Einfach abgehoben
Photos.com Wer Jugendlichen die Glaubensfrage stellt, erntet zuerst nur hämisches Gelächter. economy hat es trotzdem versucht und ist dabei auf gottgläubige Atheisten und religiöse Antikleriker gestoßen.
„Ich glaube an die Dummheit der Lehrer“ , „… an die Macht meiner Kappe“, „… an die Sprachlosigkeit der Politiker“, „… an die Spurenelemente im Nutella“. „Glauben heißt nix wissen, also sind all jene, die glauben, dumm und unwissend.“ Wer peinliche Fragen stellt, kriegt keine oder nur sarkastische Antworten.
Einen 16-Jährigen „Woran glaubst du?“ zu fragen, ist einfach „urpeinlich“. Mit dieser Frage dringt man zu sehr in seine Privatsphäre ein. Antworten werden oft mit provokanten Gegenfragen umgangen. „Was heißt schon Glaube? Was ist Religion überhaupt? Glaube ist nur was für Omas.“
Bleibt man jedoch hartnäckig und stellt die Sinnfrage oder die Frage nach dem Leben nach dem Tod, wird’s doch etwas tiefgründiger. „Also, ich glaube schon an etwas. Denn an irgendwas muss man ja glauben. Das wäre ja sonst blöd, wenn alles aus ist, wenn man tot ist. Wozu lebt man denn dann eigentlich?“, sinniert Lukas (17). „Ich glaube an die Liebe. Die wahre, echte Liebe und keine Gottesliebe. Denn den alle Menschen liebenden Gott, den kann’s gar nicht geben. Sonst gäbe es keine Kriege, keine Katastrophen, und es müssten nicht junge, unschuldige Menschen sterben. Aber an irgendein höheres Wesen glaube ich schon, an etwas Übernatürliches, das niemand erklären kann“, sagt Martina (16). „Ich glaube an Gott, aber nicht an den, der in der Kirche hängt. Die Kirche macht mir Angst, sie ist uncool, unheimlich, irgendwie lustfeindlich. Da geht’s um Strafen, Verbote, Gebote, in der Kirche musst du immer still sein, darfst nicht reden, nicht lachen. Da wirst du schon schief angeschaut, wenn du dich schnäuzt. Ein Ort zum Wohlfühlen und Abchillen ist das nicht“, denkt Rosa (17). „Beten tu ich schon manchmal. Wenn es drauf ankommt, ist es auch besser, wenn Glauben da ist, zum Beispiel in Krisensituationen“, meint Max (16).
Sie glauben an Gott, bezeichnen sich aber nicht als religiös. Sie basteln sich ihren eigenen Gott und brauchen keine Kirche dazu. Sie glauben an die große Liebe, die ewige Freundschaft, den Frieden und an einen Gott – stehen aber im Konflikt mit den herrschenden Religionen und ihren überholten Moralvorstellungen und Dogmen. Zu diesem Ergebnis kamen die Autoren der jüngsten österreichischen Jugendwertestudie, die im Vorjahr veröffentlicht wurde.
Ein Drittel religiös
Nur knapp ein Drittel der Jugendlichen gab bei den Befragungen an, sich selbst als „religiös“ zu verstehen. Gleichzeitig sagten 69 Prozent der Jugendlichen, dass sie an Gott glauben, dieser jedoch keine Relevanz für ihr Alltagsleben habe.
Diese gottesfreundliche Religionslosigkeit zeigt für die Autoren auf, dass der Name Gottes offenbar auch in einer Gesellschaft, in der ein religiöses, kirchliches Leben an Selbstverständlichkeit verloren und die Kirche insbesondere bei der jungen Generation massive Schwierigkeiten hat, unausrottbar ist – und damit auch seine Wirklichkeit. Doch der Glaube an Gott hängt quasi in der Luft, so die Einschätzung der Studienautoren. Es fehle der Bezug zum Alltagsleben.
Jugendliche haben tausend Fragen, sie suchen nach Antworten. Sie brauchen Freiräume und keine Verbote. „Eine Religion, die außerehelichen Sex und die Pille verbietet, die an starren Moralvorstellungen festhält, ist nicht zeitgemäß und wird nicht ernst genommen“, lautet der Grundtenor bei den befragten Jugendlichen. So darf sich die Kirche nicht wundern, dass die Jugend nicht mehr in die Gotteshäuser zu locken ist. Da hilft es auch nicht, Punkkonzerte in Kirchen zu veranstalten oder Priester in Discos zu schicken, um junge Schäfchen anzuwerben, wenn der Papst einen Tag später erklärt, dass Kondome verboten gehören.
Wissen
Die österreichische Jugendwertestudie wurde erstmals 1990/91 durchgeführt, in Kooperation mit dem Institut für Pastoraltheologie der Uni Wien und dem Österreichischen Institut für Jugendforschung (ÖIJ) – das ist übrigens jenes Forschungsinstitut, das Ende dieses Jahres aus Mangel an Fördergeldern zusperren muss – economy hat in der letzten Ausgabe darüber berichtet. 16 Jahre lang, nämlich von 1990 bis 2006, wurden im Rahmen der Studie Werte und Lebenseinstellungen junger Menschen erhoben und im Zeitvergleich analysiert. Die Studie ist unter dem Titel Lieben, Leisten, Hoffen 2008 bei Czernin
erschienen.
Astrid Kasparek, Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009