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24. Juli 2024

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Mit dem Scheckheft ins Himmelreich

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Einnehmenden Fernsehpredigern erschließt sich in den USA bisweilen ein millionenschweres Business. Fragwürdige Geschäftsmethoden stellen für viele von ihnen keinen Widerspruch zum Glauben dar.

Die Sache mit dem Privatjet ist einigen Anhängern doch im Hals stecken geblieben. Vor drei Jahren wandte sich Benny Hinn, exaltierter TV-Prediger, christlicher Charismatiker und vermeintlicher Wunderheiler, an seine Unterstützer, um 6000 von ihnen zu einer Spende von tausend Dollar zu bewegen.
Davor soll Hinn ein Consulting-Unternehmen beauftragt haben, das ideale Verkehrsmittel für ihn auszumachen. Weil die Berater befanden, dass ein Gulfstream-Jet der Serie IV (Kostenpunkt rund 35 Mio. Dollar) die ideale Wahl sei, bat Hinn seine Gemeinde für einen Teil der Anzahlung zur Kasse, nicht jedoch ohne eine Belohnung in Aussicht zu stellen.
Jeder Spender sollte ein Miniaturmodell des Flugzeugs und seinen Namen im Inneren von Dove One eingraviert bekommen. „Seid gewiss, dass sich für jene, die dem Herrn gehorchen, der Himmel weit öffnet“, fügte Hinn in dem Rundschreiben schließlich noch für die Unentschlossenen hinzu.

Lukratives Geschäft
Hunderttausende treibt es in den USA jedes Jahr zu den „Wunderkreuzfahrten“ Hinns: zumeist in Sportstadien veranstaltete Riesengottesdienste, allesamt mit dem fixen Programmpunkt einer Wunderheilung. Bei Veranstaltungen in Indien soll, so die Angaben seiner Kirche Benny Hinn Ministries, auch schon einmal eine Mio. Menschen gekommen sein. Hinn betreibt Missions- und Waisenhäuser, spendet für Tsunami- und Wirbelsturmopfer.
Den Anfang nahm die Karriere des in Israel geborenen Sohns griechischer Eltern, als er in den 1970er Jahren die Tochter eines Predigers in Florida heiratete und ins Familiengeschäft einstieg. Seine Fernsehsendung This Is Your Day! (Das ist dein Tag) wird heute in gut 200 Ländern ausgestrahlt. Interviews gibt Hinn selten. Für das Geld mache er seine Arbeit nicht, verriet Hinn zuletzt in einem Interview für den US-TV-Sender ABC. Sein Unternehmen, als Kirche eingestuft und daher steuerbefreit, soll Schätzungen zufolge jährlich rund 100 Mio. Dollar an Spenden einnehmen. „Wenn ich ein Betrüger wäre, würde ich ihnen (den Anhängern, Anm. d. Red.) auf jeden Fall das Geld zurückgeben“, gibt sich Hinn allzu simpel.
Seine Messen folgen einem strikten Muster. Mithilfe von Musik und repetitiven Losungen wird die Stimmung auf den Höhepunkt, die Wunderheilung, hingetrieben. Kurz davor beginnen Helfer mit der Verteilung von Kuverts für die Kollekte, und Hinn instruiert von der Bühne herunter die korrekte Verwendung von Kreditkarten: „Oben tragt eure Kartennummern ein. Vergesst nicht, unten zu unterschreiben.“

Heilungsspektakel
Die Fähigkeit zur Heilung Kranker behauptet Hinn über die Gabe der Salbung zu erhalten. In der charismatischen Christenbewegung wird darunter eine Art heilige Atmosphäre verstanden, die von einem Priester ausgehen soll, durch den der Heilige Geist wirkt. Wie das funktioniere, könne er nicht erklären, beteuert Hinn immer wieder. Er hätte seine Gabe überhaupt erst bemerkt, als ihm die Leute von den Wunderheilungen berichteten. Tatsächlich werden potenzielle Heilungskandidaten bei Hinns Veranstaltungen gezielt ausgesucht. Offensichtlich hoffnungslose Fälle wie etwa querschnittsgelähmte Rollstuhlfahrer haben kaum Chancen, auf die Bühne zu Hinn zu kommen, wo dieser oft wild gestikulierend seine Zeremonie betreibt. Dass die meisten Leute nach Hinns Berührung sogleich nach hinten kippen oder gar in einer Art Rückwärtssalto durch die Luft wirbeln, dürfte Wissenschaftlern zufolge einem religiösen Hochgefühl zuzuschreiben sein. Medizinische Nachweise über Heilungen stehen bis heute aus. Dass Hinn Tausende Verzweifelte, die bei den Veranstaltungen unter Tränen die Arme in die Luft strecken und auf Heilung hoffen, für ihre Chance bezahlen lässt, bringt ihm zwar scharfe Kritik ein. Der Begeisterung seiner Anhänger tut dies allerdings keinen Abbruch.
Hinns Mischung aus Showmaster-Starkult und aufwendigem Lebensstil rief in den USA etwa den republikanischen Senator Chuck Grassley auf den Plan, der untersuchte, ob Spenden von Hinn und fünf weiteren sogenannten Televangelisten zur persönlichen Bereicherung verwendet werden. Doch Hinn kooperierte willig mit Grassley, Ermittlungen brachten nichts Widerrechtliches zutage.

Wohlstand für die Seinen

Während in Europa Religionskanäle neben Teleshopping-Sendern unter ferner liefen rangieren, sind Fernsehprediger in den USA Teil eines riesigen Marktes. Als Erstem gelang dem katholischen Erzbischof Fulton Sheen Anfang der 1950er Jahre der Wechsel vom Radio ins Fernsehen. Als wichtigster Prediger des 20. Jahrhunderts gilt der charismatische Südstaatler Billy Graham, der den Höhepunkt seiner Karriere in den 1970er Jahren erreichte.
Zu den Großen von heute zählt unter anderem der Texaner Joel Osteen, Strahlemann und Pastor der Houstoner „Megachurch“ Lakewood Church. Der Unterschied zum strengen und schrifttreuen Graham könnte nicht größer sein. Osteen predigt eine Art christliche Wohlfühlreligion, die auf die Rechtschaffenheit im Menschen zielt und als Belohnung unter anderem finanziellen Erfolg in Aussicht stellt. „Gott will, dass du ein Gewinner bist, kein Jammerer“, so ein Motto Osteens. An die 40.000 Besucher kommen am Wochenende zu den Gottesdiensten nach Houston, im TV verfolgen Osteen jeden Monat bis zu 25 Mio. Zuseher. Dass er im Fernsehen nicht um Geld bittet, bedeutet nicht, dass seine Anhänger nicht großzügig spenden. Die wöchentliche Kollekte allein soll rund eine Mio. Dollar einbringen.

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Kaderschmieden des Islam

Kaderschmieden des IslamEPA

Madrasas, islamische Hochschulen, gelten im Westen seit der Verbreitung des radikalen Islamismus als Brutstätten einer gefährlichen Ideologie. Was teilweise berechtigt ist, muss allerdings nicht generell der Fall sein.

Sie gelten als Ausbildungszentren für Taliban und als Gehirnwäsche-Anstalten für Kinder aus ärmlichen Verhältnissen, die zu Selbstmordattentätern im Namen des Dschihad, des religiösen Krieges, ausgebildet werden: Madrasas. Die Madrasa ist eine religiöse Schule oder Hochschule des Islam. Sie ist meist einer Moschee angeschlossen und beherbergt Gebetssäle, Unterrichtsräume, Bibliotheken, Unterkünfte und manchmal auch Turnsäle.
Sehr verbreitet sind sie in Pakistan und im Süden und Südosten Afghanistans, wenngleich es sie auch in vielen anderen islamischen Ländern gibt, meist als Gründung eines Stifters, eines reichen und angesehenen Bürgers oder Imam, in letzter Zeit jedoch viel häufiger durch Gönnerstaaten rund um den Persischen Golf, insbesondere Saudi-Arabien, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Qatar und Kuwait. Allein in Pakistan, insbesondere in den Unruhegebieten im Nordwesten, gibt es Tausende von Madrasas, die in den entlegenen Gebieten und ärmlichen Stammesgebieten oft die einzige Möglichkeit für die Landbevölkerung darstellen, ihre Kinder auf eine Schule zu schicken.

Nachwuchsschmiede
Das Problem dabei ist allerdings, dass gerade die pakistanischen und afghanischen Madrasas sehr stark von ihrer Grundidee, der Ausbildung der islamischen Nachwuchsgeistlichkeit, abgingen und sich deutlich in Richtung islamistischer Kaderschmieden entwickelten, schreibt der deutsche Terrorismusexperte Rolf Tophoven, der versucht, den deutschen Soldaten im Magazin der Deutschen Bundeswehr die afghanische Welt zu erklären. „Als Brutstätte des islamistischen Terrors haben Geheimdienste das pakistanische Grenzgebiet zu Afghanistan verortet. Die dortigen Terrorcamps im Verbund mit den Madrasas, den Koranschulen, sind die Kaderschmieden des islamistischen Terrors unserer Tage“, so Tophoven.

