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04. Juli 2024

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Mit unerschütterlicher Hoffnung

Mit unerschütterlicher Hoffnung EPA

Jedes Jahr wandern 500.000 Menschen über die Südgrenzen des Landes in die USA ein.

Die Schätzungen gehen weit auseinander. Die aktuellste und am häufigsten genannte Zahl geht von 11,5 Mio. illegalen Einwanderern in den USA aus. Über die Grenzen im Süden des Landes wandert jedes Jahr eine weitere halbe Mio. Menschen ein. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes soll die Anzahl jener, die über das offizielle Prozedere mit Visaverfahren und Wartezeiten einreisen, geringer sein als jene der unerlaubt im Staatsgebiet Lebenden.

Unter dem Radar
Wer einmal im Land ist, kann sich mitunter ein Leben aufbauen, ohne der Einwanderungsbehörde groß aufzufallen. Gearbeitet wird oftmals über die Verwendung fal­scher Sozialversicherungsnummern – dem wichtigsten Zugangscode zum US-Jobmarkt – und ohne Krankenversicherung. Wirtschaftswissenschaftler streiten sich wie auch in anderen Teilen der Welt, ob die illegale Zuwanderung die Wirtschaft antreibt oder eher die Löhne minderbemittelter Amerikaner drückt. Die relativ hohe Beschäftigungszahl gilt jedenfalls als Geheimnis. Experten gehen davon aus, dass viele der Jobs richtiggehend für Einwanderergruppen, allen voran Mexikaner, entstehen. Hinzu kommt freilich, dass die Zuwanderung den Konsum ankurbelt, indem die Menschen wohnen, essen und einkaufen. Auf diese Weise entstehen gleichfalls neue Jobs. Ebenfalls zahlen viele – ungeachtet gefälschter Sozialversicherungsnummern – in das staatliche Versorgungssystem ein. Dennoch polarisiert das Thema Krankenversicherung für illegale Einwanderer die USA immer stärker.
Laut Erhebung des US Census Bureau, des statistischen Bundesamts, liegt das Einkommen der im Land lebenden Mexikaner mehr als 10.000 Dollar unter jenem des Durchschnittseinwanderers. Anziehungspunkt ist vor allem der Südosten der USA, der in den letzten 20 Jahren einen Bau- und Jobboom erlebte. Attraktiv erscheinen insbesondere Arbeitsplätze im Baugewerbe. Doch die Immobilienkrise hat ihre Spuren hinterlassen, die Anzahl der Jobs ist rapide gesunken. Junge Zuwanderer, die mit auf den Rücken geschnallten und nach Benzin stinkenden Laubbläsergeräten durch die Wohnstraßen im Süden der USA ziehen, zeugen von der wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Wettkampflust statt Resignation

Wettkampflust statt ResignationEPA

Sehgeschädigte Skiläufer oder beinamputierte Leichtathleten sind keine Seltenheit. Sportler mit Behinderung versuchen einfach, ihre Lieblingsbeschäftigung fortzuführen, und meistern so ihr Schicksal. Sie besitzen Vorbildfunktion, auch wenn der Nachwuchs zunehmend fehlt.

Der Sturz des Profisportlers Matthias Lanzinger, der in Kvitfjell mit Startnummer 30 ins Rennen ging, sah aus, wie er in Weltcup-Skirennen des Öfteren vorkommt. Der Läufer touchierte ein Tor und stürzte mit hoher Geschwindigkeit. Dass an diesem 2. März 2008 für Matthias Lanzinger trotzdem ein neuer Lebensabschnitt begann, lag vor allem daran, dass ihm in weiterer Folge aufgrund der schwerwiegenden Gefäßverletzungen der linke Unterschenkel amputiert werden musste. Eine Berufsausübung war nicht mehr möglich.
Das Einzelschicksal verdeut­licht, dass der Wechsel vom vollkommen gesunden zum behinderten Menschen sich oftmals in wenigen Bruchteilen von Sekunden entscheidet. Ob Sportunfall, Arbeitsunglück oder Freizeitverletzung, die Auswirkungen auf das weitere Leben sind für den Betroffenen häufig prekär. Rund zwei Mio. Menschen leben in Österreich mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Die Statistik Aus­tria differenziert zwischen Menschen mit Einschränkungen des Bewegungsvermögens (480.000), Beeinträchtigungen des Hörens (456.000) oder Sehens (407.000) sowie chronischen Erkrankungen.

Erfahrung durch Wettkämpfe
„Ein Ex-Profi wie Matthias Lanzinger wird sich einen Umstieg in den Behindertensport sehr gründlich überlegen“, meint die Sportdirektorin des Österreichischen Behindertensportverbands (ÖBSV) Andrea Scherney (43). Die mehrfache Goldmedaillengewinnerin im Speerwurf und Weitsprung argumentiert nicht nur damit, dass das gewohnte Betreuer-Umfeld und die Finanzen fehlen, sondern illustriert dies auch anhand ihrer persönlichen Geschichte. „Als ehemalige Sportstudentin war ich eher eine mitteltalentierte Athletin. Erst durch meine Behinderung (Unterschenkelamputation, Anm. d. Red.) nach einem Motorradunfall erreichte ich ein höheres Niveau.“
Keineswegs möchte sie auf die Erfahrungen verzichten, die sie bei vier Sommer-Paralympics-Teilnahmen beispielsweise in Atlanta, Athen oder Peking erleben durfte. Aber wie bei jedem Hobbysportler müsse zuerst einmal die Flamme entfacht werden, um sich überhaupt zu bewegen, schließlich sei die Behinderung jeden Tag gegenwärtig. „Es gibt auch nach 23 Jahren immer noch psychische Durchhänger. Durch die eingeschränkte Mobilität überlegt man sich jeden Weg eher dreimal.“

Sport als lebenslanges Hobby
2009 zählt der ÖBSV gerade einmal 6500 Mitglieder. Deren Biografien ähneln sich. Jene, die Leistungs- oder Breitensport ausüben, gingen auch vor ihrem persönlichen Schicksalsschlag einer sportiven Betätigung nach. Insofern gehörte Sport immer schon zur Leidenschaft, und sie entscheiden sich eben nicht fürs Klavierspielen oder Malen als Alternative. Der Bewegungsfreude in der Freizeit stehen wiederum die Hürden des Alltags gegenüber. Stiegen können bereits ein unüberwindbares Hindernis darstellen, oder Automatik-Autos mussten angeschafft werden, als diese noch nicht serienmäßig hergestellt wurden.
„Ich schaue nie, was nicht mehr geht, sondern konzentriere mich auf das, was trotzdem noch klappt“, erklärt die sehgeschädigte Sabine Gasteiger (53) ihre Lebenseinstellung. Mit 23 wurde bei ihr eine langsam fortschreitende, erblich bedingte Sehbehinderung (Makuladegeneration) diagnostiziert.
„Anfangs erkannte ich die Leute auf der Straße nicht mehr, später konnte ich nichts Blaues mehr lesen.“ Die Einschnitte im Leben verliefen schrittweise, jedoch unaufhaltsam. Zum Verzicht aufs Auto- und Radfahren addierte sich später die Notwendigkeit einer Lupenbrille, die ein genussvolles Lesen von Büchern unmöglich macht.
Auch wenn die Oberösterreicherin heutzutage lieber die immer gleichen Strecken und Geschäfte wählt, so erarbeitet sich die begeisterte Skifahrerin und Bergsteigerin oftmals auch neue Wege mit dem Ziel, diese nach einiger Zeit selbstständig bewältigen zu können. Nur anfangs benötigt sie eine Begleitung. „Da entstehen bei mir Bilder im Kopf, und wenn ich dann alleine unterwegs bin, muss ich nur darauf achten, dass diese Bilder stimmen.“

