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04. Juli 2024

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Buchtipp

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Der nekrophile Mensch und die toten Dinge.

Im Bücherregal steht seit vielen Jahren ein dünnes DTV-Büchlein mit dem programmatischen Titel Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Jawohl, Erich Fromms Spätwerk über den Gegensatz des nekrophilen Menschen, dessen Lebensgrundsatz „haben“ lautet und der sich den toten Dingen zuwendet, zum biophilen Menschen, der nichts hat, aber „ist“, ohne über die Grundlagen der Existenz hinausgehende Bedürfnisse, ohne Drang nach Besitz.
Man kann sagen, bei dem 1976 erstmals erschienenen Buch handelt es sich um ein sozialutopisches Werk, aus seiner Zeit heraus verständlich, aber heute zu nichts mehr nütze. Damals war die kommunistische Idee auf dem Höhepunkt ihrer Umsetzung. Im Westen wandten sich viele vom Konsumstreben ab, und Studentenführer sprachen vom „Neuen Menschen“. Undenkbar heutzutage.
Erich Fromm gab trotzdem mit einigen scharfsinnigen Beobachtungen das wieder, in dessen Kräfteverhältnis wir noch heute leben. So schrieb er etwa: „Der Konsument ist der ewige Säugling, der nach der Flasche schreit.“ Fromm lehnt den Konsumismus ab und forderte schon damals ein Grundeinkommen zur Gewährleistung einer seinsorientierten Existenz des Menschen – eine Diskussion, die heute ernsthafter denn je als gesellschaftspolitisch nützlich erachtet wird. Man sieht: Verstaubte Bücher wieder zu lesen, birgt so manche Überraschungen.
Erich Fromm:
„Haben oder Sein“
Spiegel Edition Nr. 28
Spiegel-Verlag 2007, 7,99 Euro
ISBN: 387-7-630-286

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Reminiszenzen an den Überfluss

Champagnerlaunig skandiert die Creme de la Creme der Luxusgüterindustrie in der Hofburg „Luxury, please!“. Luxus? Luxus! Überfluss! Das ist gleichbedeutend mit Unmoral, zumal in Zeiten, in denen das Optimieren der Umverteilung außer Kontrolle geraten ist und es im Schlaraffenland ein wenig nach Gammelfleisch riecht. Luxus – ein Wort, das ursprünglich nichts anderes bedeutet als Üppigkeit und Vielfalt, zwei Eigenschaften, die erst seit Kurzem ein Offizialdelikt bilden. An Versuchen, ihn zu einer Sünde zu erklären, mangelte es nie. Der „Neue Luxus“ ist das Wesentliche, und das Wesentliche ist nie einfach. Aber es überzeugt durch seine Fähigkeit, Komplexität zu reduzieren. Diese Fähigkeit des Neuen Luxus kann in allem stecken – in Produkten, Ideen und Wissen. Sein Wert aber entsteht erst dadurch, dass Menschen sich darauf einlassen, sich auf dieses Wesentliche zu konzentrieren. Nicht schnelle Automobile und goldene Armbanduhren, Champagnerkisten und Parfums, Dinge, die an jeder Straßenecke zu haben sind, sondern elementare Lebensvoraussetzungen bilden den Neuen Luxus. Das ist Zeit, über die man ohne den Druck anderer verfügen kann, der Luxus, sich den Dingen zuzuwenden, die man sich als Objekt der Aufmerksamkeit bewusst ausgesucht hat, oder aber auch der Luxus der Ruhe, die diese Aufmerksamkeit erst ermöglicht. Konzentration auf das wirklich Wesentliche also.

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Eine Überweisung nach Hause, bitte

Eine Überweisung nach Hause, bitteRiha

Jährlich fließen weit über 300 Milliarden Dollar als Entwicklungshilfe in die Herkunftsländer von Emigranten.

Neue Schulen in Bosnien, ein Krankenhaus in Mexiko – was klingt wie Hilfsprojekte einer Non-Profit-Organisation, ist in Wahrheit der Verdienst ausgewanderter Familienangehöriger. Auch die Wirtschaft des Herkunftslandes profitiert stark von den Rücküberweisungen von Emigranten.
Die Vorstellung, dass Überweisungsgelder die Wirtschaft eines Landes nachhaltig verändern können, mag auf den ersten Blick sehr optimistisch klingen. Tatsache ist jedoch, dass die jährlichen Geldflüsse enorme Beträge ergeben, ohne die gewisse Länder wohl nicht mehr überlebensfähig wären.
Laut einer vom Internationalen Währungsfonds (IWF) veröffentlichten Studie ergeben Rücküberweisungsgelder nach Bosnien und Herzegowina beispielsweise fast ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes, in der Republik Moldau, dem ärmsten Land Europas, gar 29 Prozent. Schätzungen gehen gar davon aus, dass unter Berücksichtigung informeller Kanäle sowie Miteinbeziehen von Sachgütern und Ähnlichem die Höhe der Rücküberweisungen gar doppelt so hoch ist wie das Bruttoinlandsprodukt.
Seit 1995 übertrifft die Höhe der internationalen Rück­überweisungen nicht nur jedes Jahr die Geldflüsse der Entwicklungszusammenarbeit, sie steigt auch kontinuierlich an. Die Entwicklungszusammenarbeit geht jedoch bisweilen auch zurück beziehungsweise weist sie ein deutlich langsameres Wachstum auf. Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, „dass die Rücküberweisungen auf den Bedarf der Empfängerhaushalte reagieren und nicht auf die Konjunktur in den Migrationsländern“, so August Gächter, Entwicklungstheoretiker an der Universität Wien.