Machtloser Staat
Das Problem dabei ist, dass der pakistanische Staat in dieser Hinsicht relativ machtlos ist, da ihm sowohl die Mittel zur Eröffnung weiterer Schulen als Alternative zu Madrasas als auch die Staatsgewalt in den meist rechtslosen Gegenden von Waziristan und Swat (in Nordwest-Pakistan) fehlt. In Afghanistan selbst ist die Situation sowieso außer Kontrolle. Jahrzehnte des Krieges und die Theokratie der Taliban haben eine erschütternd niedrige Bildungsrate hinterlassen. So beträgt laut Schätzungen von Hilfsorganisationen der Alphabetisierungsgrad afghanischer Männer nur rund 43 Prozent, der von Frauen überhaupt nur rund 13 Prozent. Viele Eltern geben ihre Kinder also in Madrasas, weil sie gar keine andere Möglichkeit haben.
Die Kaderschmieden der Taliban gehören hauptsächlich der Richtung des Deoband an, einer Auslegung des Islam, die aus Indien stammt und der eine strenge Interpretation des sunnitischen Islam zugrunde liegt. Die größte Deobanden-Madrasa in Pakistan liegt in der Stadt Akora Khattak nahe Peshawar und gilt als so etwas wie das „Harvard der Taliban“, das eine Lehre vertritt, die den Islam mehr oder weniger auf Scharia und Dschihad reduziert.
Von den bis zu 30.000 Madrasas in Pakistan gehört rund ein Drittel der Denkschule der Deobanden an, und viele sind in ihrer Region so verankert und ihre Mullahs so angesehen, dass die pakistanische Regierung weder willens noch imstande ist, die Anzahl der Schulen zu verringern. Für den pakistanischen Geheimdienst Isi wiederum sind die Schulen eine Quelle von Erkenntnissen.
Rund eine Mio. junger Pakistani besucht Madrasas, viele, weil sie aus armen Familien kommen, die dankbar sind, dass sie von der Schule Mahlzeiten, etwas zum Anziehen und eine Unterkunft bekommen. Im Gegenzug erhalten die Kinder aber meist nicht viel mehr als Koranstudien als Erziehung, viel zur Verbesserung der allgemeinen Bildungssituation tragen die Madrasas also nicht unbedingt bei. Und jene, die über die Vermittlung islamischer Lehren hinausgehen, waren in den letzten Jahren stets Ziele islamischer Attentate und Erstürmungen. Mit dem Umkehr­effekt, dass besorgte Eltern ihre Kinder erst recht auf die radikalen Madrasas schicken, weil diese für Taliban-Attentäter tabu sind.

Rolle der Geheimdienste
Die Madrasas als Kaderschmieden für islamistischen Terror in den Griff zu bekommen, ist seit Jahren das Ziel vor allem der amerikanischen und britischen Geheimdienste, sagt der amerikanische Nahostexperte und US-Regierungsberater Christopher M. Blanchard. Das nicht zuletzt, weil al-Qaida verstärkt eigene Madrasas zur Ausbildung des Nachwuchses einsetzt und auch, weil bekannt ist, dass unter anderem die Personen, die 2005 das Attentat auf die Londoner U-Bahn ausübten, direkte Absolventen von pakistanischen Madrasas waren.
Zugleich, so Blanchard, sei das Problem der finanziellen Zuwendungen durch Regierungen, Organisationen und Einzelpersonen aus den Golfstaaten zu lösen, die meistens anonym, im Zuge der islamischen Spende, des Zakat, erfolgt. So ist von den wenigsten Madrasas offiziell bekannt, aus welchen Quellen sie sich finanzieren.
Man darf allerdings nicht vergessen, dass die USA heute die Früchte ihrer wenig durchdachten Außenpolitik zu Zeiten des Kalten Krieges ernten, als die CIA der größte Geldgeber für Madrasas in Afghanistan und Pakistan war, um die Ausbildung von Mudschaheddin-Kämpfern gegen die Sowjets zu stützen. So wurde also genährt, was sich heute in fürchterlicher Weise gegen den edlen Spender früherer Tage richtet.
Madrasas sind auch in anderen Ländern im Aufwind, meist als Resultat von regionaler Armut und Versagen staatlicher Bildungsinfrastruktur. So spielen die islamischen Schulen in Bangladesch, in Indonesien und Malaysia eine wichtige Rolle im Bildungssystem.

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Drehung mit dem Wind

Drehung mit dem Wind

Hillary Clinton betet Mittwochfrüh. Das Ritual begann, als sie, seinerzeit noch Juniorsenatorin von New York, in einen einflussreichen Washingtoner Gebetskreis aufgenommen wurde und damit Zutritt zu einem Teil des Altherrenregiments am Capitol Hill erhielt. Jede Woche kam Clinton dort mit einer Handvoll Senatorenkollegen zur Fürbitte zusammen. Zwei Jahre später holte sie sich im Rennen um das Präsidentenamt einen religiösen Konsulenten an ihre Seite. Linke Blogger mokierten die Entscheidung ebenso wie Barack Obamas Entschluss, den Pfingstler-Pastor Joshua DuBois zum „religiösen Reichweitenberater“ seines Wahlkampfs zu machen. Die Aufgabe der Berater war klar definiert: den Bibeltreuen des Landes die für ihren Geschmack zu linke Agenda der demokratischen Partei schmackhaft zu machen. Trotz vorsichtig abnehmender Religiosität – laut American Religious Identification Survey kann ein Fünftel des Landes mit Religion nichts anfangen – steht außer Zweifel, dass Obamas öffentliche Glaubensbekenntnisse für seinen Sieg unerlässlich waren. Dass inzwischen katholische Bischöfe beim Gesetzesvorschlag zur allgemeinen Krankenversicherung mitreden und Schwangerschaftsabbrüche von den finanziellen Leistungen künftig ausgenommen sein könnten, zeigt, wie schmal der Grat zwischen Diplomatie und dem Verrat der eigenen Ideale ist. Stumm verweisen die Demokraten auf die Macht der religiösen Rechten. Im offiziellen Sprech werden die Kompromisse indes verschwommen als Mittel zum obersten Zweck, dem Vorwärtskommen, genannt.

Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Im Kontext der Interaktion

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Neues Christian-Doppler-Labor „Contextual Interfaces“ an der Uni Salzburg gestartet.

Als gemeinsames Projekt von Wissenschaft und Wirtschaft, das experimentelle Studien mit kooperativer Forschung verbindet, wurde mit 1. Dezember das neue Christian-Doppler-Labor „Contextual Interfaces“ an der Universität Salzburg eröffnet.
Österreichs renommiertester Usability- beziehungsweise Interface-Forscher Manfred Tscheligi hat an der Uni Salzburg eine Arbeitsgruppe für Human Computer Interaction & Usability aufgebaut. Sie wird die wissenschaftliche Basis des neuen CD-Labors bilden. Als Industriepartner sind Audio Mobil Elektronik, Zulieferer für die Autoindustrie in Ranshofen, und Infineon Technologies Austria in Villach mit an Bord.
Ziel der Forschung im CD-Labor „Contextual Interfaces“ ist, für die Benutzerschnittstellen (Interfaces) in den beiden Interaktionskontexten Automobil und Fabrik neue empirische Erkenntnisse zu gewinnen und neue Methoden zu entwickeln. Die Wissenschaftler untersuchen alternative Interfaces sowie das Zusammenspiel von Mensch und Roboter.

Situative Anpassung
„Contextual“ meint, dass die-se Schnittstellen an die ganz besondere Situation der Benutzung angepasst werden. Im Fall von Audio Mobil geht es um Multimedia-Anwendungen im Auto-Cockpit: Informationssysteme, Navigation, Unterhaltung. Geschäftsführer Thomas Stottan: „Mit dem CD-Labor wollen wir zu neuen Kenntnissen über diese Interfaces kommen. Diese zu nutzen und in neuen Technologien umzusetzen bedeutet, dass die Fahrzeuge der Zukunft benutzerfreundlicher und sicherer zu bedienen sein werden.“
Bei Infineon untersucht man Interaktionsabläufe zwischen Mensch und Maschine in der Halbleiterproduktion. CEO Monika Kircher-Kohl: „Wir bringen uns mit Engagement, aber auch mit hohen Erwartungen ein und erwarten wesentliche Impulse für die Umsetzung unseres hochflexiblen Produktionssystems der Zukunft.“ Der Struktur der CD-Kooperationen folgend, bringen Wissenschafts- und Wirtschaftspartner je 50 Prozent des Budgets auf. Das Projekt ist auf sieben Jahre mit zwischenzeitlichen Evaluierungen angelegt.

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Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Schnittstelle Mensch – Computer

Schnittstelle Mensch – ComputerCURE

Das österreichische Usability-Forschungscenter Cure bringt wissenschaftliche Disziplinen mit Projekterfahrung aus Forschung und Industrie zusammen, um die Benutz-barkeit von Systemen zu verbessern.

Warum bereitet die Bedienung vieler technischer Geräte oft Schwierigkeiten, wo sie doch dafür entwickelt wurden, uns das Leben einfacher zu machen?
Der Schlüssel zur Beseitigung solcher Probleme heißt „Usability“, also Benutzbarkeit. Die Qualität eines Interface, der Schnittstelle Mensch – Computer, bestimmt, wie wir damit umgehen, ob wir es benutzen können oder nicht, ob wir damit zu dem gewünschten Ergebnis kommen oder nicht. Das Interface (als Benutzeroberfläche) bestimmt wesentlich Wert und Erfolg eines Produkts oder
einer Technologie, ob Handy, Videorekorder oder Website.

Europäisches Format
Die konkrete Umsetzung von Usability wird als „Usability Engineering“ bezeichnet; darunter versteht man die Methoden und Verfahren bei der Entwicklung benutzerorientierter Systeme.
Obwohl der Bereich Usability und Usability Engineering von den USA, Skandinavien und dem anglikanischen Raum dominiert wird, konnte sich auch eine österreichische Organisation in diesem Forschungsfeld einen Namen machen und sich zu einem der größten unabhängigen europäischen Forschungszentren entwickeln: Cure, das Center for Usability Research & Engineering, mit Sitz in Wien.

Benutzbare Umwelt
Die Aufgabenstellung von Cure beschreibt Forschungskoordinator Arjan Geven so: „Für den Benutzer ist die Benutzer­oberfläche, das Interface, die Schnittstelle zum System, entscheidend. Die dahinterliegende technische Umsetzung ist aus seiner Sicht unwesentlich. Benutzbarkeit ist das zentrale Kriterium für den Erfolg von Systemen aller Art.
Aber benutzerorientiertes Design entsteht nicht von selbst, es erfordert vor allem das fundierte Verstehen von Menschen und ihren Alltagszusammenhängen, wie sie leben, wie sie arbeiten, wie sie mit anderen Menschen und Systemen interagieren und kommunizieren.“
Die Vision von Cure liegt in der Schaffung einer benutzbaren Umwelt, in welcher Technologien und Systeme die Menschen in ihren täglichen Anforderungen scheinbar nahtlos unterstützen. Das Zentrum verfügt dafür über eines der weltweit modernsten Forschungs- und Testlaboratorien in seiner Art. Mit über 300 Projekten und rund 200 Projektpartnern aus 15 Ländern in rund 20 verschiedenen Anwendungsbereichen ist Cure heute eine der führenden Organisationen auf dem Gebiet der Usability-Forschung in Europa.
Gründer und Leiter von Cure ist der Wirtschaftsinformatiker Manfred Tscheligi. Seit mehr als 20 Jahren erforscht er interaktive Systeme, Usability Engineering, User Interface Design und User Experience. Tscheligi gilt als Pionier dieses Forschungsgebietes in Österreich, mit weltweiter Reputation. Seit 2004 ist er auch Professor für Human Computer Interaction & Usability am ICT & S der Uni Salzburg.

