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04. Juli 2024

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Frauen mit exzellentem Potenzial

Frauen mit exzellentem PotenzialPhotos.com

Die Leistungen von Frauen in Wissenschaft und Forschung entsprechend zu würdigen und die Akteurinnen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, ist die Hauptintention von „For Women in Science“.

She Figures 2009, die aktuelle Publikation der Europäischen Kommission zum Status quo von Frauen in der Wissenschaft, macht einmal mehr klar: Europa ist noch weit entfernt von einer Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern. Zwar nimmt der Anteil der Doktorandinnen in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen zu, trotzdem sind europaweit lediglich 30 Prozent der Wissenschaftler und 18 Prozent der höchst dotierten Professoren Frauen – und das, obwohl die Anzahl der Wissenschaftlerinnen (6,3 Prozent) in Summe mehr steigt als die der Wissenschaftler (3,7 Prozent).
Wenig berauschend auch die Zahlen zum Wissenschaftlerinnenanteil in der Lehre: Demnach liegt dieser an den Hochschulen bei 37 Prozent, in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen bei 39 Prozent und in der industriellen Forschung sogar bei enttäuschenden 19 Prozent.

Exzellente Ergebnisse
Zur Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung, vor allem aber zur Sichtbarmachung von Frauen in der Forschung vergibt der internationale Kosmetikkonzern L’Oréal in Kooperation mit der Unesco seit mehr als einem Jahrzehnt Auszeichnungen und Stipendien für herausragende Leistungen von Wissenschaftlerinnen.
Seit drei Jahren ist „For Women in Science“ auch hierzulande vertreten – und zwar in Form von vier Stipendien, die jungen Formal- und Naturwissenschaftlerinnen zur finanziellen Unterstützung ihrer Projekte verliehen werden. Die Stipendien werden in Kooperation mit der Österreichischen Unes­co-Kommission und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vergeben und seit Beginn vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung durch Verdoppelung der Mittel gefördert.
Die beiden Chemikerinnen Michaela Aigner und Christina Lexer, die Mathematikerin Katja Sagerschnig und die Verhaltensbiologin Claudia Wascher sind die diesjährigen Stipendiatinnen. Michaela Aigner steht vor dem Abschluss ihres Doktorats, während Christina Lexer, Katja Sagerschnig und Claudia Wascher ihre wissenschaftliche Laufbahn bereits begonnen haben. Ausgewählt wurden sie von einer hochkarätigen Expertenjury, die nach dem Kriterium der Exzellenz entscheidet. Die sechs Jury-Mitglieder sind Universitätsprofessorinnen und -professoren, die der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angehören, darunter die Mikrobiologin Renée Schroeder und der Experimentalphysiker Anton Zeilinger.

Neue Projekte
Alle vier Forscherinnen wären, so heißt es in der Begründung für die diesjährigen Preisträgerinnen, durch exzellente Studienergebnisse und Publikationen qualifiziert und hätten bereits großes Engagement für Forschung und Lehre gezeigt.Die Stipendien sollen es den Wissenschaftlerinnen ermöglichen, nächste Etappen in ihren Karrieren zu erreichen sowie neue Forschungsprojekte im In- und Ausland vorzubereiten.

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Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Cyber-Guerillas gegen Scientology

Cyber-Guerillas gegen ScientologyAnonymous

Eine lose über das Internet organisierte Gruppe bringt seit zwei Jahren die schnell wachsende Sekte zur Weißglut.

Es sind nicht viele Fakten über die anarchische Gruppierung „Anonymous“ bekannt; weder einen Anführer noch einen Hauptsitz gibt es. Unter Insidern gilt der User „Moot“, Gründer der Internet-Plattform 4chan, als Architekt der Bewegung. Das erklärt auch den Namen „Projekt Chanology“, unter dem schon seit circa zwei Jahren Cyber-Attacken gegen Scientology laufen. Das Projekt kam ins Rollen, nachdem Scientology ein internes Werbevideo, das an die Öffentlichkeit gelangte und einen schon fast schaurig fanatischen Tom Cruise zeigte, durch Gerichtsbeschluss von der Internet-Plattform Youtube bannen ließ.
Dieser Fall von Zensur brachte die Gemüter ordentlich in Wallung. Bald wurden Hacker-Angriffe auf die Sekte gestartet, ihre Webseiten zum Abstürzen gebracht. Die Aktionen mündeten in einen Schneeballeffekt. So wurde heuer etwa die Times-Online-Wahl zur „einflussreichsten Person des Jahres“ gehackt, sodass der vermeintliche Kopf von Anonymous, Moot, mit knapp 17 Mio. Stimmen auf Platz eins landete und die Gruppe somit weltweit bekannt wurde. Auch außerhalb des Internets gibt es Aktionen; monatliche Proteste, die größten davon in London und Los Angeles, stellen unter anderem einen Teil der Bewegung dar.