Gezielte Investitionen
Sogenannten Diasporarücküberweisungen kommt tatsächlich oft eine kompensatorische Funktion für die Ausfälle des Staates zu. Die Geldmittel unterstützen so vielseitige Bereiche wie Bildung und Wissenschaft, Gesundheitswesen, Straßenbau und Infrastruktur, Geschlechtergleichstellung oder humanitäre Hilfe. Kurz gesagt: Bereiche, die bei der staatlichen Förderung zu kurz kommen.
Speziell jene Länder, deren Staat entweder durch Kriege geschwächt ist beziehungsweise noch mit den Folgen eines Krieges oder anderweitigen Krisen zu kämpfen hat und deshalb den Anforderungen der Infrastruktur nur mangelhaft nachkommt, profitieren deshalb von Diasporarücküberweisungen. Bei relativ stabilen Ländern, wie zum Beispiel Ägypten, deren Emigranten oft der oberen Mittelschicht angehören, fließen die Zahlungen oft in gewinnbringende Investitionen oder prestigeträchtige Projekte wie Bildung und Wissenschaft. Ebenfalls ein großer Anteil der Rücküberweisungen geht an individuelle Investitionen, im Speziellen an Immobilien.
Da die Diasporagemeinden naturgemäß ein wesentlich profunderes Wissen über ihre Herkunftsländer haben als internationale Hilfsorganisationen, können sie mit diesem Know-how gezielt Projekte durch Direktspenden unterstützen oder gar aufbauen. Dabei fallen auch keinerlei Kosten für den Organisationsapparat an, wie dies bei den meisten NGOs der Fall ist.

Entwicklung und Quellländer
Mit ein Grund für das starke Wachstum bei Rücküberweisungen ist der ebenfalls große Anstieg des Migrantenanteils an der weltweiten Gesamtbevölkerung. Dieser ist in den letzten 40 Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen. Laut Weltbank betrug der offizielle Geldfluss 1995 noch gut 100 Mrd. Dollar. Inzwischen hat sich dieser Betrag schon mehr als verdreifacht, wobei gut zwei Drittel des Betrages in Entwicklungsländer fließen.
Laut der Weltbank kommt das Gros an Geldmitteln dabei aus den USA, die mit über 42 Mrd. Dollar klarer Spitzenreiter sind. Weit abgeschlagen folgen Saudi-Arabien mit circa 15 Mrd. sowie die Schweiz und Deutschland mit knapp 14 beziehungsweise zwölf Mrd. Die Schwankungsbreite ist bei diesen Daten übrigens noch relativ hoch, da die Geldflüsse generell schwer überschaubar sind und die Berücksichtigung von eingebürgerten Migranten oder etwa Sachgütern eine Abweichung im Endergebnis zur Folge haben kann. Laut der Eurostat liegen die Geldflüsse aus Österreich somit bei kaum 800 Mio., während von der Weltbank etwa der doppelte Betrag genannt wird.
In Österreich ist der Zusammenschluss zu Diasporagemeinden, die gezielte Entwicklungshilfe leisten, noch weniger verbreitet, gerade deshalb läge in solchen Organisationen gemäß der erhobenen Daten noch enormes Potenzial.

Problem der Nachhaltigkeit
Doch auch bei den Diasporarücküberweisungen besteht dieselbe Gefahr wie bei herkömmlicher Entwicklungshilfe: Die externen Geldflüsse können wiederum neue Abhängigkeiten schaffen. Denn wesentlich nachhaltiger als nur Geld zu schicken, wäre es freilich, Arbeitsplätze zu schaffen und somit finanzielle Unabhängigkeit zu fördern. Tatsächlich ist Nachhaltigkeit der Prüfstein für jegliches Projekt.
In der mexikanischen Provinz Zacatecas entstand deshalb die Initiative Tres por uno („Drei für einen“). Ziel dieses Programms ist es, Rücküberweisungen in nachhaltige, produktive Projekte zu kanalisieren. Dabei legen der Staat und die jeweilige Gemeinde pro Rück­überweisungsdollar jeweils noch einen Dollar dazu. Der Vorteil liegt hierbei nicht nur in der Verdreifachung des Betrages, sondern in der strukturell forcierten Kooperation zwischen Diasporagemeinden, den Gemeinden und der Regierung. „Synergieeffekte und Lernprozesse, die aus dem Zusammentreffen der Interessengruppen entstehen, sind ihr eigentlicher Gewinn“, heißt es in einem Dossier des HWWI (Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut). Denn selbst dieses Programm konnte bisher trotz großer Erfolge noch „keinen Anstoß für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geben“.
Allein dadurch, dass die Gel­der bei Rücküberweisungen ohne Umwege über eine Organisation direkt an die Empfänger gehen, ist die Unterstützung um einiges effektiver. Darüber hinaus ließe sich laut diverser Studien durch besseren Austausch zwischen Diasporagemeinden, der Politik sowie anderen Hilfs­organisationen die Effizienz der Entwicklungshilfe allgemein erheblich steigern.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Das menschliche Streben nach Gewinn und Besitz

Das menschliche Streben nach Gewinn und Besitz

Kauflaune in der Krise. Dinge, die man nicht kaufen kann.