Vorbereitung: Vancouver
In der Vorbereitung auf die Paralympics in Vancouver unterscheidet sich das Leben der erfolgreichen Sportlerin aus Bad Goisern, die seit ihrem dritten Lebensjahr auf Skiern steht, aber erst 2004 zum Rennsport kam, nur unwesentlich vom Alltag der bekannten Skilieblinge der Nation: Speedtraining in Chile im Sommer, Renntechnikschulung im Herbst am Gletscher, Konditions- und Ausdauertraining sowie Gleichgewichtsübungen mehrmals die Woche, Besichtigungen und Trainingsläufe vor Abfahrtsläufen.
„Ich fahre mehr mit den Fußsohlen und spüre die Piste“, erläutert Sabine Gasteiger das Fahrgefühl, wenn sie ihrem über Funk verbundenen Begleitläufer auf der Abfahrtspiste hinterherjagt. Schließlich geht’s auch im Behinderten-Skiweltcup mit Geschwindigkeiten um die 100 km/h talwärts. Und sie präzisiert: „Ich spüre, wenn mein vor mir fahrender Guide unsicher ist. Ich spüre, wie er auf dem Ski steht, mit welcher Energie und welchem Elan er bei der Sache ist. Und wenn er an etwas anderes denkt, dann hab ich das Gefühl, er ist nicht mehr da.“

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Die Bibel als Bühnenspektakel

Die Bibel als BühnenspektakelKerstin Groh

Schon mehr als 70.000 Menschen hat der deutsche Schauspieler Ben Becker mit seiner eindringlichen Bassstimme in den Bann der Bibel gezogen. Begleitet von einem Symphonieorchester und einem Gospelchor ist Becker mit seinem Bibel-Spektakel jetzt wieder auf Tour und füllt damit große Hallen; am 4. Februar auch die Wiener Stadthalle.

Sie machen mit religiösen Inhalten eine Bühnenshow. Wollen Sie dem deutschen Papst Konkurrenz machen?
Ben Becker: Nein, wirklich nicht, ganz und gar nicht. Ich bin nicht angetreten, um zu missionieren. Aber die Bibel ist das Buch der Bücher, eine der ältesten Niederschriften, die wir in unserem Kulturkreis kennen. Ich denke, dieses Buch ist für alle da, für die Menschheit überhaupt. Und deswegen lese ich daraus vor.

Verbinden Sie mit Ihren Bibel-Lesungen auch ein persönliches Anliegen?
Auf jeden Fall, das ist ja keine Auftragsarbeit gewesen. Es ist so: Ich komme aus einem marxistisch orientierten 68er-Haushalt und hatte mit der Bibel nie viel am Hut. Weder bin ich getauft noch habe ich am Religionsunterricht teilgenommen. Aber irgendwann hat mich interessiert, warum Musiker wie Nick Cave oder Johnny Cash bibelorientierte Songtexte verwenden. Auch hat man mir erzählt, dass im Alten Testament so wunderbar schaurige Geschichten drinstehen. Ich bin ja ein Literaturbesessener, habe aber nie in die Bibel geschaut. Und da bin ich eines Tages auf die Leiter gestiegen, hab sie aus dem höchsten Regal hervorgeholt und darin zu lesen begonnen – und ich fand das sehr spannend.

Und wie ist daraus eine Theatervorstellung entstanden?
Eine ältere, wohlhabende Frau, die mit ihrem Geld in Berlin-Spandau eine Marienkirche hat restaurieren lassen, wollte, dass ich in dieser Kirche Döblins Berlin Alexanderplatz lese. Da hab ich gesagt: „Junge Frau, das passt beim besten Willen nicht, aber ich lese bei Ihnen aus der Bibel.“ Da sind wir dann mit acht Leuten auf der Bühne gestanden, und 300 Menschen drängten sich dicht an dicht im Publikum.

Im Alten Testament geht es um Schuld und Strafe, im Neuen Testament um Liebe und Erlösung. Welche Lebenshaltung liegt Ihnen näher?

Man kann die beiden nicht voneinander trennen. Das Neue Testament ist die Beglaubigung des Alten Testaments und umgekehrt. Das ist auch der Grund, warum ich aus beiden lesen wollte. Aber: Ich komme, wie gesagt, aus einer marxistischen Familie und habe mich in jungen Jahren intensiv mit dem dialektischen Materialismus auseinandergesetzt. Und da kann man nun auch über die Idee des Urkommunismus reden – die wir im real existierenden Sozialismus nun wirklich nicht vorgefunden haben, da brauchen wir gar nicht darüber zu reden. Aber in seiner Grundidee, dass alle Menschen gleich sind und alle das Gleiche haben sollten, ist er überhaupt nicht verkehrt. Und er behandelt auch die zentralen Fragen: Woher kommen wir, wohin gehen wir, warum sind wir hier? Und diese Fragen habe ich auch in der Bibel wiedergefunden.

Welches Verständnis von Gott haben Sie persönlich?
Mein Gottesverständnis ist absolut meine Privatsache, die niemanden etwas angeht. Aber ein befreundeter Pater hat mir mal gesagt: Wenn man sich auf die Suche nach der Definition, wer oder was ist Gott, begibt und sich damit auseinandersetzt, dann ist man ihm so nahe, wie man ihm nur irgendwie nahe sein kann.

Urkommunismus und Urchristentum liegen ja sehr nahe beieinander, und es wird oft argumentiert, dass auch die Idee des Urchristentums in kirchlichen Institutionen nicht mehr zu finden ist.
(lacht) Jaaa, da kann man sich vor allem mit Leuten, die der Kirche angehören, hervorragend streiten. Wenn man fragt, ob die Kirche noch etwas mit dem Grundgedanken zu tun hat, findet man vor allem in der katholischen Kirche wunderbare Mitstreiter, die ihre eigene Institution kritisch infrage stellen. Aber ich bin da mit meinen Äußerungen in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig. Ich lese zwar aus der Bibel vor, aber ich stelle das einfach nur so hin. Mein Publikum teilt sich je zur Hälfte in Leute, die in der Bibel lesen, und solche, die das Buch noch nie aufgemacht haben. Ich sage nicht: „Geht nächsten Sonntag in die Kirche.“ Das muss der Pfarrer um die Ecke machen, das ist nicht mein Job. Ich bin Schauspieler, ich kann gut vorlesen und Geschichten erzählen; und die Geschichten, die da drinstehen, finde ich gut.