Scientology-Praktiken
Die Scientology-Sekte ist in 163 Ländern vertreten, wobei sie in einigen davon, wie zum Beispiel den USA, Italien und Slowenien, bereits den offiziellen Status einer Religion genießt. Die Sekte wächst schnell, zum Teil dank gut getarnter Rekrutierungseinrichtungen, die oft Sozialcharakter haben. Narconon heißt beispielsweise in Deutschland ein Verein, der vorgibt, Drogenmissbrauch zu bekämpfen; Criminon kümmert sich angeblich um ehemalige Kriminelle, während „Professionelles Lernen“ Nachhilfe anbietet und somit auf Kinder und Jugendliche abzielt. Das Ziel hinter diesen Programmen ist „ökonomisches Wachstum und Machterweiterung der Bewegung“, weiß Ursula Caberta, Sektenbeauftragte und Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology in Hamburg. Von Anwerbungsversuchen bis hin zur Gehirnwäsche ist alles dabei.
Der Sektencharakter von Scientology wird vor allem dann sehr deutlich, wenn es um Aussteiger geht. „Leute, die zuvor Mitglieder waren, trauen sich nicht, sich öffentlich von Scientology zu distanzieren“, erklärt Sektenexperte Thomas Gandow. Die wenigen, die es doch wagen, werden mundtot gemacht, eingeschüchtert, damit kein Insider-Wissen an die Öffentlichkeit gelangt. Das Vorgehen gegen ehemalige Mitglieder geht sogar schon so weit, dass Scientology selbst die You­tube-Accounts kritischer Stimmen wie etwa der Ex-Scientologin Tory Christman oder des Journalisten Mark Bunker hat sperren lassen. Dass die Proteste nicht unbeachtet bleiben, zeigen auch PR-Aktionen, Klagen sowie Youtube-Videos, die direkte Reaktionen seitens der Scientology-Sekte sind. Ehrgeiziges Ziel von Anonymous ist ein Verbot von Scientology. Humor und Selbstironie spielen beim Protest ebenso eine Rolle wie Idealismus und Hacker-Wissen. Auch wenn die Scientology-Austrittszahlen steigen, hat sich das Kollektiv realistischerweise schon auf einen langen Kampf eingestellt.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Ein sündhaft teures Vergnügen

Ein sündhaft teures VergnügenUnifa/True Religion

Die US-Jeansmarke True Religion ist Kult und ein edles und luxuriöses Must Have für Stars und Sternchen.

Als Kym und Jeffrey Lubell 2002 ihre Jeansfirma nach einem ihrer Lieblingssongs Finding your true Religion der Band Hot Tuna benannten („Jeans, Musik, Kalifornien – das ist unsere wahre Religion“, so Jeff Lubell), konnten sie den rasanten Erfolg nur erahnen. Heute liefert das Edellabel mit einem lachenden, Gitarre spielenden Buddha als Logo ein Rekordergebnis nach dem anderen ab und verzückt die Analysten.
2008 steigerte True Religion den Umsatz um 55,8 Prozent auf knapp 190 Mio. Euro, den Gewinn um 59,3 Prozent auf 31,2 Mio. Euro. Und auch im ersten Halbjahr 2009 – dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise – waren die Jeans mit den auffälligen Nähten in den Nobelkaufhäusern teilweise ausverkauft. Der Umsatz verbesserte sich um 15,4 Prozent auf 95,2 Mio. Euro, und der Gewinn kletterte um 14,7 Prozent auf 13 Mio. Euro. Experten rechnen bis 2014 mit einem durchschnittlichen Umsatzwachstum von 30 Prozent.

Kult hat seinen Preis
Den Erfolg der Marke erklärt sich Peter Littmann, ehemaliger Chef von Hugo Boss, so: In fast allen international wichtigen Lifestyle-Blättern sei True Religion höchst präsent. Als zweiter Punkt kämen die VIPs hinzu. Die Antwort der Pressestelle, welche Stars und Sternchen True-Religion-Klamotten tragen, ist eindeutig – und lang: Sienna Miller, Cameron Diaz, Will Smith, Gwen Stefani, Sharon Stone, Jennifer Lopez, Justin Timberlake, Brad Pitt, George Clooney, David Beckham und Robbie Williams zählen zu den Fans der Jeansmarke. Gern getragen werden sie auch in Österreich, etwa von Armin Assinger und DJ Ötzi.
Warum gibt Otto Normalverbraucher 400 Euro für eine Jeans aus? „Das Geheimnis des Erfolgs ist die perfekte sexy Passform, die bei einer Jeans alles entscheidet“, so Littmann zu Punkt drei. „Eine Frau will bei einer Jeans nur zwei Dinge: Erstens muss die Jeans gut aussehen. Zweitens muss der Hintern in der Jeans gut aussehen.“ Darüber hinaus sehe die Frau in einer True-Religion-Jeans aus, als wiege sie fünf Kilo weniger. Das gab es bisher so nicht“, so Lehmann. Das weiß auch Lubell: „Unsere Jeans sind zwar nicht ganz günstig, wer aber einmal eine besessen hat, weiß, dass die Kombination aus Haltbarkeit und Bequemheit unerreicht ist.“ Diesen Vorteil nutzt das Unternehmen mit den hohen Preisen geschickt aus. „Kult hat keinen Preis, ein Kultprodukt ist aus der Vergleichbarkeit raus“, erklärt Littmann den vierten Punkt.
„Unsere Kollektionen sollen die Menschen umwerfen“ lautet das Firmenmotto. Das macht das Stück Stoff auch, spätestens beim Blick auf das Preisschild.

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Buchtipp

Buchtipp

Der Jakobskult als Kreuzzugspropaganda.

