Die Bibel als Bühnenspektakel
Kerstin Groh Schon mehr als 70.000 Menschen hat der deutsche Schauspieler Ben Becker mit seiner eindringlichen Bassstimme in den Bann der Bibel gezogen. Begleitet von einem Symphonieorchester und einem Gospelchor ist Becker mit seinem Bibel-Spektakel jetzt wieder auf Tour und füllt damit große Hallen; am 4. Februar auch die Wiener Stadthalle.
Sie machen mit religiösen Inhalten eine Bühnenshow. Wollen Sie dem deutschen Papst Konkurrenz machen?
Ben Becker: Nein, wirklich nicht, ganz und gar nicht. Ich bin nicht angetreten, um zu missionieren. Aber die Bibel ist das Buch der Bücher, eine der ältesten Niederschriften, die wir in unserem Kulturkreis kennen. Ich denke, dieses Buch ist für alle da, für die Menschheit überhaupt. Und deswegen lese ich daraus vor.
Verbinden Sie mit Ihren Bibel-Lesungen auch ein persönliches Anliegen?
Auf jeden Fall, das ist ja keine Auftragsarbeit gewesen. Es ist so: Ich komme aus einem marxistisch orientierten 68er-Haushalt und hatte mit der Bibel nie viel am Hut. Weder bin ich getauft noch habe ich am Religionsunterricht teilgenommen. Aber irgendwann hat mich interessiert, warum Musiker wie Nick Cave oder Johnny Cash bibelorientierte Songtexte verwenden. Auch hat man mir erzählt, dass im Alten Testament so wunderbar schaurige Geschichten drinstehen. Ich bin ja ein Literaturbesessener, habe aber nie in die Bibel geschaut. Und da bin ich eines Tages auf die Leiter gestiegen, hab sie aus dem höchsten Regal hervorgeholt und darin zu lesen begonnen – und ich fand das sehr spannend.
Und wie ist daraus eine Theatervorstellung entstanden?
Eine ältere, wohlhabende Frau, die mit ihrem Geld in Berlin-Spandau eine Marienkirche hat restaurieren lassen, wollte, dass ich in dieser Kirche Döblins Berlin Alexanderplatz lese. Da hab ich gesagt: „Junge Frau, das passt beim besten Willen nicht, aber ich lese bei Ihnen aus der Bibel.“ Da sind wir dann mit acht Leuten auf der Bühne gestanden, und 300 Menschen drängten sich dicht an dicht im Publikum.
Im Alten Testament geht es um Schuld und Strafe, im Neuen Testament um Liebe und Erlösung. Welche Lebenshaltung liegt Ihnen näher?
Man kann die beiden nicht voneinander trennen. Das Neue Testament ist die Beglaubigung des Alten Testaments und umgekehrt. Das ist auch der Grund, warum ich aus beiden lesen wollte. Aber: Ich komme, wie gesagt, aus einer marxistischen Familie und habe mich in jungen Jahren intensiv mit dem dialektischen Materialismus auseinandergesetzt. Und da kann man nun auch über die Idee des Urkommunismus reden – die wir im real existierenden Sozialismus nun wirklich nicht vorgefunden haben, da brauchen wir gar nicht darüber zu reden. Aber in seiner Grundidee, dass alle Menschen gleich sind und alle das Gleiche haben sollten, ist er überhaupt nicht verkehrt. Und er behandelt auch die zentralen Fragen: Woher kommen wir, wohin gehen wir, warum sind wir hier? Und diese Fragen habe ich auch in der Bibel wiedergefunden.
Welches Verständnis von Gott haben Sie persönlich?
Mein Gottesverständnis ist absolut meine Privatsache, die niemanden etwas angeht. Aber ein befreundeter Pater hat mir mal gesagt: Wenn man sich auf die Suche nach der Definition, wer oder was ist Gott, begibt und sich damit auseinandersetzt, dann ist man ihm so nahe, wie man ihm nur irgendwie nahe sein kann.