Die Bibel-Show lebt von Ihrem dramatischen Vortrag. Sie haben aber in einer deutschen Comedy-Show auch schon aus einem Telefonbuch dramatisch vorgetragen. Ist der Inhalt egal?
Wenn Sie sich die Bibel-Lesung von Anfang bis Ende anschauen, beantwortet das Ihre Frage von selbst. Denn ich lese das mit großer Ehrfurcht und großem Respekt; und mit all meiner Liebe, mit allem, was ich habe. Weil ich glaube, dass ich das verstehe, was da drinsteht. Und ich finde es wichtig, diese Botschaft noch mal in den Raum zu stellen, um die Dinge infrage zu stellen. Das mache ich aber, ohne den Leuten diese Fragestellung aufs Auge zu drücken. Diese Fragen kommen ganz von alleine hoch, weil ich sehr deutlich, bildlich und verständlich lese; so, dass mich ein 15-jähriger Hip-Hopper genauso versteht wie die 80-jährige Oma.

Es ist Ihnen also nicht egal?
Ich sage dazu noch einen ganz ernsthaften Satz: Wenn ich in meinem Beruf richtig Geld verdienen will, gehe ich zum Privatfernsehen, und dann husche ich mindestens einmal die Woche über die Mattscheibe. Und wegen der damit verbundenen Medienpräsenz kann ich nebenher noch Aufschnittreklame machen, dann drucken sie mich noch auf die Verpackungen von Mortadellascheiben im Supermarkt, so wie einige Kollegen mir das vorgemacht haben. Und dann würde ich richtig Kohle verdienen. Das ist aber nicht meine Tasse Tee; ich bin angetreten, weil ich ernsthaft etwas will und machen möchte. Und die Bibel-Lesung ist ein Projekt von mir, das ich mir selbst ausgedacht habe, und beileibe nicht das Telefonbuch.

Haben Sie die Musikeinlagen mehr nach persönlichem Geschmack oder nach dramaturgischer Eignung ausgesucht?
Absolut als dramaturgische Elemente, die ich nach inhaltlichen Kriterien ausgesucht habe. Ich habe mir Klassiker ausgesucht, und jeder Song ist in eine ganz bestimmte Umgebung eingebettet. Als Jesus vom Volk vertrieben wird, habe ich Bridge Over Troubled Water gewählt. Bei Kain und Abel, der Geschichte von Hass und Neid, kam ich auf In The Ghetto – ein junger Mann, der nichts hat und plötzlich sagt: „Jetzt schlag ich zu.“ Auch die Geschichte Jenseits von Eden von John Steinbeck, mit James Dean verfilmt, ist ja so eine Transponierung dieser Kain-und-Abel-Geschichte in ein modernes Gewand.

Sie lesen die Bibel und spielen den Tod im Salzburger „Jedermann“, also sehr existenzielle Themen. Haben diese Rollen auch etwas mit Ihrer persönlichen Entwicklung zu tun?
Ja vielleicht, ich weiß nicht; ich denke da nicht drüber nach, das ist mir zu anstrengend. Aber es ist sicher kein Zufall, dass ich seit Jahren immer wieder mit religiösen Themen zu tun habe. Ich habe Luther gespielt, ich habe Ein ganz gewöhnlicher Jude gedreht, bringe die Bibel auf die Bühne, spiele den Tod in Salzburg. Das ist eine Kettenreaktion, da kommt eines zum anderen. Ich sag Ihnen ganz ehrlich: Ich würde jetzt gerne wieder mal was Komisches machen. Aber die existenziellen Rollen sind natürlich durchaus Thema von mir, weil ich mich in meinem Beruf, leider auch manchmal im wirklichen Leben, sehr weit aus dem Fenster lehne. Das ist ein Drahtseilakt, da hat nicht jeder Lust dazu. Aber das ist meine Berufung, ich muss hundert Prozent leben.

Ich sage nur: Wir sind hier in Wien, da gilt das nicht zu sagen, ich mache mir keine Gedanken. Wir machen uns hier dauernd über alles Gedanken.
(lacht) Ja, deswegen wohne ich ja in Berlin und nicht in Wien.

Sehen Sie sich da etwas in der Tradition eines Oskar Werner, der sich in der Kunst wie im Leben auch ziemlich verausgabt hat?
Ja, und den schätze und verehre ich auch sehr. Den zähle ich zu der Reihe von Schauspielern, wo ich sage, ja, da schau ich hin: Peter Lorre, Gert Fröbe, Heinrich George, Emil Jannings. Auch bei dem Schriftsteller Josef Roth geht mir das Herz auf.

Also lassen wir Zeitgenossen unter den Schauspielern elegant weg?

Ja, aber gerade hier in Österreich gibt es ein paar Kollegen, die ich sehr, sehr schätze. Also zum Beispiel den Herrn Moretti, Hut ab, und ich mag auch den verrückten Paulus Manker gern.

Halten Sie es eher mit den Kreationisten, die meinen, Gott habe die Schöpfung vollendet und deshalb unveränderlich in die Welt gebracht, oder eher mit den Darwinisten, die die Welt als ein evolutorisches Werden verstehen?
Ich sehe die Welt auf jeden Fall als etwas im Werden Begriffenes, etwas, das sich bewegt und nicht aufhört, sich zu bewegen. Insofern hören Sie von mir die Genesis auch recht evolutionär: Es bewegt sich. Das Schöne daran ist, es wird einem dort alles vor Augen geführt. „Gott, der Herr, machte das Meer.“ Und jetzt sehen wir das Meer. „Und Gott machte den Himmel und die Sterne.“ Und jetzt sehen wir den Himmel und die Sterne. Das wirft uns auf uns selbst zurück und auf die Schönheit der Welt, in der wir leben.

Man kann ja auch fragen: Warum braucht Gott, wenn er allmächtig ist, überhaupt sechs Tage für die Schöpfung? Vielleicht ist das ja schon ein Hinweis auf die Evolution.
Ich bin da vollkommen offen, da kann was Wahres dran sein. Gut, ein Radikalchrist, der flippt jetzt aus, der dreht Ihnen den Hals um. Aber noch mal: Diese Auseinandersetzung, diesen Diskurs führe ich nicht öffentlich.