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Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Der Jazz der Geschäftsprozesse

Der Jazz der GeschäftsprozesseAndy Urban

August-Wilhelm Scheer: „Es kommt darauf an, das Gleichgewicht zwischen Struktur und Flexibilität zu finden. Natürlich braucht man Organisationsstrukturen, weil man sonst ins Chaos abgleitet. Aber man darf nicht überregulieren, weil man sonst in Bürokratie versinkt und die Innovationskraft abtötet.“

1975 gründete August-Wilhelm Scheer als Professor an der Universität Saarbrücken das Institut für Wirtschaftsinformatik. Schwerpunkt seiner Forschung war das Informations- und Geschäftsprozess-Management.
1984 gründete er als Spin-off seines Instituts die IDS Scheer GmbH, die 1999 in eine börsennotierte AG umgewandelt wurde. Auf Basis seiner Forschung entwickelte er die wissenschaftliche Grundlage für das Aris-Konzept und die darauf aufbauende Aris-Software. 2008 erwirtschaftete das Unternehmen mit weltweit 3000 Mitarbeitern einen Umsatz von knapp 400 Mio. Euro.

Welchen zentralen Ansatz verfolgen Sie mit Ihrem Business Process Management (BPM)?
Wir erleben einen großen Wandel in den Organisationsparadigmen: vom Taylorismus, der Arbeitsabläufe in immer kleinere Schritte zerlegt und im vorigen Jahrhundert lange Zeit vorgeherrscht hat, hin zu einer ganzheitlichen Prozessbetrachtung. Der Grund liegt in der Informationsverarbeitung: weil man mehrere Tätigkeiten wieder an einem Arbeitsplatz macht. Viele Funktionen, die man früher auf verschiedene Personen verteilt hat, kann man wieder bündeln und in einem Ablauf erledigen, weil eben die Technik weiter ist.

Und dieser ganzheitlichen Prozessbetrachtung unterziehen Sie das ganze Unternehmen.
Genau, denn das, was – unterstützt durch die Informationstechnologie – an einem einzelnen Arbeitplatz passiert, sehen wir auch im gesamten Unternehmen: dass man die einzelnen Teile, die man auf Abteilungen zerstreut hat – und das Wort Abteilung ist ja schon selbsterklärend: man teilt ab –, wieder in einen Zusammenhang bringt und dadurch den gesamten Ablauf von Anfang bis zum Ende durchorganisiert. Und das ist die Idee, die wir verfolgen.

Was unterscheidet die von Ihnen entwickelte Aris-Software von ähnlichen Programmen?
Die Software basiert ja auf einem theoretischen Konzept. Ich habe zuerst ein Buch geschrieben, und anschließend haben wir die Software entwickelt. Dahinter steht also ein Rahmenkonzept; und das ist von der Konkurrenz schwer zu kopieren. Die Benutzeroberfläche oder so was, das kann man nachmachen, aber der Gedankengang, der dahintersteht, der ist schwer zu kopieren. Insofern haben wir schon eine einzigartige Stellung.

Und was ist das Besondere an dieser Software?
Das Besondere ist der Ansatz, dass man Organisationsprobleme nicht von der Technologie her betrachtet. Sonstige Informationsverarbeitung ist ja immer sehr technologieorientiert; da geht es um neueste Datenbanksysteme oder die neueste Programmiersprache. Wir hingegen schauen, was man mit dieser Technologie eigentlich macht. Bei uns geht es vor allem um die Performance: Wie kann man den Nutzen messen, einen Prozess bewerten und Prozesse durch Verkürzung und Verschlankung optimieren?

Was hat den Wissenschaftler 1984 bewegt, mit dieser Idee ins Geschäftsleben einzutreten?
Sie müssen sehen: Das war damals höchst ungewöhnlich; vor 25 Jahren war die Kluft zwischen Wirtschaft und universitärer Forschung noch viel größer. Ich hatte in Saarbrücken ein großes Forschungsinstitut mit 70 Mitarbeitern, das ich von null weg aufgebaut hatte. Doch in der Forschung kam ich immer nur bis zum Prototyp eines Software-Systems; das lief aber nie wirklich stabil. Es gab auch keine Strategie, es weiterzuentwickeln, keinen Vertrieb, kein Marketing, kein Benutzerhandbuch, gar nichts. Die Software diente ja nur dazu, ab und an für einen Vortrag oder im Rahmen einer Dissertation vorgeführt zu werden, aber sie musste nicht der Anwendung von Tausenden von Benutzern gerecht werden. Und insofern brauchte die Software auch nicht stabil zu sein. Genau das ist aber der Unterschied zwischen einem Prototypen, wie er in der Forschung entsteht, und einem Produkt, das alle diese Bedingungen erfüllen muss. Ein Produkt für den Markt muss stabil sein; es darf nicht ständig abstürzen, wenn Tausende von Benutzern damit arbeiten. Dafür braucht es eine konstante Entwicklungstruppe – an der Uni hat man die Assistenten immer nur drei, vier Jahre, dann gehen sie weg, und mit ihnen verschwindet das Know-how. Deswegen braucht man, um ein Produkt zu entwickeln, eine andere Organisationsform.

Aber noch mal gefragt: Warum haben Sie das selber in die Hand genommen?
Ganz einfach: Weil ich keinen anderen gefunden habe, der es machen wollte. Ich habe damals versucht, Industriepartner zu finden, die meine Idee umsetzen könnten. Aber die haben gesagt: Ja, die Idee ist sehr schön, aber da müssten wir investieren, und wir haben schon intern mehr Ideen, als wir umsetzen können. Da hab ich gesagt: Okay, wenn die es nicht wollen, und ich glaub an die Sache, dann muss ich es eben selber machen; und da hab ich die IDS Scheer GmbH gegründet.

Nun, Sie mussten ja auch investieren. Wie haben Sie die Finanzierung geschafft?
Ich hatte gerade nur 50.000 DM, um die GmbH zu gründen, aber ich hatte ein sehr gutes Geschäftsmodell: nämlich, dass man mit Consulting anfängt und dann die Rückflüsse aus dieser Beratungstätigkeit zur Entwicklung von Produkten einsetzt. Der Vorteil ist, dass man dann schon ständig Kundenkontakt hat. Ich halte nicht so viel von den Modellen mit Venture Capital, wo man erst einmal zwei, drei Jahre im stillen Kämmerchen etwas entwickelt und hofft, in die nächste Finanzierungsrunde zu kommen. Das ist der falsche Fokus: Der Erfolg ist nicht, den Finanzier zu überzeugen, sondern der Erfolg ist, den Kunden zu überzeugen, der hinterher auch kauft.

Und Ihre Idee und Ihr Geschäftsmodell sind von Anfang an durchgestartet?
Ja; der Grund war natürlich auch, dass wir als Erste auf dem Markt waren. Und vor allem: Die Idee war neu. Das ist ebenso notwendig, sonst gibt es ja keinen Grund für ein neues Unternehmen. Wenn ein Unternehmen genau dasselbe macht, was andere auch schon haben, dann fragt man sich doch, was das soll. Also man muss schon was Neues haben. Dann haben wir auch Kunden bekommen, die so ähnlich dachten wie wir. Auch wenn wir Daimler oder SAP als erste Kunden hatten, waren unsere Ansprechpartner im Grunde einige wenige Personen. Teilweise kamen die sogar von unserem Institut, hatten also die gleiche Denkweise wie wir.

Man könnte also überspitzt sagen, Sie haben Ihre Ansprechpartner in der Wirtschaft vorher in Ihrem Institut ausgebildet.
Na ja, nicht so ganz, aber bei einigen ist das schon der Fall gewesen.

Aber man kann sagen, dass Sie selbst zum einen mit Forschung und Lehre und zum anderen mit Ihren wirtschaftlichen Aktivitäten dieses Feld aufbereitet haben.
Ja, und ich hab das ja immer parallel betrieben; ich bin aus meinem Universitätsjob erst vor drei Jahren emeritiert worden. Dadurch hatte ich immer einen leicht distanzierten Blick auf das Unternehmen; ich konnte immer abgleichen, was die Trends in der Wissenschaft sind und was die IDS macht. Mit Blickrichtung vom Unternehmen auf das Forschungsinstitut konnte ich sehen, ob das, was in der Forschung gemacht wurde, eine Chance hatte, umgesetzt zu werden; und umgekehrt konnte ich sehen, ob das, was wir bei der IDS machten, veraltetes Zeug war oder noch auf der Höhe der Zeit.

Ich habe gelesen, dass Sie von Ihren Forschungskollegen, ich sage mal den Lehrpuristen, am Anfang etwas scheel angeschaut wurden oder sogar Gegenwind bekommen haben.
Ja, ein sogar recht bekannter Kollege hat einen Brief an das Ministerium geschrieben: Also, man müsste doch einmal nachschauen, was ich denn da eigentlich mache und ob das überhaupt mit den rechtlichen Gegebenheiten eines Universitätsprofessors vereinbar wäre. Ich weiß das vom gegenwärtigen Ministerpräsidenten vom Saarland, Peter Müller, er war zu der Zeit Assistent am juristischen Lehrstuhl. Und dieser Hinweis wurde damals zum Anlass genommen, zu überprüfen, ob das denn nicht ein Verstoß gegen den Grundgesetz-Artikel über die Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre wäre.

Aber diese Haltung hat sich doch seither deutlich verändert.
Auf jeden Fall, denn heute sieht man doch, dass, wenn wir als Volkswirtschaft innovativ bleiben wollen, wir diese Verbindung zwischen Forschung und Umsetzung enger schließen müssen. Heute werden Professoren eher animiert, Unternehmen zu gründen. Ich durfte auch als Universitätsprofessor kein Geschäftsführer im Unternehmen sein. Am Anfang war ich das, war ich der erste Geschäftsführer, weil der einzige Mitarbeiter, aber dann gab es einen Brief vom Kultusminister, dass ich das nicht sein durfte.