Seit Paulo Coelho seine spirituellen Reiseerlebnisse auf dem Weg zum vermeintlichen Grab des Apostels Jakob in Galicien veröffentlicht hat, ist die Pilgerschaft auf dem Jakobsweg Kult. Bestseller wird das Buch Irrweg Jakobsweg des umtriebigen Wiener Soziologen Roland Girtler keiner werden. Es macht sich nicht gut, wenn ein Mythos entlarvt, ja entzaubert wird.
Einen herzeigbaren Heiligen der ersten Kategorie brauchte die Allianz aus spanischen Königreichen und katholischer Kirche, nachdem maurische Muslime ab 711 große Teile der Iberischen Halbinsel erobert hatten. Karl dem Großen soll Jakob im Traum erschienen sein und ihn aufgefordert haben, einen heiligen Krieg gegen die Heiden zu führen. Auf dem „caminus stellarum“, der Sternenstraße, sollte er zum Grab des Jakob ziehen.
Tatsächlich waren das alte römische Heerstraßen, auf denen Karl seine Truppen verschob. Den Kreuzfahrern folgten die Pilger. Knallharte Propaganda vermählte Kriegslogistik mit Pilgerschaft. Mit den Mauren wurden, ab 1232 unter tatkräftiger Mithilfe der Inquisition, auch gleich Juden und Ketzer aus dem Land vertrieben, wenn sie nicht schon vorher pyromanischer Behandlung unterzogen wurden. Dabei ist der wehrlos instrumentalisierte Apostel mit ziemlicher Sicherheit weder jemals in Spanien gewesen noch in Santiago begraben.
Über den redundanten, leicht chaotischen Gedankengang und Schreibstil des Autors sei mit Sympathie für seine Emphase hinweggesehen. gesch
Roland Girtler:
„Irrweg Jakobsweg“
Leykam 2007, 9,70 Euro
ISBN: 370-1-175-845

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Die Welt über unseren Köpfen

Die Welt über unseren KöpfenSiegfried Grammer

Das Internationale Astronomiejahr 2oo9 rückte nicht nur die Sterne, sondern auch die Wissenschaft ins rechte Licht.

400 Jahre, nachdem Galileo Galilei erstmals ein Teleskop zum Sternenhimmel richtete, Johannes Kepler die Planetenbewegung richtig erkannte und 40 Jahre, nachdem die ersten Menschen den Mond betraten, rief die Unesco 2009 zum Internationalen Jahr der Astronomie aus. Mit einer Vielzahl von spektakulären Ausstellungen und Events wurde auch hierzulande das Weltall entsprechend ins Zentrum gerückt.

Nachhaltiger Erfolg
Hunderttausenden Menschen konnte so eine wissenschaftliche Disziplin nähergebracht werden, die zu Unrecht ein Schattendasein führt. Thomas Posch, Professor am Institut für Astronomie der Universität Wien und Koordinator der österreichischen Aktivitäten zum Astrojahr: „Der Erfolg für die Astronomie ist sicherlich nachhaltig.“ Einer der Höhepunkte waren die „100 Stunden der Astronomie“, welche Anfang April als viertägiges Großereignis weltweit abgehalten wurden. „Wir hatten vor dem Wiener Naturhistorischen Museum zahlreiche Fernrohre aufgebaut – vom 7-cm-H-alpha-Sonnenteleskop über 20-cm- und 28-cm-Schmidt-Cassegrain-Teleskope bis zum 46-cm-Spiegelteleskop. Hunderte Passanten blickten durch die auf verschiedene irdische und kosmische Objekte gerichteten Optiken. Um gute Sicht zu gewährleisten, wurde sogar die lokale Fassaden- und Parkbeleuchtung abgeschaltet“, erinnert sich Posch. Aber auch in den Landeshauptstädten und in den Sternwarten gab es zahlreiche Veranstaltungen. Posch: „Ganz besonders gefreut hat uns, dass mehr als 200 Besucher zum Tag der offenen Tür ins Leopold-Figl-Observatorium am Mitterschöpfl gekommen sind. Diese Sternwarte ist nämlich nur über einen längeren Fußmarsch zu erreichen.“

Umfangreiches Programm
Auch die alljährlich stattfindende Kinderuni stand heuer ganz im Zeichen der Astronomie; an der Universität Wien fand eine Ringvorlesung – „Vom Big Bang zu bewohnbaren Welten“ – statt. Österreichweit abgehaltene Vortragsabende zu ausgesuchten und aktuellen Themen der Astronomie, ein Film über die Lichtverschmutzung („Die Helle Not“) und ein Buch zur selben Problematik („Das Ende der Nacht“), eine Vielzahl von Ausstellungen, ein eigenes Astro-Dramolett („Kepler, Galilei und das Fernrohr“), eine Sonderbriefmarke sowie eine 25-Euro-Jubiläumsmünze komplettierten das umfangreiche Programm.

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Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Geheiligt sei der Name: Kirche als Marke

Geheiligt sei der Name: Kirche als MarkeAPA/Pfarrhofer

Im Vergleich zu ihr sind Coca-Cola, Google, Nokia, Microsoft und Amazon blutige Anfänger. Denn die katholische Kirche beherrscht das Branding meisterhaft. Und praktiziert das schon seit über 2000 Jahren.

