auf die Pisten, weil ich nicht schnell genug fahren kann, nur morgens und abends, wenn keine Leute da sind. Das ist Lust. Wir lehnen Geschwindigkeit nicht generell ab. Bei logistischen Prozessen soll ein Unternehmen beschleunigen, so viel es will, wenn es sinnvoll ist.

Es gibt einen Bereich, wo es nicht schnell genug gehen kann: beim Klimaschutz. Seit zehn Jahren reden wir von der Dringlichkeit, doch es passiert wenig, die Politik ist lahm, und die Menschen sind langsam beim Umdenken und Handeln.
Na ja. Da sprechen Sie ein großes Thema an. Man kann das Ganze auf systemische und politische Ursachen zurückführen. Ich bin optimistisch. Als ich jung war, gab es Umweltprobleme überhaupt noch nicht. Ressourcenknappheit und Klimaschutz sind erst seit 30 Jahren ein Thema. Wenn man das angeht, bedeutet es einen Umbau der Wirtschaft, und zwar weltweit. Im Westen geht es uns noch so gut, dass keiner den Leidensdruck hat, etwas zu verändern. Mit dem Glauben: Hundert Jahre haben wir noch Erdöl. So schnelle Veränderungen wie jetzt hat es historisch noch zu keiner Zeit gegeben. Dadurch haben sich die Probleme radikalisiert, aber auch das Bewusstsein über die Probleme hat weltweit stark zugenommen. Wir haben in der Geschichte noch nie erlebt, dass wir global handeln müssen. Wir sind am Anfang eines mühsamen Prozesses.

Auch Wissenschaftler sind weit entfernt vom Entschleunigen. Sie leiden unter dem Publikationsdruck.
Die Universitäten haben Modelle aus der Wirtschaft, wie Leistungsvereinbarungen, übernommen. Es spricht nichts dagegen, die gesellschaftliche Relevanz von Wissenschaft zu prüfen. Doch nun wird die Arbeit mit einem Impaktfaktor und mit der Quantität von Zitaten innerhalb der letzten zwei Jahre bewertet. Wissen Sie, wie viel Blödsinn da rauskommt? Es wird gezählt, wie oft wer zitiert wird. Je mehr, desto besser. Doch auch die werden zitiert, die Blödsinn schreiben. Einige gründen Zitierklubs und zitieren sich gegenseitig – spieltheoretisch sehr schlau. Dieses System ist völlig daneben.

Sie haben sich sehr jung habilitiert. Warum haben Sie so beschleunigt?
Sie stellen ein Argumentum ad hominem? Ich war ja auch nicht immer so klug, wie ich es heute bin. Mein Vater war Universitätsprofessor für Philosophie in Wien. Er hat öfters an meinen Fähigkeiten gezweifelt, wie das bei Vätern so üblich ist. Ich musste mich also beweisen.

Wie gehen Sie mit Ihrer Zeit um? Entspannt? Oder in der Tretmühle?
Philosophie besteht im Nachdenken. Ich habe mir Zeit nehmen müssen, die andere nicht haben. Ich habe mich aber auch unter Druck gesetzt und viel in der Wirtschaft gearbeitet. Das halte ich für ganz wichtig für die Wissenschaft, weil man sonst den Blick auf die Realität verliert.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Medizin beflügelt Wirtschaft

Medizin beflügelt WirtschaftEBG MedAustron

Nicht nur Krebspatienten profitieren von neuen Wegen in der Tumorbehandlung.

Ende 2010 wird im Norden von Wiener Neustadt mit dem Bau des Med Austron Ionentherapie- und Forschungszentrums begonnen. Das für die Behandlung von 1200 Patienten jährlich ausgelegte Krebstherapiezentrum wird 2014 den Medizinbetrieb aufnehmen und dann über einen der international ersten Teilchenbeschleuniger verfügen, der den medizinischen Einsatz von Protonen- und Ionenstrahlen ermög­licht. Hinsichtlich einiger heute nicht behandelbarer Krebserkrankungen rückt damit eine Heilung in greifbare Reichweite. Planung und Bau erfolgen in enger Kooperation mit dem Europäischen Kernforschungszentrum (Cern) in Genf.
Med Austron gehört zu einer völlig neuen Generation von Krebsbehandlungszentren. Seit Ende des Jahrs 2009 ist eine ähnliche Anlage in Heidelberg in Betrieb, drei weitere befinden sich europaweit in Bau. Bis zum heutigen Tag wurden erst an die 70.000 Behandlungen weltweit durchgeführt, davon rund 6000 mit Kohlenstoffionen. Diese Methode der Radiotherapie ermöglicht die punktgenaue Bestrahlung des Tumors bei maximaler Schonung des umliegenden Gewebes. „Damit ist die Protonen- und Ionentherapie eine Alternative bei Tumoren nahe an wichtigen Organen und kritischen Bereichen des Körpers wie etwa dem Hirnstamm und dem Rückenmark“, erklärt Ramona Mayer, die medizinische Leiterin des Med Austron.
Alle Patienten werden an klinischen Studien teilnehmen. Innerhalb weniger Jahre sollen so klare medizinische Aussagen über die Vorteile der Ionentherapie und zur Wirksamkeit von Protonen und Kohlenstoffionen zur Verfügung stehen.