Wie aber haben Sie den dann folgenden Wertewandel oder den Wandel der alten Sichtweise erlebt?
Ich möchte das mit einer Ergänzung zum vorigen Punkt beantworten. Ich habe das positiv dargestellt, dass nun auch viele Universitätsprofessoren Unternehmen gründen oder auch die Forschungsinstitutionen selber, wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft, die heute ausweisen, dass sie Gründungen haben und das auch forcieren. Aber keines dieser Unternehmen ist bisher auf die Größenordnung von IDS Scheer gekommen; also zwischen 2000 und 5000 Mitarbeiter. Häufig bleiben diese Unternehmen relativ klein und werden dann aufgekauft, gerade auch von größeren ausländischen Unternehmen. Das bedeutet, dass wir als Volkswirtschaft mit Steuergeldern und der Forschungsförderung diese riskante Aufbauphase unterstützen, auch noch den Sprung in Unternehmensgründungen, und dann werden diese Unternehmen von anderen aufgekauft. Und das ist ein Ansatz, der aus Sicht des Steuerzahlers einfach nicht vernünftig ist. Wenn man die ersten Phasen unterstützt, muss man sehen, dass man dann auch in den Genuss jener Phasen kommt, wo die Steuern wieder zurückgezahlt werden.

Also, Forschung und Implementierung werden aus Steuergeldern finanziert, und die späteren Erträge und Gewinne werden privatisiert.
Genau, privatisiert oder sogar ins Ausland verkauft. Wir müssen versuchen, dass wir die Unternehmen auch selbst groß machen. Deswegen habe ich ebenso in der Politik immer eine derartige Wachstumsstrategie gefordert, weil ich glaube, dass das der größte Engpass ist. Wir in Europa sind gut in der Forschung, die Unternehmensgründungen könnten besser sein, aber unterm Strich kriegen wir da zu wenige internationale Player raus. Ich habe in Deutschland ein Programm „100 mal 100“ gefordert, also in kurzer Frist 100 Unternehmen zu identifizieren und die auf einen Umsatz von jeweils 100 Mio. Euro zu bringen. Das wäre ein Niveau von 500 Mitarbeitern, und damit kann man sich auch internationalisieren.

Einfache Formel, großes Ziel.
Ja, und mittlerweile hat auch die Politik versucht, das zu übernehmen. Es wurde schon einmal versucht, 100 Unternehmen zu identifizieren, aber wir haben keine gefunden. Und das zeigt ja den dringenden Bedarf: Wenn wir gar keine Unternehmen mit der Perspektive haben, in fünf Jahren auf 100 Mio. Umsatz zu kommen, dann sehen wir, dass wir da ein echtes Problem haben.

Sie hatten Angebote, in die Politik zu gehen, und sind ja so ein Entwickler von Ideen. Was hat Sie abgehalten, diesen Schritt zu tun?
Ich bin ja in gewisser Weise in der Politik tätig, als Präsident von Bitkom (Anm. d. Red.: Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien). Ich habe in dieser Funktion viele Ansprechpartner in der Politik, mit denen ich dann solche Fragen diskutiere. Es stimmt, vor zehn Jahren habe ich einmal überlegt, Wirtschaftsminister im Saarland zu werden, aber da hätte ich meine Rolle bei IDS Scheer aufgeben müssen. Gerade zu der Zeit war ja der Börsengang des Unternehmens, und das hätte unglaubwürdig ausgesehen: Erst geht er mit seinem Unternehmen an die Börse, und dann macht er was anderes. Ich hätte letztlich das Unternehmen im Stich gelassen, und das wollte ich verständlicherweise nicht.

Wie beurteilen Sie im Rückblick den Börsengang Ihres Unternehmens 1999?
Es war absolut richtig, an die Börse zu gehen, weil das Unternehmen damit einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad erreicht und von der Wirtschafts-und Finanzpresse stärker beachtet wird. Das Geld, das dadurch hereinkommt, muss man allerdings vernünftig einsetzen. Wir sind ja kurz vor dem Höhepunkt der Internet-Blase an die Börse gegangen. Viele Unternehmen haben damals andere Unternehmen zu weit überhöhten Preisen gekauft und damit das Geld gleichsam aus dem Fenster geschmissen. Das haben wir nicht gemacht; wir haben sorgfältig überlegt, welche Unternehmen wir zukaufen wollen, und haben das auch ganz gut hingekriegt.

Welche Auswirkungen brachte die Börsennotierung für das Unternehmen mit sich?
Der Druck ist dadurch natürlich enorm gestiegen, weil jedes Quartal berichtet werden muss. Aber das ist auch heilsam, weil das Unternehmen ständig unter Kontrolle ist. Man muss nur aufpassen, dass das nicht auf Kosten der mittel- und langfristigen Entwicklung geht. Aber man kann mit den Analysten reden und ihnen die Entwicklungsvorhaben und Investitionen kommunizieren. Dann kann die Ebitda-Marge kurzfristig ein bisschen runtergehen, aber man muss dann in ein, zwei Jahren auch die Zahlen liefern, die man versprochen hat. Dieses Zuverlässigsein-Müssen hat eine sehr heilsame Wirkung auf das Unternehmen.

Anderes Thema: Wie haben Sie die Bereitschaft erfahren, innovative Entwicklungen anzunehmen? Können Sie kurz eine Art Landkarte der Innovationsbereitschaft skizzieren.
Da sieht man natürlich große Unterschiede. Es wird häufig gesagt, und das stimmt aus meiner Sicht auch, dass Amerika wesentlich robuster in der Annahme neuer Ideen ist; in Deutschland müssen die schon perfektioniert sein, bevor man sie einsetzt. Amerikanische Produkte gehen häufig schon mit Beta-Versionen auf den Markt. Da wird viel stärker der Spieltrieb angesprochen, dass man mit etwas Neuem arbeiten muss; das Produkt muss noch nicht bis ins Letzte stabil sein, dort werden solche Schwächen akzeptiert. In Deutschland ist das weniger der Fall, deswegen brauchen wir dann auch manchmal ein bisschen länger mit Neuentwicklungen. In Japan ist man sehr detailorientiert und verspielt, liebt witzige Ideen, ist aber auch neugierig. China, das auf der Aufholjagd ist, ein Land, das uns mittlerweile schon als die Region der Vergangenheit ansieht, ist enorm aufgeschlossen, kopiert aber auch viel. Die kommen, sag ich gern, vom Kopieren zum Kapieren. Und das ist ja auch nicht schlecht, das hat Japan auch gemacht. Die haben schon in den 50er Jahren kopiert und danach darauf aufbauend eigene Dinge entwickelt. Und in China ist das Kopieren ja teilweise auch eine Ehrenbezeugung. Man will nicht jemandem etwas stehlen, wie es bei uns oft dargestellt wird, sondern man drückt jemandem auch seine Anerkennung aus, indem man ihn kopiert. Da prallen dann unterschiedliche Kulturen, rechtliche Systeme und Interessen aufeinander.

Sie weisen gerne auf die Analogie zwischen Jazz und Unternehmensführung hin. Was haben BPM und improvisierte Musik gemein?
Dass es darauf ankommt, das Gleichgewicht zwischen Struktur und Flexibilität zu finden. Natürlich braucht man Organisationsstrukturen, weil man sonst ins Chaos abgleitet. Aber man darf nicht überregulieren, weil man sonst in Bürokratie versinkt und die Innovationskraft abtötet. Und wie im Jazz gibt es auch in der Unternehmensführung kein einfaches Textbuch, aus dem man alles lernen kann. Ich vergleiche Unternehmensführung mit Jazz, weil beide eine Gesamtleistung erzeugen und dafür das Zusammenspiel und die Kreativität unterschiedlicher Menschen brauchen. Beim Jazz übernimmt jeder Musiker Verantwortung für den Gesamtklang, hat aber in der Ausgestaltung seines Parts großen Freiraum und kreative Freiheit.

Und umgelegt auf Geschäftsprozesse bedeutet das?
Auch in modernen Organisationen brauchen wir einerseits ein Gerüst, das die Prozesse festlegt, andererseits müssen wir aber noch so viele Freiheiten haben, dass man auch Abweichungen davon organisieren kann. Deswegen hat ein gutes Workflow-System immer auch ein Exception-Handling; dass man also Ausnahmeregeln machen kann oder die Prozesse im Rahmen einer generellen Struktur ad hoc festlegt. Man hat zwar ein Rahmenkonzept, wie ein Kundenauftrag bearbeitet wird, aber wenn ein Auftrag kommt, erhält der seine individuelle Beschreibung ad hoc, weil er ja ganz eigene Eigenschaften und Anforderungen hat.

Sie würden dann, analog zur Jazz-Terminologie, von Improvisation sprechen.
Ja, das ist genau wie beim Jazz. Wenn die eine Lösung nicht funktioniert oder man hat einen Fehler gemacht, dann liegt vielleicht die richtige Lösung nur knapp daneben. Wenn man meint, man hat einen falschen Ton gegriffen, braucht man nur einen Halbton höher oder tiefer zu gehen, und der passt dann schon wieder zu der Harmonie. Das ist ein wichtiger Punkt: dass man nicht bürokratisch sagt, Projekt aufsetzen, so und so ist die Aufgabe, und wenn es nicht klappt, geh ich wieder zum Start zurück, sondern dass man überlegt, wo können Lösungen in der Nähe liegen, die besser funktionieren als die ursprüngliche.

Wie bei dem von Ihnen oft zitierten Beispiel Honda.
Genau so. In den 90er Jahren plante Honda den Markteintritt mit schweren Motorrädern in den USA. Ein Team wurde losgeschickt, war aber nur mit geringem Budget ausgestattet; deswegen nahm es für die eigene Fortbewegung lediglich Leichtmotorräder mit. Da in den USA durch Marken wie Harley Davidson bereits ein erfolgreicher heimischer Markt für schwere Maschinen bestand, war es für Honda schwer, in dieses Marktsegment einzudringen. Das Team merkte aber, dass Leichtmotorräder ein Erfolg sein könnten. Daraufhin wurde die ursprüngliche Strategie spontan geändert, und Honda konnte in dem neu anvisierten Marktsegment erfolgreich punkten.