Papst Benedikt XVI., in Personalunion – Stellvertreter und Chef des größten Unternehmens der Welt mit rund 1,13 Mrd. Mitgliedern, 407.000 Priestern und 815.000 Ordensleuten (Stand 2008), verkündete kurz nach seinem Amtsantritt auf dem Kölner Weltjugendtag 2006: „Habt keine Angst vor Christus! Er nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück.“ Natürlich hatte der Unfehlbare, zu dessen Besuch Nippes aller Art gefertigt wurde, darunter auch solcher, bei dem nur „4711“ eine Ohnmacht verhindern konnte, mit diesem Versprechen recht behalten.
Joseph Ratzinger war auf einmal nicht mehr der strenge Glaubenswächter, sondern der lächelnde Weltdenker, und jeder wollte ein bisschen Papst sein, selbst mancher von den Evangelischen. Die anderen, die Unbegeisterten, mussten erklären, warum sie sich so hartnäckig dem Papstsein verweigerten, dem guten Schuss Katholizismus im Leben, mit Barock und Kirchenmusik, Latein, Weihrauch und Werten. Die Welt war voller Begierdekatholiken, die sich oft päpstlicher aufführten als die echten, die ahnten, dass es weitergehen würde wie bisher mit ihrer Kirche, der in jeder Richtung staunenswerten. Angenommen, man wäre 2006, im Jahr der Fußball-WM in Deutschland, ein papstkritischer Fußballhasser gewesen: Das Jahr wäre medienmäßig ein Annus horribilis gewesen.

Wunder der Markenführung
Auch wenn man der katholischen Kirche skeptisch gegenübersteht, eines lässt sich nicht verleugnen: Sie ist eine starke Marke, die je nach Charisma ihres Oberhirten, an (Medien-)Präsenz gewinnt. Vom Markenversprechen – Sicherheit, Entlastung, Beständigkeit – bis zum Corporate Design stimmt, darin sind sich Experten strategischer Medienkommunikation einig, einfach alles.
Der Medienphilosoph Bruno Ballardini vertritt in seinem Buch Jesus wäscht weißer sogar die These, dass die heilige Mutter Kirche alle wesentlichen Elemente des modernen Marketings erfunden habe. Dazu zählen unter anderem: ein einzigartiges Produktversprechen plus enge Kundenbindung – „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“. Außerdem unzählige Testimonials, die die Markenbotschaft unaufhörlich verbreiten, erst Jesus, dann die Evangelisten, die Kirchenväter, die Päpste und die Heiligen. Und mit dem Kreuz, dem zum Heilssymbol umgedeuteten Folterinstrument, ein einprägsames Markenzeichen, in Abermillionen Kopien reproduziert. Nicht zuletzt dank eines attraktiven, haltbaren und reparaturfreundlichen Produktes: Erlösung lässt sich immer wieder erlangen, wenn auf die Sünde die Beichte folgt.
„Priester leben von der Narkotisierung menschlicher Übel“, deklamierte schon Friedrich Nietzsche, für den Gott zwar tot war, der aber wusste: „Wen Gott lieb hat, den züchtigt er.“ Auch über Produktzyklen musste sich der Klerus nie Gedanken machen, was aber nicht heißt, dass er nicht mit der Zeit ging. Aus der einstigen Verfolgerin von Andersgläubigen ist eine Instanz der Offenheit und der Verständigung geworden, die ihrerseits von Zerstörern der Religions- und Gedankenfreiheit verfolgt wird – sich zumindest so gibt. Auch hat sich keine andere Organisation Einflüsse von außen so elegant zu eigen gemacht wie die katholische Kirche und sich als Profi im Merchandising gezeigt Was früher Bibel und Marienbildchen waren, sind heute „Papa-Devotionalien“, vom Pilger-Set und Benedikt-T-Shirt bis hin zum Papst-Schnitzel, das mit anderen Geschmacklosigkeiten auf Ebay zu ersteigern war.
Auf der noch wichtigsten Banknote der Welt hat „er“ sich ja auch verewigt. Wobei wir beim Wichtigsten sind. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Das sagte Jesus in seiner als radikal geltenden Bergpredigt, nachzu­lesen im Matthäusevangelium. Die Kirche will natürlich Gott dienen, kommt aber ohne den Mammon nicht aus. Schließlich wirkt sie im Diesseits, und hier wird nach wie vor in Euro und Cent abgerechnet. Also muss sie sich auch mit Geld und der Anlage desselbigen beschäftigen. „Hüte dich vor spekulativen Geschäften“, heißt es zwar in den Kirchenrichtlinien. Genützt hat die Warnung wenig. Es hat sich gerächt, dass sie – als Expertin für Moral – in Zeiten rückläufiger Kirchensteuereinnahmen „etwas mutiger“ auf den Finanzmärkten geworden ist.