Sie gehen durch diese Rolle, diese Aufführungen so oft durch. Wie sehr beschäftigt Sie das privat weiter?
Los werde ich das nicht mehr, dafür ist es zu existenziell. Es packt mich immer wieder. Also die Geschichte Jesu zum Beispiel; dass jemand aufräumt und sagt: „Ihr macht die Sachen falsch.“ Und zwar letztlich auf eine ganz naive Art und Weise; das ist ja ganz einfach zu verstehen. Wenn jemand deinen Rock will, dann gib ihm auch den Mantel. Und wenn dir wer eine scheuert, dann hältst du ihm auch die andere Wange hin. Das ist ja nun ganz einfach, aber wunderschön. Und für diese wunderbare kindliche Naivität und Schönheit, die er predigt, fällt den Wahnsinnigen nichts anderes ein, als diesen Typen zu quälen bis zum Abwinken und ihn an ein so ein Folterinstrument wie das Kreuz zu schlagen. Wem dieser Mann und die Idee, dass er sich für uns alle ans Kreuz hat schlagen lassen, also wem das nicht nahegeht und wer dabei keine Träne verliert, dem kann ich auch nicht mehr helfen.

Aber glauben Sie, dass sich da in den letzten 2000 Jahren viel geändert hat? Wenn Jesus Christus heute auf die Welt käme, in dieser Unscheinbarkeit, würde ihm das nicht wieder passieren? Also, er würde nicht unbedingt ans Kreuz geschlagen werden, aber vielleicht endet er irgendwo als Obdachloser oder in einer Irrenanstalt.
Das hat Klaus Kinski ja schon 1971 in der Berliner Deutschlandhalle dargestellt – mit seiner Form des Neuen Testaments: Gesucht wird Jesus Christus. Er hat das umgeschrieben und gesagt: „Kann sein, dass der Gesuchte sich auf einer Polizeistation befindet; seine Umgebung sind Gotteslästerer, Zigeuner, Prostituierte, Kriminelle, Asoziale, Obdachlose, Gammler, Fixer, Ausgestoßene.“ Da sind die Leute ausgerastet. Da gab es diese berühmte Szene, wo ein Mann auf die Bühne kam und sagte: „Ich glaube nicht, dass er Christus ist. Christus war duldsam, und wenn ihm einer widersprochen hat, dann hat er ihn zu überzeugen versucht und hat nicht zu ihm gesagt: ,Halt deine Schnauze.‘“ Und Kinski schrie wütend: „Nein, er hat nicht gesagt: ,Halt die Schnauze‘; er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen.“

Und was meinen Sie?
Ich weiß nicht, aber auf eine Art und Weise ist Jesus Christus immer noch hier. Ich weiß nicht, wer oder wo er ist. Aber auf irgendeine Art wird er immer noch geschlagen und misshandelt und kaputt gemacht. Ob das in diesen 2000 Jahren besser geworden ist? Ich weiß es nicht. Man kann sagen, die Sklaverei ist abgeschafft; aber man kann auch sagen, es gibt die Sklaverei immer noch. Wer näht denn all die Turnschuhe? Kinder und Jugendliche irgendwo in Asien, die in irgendwelchen Schuppen herumsitzen und sonst nichts zu fressen haben; und wir kaufen uns den Scheiß hier um teures Geld in der Boutique.

Da sind wir dann wieder bei dem Ansatz, wo sowohl der Urkommunismus als auch das Urchristentum wichtig sind oder zumindest wichtig wären als Gegengewicht zu dem heute herrschenden Neoliberalismus.
Wahrscheinlich ja, aber ich bin kein Politiker, sondern Künstler. Ich weiß nicht, ob das wirklich was bringt, wenn ich mich als Nächstes auf die Bühne stelle und Das Kapital von Marx lese. Außerdem hab ich dazu auch keine Lust, das sollen andere Leute machen.

Thomas Bernhard hat einmal gesagt, er wäre gern Papst geworden: Thomas I. Wäre das auch für Sie noch ein Karriereziel: Benedikt XVII.?

Meinte der das ernst?
Nein, natürlich nicht.

Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010

Buchtipp

Buchtipp

Die Langsamkeit als sympathisches Prinzip.

Es ist ein hinreißender Roman mit einer Sprachgewalt, die es schafft, einen in das Leben des Protagonisten hineinzuziehen, und einem so sanften Erzählrhythmus, dass man Langsamkeit an sich, jedenfalls so, wie sie im Buch dargestellt wird, verstehen lernt.
Der Roman beschäftigt sich mit dem Phänomen der Langsamkeit bis nahezu zum völligen Stillstand, zeigt aber auch, wie Wille und Geist über den Stillstand triumphieren können, am besten ausgedrückt in dem Satz: „Es gibt für alles zwei Zeitpunkte, den richtigen und den verpassten.“
Die Entdeckung der Langsamkeit erzählt die Geschichte des englischen Kapitäns und Polarforschers John Franklin, der wegen seiner Langsamkeit immer wieder Schwierigkeiten hat, mit der Schnelllebigkeit seiner Zeit Schritt zu halten. Frank­lin schafft es dennoch, Expeditionsforscher im Polarmeer zu werden.
Dabei stellt sich die Frage: Wie schnell kann Langsamkeit sein? Ist es eine Eigenschaft? Kann es eine Lebenseinstellung sein, etwa im Sinne der „Entschleunigung“ moderner gesellschaftlicher Prozesse? Sten Nadolny ist ein großartiges Stück Zeitkritik gelungen, verpackt in einen fesselnden Roman rund um einen Außenseiter, der Dinge erst wahrnimmt, wenn sie schon vorbei sind.
Sten Nadolny:
Die Entdeckung der Langsamkeit
Piper, München, Erstauflage 1983, zuletzt 2010; 10 Euro
ISBN-13: 978-3492207003

Economy Ausgabe 80-01-2010, 12.01.2010

Skandale sind gut

Skandale sind gut

Traurig, aber wahr, und das eigentlich seit Menschengedenken, oder anders gesagt, seit in menschlichen Sozietäten eine gewisse Aufgaben- und Rollenverteilung stattfindet und zumeist einem oder einigen wenigen die Führungsrolle zuteil wird. Wer Macht besitzt, nützt seine Position zum eigenen Vorteil. Manche mehr, manche weniger. Und egal, ob eine Person in der Industrie – Management, Vorstand – oder in der Politik angesiedelt ist. Egal ob Frau oder Mann. Fakt ist: Macht korrumpiert. Ob nun aus einem politischen Machtmissbrauch ein Skandal wird, hängt im modernen Informationszeitalter von den Massenmedien und in zunehmendem Maß auch von Internet und Web 2.0 ab. Politische Skandale gibt es unterschiedliche, etwa Bereicherung, Vetternwirtschaft, Parteienfinanzierung, Skandale der Machtanmaßung, Sittenskandale und als Spezialität in Deutschland und Österreich Skandale rund um die NS-Vergangenheit, Stichwort Waldheim-Affäre. In jüngster Zeit häufen sich wieder Skandale, ob dubiose Grasser-Verstrickungen, Buwog-Affäre, Haider-Millionen oder die Hypo Alpe-Adria-Affäre. Das Ausmaß an Filz und politischer Verkommenheit erschreckt einerseits und steigert andererseits das Maß an Politikverdrossenheit und das schlechte Politiker-Image. Das Positive an Skandalen: Sie sind das Ergebnis einer funktionierenden öffentlichen Kontrolle der Politik. Und ohne Skandale wäre die Politik eigentlich furchtbar langweilig, oder?