Urkommunismus und Urchristentum liegen ja sehr nahe beieinander, und es wird oft argumentiert, dass auch die Idee des Urchristentums in kirchlichen Institutionen nicht mehr zu finden ist.
(lacht) Jaaa, da kann man sich vor allem mit Leuten, die der Kirche angehören, hervorragend streiten. Wenn man fragt, ob die Kirche noch etwas mit dem Grundgedanken zu tun hat, findet man vor allem in der katholischen Kirche wunderbare Mitstreiter, die ihre eigene Institution kritisch infrage stellen. Aber ich bin da mit meinen Äußerungen in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig. Ich lese zwar aus der Bibel vor, aber ich stelle das einfach nur so hin. Mein Publikum teilt sich je zur Hälfte in Leute, die in der Bibel lesen, und solche, die das Buch noch nie aufgemacht haben. Ich sage nicht: „Geht nächsten Sonntag in die Kirche.“ Das muss der Pfarrer um die Ecke machen, das ist nicht mein Job. Ich bin Schauspieler, ich kann gut vorlesen und Geschichten erzählen; und die Geschichten, die da drinstehen, finde ich gut.
Die Bibel-Show lebt von Ihrem dramatischen Vortrag. Sie haben aber in einer deutschen Comedy-Show auch schon aus einem Telefonbuch dramatisch vorgetragen. Ist der Inhalt egal?
Wenn Sie sich die Bibel-Lesung von Anfang bis Ende anschauen, beantwortet das Ihre Frage von selbst. Denn ich lese das mit großer Ehrfurcht und großem Respekt; und mit all meiner Liebe, mit allem, was ich habe. Weil ich glaube, dass ich das verstehe, was da drinsteht. Und ich finde es wichtig, diese Botschaft noch mal in den Raum zu stellen, um die Dinge infrage zu stellen. Das mache ich aber, ohne den Leuten diese Fragestellung aufs Auge zu drücken. Diese Fragen kommen ganz von alleine hoch, weil ich sehr deutlich, bildlich und verständlich lese; so, dass mich ein 15-jähriger Hip-Hopper genauso versteht wie die 80-jährige Oma.
Es ist Ihnen also nicht egal?
Ich sage dazu noch einen ganz ernsthaften Satz: Wenn ich in meinem Beruf richtig Geld verdienen will, gehe ich zum Privatfernsehen, und dann husche ich mindestens einmal die Woche über die Mattscheibe. Und wegen der damit verbundenen Medienpräsenz kann ich nebenher noch Aufschnittreklame machen, dann drucken sie mich noch auf die Verpackungen von Mortadellascheiben im Supermarkt, so wie einige Kollegen mir das vorgemacht haben. Und dann würde ich richtig Kohle verdienen. Das ist aber nicht meine Tasse Tee; ich bin angetreten, weil ich ernsthaft etwas will und machen möchte. Und die Bibel-Lesung ist ein Projekt von mir, das ich mir selbst ausgedacht habe, und beileibe nicht das Telefonbuch.
Haben Sie die Musikeinlagen mehr nach persönlichem Geschmack oder nach dramaturgischer Eignung ausgesucht?
Absolut als dramaturgische Elemente, die ich nach inhaltlichen Kriterien ausgesucht habe. Ich habe mir Klassiker ausgesucht, und jeder Song ist in eine ganz bestimmte Umgebung eingebettet. Als Jesus vom Volk vertrieben wird, habe ich Bridge Over Troubled Water gewählt. Bei Kain und Abel, der Geschichte von Hass und Neid, kam ich auf In The Ghetto – ein junger Mann, der nichts hat und plötzlich sagt: „Jetzt schlag ich zu.“ Auch die Geschichte Jenseits von Eden von John Steinbeck, mit James Dean verfilmt, ist ja so eine Transponierung dieser Kain-und-Abel-Geschichte in ein modernes Gewand.