Papst und Päpstin
Geschmeidigkeit bei gleichzeitig hartnäckigem Festhalten an katholischen Dogmen sorgt für ein scharfes Profil. Damit unterscheidet sich der Konzern deutlich vom großen Konkurrenten, der in Deutschland nun mit Margot Käßmann über eine „Päpstin“ verfügt. Die evangelische Kirche ist so aufgeklärt, dass kaum noch einer weiß, was eigentlich evangelisch ist. Die Öffnung zur Welt, das klingt gut, ist aber auch riskant. Die Kirchen müssen – vom Auftrag ihres Gründers Jesus her – widerständig zum Betrieb der Welt sein. Sie sollen gegen das allzu Gängige und Machbare das Störende und Verstörende des Gottesgeheimnisses setzen. Eine Kirche „light“ ist dann am schwächsten, wenn sie als „Wir-auch-Kirche“, wie schon Kurt Tucholsky spottete, dem Zeitgeist hinterherjapst. Vor allem aber fehlt ihr das zentrale Marketing. Seit der Wahl von Papst Benedikt spüren die deutschen Protestanten das besonders schmerzlich. Und flirten mit dem Katholizismus.
Die Katholiken nehmen es gelassen und weisen Annäherungsversuche der anderen Seite freundlich, aber bestimmt zurück, etwa beim Projekt Ökumene. Schließlich ist diese überkonfessionelle Kooperation für den Markenführer ungefähr so sinnvoll wie ein gemeinsamer Arbeitskreis von Coca-Cola und Pepsi.

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Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Psychogruppen als Seelenverkäufer

Psychogruppen als SeelenverkäuferEPA

Gruppierungen wie Scientology oder Star’s Edge nehmen Kunden in einem Multi-Level-Marketingsystem aus.

Die weltweit größte Psychogruppe Scientology ist ein Paradebeispiel dafür, wie man aus sogenannter Lebenshilfe Kapital schlagen kann. Die umstrittenen Praktiken der Gruppe sind am ehesten mit einer Mischung aus metaphysischen und psychotherapeutischen Methoden zu charakterisieren.
Vom kaufmännischen Standpunkt her geht es der Gruppe aber um den Verkauf der Marke „Scientology“ auf der Basis eines Stufenbausystems. Es beginnt mit sogenannten Persönlichkeitstests, die meistens im Erstkontakt noch kostenlos sind, gefolgt von weiteren Einsteiger-Audits um ein paar Hundert Euro.
In höhere Sphären steigt man dann aber über sogenannte „Reinigungstests“ auf, die schon mit mehreren Tausend Euro zu Buche schlagen. Ziel des Ganzen ist eine „Befreiung des Verstandes“ und eine darauf folgende Zertifizierung als „Thetan“. Verbunden damit sind auch Persönlichkeitstest und „Clearing-Programme“ für Drogenabhängige. Die Preise für die höchstrangigen „Kurse“, die meist aus einer Abfolge von verschiedenen obskuren „Trainings“ bestehen, können mehrere 100.000 Euro kosten, darunter das sogenannte „Super Power Building“ oder „Flag Processing“ der Scientology-Abteilung „Flag Service Organisation“ in Clearwater, Florida. Enthalten sind dabei Kurse mit Namen wie „New Vitality Rundown“ oder „Interiorisationsrundown nach Dynamiken“. Für das „Flag-Willkommenspaket“ wird nach aktueller Preisliste 2009 ein „Spendenbeitrag“ von rund 20.000 Euro verlangt.

Deppensteuer zahlen
„Bei einer mehrjährigen Mitgliedschaft, also von fünf bis zehn Jahren, kommt man in etwa auf 100.000 bis 150.000 Euro, die man in Scientology investiert“, sagt der Scientology-Aussteiger Winfried Handl. „Das muss man dann als Deppensteuer abschreiben, wenn man die Gruppe verlässt.“
Da sich offenbar genug „Deppen“ für so etwas finden, hat das Scientology-Prinzip auch etliche Nachahmer gefunden. Einer davon ist der Amateurpsychologe Harry Palmer, der mit seinem Unternehmen Star’s Edge International eine Vermarktung von Psychokursen mit dem Markennamen „Avatar“ durchführt. Palmer, früher selbst bei Scientology, hat Avatar aus einer Mischung von New Age, Scientology-Verfahren, Autohypnose und tibetanischen Meditationstechniken konstruiert.
Avatar soll dem Kursteilnehmer ermöglichen, gewünschte und erwünschte Überzeugungen beziehungsweise Lebensrealitäten zu „kreieren“ und unerwünschte Überzeugungen zu „diskreieren“. Wer am Ende der kompletten Kursreihe die Stufe des „Wizard“ erreicht habe, verfüge über „ein solches Verständnis“.

Teure Erleuchtung
Die Erleuchtung kommt natürlich nicht umsonst. Die Kurs­preise des Multi-Level-Psychomarketingsystems bewegen sich zwischen 2500 und 7500 Dollar. Ziel des Ganzen ist, ein „Avatar Master“ zu werden, der für Neulinge weitere Kurse abhält, dafür aber eine „Supervi­sion Fee“ in der Höhe von bis zu einem Viertel der Kurseinnahmen an Star’s Edge zahlt.
So primitiv dieses System auch ist, es finden sich trotzdem Kunden, die Interesse haben, durch Palmers Kurse zu den „Geheimnissen des Universums“ geführt zu werden. „Ein absolutes Recycling von Scientology-Ideen, ein kompletter Beschiss“, urteilt Avatar-Kritiker Eldon Braun.

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Koscher und Co: Über Essen und Religion

Koscher und Co: Über Essen und ReligionBilderbox.com

Essen und Trinken dienen nicht nur der physischen Existenzsicherung, sondern sind auch in religiöse Zusammenhänge eingebunden. Milchig, fleischig oder neutral? Koscher oder trefe? Darf ich, oder darf ich nicht?