Economy Ausgabe 87-10-2010, 10.01.2010

„Die Ursache der Moral ist ...

„Die Ursache der Moral ist ...Photos.com

... oft nur ein niedriger Blutdruck.“ So spöttelte der englische Schriftsteller Samuel T. Coleridge vor gut 200 Jahren. Inzwischen haben Wissenschaftler hochspannende Erkenntnisse über die Entstehung der Moral gewonnen.

Oft geistert noch die Vorstellung einer Tabula rasa, eines unbeschriebenen Blattes in unseren Köpfen herum. Laut dieser Theorie John Lockes aus dem 17. (!) Jahrhundert ist bei der Geburt noch alles offen. Das Neugeborene ist ein unbeschriebenes Blatt. Erst die Erfahrungen, die es sammelt, entscheiden über seine spätere moralische Entwicklung.

Erster Entwurf bereits angeboren
„Alles falsch“, sagen Wissenschaftler heute. Bei der Entstehung von „Moral“ spielt die Biologie die tragende Rolle. Ähnlich wie beim Sprachinstinkt soll es auch für das Erlernen moralischer Werte eine Art Vorprogrammierung des Menschen geben. Der Evolutionspsychologe Steven Pinker von der Eliteuniversität Harvard schreibt in seinem eindrucksvollen Buch „Das unbeschriebene Blatt“, dass Babys schon von Geburt an eine Art Vorwissen über die physische sowie soziale Welt haben. Es handelt sich dabei laut heutiger Evolutionspsychologie um eine Art von erstem Entwurf, der es uns erleichtert, bestimmte Dinge zu erlernen, und der schließlich durch Erfahrungen ergänzt oder auch umgeschrieben werden kann. Doch er existiert bereits, bevor wir die ersten Erfahrungen machen.
Dieser erste Entwurf scheint im vorderen Stirnhirn abgespeichert zu sein. So haben Untersuchungen gezeigt, dass Unfallopfer, die im Säuglings- oder frühen Kleinkindalter eine Verletzung in dieser Region erlitten, in späteren Jahren nicht mehr fähig waren, Regeln des sozialen Zusammenlebens oder moralische Werte wie zum Beispiel Empathie zu erlernen. Die­se Fähigkeit hängt also mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Funktionieren der Nervenzellen in dieser Hirnregion ab.

Genau dasselbe, nur anders
Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt von der University of Virginia hat nun untersucht, woraus dieser erste Entwurf bestehen könnte. Seiner Arbeit zufolge teilen wir uns, stark verallgemeinert, fünf Grundsäulen: Fürsorge, Fairness, Loyalität, Autorität und Reinheit. Die Begriffe sind recht großzügig gefasst. Unter Reinheit fällt zum Beispiel auch allgemein „Kontrolle über den Körper“, unter „Loyalität“ auch schlicht „gruppentaugliches“ Verhalten. Moralisches Handeln und Empfinden kann laut Haidt immer zumindest einer dieser Grundsäulen zugeordnet werden.
Nun stimmt es natürlich, dass wir alle gleich, aber auch, dass manche gleicher sind. Nicht jeder definiert diese Grundsäulen für sich identisch, zudem kommt es auch zu unterschiedlichen Hierarchien. Eine der Haupterkenntnisse aus Haidts Forschungsarbeit ist, dass Konservative alle fünf Grundsäulen als wichtig einstufen – im Unterschied zu Liberalen, für die Fürsorge und Fairness essenziell sind, Loyalität, Autorität und Reinheit jedoch „hinterherhinken“. Seiner Studie zufolge zieht sich dieser hierarchische Unterschied zwischen Liberalen und Konservativen durch alle untersuchten Kulturräume hindurch. Was sich aber von Kultur zu Kultur bisweilen stark unterscheidet, sind die Definitionen der jeweiligen Punkte. Loyalität mag für zwei Menschen subjektiv als gleich wichtig eingestuft werden – zwischen ihren Vorstellungen davon, was Loyalität ist, können sich trotzdem Welten auftun. Das Spektrum reicht von simplem Gruppenzusammenhalt bis zu völliger Selbstaufgabe des Individuums zum Wohle der Gruppe.
Diese Parameter entscheiden unter anderem schließlich darüber, ob Extreme wie Rachemorde zur Wiederherstellung der Ehre akzeptiert oder, wie von unserer Gesellschaft, als „Familiendramen“ bedauert und verurteilt werden. Die unterschiedlichen Ausprägungen sind freilich nicht angeboren, sondern kulturell bedingt, das heißt erlernt.
Wäre die Biologie allein am Werk, sähe es dennoch düster aus, da das Kontrollelement wegfiele. Existiert Aussicht auf Strafe bei Betrug oder Fehlverhalten, steigt die Bereitschaft zur Kooperation ungemein. Diese Überwachungsfunktion kann vom Gesetz oder auch von der Religion eingenommen werden. Erst dadurch kann eine Gruppe oder Gesellschaft auf längere Sicht funktionieren.
Die Erforschung dieses Gebietes steckt noch in den Anfängen. Doch eine Vielzahl voneinander unabhängiger Studien zeigt, dass wir für das Erlernen moralischer Regeln biologisch vorprogrammiert sind. Vielleicht ist es ja schon an der Zeit, sich von einer 300 Jahre alten Vorstellung zu verabschieden.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 87-10-2010, 10.01.2010

Macht korrumpiert auf jeden Fall

Macht korrumpiert auf jeden Fall Privat

Er schrieb unlängst den umstrittenen Beitrag „Lahme Dame Demokratie“ und lässt mit seinem neuen Buch „Mitte und Maß“ wieder politisch nachdenken. economy sprach mit dem renommierten deutschen Politologen Herfried Münkler über Politik und Moral und die ideale Staatsform.

economy: Zu Politik und Moral ist bereits unendlich viel publiziert worden. Ist dieses Thema eine „never ending story“?
Münkler: Bei der Moralperspektive gibt es mehrere unterschiedliche Gesichtspunkte, die eine Rolle spielen. Ich stelle drei zentrale Aspekte fest. Wer sachlich viel von Politik versteht, ist geneigt, sich gern in der Oberaufseherrolle zu sehen. Hinzu kommt die Dynamik des Kampfes um die politische Macht, getrieben von der Erwartung einer guten Einkommensmöglichkeit. Hier kommen wir zum zweiten Aspekt, dem Beutezug, dem Beutemachen von Politik. Und drittens sehe ich den Diskurs über Gerechtigkeit, der zur normativen Evaluation von Politik geführt hat. Das heißt also, dass sich bestimmte Normen und Werte entwickelt haben, an denen Politik gemessen wird.