Tag und Nacht
Neben dem Patientenbetrieb wird die Wissenschaft – mit starker Anbindung an die universitäre Forschung – den Alltag am Beschleunigerzentrum Med Austron prägen. Im Rahmen der Strahlenbiologie wird die Strahlungswirkung mit Zellkulturen analysiert und in der medizinischen Strahlenphysik an der Optimierung der Strahlendosis gearbeitet. Die österreichischen Forscher werden auch Neuland betreten. So soll überprüft werden, inwieweit sich andere leichte Ionen wie Sauerstoff und Stickstoff für die Tumorbehandlung eignen. Zu diesen medizinnahen Forschungsgebieten gesellt sich die Experimentalphysik.
Ermöglicht wird das breite Forschungsspektrum durch die weltweit einzigartige Dimensionierung des Med Austron. Im Vergleich zu anderen medizinischen Beschleunigern ist es auf die etwa dreifache Strahl­energie für Protonen ausgelegt. Der Beschleuniger wird sieben Tage in der Woche 24 Stunden im Betrieb sein. „Dadurch wird ausreichend Strahl für die Behandlung der Patienten und für die Forschung zur Verfügung stehen“, sagt der technische Projektleiter Michael Benedikt, „und die Investition wird effizient genutzt.“

Technologietransfer
Etwa 20 technische Angestellte der EBG Med Austron sind zurzeit in Genf mit den Vorbereitungen beschäftigt. Sie sind in die verschiedenen technischen Bereiche integriert und werden von sogenannten Seniorpartnern aus dem Cern unterstützt. Für Benedikt ist das die wichtigste Form des Technologietransfers: „Dieses Know-how könnte in Österreich ohne fremde Hilfe nicht aufgebaut werden. Würde das Cern einfach den Beschleuniger bauen und schlüsselfertig übergeben, hätten wir niemand, der ihn betreiben könnte.“ Wenn sich das Cern 2014 aus dem Projekt zurückzieht, wird das österreichische Team den Beschleuniger nicht nur betreiben, sondern auch eigenständig weiterentwickeln und den technischen Nachwuchs selbst heranziehen.

Standortchance
Der Bau des Med Austron bietet österreichischen Unternehmen die Chance, sich im Hochtechnologiebereich zu etablieren. Wie das gemacht wird, zeigt die burgenländische ETM. Vor zehn Jahren, als industrielle Prozessleitsysteme auf etwa 10.000 Kanäle beschränkt waren, entwickelte das Software-Haus ein Kontrollsystem mit einer Mio. Kanäle für den neuen Large Hadron Collider (LHC) des Cern und sicherte sich damit die Technologieführerschaft in seinem Geschäftsbereich. Bis heute profitiert das Eisenstädter Unternehmen von dieser Zusammenarbeit durch Folgeaufträge für komplexe Kontrollsysteme – etwa für große U-Bahnnetze oder Flughäfen.
Auch die Technologie für medizinische Teilchenbeschleuniger selbst stellt einen Zukunftsmarkt dar. Laut Benedikt empfiehlt die EU pro 5 Mio. Einwohner eine Anlage von der Größe des Med Austron.
Vor Kurzem ist in Wiener Neustadt die erste Ausschreibung über die Bühne gegangen – die VA Stahl erhielt den Zuschlag für 700 Tonnen Spezialstahl für die Elektromagnete. Im Moment laufen die Vergaben für die Elektromagnete und das Kontrollsystem. Weitere Ausschreibungen folgen in den kommenden Monaten. Wenn die heimischen Unternehmen diese Chancen ergreifen, wird das Med Austron nicht nur Krebskranken, sondern auch dem Wirtschaftsstandort zugutekommen.

Links

Christian Stemberger, Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

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