In wohl keiner anderen Religion hat die Rolle des Essens bei religiösen Zeremonien eine größere und bei besonderen Festtagsspeisen und Tischsitten eine tiefere Bedeutung als im Judentum. Die jüdischen Speisegesetze (hebräisch Kaschrut) sind Regelungen zur Zubereitung von Speisen, die im Tanach, der hebräischen Bibel, danach im Talmud sowie im späteren rabbinischen Schrifttum festgelegt sind und dem Ziel dienen, ein Leben in ritueller Reinheit zu ermöglichen. Entsprechend findet man diese Regeln natürlich auch im Alten Testament der christlichen Bibel.
Die Kaschrut beschreibt nicht nur, welche Lebensmittel ein gläubiger Jude als zum Verzehr geeignet betrachtet (etwa reine und unreine Tiere wie im dritten Buch Mose beschrieben). Sehr detailliert wird auch auf Regeln der Zubereitung der Speisen sowie der Einrichtung von Küchen und der Handhabung von Utensilien, die mit Speisen in Berührung kommen, eingegangen. Die biblische Anweisung, das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter zu kochen, führte zu dem Verbot, Fleisch und Milch zusammen zu essen.

Rein oder unrein

Lebensmittel und die aus ihnen hergestellten Speisen sind nach den Regeln entweder „koscher“, hebräisch für „rein“, und damit essbar – oder „trefe“ und damit unrein. Von den Säugetieren sind nur solche als koscher zu betrachten, die zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind (zum Beispiel Kühe). Damit ist beispielsweise Schweinefleisch als „trefe“, das heißt als nicht koscher einzustufen, da Schweine zwar gespaltene Hufe haben, aber nicht wiederkäuen.
Koschere Lebensmittel lassen sich im Sinne der Kaschrut in drei Bereiche einteilen: milchig (chalawi), fleischig (besari) und neutral (parve).
Für den Verzehr von Fischen gilt nach den Regeln der Kaschrut, also den jüdischen Speisegesetzen, dass alle Süß- und Salzwasserfische koscher sind, sofern sie über Schuppen und Flossen verfügen. Diese Bedingung erfüllen beispielsweise Hering, Lachs, Tunfisch, Hecht oder auch Karpfen. Aal, Wels und Hai hingegen tun dies nicht. Zudem sind Meeresfrüchte wie Krebse, Schalentiere, Krabben und alle Meeressäugetiere wie der Wal ebenfalls nicht koscher.

Vollkommene Trunkenheit
Seit mindestens 5000 Jahren wird in Israel Wein produziert. Damit der Wein koscher, also rituell rein ist, darf er nur von Juden hergestellt werden. Die traditionellen jüdischen Gesetze besagen, dass koscherer Wein unrein werden kann, wenn er von einem Nichtjuden berührt oder ausgeschenkt wird. Manche koscheren Weine werden daher vor dem Abfüllen gekocht (mewuschal). Dann bleibt der Wein im religiösen Sinn rein, egal wer mit ihm in Berührung kommt. Übrigens, was wenige wissen: Beim jüdischen Purimfest wird zu völliger Trunkenheit ermuntert. Der Talmud erklärt, dass man an Purim so viel Wein trinken solle, bis man nicht mehr weiß, wer in der Purim-Erzählung der Held ist und wer der Schurke.
Um beim Einkauf von Lebensmitteln sichergehen zu können, dass man nichts „Verbotenes“ erwirbt, gibt es entsprechende Zertifizierungen, sogenannte Hechscharim. Sie sind wie eine Art Siegel auf der Verpackung angebracht. Da es je nach Grad der Orthodoxie auch verschiedene Grade von Kaschrut gibt, kennen die Hechscharim entsprechende Abstufungen. Zumeist wird mit dem Hechscher auch vermerkt, unter wessen Aufsicht der entsprechende Artikel hergestellt beziehungsweise geprüft wurde.

Sauberes Besteck
Auch für das Koschermachen von Messer und Besteck gibt es Gesetze. Hat man ein „fleischiges“ Messer zum Schneiden von kaltem Käse benutzt, muss man es zehnmal in die Erde stecken. Dadurch werden Fettreste vom Messer entfernt, und der Geschmack von Käse verschwindet. War der Käse jedoch warm, so reicht das Stecken in die Erde nicht, man muss das Messer abbrühen oder durch Feuer fast zum Glühen bringen. Hat man fleischiges Besteck mit milchigem verwechselt oder umgekehrt, verfährt man wie folgt: Man lässt das Besteck 24 Stunden ungenutzt, danach wird es in kochendes Wasser getan, mit kaltem Wasser gespült, danach ist es parve, also neutral, und kann entweder für Fleischiges oder für Milchiges genutzt werden.
Wenn schon Tiere ihr Leben dafür hergeben müssen, dass sich der Mensch von ihrem Fleisch ernährt, so müssen sie in einer Weise getötet werden, die ihnen so wenig wie möglich Leid verursacht, das ist die Grundlage der jüdischen Schlachtmethode des Schächtens.
Schächten ist die vom jüdischen Religionsgesetz vorgeschriebene rituelle Methode, Tiere zu schlachten. Diese umfasst einen Segensspruch und einen schnellen, mit haarscharfem Messer geführten Halsschnitt, der das Tier ausbluten lässt.
Weisen bei der Untersuchung des Tieres die inneren Organe keine Unregelmäßigkeiten auf, gilt das Fleisch als koscher. Nur einem religiösen Juden, der alle Vorschriften kennt und die Technik des Schächtens erlernt hat, erteilt der Rabbiner die Befugnis zum Schächten. Er überwacht den Schächter und entzieht ihm gegebenenfalls die Lizenz.
Ein korrekt ausgeführter Schächtschnitt muss folgende Bedingungen erfüllen: Vor jedem Schnitt überprüft der Schächter die Schärfe und Gleitfähigkeit der Klinge. Der Schnitt ist in einem Zug und ohne Druck blitzschnell durchzuführen. Dabei darf die Klinge nicht von Fell oder Federn verdeckt sein. Die Schnittstelle ist für jede Tierart festgelegt.