Sie betreiben Ihr Saxofonspiel mit viel Enthusiasmus. Machen Sie das auch für Ihre persönliche Entwicklung?
Schon, denn der Mensch ist ja mehrdimensional; jeder hat mehrere Seiten an sich: berufliche, private, gesellschaftliche, individuelle. Und man kann die Dinge ja nicht nacheinander machen, sondern nur parallel. Bei mir gibt es die wissenschaftliche Seite, dann die unternehmerische, etwas die politische und zusätzlich auch die künstlerische Seite. Ich mache das unheimlich gerne. Es ist auch ein wenig Teil meines Anti-Aging-Programms, weil beim Jazz muss man schnell denken, man hat eine emotionale Beziehung zur Musik und man muss die Motorik beherrschen. Und man kann das bis ins hohe Alter machen.

Sie sind jedenfalls schon deutlich älter, als es John Coltrane geworden ist.
Das stimmt; und den Charlie Parker hab ich sogar schon verdoppelt.

Welche Pläne haben Sie für die nächste Zukunft?
IDS Scheer hat ja jetzt einen neuen Eigentümer, da halte ich mich im Moment bewusst zurück, obwohl ich immer noch in viele Diskussionen eingebunden bin. Aber mir gehört ja – zu 60 Prozent – noch ein zweites Unternehmen, IMC (Anm. d. Red.: Information Multimedia Communication AG), das E-Learning-Systeme entwickelt; das ist nicht so groß, hat aber immerhin auch zwischen 150 und 200 Mitarbeiter. Und dann bin ich noch als Bitkom-Präsident und in verschiedenen Aufsichtsräten tätig.

Was sind Ihre persönlichen Ziele und Wünsche?
Ich bin in einer Umbruchphase. Mein Vermögen, das vorher im Unternehmen IDS Scheer steckte, habe ich jetzt in einer anderen Form, nämlich auf dem Bankkonto. Aber Bankkonten sind ja langweilig. Man muss sehen, dass man mit dem Geld auch etwas Vernünftiges macht. Ich will nichts überstürzen, aber ich kann damit Sponsoring-Aktivitäten im künstlerischen und im wissenschaftlichen Bereich finanzieren. Ich habe bereits zwei Stiftungen gegründet. Dafür überlege ich mir Konzeptionen, habe aber derzeit noch kein fertiges Konzept. Aber ich habe viele Ideen, die mir am Herzen liegen. Beispielsweise gibt es jetzt eine starke Diskussion über Managergehälter; und da muss man fragen, woran das liegt, dass die Dinge aus dem Ruder laufen, und wie man dagegensteuern kann. Generell glaube ich, dass in Europa gute Manager fehlen und man überlegen sollte, wie man dieses Gebiet mit Ethik verknüpfen und neue Ausbildungsmodelle für Manager entwickeln kann. Das interessiert mich, und da könnte ich wieder etwas bewegen.

Wollte ich gerade sagen, denn das ist ja ein weites Feld.
Ja, eben. Nur mal so eine Idee: dass ich ein Coaching für, sagen wir einmal, zehn Nachwuchsmanager ausschreibe. Ich kenne in dem Bereich wirklich gute Leute. Da kann man sich dann einmal im Monat zu einem Kaminabend treffen, und dort hält ein renommierter Manager einen kurzen Vortrag und diskutiert anschließend mit den zehn Leuten. Ich glaube, dass man Werte nur durch solche persönlichen Gespräche vermitteln kann; dass da Beispiele erzählt werden, dass berichtet wird, wie sich andere in unterschiedlichen Situationen verhalten haben, und dass man dann darüber ins Reden kommt. Ich denke das so, dass man in den Unternehmen High Potentials so um Mitte 30, die das Zeug haben, mal in höhere Positionen zu kommen, identifiziert und die schon einmal in Diskussion mit gestandenen und erfahrenen Managern bringt. Ich kenne ja auch diese Karrieristen, so nach dem Motto „Me, Myself & I“, die nur an sich selbst und ihr Fortkommen denken, schon fast autistisch sind und ihr ganzes Umfeld gar nicht richtig einschätzen können. Ich bin derzeit schon in die Analyse und Bewertung solcher High Potentials eingebunden, und ich muss Ihnen sagen, es ist wirklich so, dass die, die die besten Noten bekommen, tendenziell eine kleine Macke haben. Das ist leider so.

Also, wie man so sagt, dass Genies immer auch an etwas anderen Zuständen entlangschrammen.
Die stabilen Mitarbeiter, die das Unternehmen tragen, sind irgendwie durchschnittlich. Das ist aber auch positiv, denn die laufen nicht aus dem Ruder; aber die, die außergewöhnliche Ideen einbringen, die haben Ecken und Kanten und sind nicht so einfach; und da muss man sehen, wie man eben diese negativen Aspekte ein wenig abschleifen kann. Ich glaube, dass das nur durch Coaching, durch das individuelle Eingehen auf einzelne Persönlichkeiten funktioniert.

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Economy Ausgabe 79-12-2009, 18.12.2009

Netlog ist das Facebook der Teenies

Netlog ist das Facebook der TeeniesAndy Urban

88 Prozent der 14-Jährigen sind in einem sozialen Netzwerk im Internet registriert. Das zeigt eine Studie über die Internet-Nutzung der Jugendlichen. Die neuen Netzwerke könnten zu einer lebendigeren, partizipativen Demokratie führen. Das Potenzial der Netzwerke haben die Besetzer und Besetzerinnen von Hörsälen an den Unis gezeigt.

Das Facebook der Teenager heißt Netlog. Dieses Internet-Portal ist das derzeit beliebteste soziale Netzwerk von 14-Jährigen in Österreich. Noch nie gehört? Das ist nicht verwunderlich. Selbst viele Eltern von 14-Jährigen werden Netlog nicht kennen. Denn sie wissen generell wenig Bescheid darüber, wo sich ihr Nachwuchs im Netz herumtreibt. Nur 34 Prozent der Eltern setzen den Computer-Aktivitäten ihrer Sprösslinge zeitliche Grenzen. Das sind die ersten Ergebnisse einer noch nicht veröffentlichten Studie über die Internet-Medienkompetenz von 14-Jährigen. Für die Studie befragten das Demokratiezentrum Wien, die Donau-Universität Krems und das Informations- und Technologiezentrum (ICT&S Center) der Universität Salzburg knapp 400 14-jährige Schüler und Schülerinnen in Wien, Niederösterreich und Salzburg.

economy: Welche vorläufigen Ergebnissen hat Ihre Studie?

Peter Parycek: Soziale Netze im Internet sind sprunghaft angestiegen. 88 Prozent der von uns befragten 14-Jährigen sind in einem sozialen Netzwerk registriert und halten sich zumindest fallweise dort auf. Überraschenderweise dominiert nicht Facebook, sondern Netlog, ein speziell auf Jugendliche ausgerichtetes Portal.
Gertraud Diendorfer: Das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit verändert sich bei den Jugendlichen. Was man früher ins Tagebuch geschrieben hat, wird nun online gestellt und von vielen konsumiert. Bei der Weitergabe von Telefonnummern sind sie zwar vorsichtig. Doch die Digital Natives stellen sich im Internet viel freier und leichter dar als die ältere Generation.
Peter Parycek: Der Business-Autor Don Tapscott hat seine Tochter gefragt, warum sie bestimmte Fotos auf Facebook stellte – sie würde so nie einen Job kriegen. Sie sagte darauf: „Papa, du kennst dich nicht aus.“ Er war empört. Natürlich kenne er sich aus, er kenne die Unternehmen, schließlich arbeite er im Silicon Valley. Sie daraufhin wieder: „Papa, du kennst dich nicht aus. Bei einem Unternehmen, das mich nach solchen Kriterien beurteilt, will ich gar nicht arbeiten.“

Ein 15-jähriger Praktikant bei Morgan Stanley in London hat einen Bericht über die Mediennutzung seiner Freunde geschrieben und damit riesiges Aufsehen erregt. Kurz gefasst: Jugendliche erwarten, alles gratis zu bekommen – Musik über Downloads, Gratiszeitungen etcetera. Welche Medien konsumieren die 14-Jährigen in Österreich?
Gertraud Diendorfer: You­tube, Netlog und Google sind die Websites, die am häufigsten angesurft werden. Bei der Frage, welche Websites sie im Bereich Politik, Staat und Behörden kennen, nannten die Jugendlichen die Websites der klassischen Medien, zum Beispiel die Kronen Zeitung oder die Seiten des ORF. Aber auch Help.gv.at und natürlich Wikipedia. Wir haben die Jugendlichen nach den Themen gefragt, die sie interessieren. Am meisten interessieren sie sich für die Rechte von jungen Menschen und alle Themen, wo sie das Gefühl haben, das sei nahe bei ihnen. Hardcore-Politik interessiert sie nicht so.

Haben Sie nach Sexualität gefragt?
Gertraud Diendorfer: Nein, das haben wir nicht. Wir haben gefragt, ob es zu Hause Regeln dafür gibt, wie sie das Internet benutzen dürfen. Nur bei 34 Prozent der 14-Jährigen gibt es Regeln. Besonders bei Burschen, bei Mädchen weniger. Der Großteil der Jugendlichen hat keine Regeln.

Betrifft das auch Computerspiele?

Peter Parycek: Alles. Was sie spielen, wie oft sie spielen, wie lange sie spielen. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen Burschen und Mädchen: Burschen spielen viel häufiger.

Computerspiele sind doch sowieso oft reine Zeitverschwendung. Da kann es für Mädchen wohl kein Nachteil sein, wenn sie weniger Zeit damit verbringen.
Peter Parycek: Das kommt darauf an. Wer bei Online-Spielen wie „World of Warcraft“ Leader einer Gilde wird, hat ein hohes Führungspotenzial entwickelt. In der Online-Simulation „Sim City“ geht es darum, eine Stadt zu verwalten. Das ist anspruchsvoll. Spiele haben nur auf den ersten Blick keinen unmittelbaren Mehrwert. Das Problem ist natürlich, dass Spiele zur Sucht werden können.