Wie würden Sie die Situation in Deutschland in Bezug auf Politik und Moral beurteilen?
Nun, der Mechanismus „Gratifikation – Satisfaktion“ greift ganz gut. Es findet immer wieder eine Reinigung des politischen Personals von den übelsten und schlimmsten Fingern statt. Diejenigen Politiker, die gar zu schamlos sind, deren Tun wird in den Medien benannt. Und dadurch findet eine gewisse Auslese statt. Aber es gibt natürlich auch solche Fälle, in denen die Politiker von sich aus die Konsequenzen ziehen. Besonders krass war zum Beispiel der Fall des Freitodes von Jürgen Möllemann (der umstrittene und skandalumwobene deutsche FDP-Politiker starb 2003 unter nicht vollkommen geklärten Umständen bei einem Fallschirmsprung, Anm. d. Red.).

Und wie sehen Sie als Beobachter von außen die politische Situation bezüglich der Moral in Österreich?
Österreich hat das Problem, ein kleines Land zu sein. Es steht daher auch nicht so viel politisches Personal zur Verfügung. Die Politiker treffen sich in Wien, die Politik findet dort statt. Ich glaube, die Säuberungsmechanismen greifen nicht so gut. Ein Grund dafür ist, dass die Kontrollfunktion der Medien nur mäßig ausgebildet ist. Die Dominanz der Kronenzeitung ist bekannt und in Europa einzigartig. Viele Politiker versuchen deshalb, mit dieser Zeitung zu kooperieren, um so politisch Terrain zu machen. Der Einfluss von nur einer Zeitung ist verheerend. Ich glaube aber nicht, dass es einen allgemeinen Verfall der Moral gibt. Wir neigen nur dazu, von Verfall zu sprechen, weil wir Dinge rasch vergessen.

Ist es aber so, dass Macht auf alle Fälle korrumpiert?
Ja, auf jeden Fall. Macht korrumpiert. So ist das schon seit zweieinhalbtausend Jahren. Das lässt sich nicht ändern. Man kann nur an den Korrekturmechanismen feilen, um dagegenzuarbeiten.

Zum Beispiel?
Etwa Macht nur auf Zeit zu vergeben. Oder Anreize schaffen, die „Anständigkeit“ fördern. Diejenigen, die aus Positionen ausscheiden, können nur dann in die Wirtschaft gehen, wenn sie in der Politik einigermaßen anständig agiert haben.

Und wenn Sie auf ein so machtvolles Land wie die USA blicken, was fällt Ihnen da hinsichtlich Politik und Moral auf?
Die amerikanische politische Kultur ist geprägt von einer gelegentlich sehr aufdringlichen Inszenierung des eigenen Gutseins. Das hat einen konfessionellen politischen Hintergrund und ist für europäische Augen oft unerträglich.

In Ihrem in der deutschen Zeitschrift „Internationale Politik“ publizierten Artikel mit dem Titel „Lahme Dame Demokratie“ fordern Sie „Mut zu etwas mehr Diktatur“ und schreiben von einem „Zustand der Erschöpfung demokratischer Energie“. Wie sollte eine ideale Staatsform aussehen?
Mut zur Entscheidung, nicht zur Diktatur! Wir leben in einer beschleunigten Welt, und die Demokratie ist entschleunigt. Das ist ungefähr so wie Fahren mit permanent angezogener Handbremse. Der Vorteil der Demokratie – Vermeiden von Fehlentscheidungen durch drei Mal Lesen eines Gesetzes, Bürgerbeteiligungs- oder Anhörverfahrens – bringt Verlangsamungen mit sich. Das lähmt oft. Keine Frage, die Demokratie ist in der Krise. Die Frage ist, wie Revitalisierung möglich ist: a) Durch Rebellion, wie etwa im Jahr 1968; b) Revitalisierung kostet. Die Krise ist nicht nur negativ, sondern eine Entscheidung zur Erneuerung und Genesung; c) bei politischen Aktivitäten ist der Zugang fast nur noch für die obere Mittelschicht möglich. Die Frage ist also, wie wir die hohen Voraussetzungen für die Partizipation wieder „herunterhängen“ können. Trotz allem besitzt die Demokratie am ehesten Selbstheilungskräfte und hat die besten Voraussetzungen, die Probleme zu lösen.

Leben wir generell in einer „unpolitischen Zeit“, in der auch die Parteien tatsächlich austauschbar geworden sind?
Nein, aber die alte Generation, die sich politisch engagiert hat, besetzt noch viele politische Ämter und Schalthebel. Auch das Politiker-Dasein hat sich geändert. Früher ging man nach einem erfolgreichen Berufsleben in die Politik. Heute beginnen viele bereits in den Jugendorganisationen der Parteien politisch zu arbeiten und sind dann mit 50 erschöpft. Ich finde das nicht besonders toll. Der alte Weg war mit Sicherheit auch politisch sauberer. Und er brachte Menschen mit Lebenserfahrung in die entsprechenden Ämter.

Sie haben höchst erfolgreiche Bücher wie „Machiavelli“, „Imperien“ oder die „Die Deutschen und ihre Mythen“ geschrieben und sind als Politikberater sehr gefragt. Was wird Ihr nächstes Projekt?
Mein neues Buch „Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung“ kommt gerade auf den Markt. Nach einer Zeit, wo eine zunehmende politische Ordnung der „Mitte“ herrschte, greifen jetzt wieder entgegengesetzte Strömungen.

Economy Ausgabe 999999, 10.01.2010

Das Handy als Geldbörse

Das Handy als GeldbörsePhotos.com

Rechnungen begleichen via Paybox: Hohe Sicherheitsstandards und Jugendschutzmaßnahmen.

Bezahlen mit dem Handy gehört zu den sichersten bargeldlosen Zahlungsmethoden. Erst im Vorjahr wurde das in einer Vergleichsstudie vom Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation, ÖIAT, bestätigt. Jochen Punzet, CEO von Paybox Austria: „Paybox erfüllt damit die zwei wesentlichen Kriterien für ein Online-Zahlungsmittel – rasche und unkomplizierte Abwicklung sowie höchste Sicherheit.“
Die Gründe dafür, warum eine Zahlung mit dem Handy so sicher ist, sind offensichtlich: Bezahlt man beim Online-Shopping mit dem Handy, werden keine Zahlungsdaten über das Internet übermittelt. Es muss lediglich die Handynummer eingegeben werden, wodurch keine sensiblen Daten wie Namen oder Kontonummer gespeichert werden. Außerdem sind bei Paybox unzulässige Mehrfachbelastungen und Missbrauch durch Phishing, wie sie im Internet immer wieder vorkommen, technisch ausgeschlossen, da jede Zahlung per Anruf oder SMS bestätigt werden muss.