Mit seiner meisterlichen Erzählung Wieviel Erde braucht der Mensch? (1886) gelang Leo Tolstoi eine zeitlose, eindrucksvolle Parabel auf das menschliche Streben nach Gewinn und Besitz: Als der Bauer Pachom ein kleines Stück Land kauft, fühlt er sich „stolz und glücklich“. Von Habgier getrieben will er schon bald so viel Land kaufen, als er von Sonnenaufgang bis -untergang zu Fuß umrunden kann. Mit der Bemessung seines künftigen Besitzes überschätzt er seine Kräfte. Als er ein sehr großes Stück Land umschritten hat, bricht er vor Erschöpfung tot zusammen. „Der Knecht nahm die Hacke, grub Pachom ein Grab, genau so lang wie das Stück Erde, das er mit seinem Körper, von den Füßen bis zum Kopf, bedeckte – sechs Ellen –, und scharrte ihn ein.“ Die komische Tragik Pachoms liegt in seinen einseitigen Wertvorstellungen. Nur Besitz hält er für erstrebenswert. Andere Ziele, etwa geistigen Besitz, also Bildung, oder dem Leben Unterhaltungswert abzugewinnen haben für ihn keine Bedeutung. Auch fehlt ihm das Talent zur
Bescheidenheit oder anders formuliert: Ihm geht der Sinn für eine realistische Selbsteinschätzung ab.
Weihnachten rückt näher. Smart-Shopping macht Pause. Der Krise zum Trotz stürzen sich in dieser Hochzeit des Konsums wieder Heerscharen in festlich dekorierte Fußgängerzonen und tappen auf ihrer Schnäppchenjagd in alle Sinne des Käufers umzingelnden Konsumtempeln hilflos in Rabattfallen. Und für viele zählt eben auch nur das Haben – und nicht das Sein. Same procedure as every year. Die Verbraucher hoffen auf eine Stabilisierung der Konjunktur und lassen sich die Kauflaune nicht verderben. Dass die Finanz- und Wirtschaftskrise unser Wertesystem massiv verändert habe, will man nicht glauben. Weihnachten beginnt schon im Oktober und endet dann, wenn alle pleite sind. Typisch kapitalistisches Konsumdenken eben! Gleichwohl werden die Geschenke unter dem Christbaum heuer bescheidener ausfallen als im Vorjahr: Durchschnittlich 272 Euro wollen die Österreicher für Weihnachtsgeschenke ausgeben, was im Vergleich zu 2008 ein Minus von 16 Euro oder sechs Prozent ist. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Beraters Ernst & Young. Vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise wurden im Jahr 2007 noch 326 Euro für Geschenke ausgegeben. Im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz sind die heimischen Christkinder allerdings spendabel. Beim Geschlechtervergleich wurde festgestellt, dass die Frauen heuer nicht sparen wollen und 267 Euro ausgeben möchten (2008: 265 Euro). Die Männer wollen hingegen deutlich sparen und lediglich 279 (2008: 322) Euro ausgeben. Geschenkt werden sollen,so die Prognosen der Marktforscher, vor allem Geld, Geschenkgutscheine und Bücher.
Barcodes und Preisschilder, die kleinste, komprimierte Einheit des Konsums, auf die beim Kauf lange geschaut und beim Schenken tunlichst verzichtet wird, gibt es Gott sei Dank nicht für alles. Was kostet beispielsweise eine Küste? Das Tankerunglück der Exxon Valdez war tragisch – und warf eine komplizierte Frage auf: Was kosten Dinge, die man nicht kaufen kann? Wie das Lachen eines Kindes, der Gesang eines Rotkehlchens oder eine Stunde Nichtstun? Reich werden heute nicht die Menschen, die quantitativ, sondern qualitativ, nachhaltig und immateriell konsumieren. Was auch immer. Und in bewusster Abkehr schnelllebiger Lebensentwürfe. Auf den Punkt brachte diese fatale Weltanschauung, weit verbreitet in den Gehirnen der Verantwortlichen von Finanz- und Wirtschaftskrise, übrigens Albert Einstein: „Manchmal zahlt man den höchsten Preis für Dinge, die man umsonst haben könnte.“

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Die Preisfrage: Was ist was wert?

Die Preisfrage: Was ist was wert?Photos.com

Der Preis ist ein rationales Bewertungskriterium? Wer das glaubt, hat die Rechnung ohne den Menschen gemacht.

Werber sagen: Der Preis ist heiß. Markttheoretiker sagen: Der Preis ist gerecht. Konsumpsychologen wissen: Der Preis ist nicht alles. Denn der Mensch kauft, handelt und entscheidet nur selten vernünftig. Theoretisch ist alles ganz einfach: Der eine hat, der andere sucht, und wenn sie sich finden, wird ein Geschäft daraus.
Das Modell ist so alt wie die Menschheit und so simpel wie der Mechanismus einer Kinderwippe. Lehrbücher verdeutlichen es gern anhand zweier Parabeln: Angebot steht an der einen, Nachfrage an der anderen, und der Punkt, an dem sich beide treffen, ist der Preis. So weit die Theorie. Leider erklärt sie nicht, wie es passieren kann, dass Produkte immer billiger werden, obwohl sie doch einen bestimmten Wert haben.
Wieso denselben Verbrauchern, die bei Alltagsartikeln um jeden Cent feilschen, manche Dinge gar nicht kostspielig genug sein können? Warum Produkte scheitern, weil sie billig sind?

Ruinöse Preisspirale
Die Industrie wird die Macht der Preise noch lange spüren, denn der Ausweg aus der ruinösen Spirale wird immer schwerer. Wieso sollte ein Autokäufer auch jemals wieder 35.000 Euro zu zahlen bereit sein, wenn er das letzte Auto um 25.000 Euro bekommen hat? Wie lässt sich dem Gast im Luxushotel erklären, dass sein Zimmer heute 300 und morgen 99 Euro kostet? Woran soll sich der Konsument überhaupt noch orientieren, wenn sich nicht einmal der Verkäufer um den wahren Wert seiner Ware schert? Ja, der Wettbewerb ist hart, und ohne Anreize und Signale, die von einem guten Preis ausgehen, wird es kaum gehen.
Gut heißt aber nicht beliebig. Und schon gar nicht billig. Einfach nur günstig oder günstiger als die Konkurrenz sein zu wollen, zeugt weder von einer originellen Idee noch von einer profunden Preisstrategie. Was die Preisfrage so kompliziert macht, ist die Natur des Menschen. Er verhält sich einfach selten rational. Auch und gerade wenn es um Geld geht. Die Welt ist viel zu komplex, um sie wirklich zu erfassen, und weil das so ist, greift der Mensch zu einem Trick: Singuläre Ereignisse werden generalisiert, etwas einmal Erlebtes als allgemeingültig interpretiert.

Preis und Wert entkoppelt
Der Kunde ist nicht halb so clever, wie er glaubt. Er lässt sich von Empfindungen statt von Analysen leiten. „Nicht das objektive Angebot bestimmt das Verhalten der Konsumenten“, erklärt Konsumtheoretiker Werner Kroeber-Riehl, „sondern das subjektiv wahrgenommene Angebot.“ Wert ist, was der Kunde dafür hält.
Professionelles Pricing, so hat es McKinsey definiert, ist etwas anderes als ein richtiger Preis. Es ist der Prozess, der hilft, zur richtigen Zeit den richtigen Preis zu definieren. Wer den Prozess beherrscht, bewegt den stärksten aller Hebel. Denn er schafft keine Preise, sondern Werte – zum angemessenen Preis. Und das nützt Kunden wie Unternehmen.