Gibt es weitere Unterschiede beim Internetverhalten von Burschen und Mädchen?
Gertraud Diendorfer: Wir haben gefragt, wann sie zum ersten Mal das Internet verwendet haben. Das war im Schnitt mit acht Jahren. Doch Burschen waren ein Jahr früher dran als Mädchen. Spätere Gymnasiasten waren ein Jahr früher dran als spätere Hauptschüler. Burschen schätzen sich als Technikfreaks ein und sind generell technikaffiner als Mädchen. Sie bringen sich mehr selber bei, laden sich mehr Programme herunter. Das ist ein klarer Hinweis auf Handlungsbedarf, um Mädchen zu unterstützen.

Das Demokratiezentrum leitet Projekte wie Polipedia.at, um Demokratie an Schulen zu stärken. Nun leben die protestierenden Studierenden vor, wie partizipative Demokratie funktioniert. Waren Sie schon im Audimax an der Uni Wien?
Peter Parycek: Nein. Ich verfolge es live über den Webstream und über Blogs und Tweets. Was da passiert, wird die Netzwerke der althergebrachten Organisationen infrage stellen. Solche Proteste hat bisher immer die ÖH organisiert. Eine Organisation, die hierarchisch aufgebaut ist, mit klaren Rollen und Konzepten. Hätte die ÖH die jetzige Aktion begonnen, wäre spätestens nach dem vierten Tag ein Anruf von Rot und Schwarz eingegangen: „Schön, dass ihr demonstriert habt, aber jetzt ist Ruhe. Ihr wollt ja später noch Karriere machen.“ Momentan weiß man gar nicht, wer der Kopf der Bewegung ist.
Gertraud Diendorfer: Dieses basisdemokratische Vorgehen wird intensiv diskutiert. Braucht die Bewegung gewählte Sprecher, damit in der Unipolitik etwas weitergeht? Das wird im Moment eher verweigert. Wie kann man etwas umsetzen, wie kann man die Bewegung zum Erfolg bringen, wenn man keine Sprecher nominiert? Wie lange kann man durchhalten? Über die Frage, welche Rolle die Neuen Medien bei der Audimax-Besetzung und der Kontrabewegung spielen, wie kommuniziert wird, toben ja wilde Schlachten in den Online-Foren.
Peter Parycek: Was wir zurzeit erleben, wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Traditionelle Organisationen werden ihre Rolle neu definieren müssen und teilweise verschwinden. Die Gesellschaft kann sich durch die Kraft der Netzwerke selbst organisieren.

Wie kann sich die Gesellschaft selbst organisieren?
Peter Parycek: Die Frage ist eher: Was kann eine Gesellschaft noch alles erreichen, wenn sie es bereits geschafft hat, gemeinsam eine Enzyklopädie zu schreiben? Linux und Wikipedia sind Phänomene, die die Gesellschaft selbst erschaffen hat. Sie sind eine gemeine Konkurrenz für Microsoft und kommerzielle Enzyklopädien, weil sie auf einem anderen Business-Modell basieren. Die Gift Economy, die Geschenkökonomie, ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Die Leute programmieren Open-Source-Software, schreiben Blogs und erstellen Wikipedia-Artikel. Aus Spaß. Sie schaffen Content, meistens als zweiten Job, für den sie nichts bezahlt bekommen. Mit dem ersten Job decken sie ihre Grundbedürfnisse ab. Wenn es in diesem Bereich funktioniert, warum sollte es nicht auch im politischen Bereich funktionieren? Die Studentenproteste sind vielleicht ein Vorbote einer neuen, aktiver gelebten Demokratie. Die Gesellschaft kann sich schnell selbst organisieren und braucht die traditionellen Organisationen nicht mehr.

Das setzt aber voraus, dass man einen gut bezahlten ersten Job hat, damit man sich das unbezahlte Wikipedia-Schreiben leisten kann. Die neuen technischen Möglichkeiten machen das Organisieren sicher schneller – doch verändert sich deshalb die Form des Protests? Die Hainburg-Besetzer vor 25 Jahren haben sich auch schnell organisiert, mit Telefonketten und Flugblättern.
Gertraud Diendorfer: Auch früher hat man Druck von unten gebraucht, um Interessen zu formulieren. Die wurden dann durch Interessenvertretungen und politische Gruppierungen weitergetragen. Heute kann man über Kanäle kommunizieren, die flacher hierarchisiert sind. Wie weit der Protest auch ein Protest gegen die studentische Vertretung ist, muss sich erst noch herausstellen. Jetzt ist es ein Protest gegen bestimmte Zustände an den Universitäten und für eine höhere Dotierung. Spannend ist jetzt, wie weit es basisdemokratisch gelingt, aufbauend auf den neuen Informationskanälen neue Formen der Vertretung zu finden. Man könnte das Potenzial, das die Neuen Medien immer versprochen haben, aber nie in die Realität umgesetzt haben, nun realisieren.
Peter Parycek: Es gibt die schöne These von Clay Shirky, einem amerikanischen Medienprofessor und Autor, dass kulturtechnische Revolutionen erst dann greifen, wenn die Technologie ihren ersten Glanz verloren hat. Wenn jeder und jede sie zur Verfügung hat. Als die Buchdruckmaschine erfunden wurde, ist nicht sofort eine Revolution ausgebrochen. Das geschah erst, nachdem die breite Bevölkerung gelernt hatte zu lesen und das durch Bücher vermittelte Wissen verwerten konnte. Ein ähnliches Phänomen erleben wir jetzt, 40 Jahre nach der Geburt des Internets.

Wie können Schülerinnen und Schüler partizipative Demokratie lernen?
Gertraud Diendorfer: Schuldemokratie ist formalrechtlich vorhanden, es gibt sie schon lange. Doch die gelebte Praxis ist ausbaufähig. Je mehr Möglichkeiten es für Schüler und Schülerinnen gibt, Schülerparlamente selber zu organisieren, je mehr Mitsprachemöglichkeiten sie erhalten, desto stärker die Partizipation. Die Gesellschaft muss genügend Angebote für politische Partizipation schaffen und die Jugendlichen ernst nehmen.

Was 14-Jährige interessiert

Welche Internet-Medien konsumieren 14-Jährige? Welche Websites öffentlicher Institutionen nutzen sie? Solche Fragen will eine Untersuchung der Medienkompetenz von 14-jährigen Schülern und Schülerinnen klären. An der noch nicht abgeschlossenen Studie arbeiten das Demokratiezentrum Wien, die Donau-Universität Krems und das Informations- und Technologiezentrum (ICT & S Center) der Universität Salzburg. Befragt und getestet wurden 379 14-Jährige an Gymnasien und Hauptschulen in Wien, Niederösterreich und Salzburg.
Auf die Frage, welche Websites sie häufig nutzen, sollten die Jugendlichen drei Nennungen abgeben. Spitzenreiter ist Youtube mit 195 Nennungen. An zweiter Stelle steht das europäische Internetportal Netlog mit 142 Nennungen. Netlog bietet ein soziales Netzwerk wie Facebook, richtet sich aber speziell an Jugendliche ab einem Alter von circa 13 Jahren. Vom Facebook-Fieber, das in den letzten ein, zwei Jahren vor allem die jungen Erwachsenen befallen hat, sind die 14-Jährigen laut Studie noch nicht voll angesteckt. Es gibt allerdings Unterschiede zwischen Burschen und Mädchen. Typische Mädchen-Sites sind Facebook, MSN, Uboot, Myspace und Yahoo.

Über Rechte informieren
Auch das Interesse der Jugendlichen für politische und gesellschaftspolitische Fragen wurde erkundet. Am meisten – zu 82 Prozent – interessiert die 14-Jährigen, welche Rechte junge Menschen haben. Für Gesundheitsthemen interessieren sich 69 Prozent, für Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten 65 Prozent. Hardcore-Politikinformationen über Parlament, Verfassung und Gesetze oder über die aktuellen politischen Ereignisse in Österreich finden die Jugendlichen (und nicht nur sie) dagegen bloß mäßig spannend.
Tendenziell bekunden die Mädchen etwas weniger Interesse an politischen Themen als die Burschen. So sagen 34 Prozent der Mädchen und 48 Prozent der Burschen, sie seien an der EU und Europa interessiert. 25 Prozent der Mädchen und 46 Prozent der Burschen sind am Thema Zivilcourage interessiert. Lediglich bei der Chancengleichheit von Männern und Frauen verändert sich das Verhältnis. 56 Prozent der Mädchen und 44 Prozent der Burschen finden das interessant.
Mit acht Jahren beginnen die Kinder, das Internet häufig zu nutzen. Spätere Gymnasiasten sind früher dran als spätere Hauptschüler, was wohl auch ökonomische Gründe haben könnte. Doch mit 14 haben fast alle Zugang zu einem Computer. Rund 70 Prozent bringen sich alles selber bei, die anderen erhalten Hilfe von Freunden, Lehrern und Eltern. Nur 34 Prozent der 14-Jährigen erhalten von ihren Eltern Regeln über ihre Internet-Nutzung.

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Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Lernrunde und Echtbetrieb

Lernrunde und EchtbetriebBMWF

Friedrich Faulhammer: „Minister Hahn aktiviert 34 Millionen Euro aus seiner Reserve für Ausnahmesituationen. Das Geld muss in den Hörsälen bei den Studierenden ankommen.“ Der Generalsekretär des Wissenschaftsministeriums über universitäre Ressourcenbündelung, mangelnde Beschäftigungsfähigkeit und unverbindliches Studieren.

economy: Sie stehen mit den Universitäten derzeit in Leistungsvereinbarungsverhandlungen. Parallel dazu entsteht der österreichische Hochschulplan, eine Art universitäre Langzeitstrategie. Sind die aktuellen Budgetverhandlungen eine Art Provisorium?
Friedrich Faulhammer: Keineswegs. Die Leistungsvereinbarungen sind eine Konsequenz des Universitätsgesetzes 2002. Darin wurden für die Universitäten dreijährige Globalbudgets festgelegt. Im Gegenzug müssen diese die entsprechenden Leistungen erbringen. Für 2007 bis 2009 ist das geschehen, jetzt verhandeln wir 2010 bis 2012. Weiters haben wir mit den Arbeiten zum österreichischen Hochschulplan begonnen: Es geht um die Abstimmung der Angebote untereinander. Das Projekt soll rechtzeitig zu Beginn der nächsten Leistungsvereinbarungsverhandlungen fertig sein. Wir nehmen uns Zeit, um grundsätzliche Fragen breit zu diskutieren, etwa, welche Erwartungen die Gesellschaft an die Universitäten hat, ob Bildung oder Ausbildung im Vordergrund stehen soll.

