„Darf’s ein Plastiksackerl sein?“
Andy Urban Mit Werner Boote, dem Regisseur des Films „Plastic Planet“, im Supermarkt. Die Mission: Zutaten für einen Brunch einkaufen – ganz ohne Plastik. Das Ergebnis: nach einer Odyssee durch die Regale fast gescheitert.
Wer den Film Plastic Planet des Österreichers Werner Boote gesehen hat, will von Plastik vorerst nichts mehr wissen. Boote zeigt uns, dass im Meer schon sechsmal mehr Plastik als Plankton schwimmt. „Die Fische verwechseln es und sterben bei vollem Magen.“ Boote nimmt uns den Glauben, dass Plastik unbedenklich für die Gesundheit ist: „Zusätze für ein weicheres oder stabileres Plastik können giftige Schwermetalle enthalten. Unbedenklich ist gar nichts.“ Und er schärft unser Auge für die Berge an Wegwerfplastik, die wir täglich anhäufen.
Also Schluss mit Plastik. Nur: Gibt es überhaupt noch Produkte ohne Kunststoff? Wir machen den Test in einer großen Supermarktkette. Ziel ist es, einen plastikfreien Brunch zusammenzustellen. Zutaten: Joghurt, Orangensaft, Wurst, Käse, Brot, Oliven, Salat, Clementinen, Mineralwasser.
Geheime Zutaten
Erste Station Clementinen: Die sind mit einem breiten Plastikband eingefasst. Boote prüft es fachmännisch: „Ich finde es super, dass wenigstens Polyethylen und der Recyclingcode draufstehen.“ Haben wir es also mit einem „guten“ Plastik zu tun? Boote winkt ab: „Das Problem ist, wegen der vielen und teils geheimen Produktionsschritte wissen wir nicht, welche Zusätze bei der Erzeugung verwendet worden sind. Supermärkte und sogar Kunststoffverarbeiter haben oft keinen Überblick, was genau im Plastik drin ist.“
Warum gibt es keine Bringschuld der Industrie, jeden Zusatzstoff anzugeben, warum gibt es keine starken Behörden, die jedes Plastik lückenlos testen und rigide Grenzwerte festlegen? „Es sind starke Lobbys im Spiel“, begründet Boote, der sich im Film so manchen Infight mit Industrievertretern leistet und dabei an Michael Moore erinnert. „In der Kunststoffindustrie arbeitet europaweit eine Million Menschen. Dazu kommen die Interessen der Öllobby.“ Plastik ist bekanntlich aus Öl, also aus einem nicht nachwachsenden Rohstoff.
Boote will trotzdem kein Militarist sein. Er würde die Clementinen nehmen, weil sie nicht direkt mit dem Plastikband in Berührung kommen. Bleibt das Müllproblem. Die Clementinenschleife würde im Restmüll und dann in der Verbrennung landen. Ist das Problem dann nicht aus der Welt? Immerhin werden Filter verwendet. „Es gibt unterschiedliche Meinungen, was wirklich gefiltert wird, manche Schadstoffe erkennen die Filter noch gar nicht. Das heißt, Schadstoffe treten aus. Außerdem verschwinden die Filter nicht einfach, sondern werden in Bergstollen gelagert.“
Die Oliven gibt es mittlerweile nicht nur im Glas, sondern in Plastiktaschen mit praktischem Verschluss. Ein sexy Produkt, das entsprechend in Sichthöhe platziert ist. Mit unseren langweiligen Oliven im Glas gehen wir an einem Regal mit vielen Konserven vorbei. „Die Innenseite ist zu einer hohen Wahrscheinlichkeit mit einem Plastik beschichtet, das Bisphenol A enthält. Bisphenol A steht unter dringendem Verdacht, krebserregend zu sein und unfruchtbar zu machen.“ Das Gruselige daran: In der Babyabteilung werden wir später Schnuller mit der Aufschrift „Bisphenol A-frei“ finden. Der in der Kunststoffindustrie gängige Stoff muss demnach tatsächlich ein Problem sein, sonst würde die Baby-Industrie nicht mit solchen Hinweisen werben.
Danke, „Landliebe“
Mit Clementinen in der Holzsteige und den Oliven im Glas suchen wir den passenden Orangensaft. Wer kann sich noch an Cappy und Hohes C in der Glasflasche erinnern? Die Zeit ist vorbei. Wir scannen das Regal und finden im letzten Winkel fünf Glasflaschen. Danke, Pago. Auch Tetrapack sei innen mit Plastik beschichtet, streut Boote ein. Womit? Dieser Hinweis findet sich nicht. Wer Mineralwasser noch in schweren Glasflaschen kauft, verdient sowieso einen Orden. In der plastischen Wasserwelt der Supermärkte ist Glas selten geworden. Macht es Recycling wieder gut? In Europa liegt die Recyclingquote noch bei unter 50 Prozent. Und im Gegensatz zu einer PET-Flasche kann man die Glasflasche endlos wiederbefüllen, ohne Schadstoffe freizusetzen.
Ohne Joghurt kein Brunch. Zum Glück gibt es „Landliebe“ im Glas, auch wenn uns ein österreichisches Joghurt lieber wäre. Selbst bei den heimischen Joghurts im Kartonbecher ist sich Boote sicher, dass sie innen beschichtet sind, womit auch immer.
Zwischen jede Scheibe
Beim Salat wundern wir uns über die Vielzahl an abgepackten Salatvariationen. Da lagern ein paar grüne Blätter in einer robusten Plastikschüssel mit Folie rundherum. Statt des grünen Salats nimmt Boote eine Rispe Tomaten, wiegt sie ab und klebt das Preispickerl direkt auf die rote Haut.
Wie beim Salat dominieren bei Wurst, Käse und Brot mittlerweile die abgepackten Einheiten. Wer nimmt sich noch die Zeit an der Theke? Wir tun es. Boote wählt ein Olivenbrot, das in ein Papiersackerl kommt, und Prosciutto. Ohne seine Intervention würde der Wurstverkäufer zwischen jedes Blatt eine Plastikfolie legen.
An der Kasse sind wir stolz, mit einem plastikfreien Einkaufswagen vorzufahren, auch wenn die Produkte nicht so sexy sind wie ihre Kunststofffreunde. Die junge Dame vor uns, die vom Outfit durchaus dem studentisch-alternativen Lager zuzuordnen wäre, hat das Wagerl voller Plastik: angefangen vom verpackten Salat über die Joghurts, Getränkeflaschen bis hin zu den dreifach verpackten Keks. Sie dürfte sich mehr darauf konzentriert haben, Fleisch zu vermeiden als Plastik.
Dann sind wir an der Reihe und verwirren die Verkäuferin einigermaßen mit unserem plastikfreien Einkauf. Spätestens bei den frei liegenden Tomaten hält sie es nicht mehr aus: „Darf’s ein Plastiksackerl sein?“
„Plastic Planet“ läuft seit September österreichweit in den Kinos.
Clemens Neuhold, Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009