Sie lesen die Bibel und spielen den Tod im Salzburger „Jedermann“, also sehr existenzielle Themen. Haben diese Rollen auch etwas mit Ihrer persönlichen Entwicklung zu tun?
Ja vielleicht, ich weiß nicht; ich denke da nicht drüber nach, das ist mir zu anstrengend. Aber es ist sicher kein Zufall, dass ich seit Jahren immer wieder mit religiösen Themen zu tun habe. Ich habe Luther gespielt, ich habe Ein ganz gewöhnlicher Jude gedreht, bringe die Bibel auf die Bühne, spiele den Tod in Salzburg. Das ist eine Kettenreaktion, da kommt eines zum anderen. Ich sag Ihnen ganz ehrlich: Ich würde jetzt gerne wieder mal was Komisches machen. Aber die existenziellen Rollen sind natürlich durchaus Thema von mir, weil ich mich in meinem Beruf, leider auch manchmal im wirklichen Leben, sehr weit aus dem Fenster lehne. Das ist ein Drahtseilakt, da hat nicht jeder Lust dazu. Aber das ist meine Berufung, ich muss hundert Prozent leben.
Ich sage nur: Wir sind hier in Wien, da gilt das nicht zu sagen, ich mache mir keine Gedanken. Wir machen uns hier dauernd über alles Gedanken.
(lacht) Ja, deswegen wohne ich ja in Berlin und nicht in Wien.
Sehen Sie sich da etwas in der Tradition eines Oskar Werner, der sich in der Kunst wie im Leben auch ziemlich verausgabt hat?
Ja, und den schätze und verehre ich auch sehr. Den zähle ich zu der Reihe von Schauspielern, wo ich sage, ja, da schau ich hin: Peter Lorre, Gert Fröbe, Heinrich George, Emil Jannings. Auch bei dem Schriftsteller Josef Roth geht mir das Herz auf.
Also lassen wir Zeitgenossen unter den Schauspielern elegant weg?
Ja, aber gerade hier in Österreich gibt es ein paar Kollegen, die ich sehr, sehr schätze. Also zum Beispiel den Herrn Moretti, Hut ab, und ich mag auch den verrückten Paulus Manker gern.
Halten Sie es eher mit den Kreationisten, die meinen, Gott habe die Schöpfung vollendet und deshalb unveränderlich in die Welt gebracht, oder eher mit den Darwinisten, die die Welt als ein evolutorisches Werden verstehen?
Ich sehe die Welt auf jeden Fall als etwas im Werden Begriffenes, etwas, das sich bewegt und nicht aufhört, sich zu bewegen. Insofern hören Sie von mir die Genesis auch recht evolutionär: Es bewegt sich. Das Schöne daran ist, es wird einem dort alles vor Augen geführt. „Gott, der Herr, machte das Meer.“ Und jetzt sehen wir das Meer. „Und Gott machte den Himmel und die Sterne.“ Und jetzt sehen wir den Himmel und die Sterne. Das wirft uns auf uns selbst zurück und auf die Schönheit der Welt, in der wir leben.
Man kann ja auch fragen: Warum braucht Gott, wenn er allmächtig ist, überhaupt sechs Tage für die Schöpfung? Vielleicht ist das ja schon ein Hinweis auf die Evolution.
Ich bin da vollkommen offen, da kann was Wahres dran sein. Gut, ein Radikalchrist, der flippt jetzt aus, der dreht Ihnen den Hals um. Aber noch mal: Diese Auseinandersetzung, diesen Diskurs führe ich nicht öffentlich.
Sie gehen durch diese Rolle, diese Aufführungen so oft durch. Wie sehr beschäftigt Sie das privat weiter?