Hoher Sicherheitsstandard
Der Sicherheitsstandard ist so hoch, dass mittlerweile auch Banken das Handy als ein vom Internet getrenntes Instrument nützen, um Online-Überweisungen zu bestätigen. Einen wichtigen Platz im Sicherheitskonzept nimmt der Jugendschutz ein. Das Handy ist im Alltag von Kindern und Jugendlichen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Punzet: „Da ist es naheliegend, dass sie auch mit dem Handy bezahlen.“ Bei Zigarettenautomaten und anderen kritischen Bereichen wie Glücksspiele, Wetten und Erotik gibt es eine altersabhängige Nutzungseinschränkung. Eltern können sich also – relativ – entspannt zurücklehnen, wenn ihre Sprösslinge wieder einmal online mit dem Handy bezahlen. sog

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Economy Ausgabe 87-10-2010, 10.01.2010

Zahlungen ohne Bankkonto

Zahlungen ohne Bankkontopaysafecard

Prepaid-Zahlungslösungen garantieren maximale Flexibilität und Sicherheit.

Sicherheit wird in vielen Lebensbereichen groß geschrieben und ist, vor allem wenn es um Online-Shopping geht, ein Thema. Bezahlen im Internet ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit.
Exakt hier hat die Paysafecard Group vor zehn Jahren angesetzt: Mit der Entwicklung der Online Prepaid-Zahlungslösung paysafecard wurde es Konsumenten ermöglicht, einfach, schnell und sicher im Internet zu bezahlen.

Überziehung unmöglich
Mittlerweile bietet das Unternehmen eine breite Produktpalette an Prepaid-Zahlungslösungen an. Einerseits handelt es sich hierbei um Prepaid-Vouchers, die zum Beispiel bei Tankstellen oder Trafiken gekauft werden können, andererseits bietet das Unternehmen Prepaid MasterCard-Produkte an, wie etwa die YUNA Card und die Happy Schenkcard. Alle Zahlungslösungen der Paysafecard Group haben eines gemeinsam: Sie sind nicht an ein Bankkonto gebunden und stehen vor allem bei sicherheitsbewussten Konsumenten hoch im Kurs.
„Wie wir aus Kundenbefragungen wissen, scheuen viele es, Daten einer klassischen Kreditkarte oder ihre Kontodaten im Internet anzugeben. Prepaid-Produkte, die nicht an ein Konto gebunden sind, sind deshalb eine gute Lösung“, erklärt Michael Müller, CEO der Paysafecard Group. Ein weiterer Sicherheitsfaktor ist die Kostenkontrolle. Mit Prepaid kann man nur den Betrag ausgeben, um den man die Karte gekauft hat bzw. über die Summe, mit der man die Karte aufgeladen hat. Eine Überziehung ist nicht möglich. „Für viele Konsumenten ist das ein wichtiger Aspekt, da im Vorhinein entschieden werden kann, wie viel Geld für bestimmte Aktivitäten zur Verfügung steht“, so Müller. YUNA Card und Happy Schenkcard können überall verwendet werden, wo MasterCard akzeptiert wird. Das sind weltweit 30 Mio. Akzeptanzstellen. Müller: „Alternative Zahlungsmethoden sind unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Sicherheit und einfache Handhabung sind dabei Erfolgsfaktoren, die sowohl für den Konsumenten als auch für den Webshop entscheidend sind.“

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Economy Ausgabe 87-10-2010, 10.01.2010

Angst vorm heißen Thema

Angst vorm heißen ThemaAndy Urban

Ulrich Körtner: „Fehlende Regelungen wirken sich forschungshemmend aus.“ Der Medizin­ethiker sagt, dass Österreichs Politiker und Politikerinnen überfällige Gesetze zur Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik wegen drohender Kontroversen vermeiden.

„Weil das so ein heißes Thema ist, rühren wir das besser nicht an.“ Die­se Aussage einer Politikerin ist der Sukkus aus den Interviews, die der Soziologe Erich Grießler mit Beamten, Politikern und Politikerinnen zur Stammzellforschung geführt hat. Genauer gesagt: zur Forschung an humanen embryonalen Stammzellen in Österreich.
Da herrscht eine kuriose Situation mit Verboten, Gesetzeslücken und der Weigerung, diese zu schließen – aus Angst vor der Diskussion über die Frage, wann Leben be­ginnt, und den Gräben, die dabei aufgerissen werden könnten. Weshalb die Frage seit Jahren nicht angetastet wird und Forschung an humanen embryonalen Stammzellen eben anderswo stattfindet. Obwohl sie, aufgrund einer Gesetzeslücke, in Österreich sogar machbar wäre.

Forschung in der Gesetzeslücke
Doch die Gesetzeslücke wirkt sich forschungshemmend aus. „Niemand hat Lust darauf, wegen vermeintlich unethischer Forschungen in der Öffentlichkeit am Pranger zu stehen“, sagt der evangelische Theologieprofessor und Medizinethik-Experte Ulrich Körtner.
Als der damals stellvertretende Leiter des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) Erwin Wagner an humanen embryonalen Stammzellen forschen wollte, nachdem er jahrelang an Mäusestammzellen geforscht hatte, gab er eine Studie beim Rechtsprofessor Christian Kopetzki in Auftrag, um sich abzusichern. Der versicherte ein rechtliches Okay. Weil die in der Forschung verwendeten Stammzellen nicht totipotent, sondern nur mehr pluripotent sind, solche Zellen aber durch das Fortpflanzungsmedizingesetz in Österreich nicht geregelt sind. Totipotente Zellen sind entwicklungsfähige Zellen, aus denen ein Mensch werden könnte. Entwicklungsfähige Zellen dürfen laut Gesetz nur zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung verwendet werden.
Die Forschung an Stammzellen dient dazu, Therapien gegen Krankheiten zu entwickeln. Dabei wird an embryonalen Stammzellen, an adulten Stammzellen und an Zellen, die zu Stammzellen umprogrammiert wurden, geforscht. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler hält alle Methoden für derzeit notwendig. Die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen wird in den meisten Ländern streng geregelt. In Österreich gibt es keine Regelung.
Die 25-köpfige Bioethikkommission des Bundeskanzleramts hat mit großer Mehrheit im März 2009 empfohlen, eine liberale Regelung zur Stammzellforschung auszuarbeiten. Das ist aber nur eine der Fragen, mit denen sich die Kommission beschäftigt. Ihr Mitglied Ulrich Körtner spannt den Bogen der biomedizinischen Ethikfragen weit.

economy: Vor 32 Jahren wurde das erste in vitro gezeugte Baby geboren. Nun ist die Rocksängerin Gianna Nannini mit 54 schwanger, und „Sex and the City“-Star Sarah Jessica Parker bekam Zwillinge durch eine Leihmutter. Wie stehen Sie, wie steht die evangelische Kirche zu diesen Entwicklungen?
Ulrich Körtner: Die offizielle Haltung der evangelischen Kirche gegenüber In-vitro-Fertilisation ist zurückhaltend. Sie wird nicht grundsätzlich abgelehnt, doch gibt es Bedenken gegenüber den Auswüchsen wie Leihmutterschaft. Ich bin in der Frage kritisch, weil ich an das Kindeswohl denke – was es für ein Kind bedeutet, wenn es 20 wird, und die Mutter ist bereits 74.