Bedeutet „Abstimmung der Angebote untereinander“ Sparmaßnahmen?
Es geht um die Frage, wie wir unsere Ressourcen noch besser einsetzen können. Es gibt sehr gute Beispiele, wie etwa das Projekt Nawi Graz, wo sich die Universität und die TU Graz in den Bereichen Physik, Chemie und Mathematik abstimmen. Ziel ist es, die künftige Schwerpunktsetzung besser zu koordinieren, also welche Universität vermehrt in welchen Bereich investiert. Damit werden beide besser, und der Forschungs-Output steigt.

Wie verbindlich soll der österreichische Hochschulplan sein:eine Diskussionsgrundlage oder mehr?
Ziel ist, dass der breiten Diskussion eine Art Weißbuch für den österreichischen Hochschulraum folgt, um bei den nächsten Leistungsvereinbarungen konkrete Umsetzungsschritte mit den Universitäten zu verhandeln.

Wie wirken sich die Studentenproteste auf die Budgetverhandlungen mit den Unis aus?
Auswirkungen auf die Gespräche mit den Unis zu ihren jeweiligen Budgets sehe ich keine. Das Budget für die kommenden drei Jahre steht. Diese Mittel gilt es nun sinnvoll einzusetzen. Zusätzlich aktiviert Minister Hahn 34 Mio. Euro aus seiner Reserve für Ausnahmesituationen. Dieses Geld muss in den Hörsälen bei den Studierenden ankommen.

Mit dem Image der Bachelor-Abschlüsse steht es nicht zum Besten. Müssen bessere Studieninhalte oder vielmehr gleiches Geld in der Wirtschaft her?
Sie sprechen ein vielschichtiges Problem an. Der Bachelor ist noch zu wenig weit verbreitet und bekannt. Auch sind die Curricula zum Teil noch nicht so gestaltet, dass der Bachelor-Abschluss den Einstieg ins Berufsleben ebnet. Damit sind wir beim Punkt: Diese Beschäftigungsfähigkeit gilt es zu sichern. Entsprechend ist in der UG-Novelle vorgesehen, dass in jedem Bachelor-Curriculum künftig ein Qualifikationsprofil enthalten sein soll, sodass Studierende und Arbeitnehmer genau über Qualifikationen und Einsatzmöglichkeiten Bescheid wissen. Die Anstellung im öffentlichen Dienst wird uns seit Langem vorgehalten. Tenor: Solange der Bachelor nicht A-wertig ist (die Besoldungsstufe für Akademiker, Anm. d. Red.), wird es auch die Wirtschaft nicht anerkennen. Da müssen wir dranbleiben und entsprechende Schritte setzen.

Die UG-Novelle führt ein den USA ähnliches Tenure-Track-System ein. Erwarten Sie, dass Wissenschaftler nun verstärkt nach Österreich kommen?
Ja, wir erwarten uns verstärktes Interesse. Bei den planbaren Karrieren gab es in den vergangenen Jahren Unsicherheiten. Ich denke schon, dass das Tenure-Track-System für Wissenschaftler, die sich überlegen, nach Österreich zurückzugehen, durchaus attraktiv sein kann.

Seit Wegfall der Studiengebühren steigen die Studierendenzahlen kräftig an. Ist das Fördersystem für finanziell Schwache weniger treffsicher als angenommen?
Wir müssen die Faktoren, die zur Zunahme geführt haben, genau analysieren. Es ist denkbar, dass eine Rückführung zur Unverbindlichkeit des Studiums erfolgt, wie es vor Einführung der Studienbeiträge der Fall war: dass man automatisch inskribiert und schaut, was passiert. Die Studienbeiträge führten dazu, dass das Studium konsequenter betrieben wird. Die Absolventenzahlen stiegen an, die durchschnittliche Studienzeit sank. Es gibt daher Grund zur Annahme, dass die neue Regelung dies konterkariert.

Die Leistungsvereinbarungsverhandlungen war einigen Rektoren zu straff geführt. Ist bis Jahresende wieder alles gut?
Die erste Runde vor drei Jahren war eine „Lernrunde“ – sowohl für die Unis als auch das Ministerium. Diesmal sind wir mit konkreteren Vorstellungen auf die Universitäten zugegangen, haben Forderungen formuliert, und das führte zur einen oder anderen Aufregung auf Rektorenseite. Wir haben die Verhandlungen mit einem Großteil der Universitäten bereits abgeschlossen, und ich glaube, dass wir mit den anderen auf gutem Weg sind, zu einem Abschluss zu kommen. Wir haben substanziell mehr Geld für die Universitäten zur Verfügung – ein Plus von 17 Prozent in den kommenden drei Jahren – das gilt es nun effizient einzusetzen.

Sie sagen, dass die Unis eine Leistungssteigerung vollzogen haben. Worin besteht diese?
Die Universitäten sind dazu übergegangen, forschungsstarke Persönlichkeiten, die auch Auslandserfahrung gesammelt haben, zu berufen. Das ist ein neuer Zugang, der sich auch darin begründet, dass wir bei den Leistungsvereinbarungen eine steigende Publikationszahl einfordern. Dafür brauchen wir noch mehr Wissenschaftler. Denn klares Ziel ist es auch, sich bei der Lehre künftig noch stärker an internationalen Standards zu orientieren.

Was halten Sie von einem Bildungsvolksbegehren?
Mir geht es in erster Linie um eine breite Diskussion und Maßnahmen, um die Qualität an Unis und Fachhochschulen weiter zu steigern. Das Instrument ist dabei zweitrangig.

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Das Christkind kauft online ein

Das Christkind kauft online einPhotos.com

2,6 Mio. Österreicher kaufen bereits per Mausklick ein – Tendenz: steigend. Doch Vorsicht ist geboten. Es gibt trotz Gütesiegel noch genügend Stolperfallen, derer sich jetzt auch die EU annehmen will.

Das Onlineshopping wird in Österreich immer beliebter. In den letzten zwölf Monaten haben bereits 2,6 Mio. Menschen im Alter von 16 und 74 Jahren Waren oder Dienstleistungen im Internet gekauft, das entspricht 41 Prozent der Bevölkerung dieser Altersgruppe. Das ist das Ergebnis einer telefonischen Befragung, die die Statistik Austria von Februar bis April dieses Jahres durchgeführt hat.
Seit 2003 sei der Anteil der Internet-Käufer um 30 Prozentpunkte auf das Vierfache gestiegen, heißt es in der Erhebung mit dem Titel Computer- und Internetnutzung in Haushalten 2009. Die größten Anteile an Onlineshoppern findet man in den jüngeren Altersgruppen: 62 Prozent der 25- bis 34-Jährigen haben das Internet für Einkäufe genutzt, bei den 16- bis 24-Jährigen waren es 58 Prozent. Ab der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen nimmt der Prozentsatz der Onlineshopper ab. Am geringsten ist der Anteil bei den 65- bis 74-Jährigen mit sieben Prozent.

Faktor Breitband
Der Anteil der Männer, die im Internet einkaufen, ist noch immer höher als jener der Frauen: Während 1,4 Mio. Männer (46 Prozent) online shoppen, nutzen rund 1,2 Mio. Frauen (36 Prozent) das Internet für Einkäufe. Der geschlechtsspezifische Unterschied ist in allen Altersgruppen erkennbar. Von den 2,6 Mio. Personen, die das Internet für Einkäufe genutzt haben, lebten 2,1 Mio. in Haushalten mit Breitbandanschlüssen. Und nicht zuletzt wegen der Schweinegrippe bestellt das Christkind seine Gaben lieber von zu Hause im Internet. Twenga hat in einer aktuellen europaweiten Verbraucherumfrage die Trends des diesjährigen Verhaltens bei Weihnachtseinkäufen ermittelt – mit überraschenden Ergebnissen. Knapp zwei Drittel der Deutschen (62 Prozent) wird in diesem Jahr verstärkt online einkaufen – österreichische Zahlen wurden leider nicht ermittelt. Jeder dritte Befragte tut dies bewusst, um die Gefahr einer Grippeinfektion mit dem H1N1-Virus zu vermeiden (36 Prozent).
Diesem Trend will auch die EU entgegenkommen, da 61 Prozent der grenzüberschreitenden Kaufversuche in die Hose gehen. Deshalb will Verbraucherschutzkommissarin Meglena Kuneva die Richtlinien des Online-Handels in den Mitgliedsstaaten vereinheitlichen. So sollen die Händler motiviert werden, Kunden aus anderen EU-Ländern anzunehmen.

Zehn Gebote für sicheres Onlineshopping
1. Seriöse Anbieter verstecken sich nicht
Anbieter mit Postfachadresse oder ohne Kontaktinformationen haben etwas zu verbergen. Achten Sie auf ein klares Impressum mit vollständiger Firmenanschrift. Für ausländische Anbieter gelten andere Rechtsgrundlagen und nicht zuletzt andere Preise. Deshalb sollten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Anbieters jederzeit und vollständig abrufbar sein.

2. Wie bekannt ist der Onlineshop?
Zu großen und bekannten Onlineshops findet man eine große Anzahl an Bewertungen. Bei kleineren Anbietern ist dies nicht immer der Fall. Suchen Sie den Namen Ihres Anbieters über eine Suchmaschine, so finden sich schnell in diversen Foren Nutzerbewertungen. So können Sie sich im Vorfeld ein Bild von dem gewählten Anbieter, vor allem über Kritikpunkte verschaffen.

3. Zertifikate geben Sicherheit
Es gibt mittlerweile verschiedene Prüfstellen, die sich auf die Bewertung von Onlineshops spezialisiert haben. Zertifikate wie das österreichische E-Commerce-Gütesiegel oder die deutschen Zertifikate wie Trusted Shops, EHI oder das TÜV-Siegel stehen für sicheres Einkaufen im Netz.

4. Ausführliche Produktinformationen sind Pflicht
Beim Einkauf hochwertiger Ware sollte ersichtlich sein, dass es sich um Originalware handelt. Eine ausführliche Produktbeschreibung, die Angabe aller relevanten Informationen (zum Beispiel Preis, Größe, Farbe, Zustand) und eine Präsentation mit Fotos gelten als selbstverständlich. Achten Sie auch auf Einschränkungen oder Besonderheiten, zum Beispiel bei Bestellungen im Ausland.