Los werde ich das nicht mehr, dafür ist es zu existenziell. Es packt mich immer wieder. Also die Geschichte Jesu zum Beispiel; dass jemand aufräumt und sagt: „Ihr macht die Sachen falsch.“ Und zwar letztlich auf eine ganz naive Art und Weise; das ist ja ganz einfach zu verstehen. Wenn jemand deinen Rock will, dann gib ihm auch den Mantel. Und wenn dir wer eine scheuert, dann hältst du ihm auch die andere Wange hin. Das ist ja nun ganz einfach, aber wunderschön. Und für diese wunderbare kindliche Naivität und Schönheit, die er predigt, fällt den Wahnsinnigen nichts anderes ein, als diesen Typen zu quälen bis zum Abwinken und ihn an ein so ein Folterinstrument wie das Kreuz zu schlagen. Wem dieser Mann und die Idee, dass er sich für uns alle ans Kreuz hat schlagen lassen, also wem das nicht nahegeht und wer dabei keine Träne verliert, dem kann ich auch nicht mehr helfen.
Aber glauben Sie, dass sich da in den letzten 2000 Jahren viel geändert hat? Wenn Jesus Christus heute auf die Welt käme, in dieser Unscheinbarkeit, würde ihm das nicht wieder passieren? Also, er würde nicht unbedingt ans Kreuz geschlagen werden, aber vielleicht endet er irgendwo als Obdachloser oder in einer Irrenanstalt.
Das hat Klaus Kinski ja schon 1971 in der Berliner Deutschlandhalle dargestellt – mit seiner Form des Neuen Testaments: Gesucht wird Jesus Christus. Er hat das umgeschrieben und gesagt: „Kann sein, dass der Gesuchte sich auf einer Polizeistation befindet; seine Umgebung sind Gotteslästerer, Zigeuner, Prostituierte, Kriminelle, Asoziale, Obdachlose, Gammler, Fixer, Ausgestoßene.“ Da sind die Leute ausgerastet. Da gab es diese berühmte Szene, wo ein Mann auf die Bühne kam und sagte: „Ich glaube nicht, dass er Christus ist. Christus war duldsam, und wenn ihm einer widersprochen hat, dann hat er ihn zu überzeugen versucht und hat nicht zu ihm gesagt: ,Halt deine Schnauze.‘“ Und Kinski schrie wütend: „Nein, er hat nicht gesagt: ,Halt die Schnauze‘; er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen.“
Und was meinen Sie?
Ich weiß nicht, aber auf eine Art und Weise ist Jesus Christus immer noch hier. Ich weiß nicht, wer oder wo er ist. Aber auf irgendeine Art wird er immer noch geschlagen und misshandelt und kaputt gemacht. Ob das in diesen 2000 Jahren besser geworden ist? Ich weiß es nicht. Man kann sagen, die Sklaverei ist abgeschafft; aber man kann auch sagen, es gibt die Sklaverei immer noch. Wer näht denn all die Turnschuhe? Kinder und Jugendliche irgendwo in Asien, die in irgendwelchen Schuppen herumsitzen und sonst nichts zu fressen haben; und wir kaufen uns den Scheiß hier um teures Geld in der Boutique.
Da sind wir dann wieder bei dem Ansatz, wo sowohl der Urkommunismus als auch das Urchristentum wichtig sind oder zumindest wichtig wären als Gegengewicht zu dem heute herrschenden Neoliberalismus.
Wahrscheinlich ja, aber ich bin kein Politiker, sondern Künstler. Ich weiß nicht, ob das wirklich was bringt, wenn ich mich als Nächstes auf die Bühne stelle und Das Kapital von Marx lese. Außerdem hab ich dazu auch keine Lust, das sollen andere Leute machen.
Thomas Bernhard hat einmal gesagt, er wäre gern Papst geworden: Thomas I. Wäre das auch für Sie noch ein Karriereziel: Benedikt XVII.?
Meinte der das ernst?
Nein, natürlich nicht.
Economy Ausgabe 80-01-2010, 29.01.2010