Was sagen Sie dann zu späten Vätern wie Wolfgang Ambros und Niki Lauda, die beide um die 60 Jahre alt sind und beide vor kurzem Zwillinge bekamen?
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Ich will auch keine Ungleichbewertung von Männern und Frauen. Doch Schwangerschaften jenseits des Klimakteriums sowie Frauen, die im Großmutteralter als Leihmutter ein Kind für ihre Tochter austragen, finde ich problematisch.

Wie ist die offizielle Lehrmeinung der evangelischen Kirche?
Die evangelische Kirche kennt kein zentrales Lehramt. Es gibt Stellungnahmen einzelner Kirchen zur In-vitro-Fertilisation, aber die stammen aus den 1980er Jahren. Derzeit wird diskutiert, ob diese Stellungnahmen einer Revision unterzogen werden sollten, weil sie zu restriktiv seien.

Haben sich die moralisch-ethischen Ansichten durch die gelebte Realität verändert?
Ja, und durch die Erfahrungen. Es geht darum, die moderne Reproduktionsmedizin wirklichkeitsgerecht mit theologischen Überzeugungen zu verbinden. Seit dem ersten in vitro gezeugten Baby wurde eine Lawine biomedizinischer Möglichkeiten losgetreten. So haben sich die evangelischen Kirchen wiederholt zur Präimplantationsdiagnostik zu Wort gemeldet.

Humangenetiker Markus Hengstschläger fordert die Erlaubnis der Präimplantationsdiagnostik. Derzeit darf eine befruchtete Eizelle vor Einsetzung in die Gebärmutter nicht getestet werden, danach aber schon. Sollte der Embryo geschädigt sein, kann er abgetrieben werden. Diese Regelung sei scheinheilig.
Ja, die Mehrheit in der Bioethikkommission hat schon vor Jahren dafür plädiert, die Präimplantantionsdiagnostik zumindest in eingeschränktem Maß zuzulassen.

Warum wird das nicht getan?
Das ist eine politische Frage. Vor der Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes 2005 versuchte die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat, die Präimplantationsdiagnostik mit aufzunehmen. Ihr Vorstoß scheiterte an politischem Widerstand. An Protesten der katholischen Kirche und Vereinigungen wie Aktion Leben.

Auch eine Regelung der Stammzellforschung ist überfällig. Erwin Wagner hat am IMP mit humanen embryonalen Stammzellen geforscht. Das konnte er nur wegen einer Lücke im Gesetz tun. Der österreichische Weg sei derjenige, nichts auszudiskutieren, sagt Wagner.
Wir haben in der Bioethikkommission eine Empfehlung dazu erarbeitet. Eine Mehrheit der Kommission sprach sich für Forschung an embryonalen Stammzellen und eine gesetzliche Regelung aus. Aber politisch ist nichts weitergegangen. Der damalige Wissenschaftsminister Johannes Hahn hat eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt – das sicherste Mittel, um etwas zu schubladisieren. Doch auch die Scientific Community zeigte kein brennendes Interesse, für ein Gesetz Lobbying zu machen.

Wird in Österreich derzeit mit embryonalen Stammzellen geforscht?
Von konkreten Projekten ist mir nichts bekannt, seit Erwin Wagner nach Spanien gegangen ist. Doch der Bedarf an einer gesetzlichen Regelung besteht nach wie vor. Fehlende Regelungen führen nicht dazu, dass ein Land zum Forschungseldorado wird. Sie wirken sich forschungshemmend aus. Niemand hat Lust darauf, wegen vermeintlich unethischer Forschungen in der Öffentlichkeit am Pranger zu stehen. Am IMP und an den Perutz Laboratories machen die Leute international beachtete Stammzellforschung, aber sie arbeiten mit tierischen Zellen. Da Österreich in der Frühphase, in der sich diese Forschung entwickelte, nicht mitgespielt hat, ist der Zug vielleicht bereits abgefahren. Man könnte nun schauen, wo es Nischen gibt. Aber das sind Fragen jenseits der Ethik.

Wird die Forschung nun anderswo gemacht, weil die österreichische Politik zu feig war, die Frage zu diskutieren und zu entscheiden?
Genau. Möglicherweise forschen österreichische Wissenschaftler im Ausland an humanen embryonalen Stammzellen.

Was sind die drängendsten ethischen Fragen?
Bei der Stammzellforschung ist es die Weiterentwicklung in Chimärenbildung. Man erzeugt Zellen, die eine Mischung aus tierischem und menschlichem Gewebe sind. Es ist sehr umstritten, ob das ethisch ist oder nicht, ob die Menschenwürde dabei verletzt wird. Ich sehe das nicht so. Unethisch wäre, mit solchen Zellen eine Schwangerschaft herbeizuführen. Es wird auch daran gearbeitet, Zellen künstlich herzustellen, künstliche lebensfähige Zellen oder Organismen zu schaffen.

Das ist doch schon gelungen! Das hat Craig Venter gemacht.
Aber er hat die Zelle nicht selber geschaffen, sondern ein Bakterium genommen und künstlich produzierte DNA reingesetzt. Das haben die Medien knalliger dargestellt als es war. Aber ich will das nicht kleinreden. Man könnte mit synthetischer Biologie Bakterien schaffen und sie für die industrielle Produktion von Wirkstoffen in der Pharmaindustrie oder der chemischen Industrie anwenden. Die ethischen Probleme in der synthetischen Biologie sind nicht neu – die kennen wir schon aus der Gentechnikdebatte. Wichtig ist auch, was als Enhancement bezeichnet wird – dazu zählt die plastische Chirurgie, wenn sie aus ästhetischen Gründen eingesetzt wird. Oder Neuroenhancement, wenn Menschen Stimmungsaufheller nehmen oder Medikamente, um ihre intellektuellen Kapazitäten zu steigern, zum Beispiel vor einer Prüfung oder einer Bewerbung. Soll es erlaubt sein, dass Menschen nach freier Wahl irgendwelche Pillen einwerfen?

Was ist Ihre Haltung?
In einer liberalen, pluralistischen Gesellschaft muss man sich fragen, wo der Gesetzgeber Grenzen ziehen muss und wo man den Menschen freistellt, was sie mit ihrem Körper machen. Ich hätte Bedenken bei einer zu restriktiven Rechtsordnung. Weil wir auch Alkohol und andere Drogen als Mittel des Konsums erlauben. Auch Rauchen ist gesundheitsschädlich. Aber wir haben das Rauchen nicht grundsätzlich verboten, wir greifen nur ein, wo sich Dritte belästigt fühlen. Aber wenn sich einer zu Tode paffen will, soll er es machen.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 10.01.2010

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