5. Achten Sie auf widersprüchliche Preisangaben
Sollte das gewünschte Produkt bei Ihrem Anbieter weitaus günstiger sein als bei der Konkurrenz, ist ein Blick auf die Zusatzkosten ratsam. Achten Sie besonders auf Zusatzleistungen, die im Bestellprozess durch den Anbieter zusätzlich eingefügt werden. Kontrollieren Sie daher vor dem endgültigen Abschicken ihrer Bestellung den Rechnungsbetrag. Der Anbieter ist zu einer detaillierten Preisauskunft verpflichtet, in der auch Zusatzleistungen aufgelistet werden.

6. Sichere Zahlungsmethoden schützen vor Betrug
Neben den klassischen Bezahlmethoden wie Kreditkarten (Mastercard, Visa) haben sich weitere Dienste und Dienstleister wie Qenta, Paybox oder Paysafecard etabliert. Sie bieten eine einfache, kostengünstige und schnelle Bezahlung. Achten Sie auf die AGB. Ein Onlineshop, der nur wenige und für den Käufer unsichere Bezahlverfahren anbietet, sollte tunlichst gemieden werden.

7. Meine Daten schützen
Die Datensicherheit spielt beim Online-Einkauf eine wichtige Rolle. So sollte der gesamte Bestellprozess verschlüsselt ablaufen, was an einem Vorhängeschlosssymbol in der Adressleiste des Browsers zu erkennen ist. Genauso wichtig ist aber auch die Art und Weise, wie der Onlineshop-Betreiber mit Daten umgeht. Hinter dem Häkchen „Ich möchte auch Angebote von Partnern erhalten“ verbirgt sich oft die Absicht, die Daten zu verkaufen.

8. Wie kommt meine Ware bei mir an?
Gerade bei kleineren Bestellungen können die Lieferkosten einen erheblichen Preisanstieg darstellen. Vergleichen Sie die Preise also inklusive Lieferkosten. Neben dem Preis müssen Sie auch die Lieferbedingungen beachten. Das Risiko beschädigter Ware wird oft auf den Käufer übertragen. Ein Blick in die AGB verschafft hier Klarheit.

9. Und wenn mir die Ware nicht gefällt?
Sie als Käufer können ungeöffnete Ware bis zu 14 Tage nach Erhalt an den Anbieter zurücksenden, falls sie Ihnen nicht gefällt. Die Kosten für die Rücksendung übernimmt nicht immer der Anbieter. Vom Umtausch ausgeschlossen sind personalisierte Angebote, geöffnete Produkte oder Literatur. Das Widerrufsrecht entfällt ebenfalls bei privaten Auktionen (Ebay).

10. Guter Kundenservice zahlt sich aus
Bei Online-Einkäufen kann es immer zu Problemen oder Unklarheiten kommen. Ein gut erreichbarer Kundenservice kann hier schnell Abhilfe schaffen. Neben einer Hotline bieten viele Anbieter E-Mail-Kontakt und zunehmend auch Live-Chat-Dienste an. So können Sie Ihr Anliegen schnell aus der Welt schaffen. Achten Sie bei der telefonischen Hotline aber auf die Kosten.

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

Arzneimittelversorgung (nicht) für alle

Arzneimittelversorgung (nicht) für alleAPA/Robert Jaeger

Jedem zweiten HIV-Infizierten Afrikas fehlt der Zugang zu Medikamenten. An Durchfallerkrankungen sterben weltweit mehr Menschen als an Aids und Malaria zusammen. Patent-Pools gelten als ein Lösungsansatz.

Gilead Sciences ist eine der Silicon-Valley-Erfolgsgeschichten: Ende der 1980er Jahre von einer Handvoll Leuten gegründet; Financiers, die geduldig durchhalten und belohnt werden; strategische Zukäufe, bis das Unternehmen auf dem HIV-Arzneimittelmarkt vorne mit dabei ist. Norbert Bischofberger, Forschungschef und Teilhaber, spricht unverkrampft über Pharmageld. Er berichtet von einer Umsatzverfünffachung innerhalb weniger Jahre und dass 83 Prozent des Erlöses von Tabletten zur antiretroviralen Therapie von HIV-Patienten stammen.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Afrika südlich der Sahara rund 23 Mio. Menschen mit HIV infiziert sind oder Aids haben. Etwa der Hälfte davon fehlt der Zugriff auf Medikamente. Weil Vorsorgemaßnahmen nur bedingt greifen, breitet sich der Virus viel zu schnell aus. In Swasiland etwa ist jede fünfte Frau im Alter zwischen 15 und 24 Jahren betroffen.

Alternative zu Preisstufen
Eine der Möglichkeiten, Medikamente für die Bevölkerung ärmerer Länder zugänglich zu machen, sind Patent-Pools. Mehrere Pharmaunternehmen werfen dabei ihre Patente in einen Topf, die Profite werden geteilt. Lizenznehmer sollen damit Generika für die Bevölkerung in den Entwicklungsländern schneller verfügbar machen. Der Vorteil ist, dass Lizenznehmer nicht mit jedem einzelnen Patenthalter verhandeln müssen, sondern sich an die Bestimmungen des Pools halten. Pharmaunternehmen verzichten dabei auf ihre Exklusivvertriebsrechte in bestimmten Regionen, ein Schritt, der oft nur zögerlich geschieht.
„Ich glaube, das ist eine schlechte Idee“, so Bischofberger. Wenn mehrere Unternehmen etwas gemeinsam machen würden, funktioniere das nur selten. „Wir geben unsere Medikamente einfach an Entwicklungsländer weiter und verrechnen nur die Herstellungskosten“, führt der gebürtige Vorarlberger die Alternative aus. Rund eine halbe Mio. Patienten würden auf diese Weise in Entwicklungsländern versorgt. Das kalifornische Unternehmen unterscheidet in der Preisgestaltung vier Stufen: An einem Ende befinden sich reiche Staaten wie die USA, Kanada, Australien oder die Europäische Union, am anderen Ende ist Afrika. Dazwischen liegen Schwellenländer wie Brasilien. Wie sich Gilead das leistet: „Weil wir in den USA gutes Geld verdienen“, sagt Bischofberger.

Knappe Verteilung
Der HIV-Sektor in der Pharmaindustrie befindet sich im Umbruch, doch die Veränderungen gehen tiefer. Viele Unternehmen nähern sich in den nächsten vier Jahren einer „Patentklippe“: Das Exklusivrecht für zahlreiche einträgliche Medikamente fällt zugunsten der Herstellung von Generika. Um ihre Kräfte zu bündeln, gliederten zuletzt etwa Glaxo Smith Kline und Pfizer ihre HIV-Bereiche in ein eigenes, gemeinsames Unternehmen aus. Gleich nach dessen Gründung erging von Unitaid, einer gemeinnützigen Organisation, die Medikamente zu günstigen Konditionen einkauft, eine Einladung zur Teilnahme an einem Patent-Pool. Unitaid hält eine international starke Position: Die Mischung aus großen Budgets – die Finanzierung erfolgt unter anderem über den Solidaritätszuschlag auf Flugtickets – und der Garantie hoher Abnahmezahlen macht die Pharmaindustrie aufnahmebereit für Forderungen der Organisation. Als Verteiler agieren schließlich Unicef oder die William J. Clinton HIV/Aids Initiative.
In Afrika hinterlässt die hohe Zahl an Aids-Erkrankungen tiefe gesellschaftliche und wirtschaftliche Wunden. Die Betreuung der Kranken wird von der jungen Generation übernommen, damit kommt etwa Schulbildung zu kurz. Gleichzeitig ist die starke Konzentration der Hilfe auf HIV durchaus umstritten. Die Kosten für HIV-Medikamente, die lebenslang einzunehmen sind, rücken die Behandlung einfacher Krankheiten in den Hintergrund. Die Unicef zählt jährlich 1,5 Mio. Kleinkinder, die in Entwicklungsländern an Durchfall­erkrankungen wie Cholera sterben – weit mehr Opfer als Aids und Malaria zusammen fordern. Hier könnten bereits billige Zinktabletten und die sogenannte WHO-Trinklösung, eine Mischung aus Elektrolyten, Traubenzucker und Kochsalz, helfen.
Erschwert wird die Versorgung von Entwicklungsländern mit Generika durch eine unsichere Rechtssituation. Laut einem Bericht von Oxfam und Health Action International beschlagnahmten Deutschland und die Niederlande innerhalb des letzten Jahres 19 Schiffsladungen mit Medikamenten. Der Großteil davon kam aus Indien, Bestimmungsorte waren vor allem Länder Lateinamerikas. Als Grund nannten die Behörden vermeintliche Urheberrechtsverletzungen. Oxfam hält entgegen, dass die Frachten laut Richtlinien der Welthandelsorganisation rechtens gewesen seien.

Schweinegrippeimpfung
Die Weltgesundheitsorganisation hofft derzeit darauf, dass die Pharmaindustrie 200 Mio. Impfdosen gegen den Schweinegrippevirus spendet. Diese sollen an insgesamt 95 ärmere Länder verteilt werden. Glaxo Smith Kline sagte zuletzt 50 Mio. Stück zu, Sanofi-Aventis davor bereits 100 Mio. Einheiten. Ob alle 95 Staaten den Impfstoff annehmen, ist allerdings noch unsicher, da die Übernahme einen Haftungsausschluss gegenüber den Herstellern bedeutet.
Die Debatte über einen angemessenen Preis von Arzneimitteln ist so alt und gleichzeitig aktuell wie die betriebswirtschaftliche Rechnung dahinter. „Wir sind der Meinung, da wir das Risiko tragen und die Innovation liefern, steht uns auch ein Ertrag von unserem Geld zu“, sagt der Biochemiker Bischofberger. Die gemischten Gefühle, die in Europa rasch in Vorwürfe umschlagen, wenn es um idealistische Wissenschaft gepaart mit finanziellem Wohlstand geht, kennt er. Über die Ursachen ist er sich im Unklaren: „Vielleicht hängt es damit zusammen, dass vieles von der Regierung gemacht wird.“

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009

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