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Die Bürde des Eigentums

Die Bürde des EigentumsKilian Kada

Der Drang, Dinge zu besitzen und anzuhäufen, ist Natur und Last zugleich.

Menschen folgen ihrem Instinkt, und ein sehr starker Instinkt ist sonderbarerweise der Drang nach Aneignung und Anhäufung von Eigentum. Die verschiedenen Erklärungsversuche, warum das so ist, reichen von der Religion über die Naturwissenschaft bis zur Sozialpsychologie, der Politiktheorie und natürlich der Ökonomie.
Eigentum, das ist laut Hegel ein Privatrecht, dem eine soziale Prämisse zugrunde liegt. Es sei jedem überlassen, sich im Rahmen eines Rechts zur Verfügung über Sachen Dinge anzueignen, sie zu besitzen und sie sein Eigentum zu nennen. Das sei die Freiheit des Individuums, solange sie in korrekter Relation zur Freiheit anderer Individuen stehe, nämlich deren Recht auf Eigentum nicht stört, zum Beispiel durch Diebstahl.
Unsere moderne Gesellschaft funktioniert nicht ohne diesen Eigentumsbegriff, er ist wesentliche Grundkonstante im gesamten Rechtssystem, in sozialen Interaktionen, im kollektiven Handeln, in der Ökonomie und die Basis für alles Gewinnstreben. Dieses Eigentumsbedürfnis nützt die moderne Warenwirtschaftswelt allerdings hemmungslos aus. Im steten Bemühen, mehr Bedürfnisse nach Besitz und Eigentum zu schaffen, knattern die Werbebotschaften auf die Allgemeinheit nieder.

Zum Vererben
Die Bedürfnisschaffung für dieses bedeutungslose Eigentum schafft in unserem System die perfekte Bedingung für das System der lohnabhängigen Arbeit. Die beherrschende Durchdringung des Eigentumsbedürfnisses in unserer Gesellschaft ist ein Übel.
Da gibt es zum Beispiel den altertümlichen Begriff der Grundbuchslasten. Jemand kauft ein Haus, eine Wohnung, auf Kredit, im Grundbuch ist die „Last“ vermerkt, die er jahrein, jahraus mit sich herumträgt. Bis ihm alles gehört, bis er darüber verfügt, vergehen Jahre und Jahrzehnte. Der Eigentumsmensch lebt mit der Last. Er trägt sein Eigentum mit sich durchs Leben, er will es bewahren, wenn nicht für sich, dann für seine Erben.
Natürlich, auch Armut und Besitzlosigkeit ist eine Last, darum ist einer, den Eigentum belastet, aus Sicht der Armen wohl ein Zyniker, ein Bohemien, ein Salonmarxist. Doch das Eigentum als Last beginnt ja erst dann, wenn es über die Grundbedürfnisse hinausgeht, wenn das Eigentum nur mehr um des Eigentums willen angehäuft wird, wenn man den Eigentumspredigern gehorcht.
Darum: Verkauft eure Echtholz-Wohnzimmergarnitur, euren Plasma-TV-Schirm, eure Häuser, packt einen Koffer und fahrt in die Welt hinaus.

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Der Genuss der Langsamkeit

Der Genuss der Langsamkeit

Alles muss heute schnell gehen: arbeiten und erholen, schlafen und essen. Letzteres „erledigen“ viele Menschen heute mit Fast Food. Dieser fatalen Entwicklung hat Carlo Petrini eine Philosophie des Genusses und einen langsamen, bewussten Lebensstil entgegengesetzt, als er 1986 in Bra im italienischen Piemont mit einer Handvoll Gleichgesinnter den Verein Slow Food gründete.
Keiner der Beteiligten dachte damals, dass sich aus ihrer Aktion gegen geschmackliche Verflachung durch industrielle Einheitsgerichte eine internationale Bewegung entwickeln würde. Petrini meinte, Lebensmittel sollen herausragend schmecken, ökologisch nachhaltig hergestellt werden und den Produzenten einen fairen Preis einbringen. Heute ist Slow Food in 130 Ländern mit rund 100.000 Mitgliedern vertreten. Durch Informationsarbeit, Verkostungen, Geschmacksschulungen, Veranstaltungen und vieles mehr versuchen wir, bei Erwachsenen und Kindern ein Bewusstsein für Qualität, Aroma, Duft und Geschmack von Lebensmitteln zu schaffen. Slow Food fördert das Lebensmittelhandwerk, kleine Betriebe, die bodenständige Gastronomie und die Hersteller von naturnahen, regionaltypischen Lebensmitteln.
Doch all das spielt sich vor dem Hintergrund der weiter rasant abnehmenden Artenvielfalt im Pflanzen- und Nutztierbereich ab. Deshalb setzt sich Slow Food auch mit Nachdruck für Biodiversität, biologische Vielfalt und Regionalität ein. Ende Oktober präsentierten wir in Wien die „Terra Madre Austria“. Diese Veranstaltung ist Teil des von Slow Food International initiierten weltumspannenden Netzwerks zur Verteidigung der Biodiversität und der Vielfalt bäuerlich und handwerklich produzierter Lebensmittel. Der „Markt der Vielfalt“ im Arkadenhof des Wiener Rathauses lud ein zum Genießen mit allen Sinnen: zum Schauen und Riechen, zum Probieren und Gustieren. Bauern und Bäuerinnen aus ganz Österreich, Käsemacher, Winzer und Bäcker brachten ihre hervorragenden Produkte – vom Vorarlberger Bergkäse bis zu Gemüseraritäten, von der Elsbeerschokolade bis zu erlesenen Weinen.
Doch Slow Food richtet sich nicht nur gegen Fast Food, sondern allgemein gegen das hektische Treiben unserer Zeit, gegen den vorherrschenden universellen Tempowahnsinn, gegen das Fast Life allgemein. Wir Menschen müssen uns von dieser uns vernichtenden Beschleunigung befreien und zu einer uns gemäßen Lebensführung zurückkehren. Es geht darum, das Geruhsame, Sinnliche gegen die universelle Bedrohung durch das Fast Life zu verteidigen. Deshalb setzen wir gegen diejenigen, die Effizienz mit Hektik verwechseln, den Bazillus des Genusses und der Gemütlichkeit und versuchen damit, zu einer geruhsamen und ausgedehnten Lebensfreude zurückzufinden.
Barbara van Melle ist Journalistin und Obfrau des Vereins Slow Food Wien.