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Weibliche Erlöser

Weibliche Erlöserprivat

Für den christlichen Glauben ist die Einmaligkeit des Erlösers eine unabdingbare Annahme. Feministische Theo­loginnen kämpfen dafür, gerade dieses Dogma der einmaligen männlichen Erlösergestalt aufzubrechen. Nur wenigen ist bekannt, dass es in der Nachfolge Christi weibliche Erlöser schon tatsächlich gegeben hat. Doch diese Frauen wurden als Ketzerinnen angeklagt und auf den Scheiterhaufen gebracht. Zwei Beispiele.
Im Jahr 1300 ging in Mailand der exhumierte Körper der zuvor posthum als Ketzerin verurteilten Guglielma in Flammen auf, die verkündet hatte, dass der Heilige (Hl.) Geist sich in ihr inkarniert habe. Nach ihrem Tod soll Guglielma auferstanden und ihren Getreuen erschienen sein. Zu ihrer päpstlichen Stellvertreterin ernannte sie eine Frau. Im August 1325 bekannte die Begine Prous Boneta vor einem Inquisitionsgericht im südfranzösischen Carcassonne öffentlich ihren Glauben, dass die Kirche ihre geistige Mission verraten habe; daraufhin wurde sie zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Am Gründonnerstag 1321 war ihr Christus erschienen und hatte ihr offenbart, dass sie auserwählt sei, die Ankunft des Hl. Geistes zu verkünden, mit dem sie selbst erfüllt werde.
Im Mittelpunkt des Glaubens dieser Frauen steht die Vorstellung, die Inkarnation des Hl. Geistes zu sein und als solche den Anbruch eines neuen Zeitalters einzuleiten: das Zeitalter des Hl. Geistes; das Zeitalter einer geistigen Kirche und einer geistigen Erleuchtung durch ein ungeschriebenes Evangelium. Sie selbst werden dadurch zu Retterinnen der Menschheit – nicht als Instrument des Heils wie Maria, sondern eigenständig und als Teil der trinitarischen Gottheit.
Die real existierende Kirche ihrer Zeit sehen beide als „Auslaufmodell“. Ein radikaler Neuanfang soll stattfinden, der sich schon in Gottes Wahl seines Boten ausdrückt: Eine Frau, deren rechtliche und soziale Position im Mittelalter weitgehend eingeschränkt war, wird zur Wendemarke des Heils, der Rettung, der Versöhnung.
Hatte mit Maria schon einmal eine konkrete Frau die Kirche symbolisiert, warum sollte dann nicht wiederum eine konkrete Frau diese neue Kirche des Geistes repräsentieren? Im Ursprung ist der Hl. Geist weiblich, was sich auch im hebräischen Femininum „ruach“ ausdrückt. Dem entspricht auch die Gestalt der göttlichen Erlöserin Sophia – die Weisheit als weibliches Pendant des Christus, des Logos, der männlichen Vernunft. Jesus als Verkünder der weiblich-göttlichen Weisheit ist zudem die älteste in den Evangelien zu findende Christologie – bevor durch die johannäischen Schriften der männliche Logos auf ihn übertragen wurde.
Daniela Müller ist Professorin für Kirchengeschichte an der Radboud Universität in Nijmegen, Niederlande.

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Daniela Müller, Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

„Innovation ernten“

„Innovation ernten“Andy Urban

„Smarter Planet“ im Einklang mit Infrastruktur, Daten, Unternehmensprozessen und Nachhaltigkeit. Beratungsaffine und beratungsresistente Unternehmen. Das Potenzial von Mitarbeitern und die Akronymwelten der Technologie­branche: Arnd Niehausmeier, Vice President von IBM Global Services, im economy-Gespräch.