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Barbara van Melle, Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Der Code des Lebens löst viele Fälle

Der Code des Lebens löst viele Fälle

Die Entschlüsselung dessen, was den Menschen physisch gesehen ausmacht, dient der modernen Gerichtsmedizin auch dazu, Verbrechen aufzuklären und effizient gegen Terrorangriffe vorzugehen.

Spätestens seit Serien wie CSI oder den Bestsellern des Krimiautors Simon Beckett kann sich auch der Durchschnittsbürger zumindest ansatzweise vorstellen, was Wissenschafter in der Forensik leisten – nicht nur Leichen identifizieren, sondern anhand der DNA zur Überführung von Tätern beitragen.
Hierzulande steht ein neues, sehr erfolgreiches forensisches Projekt kurz vor seiner Finalisierung. „Dnatox“, so lautet der Name, ist ein Forschungsprojekt des vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie geförderten nationalen Sicherheitsforschungs-Förderprogramms Kiras. Es wird vom Cemit Center of Excellence in Medicine and IT administrativ geführt, einer Innsbrucker Einrichtung, die Großforschungsprojekte an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft initiiert und koordiniert.
Geleitet wird Dnatox von Richard Scheithauer, dem Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck: „Im Projekt Dnatox ging es darum, die wissenschaftlichen Grundlagen für die Verwendung neuer technischer Verfahren in der DNA- und Toxin-Analyse zu legen. Dabei sind wir, nicht zuletzt dank der guten Zusammenarbeit der Projektpartner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Behörden, ein gutes Stück vorangekommen.“

Experimentelles Verfahren
Die Wissenschaftler haben im Rahmen von dnatox eine Technologie aufgebaut und erprobt, die bisher noch nicht in der Forensik zum Einsatz kam. Die Methode wird als Ionenpaar-Umkehrphasen-Hochleistungsflüssigkeitschromatografie-Elektrospray-Ionisations-Massenspektrometrie (Icems) bezeichnet. Sie beruht auf der Bestimmung der molekularen Masse von DNA-Molekülen, die Kopien eines spezifischen Teilabschnitts des zu untersuchenden Genoms (sogenannte Marker) darstellen. Vereinfacht ausgedrückt werden bei dieser Methode charakteristische Abschnitte der menschlichen DNA quasi „abgewogen“, also anhand ihrer Masse zugeordnet. Da die einzelnen DNA-Bausteine unterschiedliche molekulare Massen aufweisen, können Unterschiede in der DNA durch das „Abwiegen“ der DNA-Moleküle erkannt werden. Dieses derzeit noch experimentelle Verfahren könnte in Zukunft enorme Vorteile gegenüber dem konventionellen Verfahren zur Erstellung von DNA Profilen bieten, da Personen mit größter Sicherheit identifiziert werden. Bislang werden bei der herkömmlicherweise in der Forensik angewandten Methode DNA-Marker anhand ihrer Länge (also der Summe aller Bausteine) unterschieden und zugeordnet. Mit der unter anderem an der Gerichtsmedizin Innsbruck entwickelten Methode lassen sich nun zusätzlich zu den Längenunterschieden Unterschiede in der Zusammensetzung dieser Fragmente feststellen.
Diese erhöhte Genauigkeit kommt wiederum dem primären Einsatzgebiet der Forensik, dem Erkennen von Differenzen zwischen DNA-Proben, sehr entgegen. Zum Beispiel wenn es darum geht, die am Tatort eines Verbrechens gefundene DNA mit dem DNA-Profil eines Verdächtigen in einer forensischen Datenbank zu vergleichen. „In der Forensik versuchen wir, Personen anhand von DNA-Markern zu identifizieren. Durch die Verwendung der Massenspektrometrie gewinnen diese DNA-Marker zusätzliche Unterscheidungsmerkmale. Das erhöht die statistische Aussagekraft eines übereinstimmenden DNA-Profils zwischen dem Tatort und einer verdächtigen Person“, erklärt Walther Parson. Das heißt, mit dieser Methode kann man wirksam Zufallstreffer vermeiden, die sich aufgrund der stark wachsenden internationalen DNA-Datenbanken künftig ergeben könnten.

Neue Technologie
Das konventionelle Verfahren in der Forensik stellt die sogenannte Elektrophorese dar. Diese Technologie macht sich zunutze, dass unterschiedlich lange DNA-Fragmente unterschiedlich schnell in einem elektrischen Feld wandern. Das heißt, durch Bestimmen der Wandergeschwindigkeit von DNA-Molekülen lässt sich deren Länge bestimmen. Informationen über die Zusammensetzung lassen sich daraus aber nicht direkt gewinnen.
Die Technologie, die Walther Parson und Herbert Oberacher im Rahmen von Dnatox am Innsbrucker Institut für Gerichtsmedizin erprobt haben, beruht auf einem gänzlich anderen Prinzip als die Elektrophorese. Icems besteht aus zwei Methoden, die gewinnbringend miteinander kombiniert werden. Zum einen besteht die Technologie aus einem chromatografischen Verfahren, welches DNA-Fragmente aufreinigt und trennt. Das Herzstück von Icems ist die Massenspektrometrie. Sie dient zur eigentlichen Charakterisierung der DNA-Fragmente. Durch das dabei durchgeführte „Abwiegen“ der DNA können nicht nur Längenunterschiede erkannt werden, sondern auch Unterschiede in der Zusammensetzung der Bausteine. Diese Kombination ist in der Chemie und in der Toxikologie bekannt, wird aber bisher nicht zur Analyse von DNA verwendet.

Umfangreiche Forschung
Damit konnte das wissenschaftliche Team von Dnatox beweisen, dass die von ihm wesentlich weiterentwickelte Methode der „konventionellen“ Elektrophorese in nichts nachsteht. Im Gegenteil: Es wurde gezeigt, dass ICEMS in vielen Aspekten sogar zusätzliche Vorteile bietet. Als konkretes wissenschaftliches Ergebnis wurde unter anderem eine sogenannte Multiplex für Icems erstellt. Eine Multiplex ist die Voraussetzung dafür, dass mehrere Marker gleichzeitig untersucht werden, sodass auch dann ein DNA-Profil erstellt werden kann, wenn eine geringe Spurenmenge für eine Vielzahl von Einzelexperimenten nicht ausreichen würde.

INFO
Die Cemit Center of Excellence in Medicine and IT ist ein international tätiges Manage­mentzentrum im Bereich Medizin, Gesundheit und Health IT. Cemit initiiert und koordiniert seit 2002 nationale und internationale Großforschungs- und Verbundprojekte mit Partnern aus der Wissenschaft und Industrie. Diese laufen im Rahmen europäischer Förderprogramme sowie in nationalen Programmen zur Strukturförderung wie Comet und Kiras und in Initiativen zur Vernetzung von Forschung wie Gen-Au.

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Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Forschungsuniversum vor Ort

Forschungsuniversum vor OrtEdition Lammerhuber/ÖAW-Verlag

Publikation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften macht auf die heimische Wissenschaft aufmerksam.

Wie schauen Wissenschaftler eigentlich aus? Tragen sie die ganze Zeit über weiße Kittel und verderben sich ihr Augenlicht vor Computern sitzend oder in diverse Mikroskope schauend? Sind Forscher am Ende gar Schreibtischtäter?
Um all diese Klischees ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, hat der Innsbrucker Biologe Günter Köck gemeinsam mit seinem Kollegen Werner Piller ein umfangreiches Sachbuch herausgebracht, dessen Bildteil mit tatkräftiger Unterstützung des renommierten Fotografen Lois Lammerhuber schlussend­lich auch ins rechte Licht gerückt wurde.
Als Basis der über 400 Seiten schweren Publikation fungierte der Arbeitsalltag von mehr oder weniger bekannten österreichischen Wissenschaftlern, die im Dienste der Forschung durchaus bereit sind, auch schwerste körperliche Strapazen auf sich zu nehmen. Günter Köck: „Mit dem Buch verfolgen wir zwei Dinge: erstens Spitzenforschung in Österreich und die Menschen dahinter anschaulich zu präsentieren. Es gibt abseits von einigen bekannten Starforschern auch noch viel mehr State­-of-the-Art-Forschung in Österreich und viele Top-Leute, die es verdienen, ins Rampenlicht gerückt zu werden. Und unser zweites Anliegen ist es, Jugendliche für die Forschung zu begeistern.“ Das Ergebnis: In 33 Kapiteln werden in Planet Austria, so der Titel des Buches, 58 Projekte aus sieben internationalen Forschungsprogrammen, die vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung finanziert und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften koordiniert werden, präsentiert. „Wir haben versucht, einen repräsentativen Querschnitt an wissenschaftlichen Top-Themen aufzubereiten“, so Köck.

Forschung vermitteln
Die Texte dazu stammen aus persönlichen Interviews und sollen nicht nur die Arbeit, sondern auch die Menschen dahinter zeigen.
Planet Austria soll, geht es nach den Wünschen der Verfasser, primär Schülerinnen und Schüler ab dem 14. Lebensjahr erreichen und darf deshalb auch in keiner Schulbibliothek fehlen. Besonderes Special dabei: Alle im Buch präsentierten Forscher haben sich bereit erklärt, bei Rückfrage beziehungsweise Interesse von Schulklassen auch persönlich zur Verfügung zu stehen und in die einzelnen Schulen zu gehen, um vor Ort Rede und Antwort zu stehen. So und nicht anders wird Wissenschaft greifbar.

Buchtipp
Günter Köck, Lois Lammerhuber und Werner E. Piller:
„Planet Austria“
Edition Lammerhuber/Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 49 Euro
ISBN: 978-3-7001-6627-6

Geballtes Wissen
Ecomont präsentiert sich als Vermittler von alpiner Forschung. Am Anfang stand die Idee, eine Zeitschrift herauszugeben, die all das Wissen über alpine Forschungstätigkeit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Mittlerweile haben sich die Ausgaben von Ecomont, einer gemeinschaftlichen Publikation der Netzwerk Alpine Schutzgebiete (Alparc) und des Internationalen Wissenschaftlichen Komitees Alpenforschung (Iscar), auf dem wissenschaftlichen Markt etabliert. Federführend und koordinierend agiert hierbei die Innsbrucker Forschungsstelle für Gebirgsforschung (IGF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

ÖAW-Forschung im Überblick
• Alpenforschung. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Klimawandel, Wasser, Verkehr, Naturkatastrophen, Biodiversität, Sozioökonomie und die Geowissenschaften.

• Geophysik der Erdkruste. Gefördert werden Projekte der angewandten, ober­flächennahen Geophysik wie die Interpretation von Potenzialfeldern und das Modellieren von elektromagnetischen Daten.

• Global-Change-Programm.
In diesem Programm sind drei internationale Forschungsnetzwerke zusammengefasst: International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP), World Climate Research Programme (WCRP) und International Human Dimensions Programme (IHDP). Gefördert werden Projekte zur Erforschung des globalen Umweltwandels.

• Hydrologie Österreichs.
Schwerpunkte des Unesco-Programms bilden derzeit die Bereiche Bodenfeuchte, Modellierung und Vorhersage von Niederschlägen.

• International Strategy for disaster reducation.
Hier werden Projekte zur Erforschung der Gründe und Risiken von Naturgefahren, zur Entwicklung von Methoden der Früherkennung natürlicher Katastrophen sowie zur Erarbeitung vorbeugender Maßnahmen gefördert.

• International Geoscience Programme. Gefördert werden in diesem Programm Kooperationsprojekte zu von der Unesco genau definierten Forschungsschwerpunkten wie Quartärgeologie, Umwelt- und Ingenieurgeologie, Sedimentologie, mineralische Lagerstätten, Geochemie, Geophysik und Struktur­geologie.