Die Weltbevölkerung wächst, und sie rückt immer dichter zusammen: 2050 werden bereits 70 Prozent aller Menschen in Metropolen wohnen. Im Jahr 1900 waren es nur 13 Prozent. Für die Infrastrukturen dieser Ballungszentren bedeutet das eine gewaltige Herausforderung. Ebenso wie für Politik, Verwaltung und Unternehmen. Im Oktober trafen sich auf Einladung von IBM-Chairman Sam Palmisano internationale Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft in New York, um neue Anforderungen und Lösungen zu diskutieren.
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch das klassische Management Consulting. Anlässlich der Präsentation einer neuen internationalen Studie zum Thema Unternehmensberatung bat economy Arnd Niehausmeier, Vice President von IBM Global Services in Wien, zu einem Gespräch.

economy: Vor rund zehn Jahren stand IBM primär noch für Netzwerke, Server oder Laptops. Heute macht IBM die Welt und Unternehmen smarter. Es gibt also eine gesellschaftspolitische Botschaft. Was hat sich hier geändert?
Arnd Niehausmeier: IBM wird immer noch von vielen mit Hardware gleichgesetzt. Die Beratung hingegen hat sich in den letzten Jahren immer mehr in Richtung ganzheitliche unternehmerische Sichtweisen entwickelt. IBM hat mit dem Kauf von Price Waterhouse im Jahr 2001 seinen Consulting-Bereich stark ausgebaut, eben in Hinblick auf die ganzheitliche, smarte Sichtweise.

Welche Themen stehen da für IBM-Kunden aktuell im Vordergrund und welche Branchen?
Eindeutig Cost Reduction und Intelligent Cost Reduction sowie alles rund um Prozessoptimierung. Und betreffs Branchen der öffentliche Bereich, Banken und Industrie.

In Marketing und Vertrieb und letztendlich auch bei Produkten sowie Lösungen stand lange Zeit das technologisch Machbare im Mittelpunkt und nicht der Anwender. Hat sich das mittlerweile geändert?
Ja. Wir müssen und gehen mittlerweile von den Bedürfnissen unserer Kunden aus: Was brauchen diese, welches Problem hat der Kunde? Die aktuelle Krise verstärkt das. Es ist nicht sinnvoll, mit Lösungen zu kommen, die vielleicht in einem anderen makroökonomischen Umfeld erarbeitet wurden.

Lassen sich Unternehmen gerne beraten?
Generell lässt sich sagen: Es gibt beratungsaffine Unternehmen und solche, die, meistens immer schon, eher beratungsresistent sind. Dort denkt man, das seien Scharlatane, die nichts umsetzen. Wir von IBM wollen uns daran messen lassen, welchen Mehrwert wir für das Unternehmen generieren. Das öffnet uns dann auch in den meisten Fällen die Türe.

Was kann so ein Mehrwert sein?

Zum Beispiel wie komme ich an neue Kunden heran. IBM hat dafür eine neue Software, welche bei IBM-Research selbst entwickelt wurde. Es geht um Fragen, wie fällt der neue Konsument seine Kaufentscheidung, wie kommuniziert er – Stichwort Neue Medien, Twitter. Dabei geht es unter anderem darum, den Konsumenten direkt im Internet abzuholen.

Das bedeutet, neben B2B-Themen müssen auch B2C-Themen in der Beratung eine Rolle spielen?
Absolut. Wir müssen zum Beispiel auch mit einem Retailer sprechen: „Wie füllst du deine Regale, und was verkauft sich am besten?“ Oder: „Wie verwendest du deine Kassen, welche Informationen ziehst du daraus? Wie funktioniert Category Management?“

Und was bedeutet das für Werbung und Vertrieb in der Beratung? Stichwort Sprache und Akronyme.
Als Berater muss man sich oft den Vorwurf gefallen lassen, man könne keinen vernünftigen deutschen Satz mehr sprechen. Wichtig ist, die richtige Sprache aus der jeweiligen unternehmerischen Sicht zu sprechen, die jeweilige Kultur zu verstehen.

Wie steht es um die Entwicklung im österreichischen Mittelstand?
Österreichische KMU sind auch im internationalen Vergleich sehr innovativ. Das gilt nicht nur für den Produktbereich, sondern auch für den Bereich Geschäftsmodelle. Im Vergleich haben hierzulande Unternehmen früh begonnen, sich mit dem aktuellen schwierigen Umfeld auseinanderzusetzen und entsprechende neue Strategien zu entwickeln.

Was heißt das dann für den Bereich Technologie? Welche Themen werden nachgefragt?

SAP-Implementierung, ERP, Chain Management und der Einsatz Neuer Medien im Bereich Corporate Brands beziehungsweise im Marketing. Wie verstehe ich Konsumenten besser? Wie erreiche ich sie – Stichwort Mobilität? Oder: Markentreue, Kundenloyalität, Netzwerke. Hier brauche ich entsprechend neue und adäquat einsetzbare Technologien.

Welches Device wird gewinnen?
Gute Frage. Ich denke, das Notebook und immer mehr auch Smartphones wie Blackberry oder iPhone. Hier werden auch noch viele neue Applikationen kommen – Stichwort Mobile Working.

Welche neuen Ideen hat IBM zur Finanzierung von IT-Projekten im Zuge der Finanzkrise?
IBM hat mit Global Finance weltweit eine der größten IT-Banken. Wir können alle Arten von IT-Projekten finanzieren. Das wird immer öfter angefragt, auch als strategisches Thema.

Welche Wünsche oder Empfehlungen haben Sie an Unternehmen?

Die erfolgreichsten Unternehmen sind immer die, welche auf den Menschen und ihre Mitarbeiter hören. Das große Potenzial der Mitarbeiter erkennen und heben, ihnen vertrauen, ihnen auch Fehler zugestehen. Dann werde ich als Unternehmen Innovation ernten.

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

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