• Kommission für die Koordination der Kernfusionsforschung in Österreich.
Förderung von vielen Projekten im Technologiebereich.

• Man and Biosphere Programme. Dieses spezielle Unesco-Programm entwickelt wissenschaftliche und anwendungsorientierte Grundlagen im Bereich der Natur- und Sozialwissenschaften, die der langfristigen Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Artenvielfalt dienen.

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Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Das zweite Hemd

Das zweite HemdPhotos.com

Von Altkleidern über Schrottautos, Elektronikmüll bis hin zu abgelaufenen Medikamenten: Die Dritte Welt, insbesondere Afrika, liegt am Ende der Konsumkette. Und der reiche Westen verdient auch noch dran.

In Afrika gibt es im Wesentlichen zwei Sorten von Moden: Die eine ist die traditionelle, meist farbenprächtige Kleidung, die alle möglichen Erscheinungsformen hat, seien es gefärbte Wickeltücher wie Kitenge oder Kanga, Kaftans in vielfältiger Ausprägung je nach kulturellem Einfluss und Erbe, und elegante weiße Stoffroben für feierliche Anlässe.
Die zweite Modeerscheinung in Afrika ist Mitumba, etwas zynisch auch als „Hemd des toten weißen Mannes“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um Kleider aller Art, die per Altstoffsammlung den Weg auf den Schwarzen Kontinent gefunden haben. Mitumba ist ein großer Industriezweig geworden, seitdem es karitative und kommerzielle Organisationen aus der Ersten Welt verstanden haben, die Altkleidersammlung nicht nur kostendeckend zu gestalten, sondern auch kräftig Gewinn daraus zu schlagen.
Der in Dubai ansässige Erdöltechniker Richard Hirons berichtet von seinem letzten Nigeriaauftrag. In Port Harcourt, dem geschäftigen Ölzentrum im Süden des Landes, gibt es einen großen Okrika-Markt (Okrika ist das westafrikanische Äquivalent zu Matumba). „Die Leute wissen, dass die Klamotten allesamt Second-Hand-Ware aus Europa und Amerika sind, aber erstaunlicherweise – und trotz der Bannversuche der Regierung, die um die einheimische Textilindustrie fürchtet – ist der Markt der belebteste.“
Junge Nigerianer beweisen, dass der Konsumentenappetit auf das „Hemd des toten weißen Mannes“ groß ist. Man sieht Jugendliche mit T-Shirt herumlaufen, auf denen die Markenlogos westlicher Konzerne, Banken und Vereine zu lesen sind. Was hier als ungewünschter Werbeartikel zum Müll wandert oder als Küchenfetzen benutzt wird, trägt der junge Nigerianer mit Hingabe, etwa das knallgelbe „Postbank“-T-Shirt in Kombination mit der zu weiten ausgeleierten Gabardine-Hose, die schon bessere Zeiten gesehen hat.

100 Euro für eine Tonne
Mitumba-Märkte sind meistens die letzte Station in der Wertschöpfungskette von Altkleidern, die man zum Beispiel in den Humana-Container im Beserlpark in Wien einwirft. Von dort werden die Kleider gesammelt, tonnenweise verpackt und verschifft – nach Mozambique, Angola, Nigeria und an andere große Cargo-Häfen an Afrikas Küste.
Wurde die Ware früher noch in Europa sortiert und gerei­nigt, wird dies heute größtenteils von Subunternehmern übernommen, die auf dem Weg liegen: In Nordafrika oder in Dubai. In Afrika werden die Container von ansässigen Handelsunternehmen in Empfang genommen und in den kommerziellen Kreislauf gebracht.
Diese Verschiffung von Altkleidern wird seit etwa zehn Jahren betrieben, und natürlich hat sich seitdem ein Marktpreis für die Ware gebildet. Für eine Tonne unsortierter Altkleider wird von Händlern derzeit zwischen 100 und 150 Euro bezahlt, für eine Tonne gebrauchte Schuhe gibt es bis zum Dreifachen des Altkleiderwertes. Da zuletzt die Spendierfreudigkeit der Europäer im Zuge der Finanzkrise etwas abgenommen hat, sind die Preise zuletzt wieder ein klein wenig gestiegen.
„Als der Import von gebrauchter Kleidung vor etwa zehn Jahren im wirklich gro­ßen Stil anlief, hatte das verheerende Auswirkungen auf die afrikanische Textilindustrie, zahl­reiche Fabriken haben seither geschlossen“, kritisiert Neil Kear­ney von der internationalen Textilarbeitergewerkschaft ITGLWF. Die Import-Ramschware, von der die „karitativen“ Organisationen profitieren, würden die Bemühungen der afrikanischen Staaten, eine eigene Textilindustrie aufzubauen, wieder zunichtemachen.
Stimmt nicht, kontern die Vertreter von Humana und Co. Der Altkleiderhandel in Afrika gebe vielen Menschen Arbeit und vermittle wirtschaftliches Know-how. Außerdem würde der Markt sonst eben von billiger Ware aus China überflutet, denn die Eigenproduktionen von Textilien in Afrika seien in den seltensten Fällen gegenüber der großindustriellen Produktion preis- und qualitätsmäßig konkurrenzfähig.
Wie auch immer, Tatsache ist, dass man sich angesichts dieses kommerziellen Kreislaufs durchaus fragt, wo denn der karitative Zweck des Ganzen abgeblieben ist. Ein gebrauchtes Gucci-T-Shirt mit Glitzerkristallen („Made in Italy“) ist auf einem der zahlreichen Matumba-Märkte in Dar-Es-Salaam ab ungerechnet einen Dollar zu haben, wie der Autor dieser Zeilen im September feststellen konnte. Allerdings auch nur, wenn man sich in einheimischer Begleitung befindet. Für Touristen oder generell allein reisende Weiße werden unverschämte zehn Dollar für das nicht einmal gewaschene, höchstens gelüftete Textil veranschlagt. Okay, das Original im Gucci-Laden daheim kostet 70 Euro.
Ein noch weitaus sensibleres Problem ist der florierende Export von Elektronikschrott in die Dritte Welt, ebenfalls überwiegend nach Afrika. Das beginnt bei elektronischen Bau- und Ersatzteilen und endet bei gebrauchten Computern und Handys. Schwarze Schafe in der europäischen Industrie haben eine Marktlücke erkannt und deklarieren tatsächlichen Elektronikschrott häufig als Second-Hand-Ware, um sie sodann nach Afrika zu liefern. Dort werden die Elektronikteile in einfachen Workshops in der Nähe der großen Häfen ausgeschlachtet oder repariert, wobei den dortigen Arbeitern nicht bewusst ist, dass sie meistens auch mit giftigen Chemikalien zu tun haben. Vieles wird dann auch auf Müllhalden offen endgelagert und bleibt ein Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung.

Einfuhrstopp für Elektronik
Uganda hat aus diesem Grund im Oktober 2009 einen Einfuhrstopp für Gebrauchtcomputer verhängt, auch wenn diese aus noch so karitativen Absichten dorthin versandt wurden. Neben verschärften Kontrollen setzt auch Europa auf strengere Gesetze. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die veraltete Elektroschrottrichtlinie zu überarbeiten. Sie soll die Mitgliedsländer dazu verpflichten, weitaus mehr Elektrogeräte zu recyceln. Außerdem soll der illegale Handel dadurch eingeschränkt werden, dass gebrauchte Geräte vor ihrem Export zertifiziert werden müssen. So sollen keine Schrottprodukte mehr in Entwicklungsländern landen.
Die ganze Action erfolgte erst, nachdem Greenpeace im vergangenen Jahr heimlich den Weg eines defekten Fernsehers von England nach Nigeria mithilfe eines versteckten GPS-Senders verfolgt hatte. Das Gerät, das beim Zerlegen Quecksilber, Blei und Cadmium freisetzt, hätte nicht dorthin exportiert werden dürfen.
Letztes Jahr hat Greenpeace in der Studie Poisoning the Poor gezeigt, dass europäischer Elektronikschrott Deponien in Ghana vergiftet. „Greenpeace hatte in diesem Jahr zwei zugängliche Schrottplätze in Ghana untersucht, einen davon in der Hauptstadt Accra. Wie sich herausstellte, wahre Giftmülldeponien. Erd- und Sedimentsproben ergaben eine teuflische Mischung aus Blei, Kadmium, chlorierten Dioxinen und anderen hochgiftigen Chemikalien. Ähnliche Giftmischungen hatte Greenpeace bereits zuvor auf Plätzen in China und Indien nachgewiesen“, so Simone Wiepking von Greenpeace Deutschland.
Afrika ist aber bei Weitem nicht die einzige Gegend, diemit diesen Problemen klarkommen muss. Als der Autor letztes Jahr im Zuge einer monetären Ebbephase alte Elektroniksachen wie Schaltgeräte, Uralt-Lautsprecherboxen und Verlängerungskabel beim Second-Hand-Händler in Wien-Gumpendorf verscherbelte und verwundert wissen wollte, ob sich dafür je Käufer finden werden, fiel die lakonische Antwort: „Das Zeug schicken wir sowieso zum Kilopreis nach Kuba.“

Unendliche Kette
Na gut, wenigstens hat mich die Aussicht besänftigt, dass ein begnadeter kubanischer Bastler die 20 Jahre alten Philips-Lautsprecher wieder zum Leben erweckt und aus ihnen fortan liebliche Rumba-Rhythmen durch Havannas Gassen tönen. Dennoch: Der Weg unserer Konsumgüter ist sonderbar, und die Wertschöpfungskette offenbar unendlich.
Ein anderes Thema ist der rege Handel mit Second-Hand-Autos (oder besser Altautos) mit der Dritten Welt. Für Ostafrika und Mittelasien ist Dubai der größte Umschlagplatz, und bekannt dafür sind die zahlreich abgehaltenen Autoschnellauktionen. Auf diesen werden an mehreren Tagen pro Woche Autos jeder Qualität zur Versteigerung angeboten und die allermeisten Vehikel auch in Minutenschnelle an den Mann gebracht.
Mohammad Majid, ein Autohändler aus dem Sudan, ist regelmäßiger Gast auf den Dubai-Auktionen. Er deckt sich dort mit Fahrzeugen aller Art ein, für die auch nur die geringste Aussicht auf Profit besteht, wenn Auktionskosten, Verschiffung, Zoll und seine Provision abgedeckt sind. Den Weg, den die Autos nehmen, verläuft von Dubais Hafen Jebel Ali nach Djibouti, von wo aus die Autos dann über ganz Ostafrika weiterverteilt werden.
Um die technischen Gebrechen kümmert sich Mohammad dabei wenig: „Das wird von unseren Mechanikern in Karthum schon in Ordnung gebracht.“ So steigert er auf einen 15 Jahre alten Nissan, dem die Kotflügel traurig herabhängen und in dessen Fahrertür ein faustgroßes Rostloch prangt. Der Öamtc würde sich mit Grausen abwenden. Mohammad schreibt den Wagen zum Auktionspreis von 2000 Dir­ham (390 Euro) zufrieden auf seine Liste.
Die Verschiffung von Altautos in arabische Länder oder nach Afrika hat übrigens auch für zahlreiche Betrugsfälle bei der Abwrackprämie gesorgt. Für nicht wenige Händler aus Europa war dies eine willkommene Möglichkeit, um die Wracks loszuwerden.
Irgendwann sterben aber auch alte Autos. Dann landen sie meistens auf illegalen Deponien irgendwo in der Wüste oder der afrikanischen Steppe, wo Altöl, Korrosion und verrottender Kunststoff die Umwelt belasten.
Eine Entsorgungslösung wird unter der Hand im Emirat Sharjah angeboten. Wer ein altes Auto hat, das mit ein paar Kunstgriffen zumindest noch einige Meter fahren kann, der kann es einem Mittelsmann zur Verschiffung in den Irak, Afghanistan oder Pakistan übergeben. Dort werden die Autos dann mit Sprengstoff zugepackt und als rollende Bomben verwendet. Das ist kein Witz.

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

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